Der Bauch des Fotografen …

Von Arno

Wer jetzt etwas zarter ist und nicht gerne Horrorfilme guckt, kann ja noch schnell das Fenster zu machen, für alle anderen hier eine kleine Einleitung zum technischen Vorgang. Mit Hilfe von Kohlensäure wird der Patient (das wäre dann ich) so aufgepumpt, dass verschiedene Geräte im Körper Platz haben, als das wären. Licht mit Kamera (ganz wichtig), Schneidewerkzeug, Zange und weil es etwas komplizierter wurde, zusätzlich eine Fräse mit Filterfunktion zum Ansaugen kleiner Steinchen und sonstigen Materialien, sowie ein zusätzliches Instrument, welches ich nicht mehr identifizieren konnte, aber ein Loch hinterlies. Immerhin. Die Bilder reichen bis 14:40 Uhr, danach wurde es nochmal für fast drei Stunden hässlich, weshalb wohl keine Aufnahmen mehr gemacht wurden, schnüff. Wie sagte meine Nachtschwester doch so schön? „Hier lieben es alle, wenn der Patient zufrieden ist und das Essen toll schmeckt!“ In dem Sinne, meine Grüße und Dank ans Chirurgenteam und den talentfreien Koch

Der Bauch des Fotografen …

oder fünf Löcher bis Weihnachten. In diesem Jahr habe ich wieder eine Weihnachtsgeschichte für euch und natürlich ist sie wahr, denn die besten Lektionen schreibt das Leben und nicht die Phantasie.

Wie oft an einem Dienstag sitze ich bei Frau Dr. Doolittle, wir trinken gemeinsam einen Kaffee, reden über das Leben und auch über Essen und Rezepte. Ein großer Korb gesammelte Pilze (Herr Prof. Doolittle ist Experte auf diesem Gebiet) wird verarbeitet und ich probiere davon, als geschätzter Mitverkoster. Es ist lecker, doch die Zeit drängt mich zur Heimkehr. Am nächsten Morgen um 6 Uhr liefert mich meine Frau in der Notaufnahme ein, mit Verdacht auf eine Pilzvergiftung. Selbstverständlich habe ich Familie Doolittle auf den AB gesprochen, schließlich könnte es ihnen doch schlecht gehen und ich würde mir schäbig vorkommen nicht wenigstens angerufen zu haben.

Im Vorraum zum Gemetzel

Nach eingehender Untersuchung, Ultraschall und Abtasten mit der immer gleichen Frage, „tut das weh?“, gibt es eine gute Nachricht. Die Pilze sind es nicht. Es ist die Galle.
„Wie lange haben Sie schon Probleme damit?“, fagt mich der knittrig aussehende junge Arzt.
„Noch nie“, anworte ich wahrheitsgemäß und das stimmt. Ich könnte sogar Stinkefisch aus Norwegen essen ohne das mir schlecht wird und außer einer echten Abscheu gegen unhygienische Zustände in der Küche, bin ich ziemlich abgehärtet.
„Mhhh“, brummt der Mediziner. „Haben Sie heute schon abgeführt?“
Ich beiße auf meine Unterlippe, mein Gesicht ist kalkweiß und der Tropf läuft seit einer halben Stunde ergebnislos in meinen Arm.
„Was denn? Die Steuern?“, anworte ich bissig.
„Ihren Stuhl.“, bleibt er ganz gelassen.
„Nein, der steht zu Hause“, presse ich hervor, weil mir die Fragen bereits vom dritten Wasauchimmer gestellt werden, ohne das es mir davon besser geht. Ich stelle fest, dass Schmerzen meine Demutsgrenze empfindlich anheben und gelobe sofortige Besserung, indem ich alles beantworte.
„Wir nehmen Sie jetzt sofort auf und da Sie noch nüchtern sind, werden Sie gleich heute vormittag operiert.“
„Ähm, das geht nicht so schnell bei mir“, stammele ich unbeholfen herum.
„Wir müssen, denn Ihre Galle ist erheblich erweitert und bis zum Platzen voll mit Kiesschlamm. Wenn die Blase perforiert ist das nicht gut für Sie. Daran kann man sterben.“
Ich grinse nicht und meine Frau kennt mich gut genug um zu wissen, dass der Arzt meine Meinung nicht ändern wird. Ich gehe also, stelle am selben Tag meine Essgewohnheiten um, mache einen Termin für die Voruntersuchungen und soll am 1. November operiert werden. Leider kommt mir eine Bronchitis, Nasennebhöhlenvereiterung und Mittelohrentzündung dazwischen, aber schließlich ist es soweit und wir einigen uns auf den 29. November. Ich schlafe schon seit Jahren nicht mehr außer Haus und alleine diese Tatsache verursacht mir echtes Kopfzerbrechen, denn im Schlafzimmer bin ich nicht der gesellige Typ und meine Toilette teile ich ungerne mit einem Haufen Fremder, selbst wenn die Umgebung steril sein sollte, aber ich muss ja, verdammt.

Blick aus dem Fenster

Ich schreibe mein Testament, weil ich ein echt mieses Gefühl habe und meine letzte Narkose mit 6 Jahren war und daran habe ich keine guten Erinnerungen. Holger und die Holde grinsen, als ich davon erzähle, aber ich meine es ernst. Ich bin hin und hergerissen, wen ich alles darüber benachrichtigen soll und entscheide mich schließlich dafür, es für mich zu behalten. Es soll sich keiner Sorgen machen, schon gar nicht um mich. So tue ich alles wie immer und fahre mich Mittwochmorgen selber in die Klinik, da ich schon um 6:30 Uhr da sein soll und jetzt meine Frau stark Erkältet ist.

Ich betrete mein Zimmer. Es ist leer. Ich könne mir eine Ecke aussuchen, hatte mir die Krankenschwester gesagt und so wähle ich den hintersten Winkel, mit Blick auf das Lahnufer, die Autobahn und ein kleines Gewerbegebiet. Es fängt an zu schneien und ich denke, „Mist, gerade jetzt, wo ich nicht raus kann um meine geliebte Eiche zu fotografieren“, aber ein paar Aufnahmen aus dem christlichen Krankenhaus tun es ebenfalls. An der Wand hängt ein Kalender und der Spruch des Tages ist wenig ermutigend für mich. Irgendwann gegen 12 Uhr werde ich in den Flur hinausgeschoben und fluchend bugsiert der Pfleger das Bett gegen jede Wand.
„Kein Problem“, sag‘ ich, „ich hab nix gegen Autoscouter“ und halte meine Kamera fest.
„Die dürfen Sie aber nicht mitnehmen. Das ist verboten!“ erklärt der Mann etwas gereizt.
„Ne, ist schon in Ordnung“, antworte ich beruhigend, „hab’ ich mit der Narkoseärztin alles abgesprochen. Sehen Sie gerne nach.“
Er angelt nach den Papieren und ließt mir ein paar lange Sätze mit allerlei Fachbegriffen vor und runzelt die Stirn (Das sieht übrigens lustig aus, wenn man jemand seitenverkehrt anguckt).
„Das bedeutet, es werden Aufnahmen von innen und außen gemacht. Das volle Programm“, erkläre ich ruhig.
„Warum wollen Sie das?“ fragt meine Bettschubse entgeistert.
„Weil es noch niemand gemacht hat.“ antworte ich in geschäftsmäßigem Ton und denke, dass ja auch niemand die Leutchen fragt, warum sie auf den Mount Everest steigen. Eben weil er da ist.

Meine Lektüre

Endlich kommen wir im Operationskeller an und der Vorraum wirkt wie ein ausrangiertes Schwimmbad. Bis auf die vielen Apparaturen, die den Eindruck vermitteln mich in einem verstaubten Uniraum zu befinden, wo die alten Computerschätzchen aufgehoben werden, bis jemandem eingefallen ist, wohin die entsorgt werden sollen.
„Ich weiß, es sieht hier aus wie im Schwimmbad, wegen der Kacheln“, flötet mir ein sichtlich wacher Arzt entgegen.
„Ist mir nicht aufgefallen“, brumme ich halbnackt auf meiner schwarzen Gummimatte, und meine mich erinnern zu können, so etwas schon mal in einer Tierklinik gesehen zu haben.
„Sie sind also DER Fotograf!“ sagt der Mann fast ehrfürchtig.
„Wieso, DER Fotograf?“ will ich wissen.
„So etwas hat es hier noch nie gegeben, aber Sie müssen wirklich überzeugend bei der OP Besprechung gewesen sein und ich finde es witzig!“ antwortet er freudestrahlend.
„Danke“, sage ich knapp. „Ich mache es ja auch nur, weil sich keines meiner gutausehenden Models so ablichten lassen würde.“
„Verstehe ich“, zwinkert er mir zu.
Ich mag den Kerl, kein Gott in weiß (gut, er trägt ja einen grünen Kittel), sondern jemand der noch unter uns Sterblichen weilt. Leider eröffnet er mir jetzt, dass die Narkoseärztin krank geworden ist, aber ich eine Neue bekäme, die den Job auch machen würde, ich müsste ihm nur schnell erklären, wie die Kamera eigentlich funktoniert, da hier alle nur mit Smartphones knipsen.


„Ätzender Zeitpunkt!“, denke ich und fange schnell an, ihm die wichtigsten Funktionen zu erklären und frage nach den Lichtverhältnissen, während er auf meinen Handrücken eindrischt wie ein Verrückter, um eine Vene dazu zu bekommen an die Oberfläche zu pochen, um einen Zugang legen zu können. Die letzten Fragen klären wir, während er eine schwarze Atemmaske auf mein Gesicht presst und mich bittet tief einzuamtmen.
„Hey“, sage ich noch schnell, „wenn es schief geht, machen Sie sich keinen Kopp, ich bin 53 und hatte ein wirklich gutes Leben, also alles gut.“
Der Mediziner lächelt mich zuversichtlich an und teilt mir abgehärtet mit, dass solche Sachen wirklich nix außergewöhnliches wären und ich bald schon wieder oben im Zimmer läge. Doch dann fragt er doch noch schnell, was die Narkoseärztin machen soll, falls diese doch nicht mit dem Hightech-Gerät zurecht kommt.
„Dann stellen Sie den Wahlhebel auf „A“ wie Armleuchter.“ Vielleicht habe ich es auch nicht mehr gesagt und nur gedacht, da verschwimmen schließlich die Grenzen und es wird echt schwarz um mich.

Erstes Bild danach …

Alles klingt, als ob ich ein Spielzeug in einer Geschenkbox wäre. Weit entfernt, dumpf und es ist dunkel.
„Da sind Sie ja wieder!“ flötet mir eine weibliche Stimme leise entgegen.
Draußen ist es dunkel und es schneit. Ich erinnere mich an die Worte meines Operationsbegleiters, der mir gesagt hätte, dass ich aufwachen würde sobald er die Maske wieder abnehmen würde. Irgendwas stimmt also nicht.
„Wie fühlen Sie sich?“ fragt die Schwester besorgt.
„Fusselig und meine linke untere Lippe ist taub“, antworte ich wahrheitsgemäß.
„Oh ja, das tut uns leid. Ist im OP passiert.“
Ich fühle mich wie ein Stück Holz, versuche aber dennoch meine Brille zu finden, die mir schließlich gereicht wird. Ich schiebe sie zeitlupenartig auf meine Nase und schnaufe aus. Die Kamera liegt unversehrt auf dem Nachttisch und steht auf „A“, wie Automatik. Kluges Mädchen, hoffentlich hatte sie ruhige Hände (hatte Sie) und ich stelle mal eine investigative Frage, weil meine Freundin Dr. Doolittle gesagt hat, „Galle hat bei uns früher der Pförtner in der Mittagspause gemacht.“
„Wieso, was war denn?“
„Ihre Leber hat gesuppt.“, antwortet sie kleinlaut.
Ich verkneife mir zu erklären, dass ich mich mit Küchenbegriffen eigentlich ganz gut auskenne, aber „gesuppt“ nicht gut für mich klingt, doch die nette, immer noch verschwommene Schwester redet zum Glück weiter.
„Es wurden beim Entfernen der Galle Gefäße verletzt und Blutungen traten auf, an der Leber. Deshalb waren Sie viereinhalb Stunden im OP.“
„Von wegen Pförtner“, denke ich, aber immerhin liege ich hier und kann sprechen, also ist doch alles gut.
„Kann ich noch irgendwas für Sie tun?“, fragt sie superfreundlich.
„Ja“, antworte ich völlig ernst. „ich möchte was zu Essen haben und wann darf ich nach Hause?“
Ein schallendes Lachen ist die Antwort.
„Sie haben gerade eine schwere OP hinter sich, da gibt es nix zu Essen und frühestens nächste Woche dürfen Sie nach Hause.“

Am nächsten Morgen kommt der Chefarzt vor der Visite auf mein Zimmer, erklärt mir wie kompliziert mein Fall wurde, während ich da ahnungslos auf dem kalten Tisch lag (naja, ist eigentlich nicht wahr, da die mir einen Haufen geheitzer Decken übergeworfen haben, als ob ich ein Rennpferd wäre) und das ich noch einige Zeit bleiben müsse. Ich insistiere und erkläre ihm die Vorzüge meiner vorzeitigen Entlassung am Freitag. Er schüttelt den Kopf, aber ich lasse nicht locker. Das Essen war zwar eine mittlere Katastrophe und es war mir bisher nicht bewußt, dass man Lebensmittel derart versauen kann, aber man lernt ja nie aus und die für die kurze Zeit meiner Anwesenheit ging das schon in Ordnung.

Der schönste Teil der Geschichte ist der Besuch von Goldstück in meiner Einzelzelle, die mich sieht und mit den Worten begrüßt.
„Oh je, oh je, armer, armer Onkel! Hast Du Schmerzen?“
„Ne“, sag’ ich, „nur wenn ich lache oder huste und beides muss ich im Moment nicht.“
Sie sieht meinen Zugang auf der Hand und will die Pflaster und Drainagen am Körper sehen, dort, wo das Blut noch reinsuppt. Sie sieht traurig und bestürzt aus. Gerade diese kleine Prinzessin, die selber schon mehr Zeit in Krankenhäusern verbracht hat, als wir alle zusammen, ist so unglücklich über meinen Zustand. Ich werde traurig, weil ich mich für einen winzigen Moment für viel zu wichtig genommen habe und greife ihre Hand.
„Den Backtag machen wir, wie besprochen, ich halte mein Wort.“
Das kleine siebenjährige Gör grinst glücklich über das ganze Gesicht und flüstert mir zu.
„Ich habe unser Geheimnis nicht verraten, Onkel.“
„Ich weiß“, sage ich glücklich aus tiefstem Herzen, denn wir wollen ihrem Papa, meinem Freund Holger, eine kleine Lebkuchentochter backen, ganz nach ihrem Vorbild und es war ihre Idee alleine und ich werde dabei sein. Kann die Vorweihnachtszeit noch schöner sein? Nächsten Samstag sind wir verabredet und werden den ganzen Tag Leckereien machen, ich werde die doofe Galle vergessen haben und die fünf Löcher, die sie deswegen in meinen Körper bohren mussten. Das ist doch nicht zuviel, für eine so schöne Erkenntnis, oder Freunde?

Mein Zitat stammt von Paul Lafargue (1842 – 1911), französischer Sozialist, Schüler und Schwiegersohn von Karl Marx.

„Die Medizin ist ohne ein gewisses Maß an Scharlatanerie nicht auszuüben.“

Es grüßt Sie Ihr löchriger Arno von Rosen, Buchautor, Kolumnist, Blogger und untalentierter Medizinleie. Alleine in den letzten drei Tagen habe ich mir mit der Trombosespritze einmal in den Daumen, einmal durch die Hautfalte und einmal in den Zeigefinger gestochen und es liegen noch vier Tage vor mir. Bleiben Sie bitte am Leben, gerne gesund und sagen Sie Ihren Liebsten, was Sie für Sie empfinden, selbst wenn das Gefühlsduselig klingt.