Ein Erfahrungsbericht aus dem Deutschland des wirtschaftlichen Aufschwungs. Ein anonymer Gastbeitrag.
Weil ich aus familiären Gründen gerne in den Raum Freiberg in Sachsen übersiedeln möchte, stellte ich vor ungefähr anderthalb Jahren bei meinem Arbeitgeber, der Deutschen Post AG, einen Versetzungsantrag. Bisher wurden mir jedoch nur hundsmiserable und absolut unterbezahlte Jobs angeboten. Wer möchte sich schon gerne verschlechtern? Daher bewarb ich mich bei einem renommierten Solarkonzern in Freiberg. Diese Firma stellt Solarzellen her und präsentiert sich in der Öffentlichkeit als innovatives und sozial engagiertes High-Tech-Unternehmen. Obwohl ich eine Bewerbungsmappe mit sehr guten Zeugnissen und Referenzen vorlegen konnte, bekam ich nach zwei Wochen eine Absage. Nach kurzer Rückfrage bekam ich von einer weniger freundlichen Dame des Personalbüros mitgeteilt, dass für Einstellungen die Zeitarbeitsfirma R. zuständig sei, die zufällig ein Büro direkt auf dem hiesigen Werksgelände eröffnet habe. So bewarb ich mich also nochmal bei R. und bekam prompt einen Vorstellungstermin in Freiberg.
Ich opferte einen Tag Urlaub und fuhr guter Dinge von meinem hessischen Wohnort nach Freiberg. Meine Freundin begleitete mich an jenem Tag. Das R.-Büro befindet sich in einem ziemlich hässlichen Zweckbau, direkt auf dem Werksgelände des Solarkonzerns. Als ich den anonymen Laden sah, da bekam ich irgendwie ein merkwürdiges Gefühl. Der Bunker erinnerte mich unweigerlich an eine Art von Hochsicherheitstrakt. Ich musste klingeln und wurde durch mehrere Sicherheitstüren geschleust. Anschließend wurde ich von einer Dame empfangen und ins Büro geführt. Dieses Büro ist ebenso kühl und hässlich wie das gesamte Gebäude. Es besteht aus einem schlauchartigen und völlig unpersönlichen Raum mit mehreren Schreibtischen, die quer zu den Fenstern angeordnet sind. Daran sitzen sich immer zwei Angestelle gegenüber. Im hinteren Bereich befindet sich offenbar das Büro eines Vorgesetzten, das mit einer großen Glasscheibe vom restlichen Raum abgetrennt ist. Mein freundlicher Gruß beim Betreten des Raums wurde nicht erwidert.
Mein mulmiges Gefühl verstärkte sich allmählich. Die Dame bat mich nicht etwa in einen gesonderten Raum, um sich mit mir unter vier Augen zu unterhalten, sondern handelte mich routinemäßig direkt an ihrem Schreibtisch ab. Unser Gespräch wurde mehrfach von lauten Zwischenrufen ihrer Tischnachbarin unterbrochen, die von Kollegen wissen wollte, ob man einen Herrn Krause nun am Montag in die Nacht- oder in die Frühschicht stecken wolle. Das irritierte mich sehr, denn diese Leute ließen offensichtlich jedes Fingerspitzengefühl im Umgang mit Menschen vermissen. Nachdem das Gespräch einige Minuten gedauert hatte, zog diese Dame mit einem sichtlich peinlich berührtem Gesichtsausdruck einen Arbeitsvertrag aus der Tasche. Man komme nun zum unangenehmen Teil, sagte sie wortwörtlich zu mir. Wie unangenehm dieser Teil war, das sollte ich wenige Sekunden später erfahren:
6,50 Euro brutto Stundenlohn, drei Schichten mit Wochenendarbeit auf Abruf, 15 Prozent Nachtzulage, 50 Prozent Sonntagszuschlag und 100 Prozent Feiertagszuschlag. Ich überschlug dieses überaus "großzügige" Angebot und kam auf einen monatlichen Nettolohn von etwa 1000 Euro. Das ist also die wunderbare Innovation und das soziale Engagement dieser Sunnyboy-Firma. Mir wurde schlagartig klar was die Aussage ihres Inhabers, zu bedeuten hat, als er verkündete, dass man noch viel billiger werden müsse. 6,50 Euro brutto! Dafür bin ich insgesamt 750 Kilometer gefahren. Super! Die R.-Mitarbeiterin sah meinen Gesichtsausdruck und meinte, dass ich es mir ja noch mal überlegen und ihr am kommenden Montag Bescheid geben soll.
Ich empfahl mich freundlich und verließ den Raum. Niemand grüßte mich zurück, als ich mich verabschiedete. Ein wirklich toller Umgangsstil, das muss ich schon sagen. Offensichtlich sind Menschen dort nicht mehr als eine beliebig verfügbare Massenware. Meine Freundin hatte noch eine Weile damit zu tun, mich wieder aufzubauen und mir Mut zu machen. Ein Gefühl blieb jedoch in mir zurück: eine Stinkwut! Ich wurde plötzlich an all die Fahrer von Subunternehmen erinnert, die für meinen Arbeitgeber für ein Taschengeld zehn Stunden am Tag mit dem LKW durch die Gegend fahren. Als der Montag kam, da hatte ich meine Entscheidung längst getroffen. Ich sagte R. ab und ließ die Herrschaften wissen, dass ich - sollten mal andere Zeiten kommen und die Bosse von R. im Steinbruch arbeiten müssen - gerne bereit bin, als Wachposten auf die Jungs aufzupassen, dass sie bloß nicht stiften gehen. Das würde ich mit großem Engagement sogar für 3,50 Euro brutto machen.
Man wolle mir meine Unterlagen in Kürze zukommen lassen, hieß es. Darauf warte ich bis heute vergeblich. Diese Bananenrepublik mutiert allmählich zu einer Art von Freihandelszone mit lausigen Hungerlöhnen auf Kosten der ArbeitnehmerInnen und zugunsten der Bonzen aus Wirtschaft und Hochfinanz. Sie rauben uns die Perspektiven und die Zukunft. Schuld an dieser Entwicklung sind angeblich natürlich all die "faulen" Hartz IV-Schlucker, Migranten, Juden und weiß der Geier wer noch. Es ist zum Kotzen!