Der Astronom des Baumes

Der Astronom des Baumes

Ich hatte noch nie ein solches Fernrohr gesehen. Es bestand nicht nur aus einem Rohr, sondern aus einem ganzen Bündel, jedes so dick wie ein Ofenrohr. An seinem hinteren Ende waren die Rohre durch Schläuche aus einem blau schimmernden Material verbunden, eine komplizierte Mechanik aus Stangen und Rädern diente vermutlich zur Einstellung des seltsamen Instruments. Das Rohrbündel ragte durch eine sternförmige Öffnung hinaus in die Dunkelheit.

Ein Mann, so dürr wie ein Skelett, justierte im Schein einer Kerze das Räderwerk. Mal drehte er hier, mal drehte er dort.

„Jetzt haben wir ihn gleich“, rief er mit einer Stimme, die wie Schmirgelpapier klang.

Ich hatte keine Ahnung, von was er sprach. Auch hatte ich ihn noch nie gesehen, überhaupt hatte es mich noch nie an diesen seltsamen Ort verschlagen.

„Ah, jetzt sehe ich ihn. Es ist ein Riesenexemplar.“

„Ein Stern?“, fragte ich, und wusste gleich, dass es die falsche Frage war.

Der Dürre sah mich befremdet an, doch dann wandte er sich wieder seiner Maschinerie zu.

„Natürlich nicht. Dort draußen gibt es schon lange keine Sterne mehr. Die Entropie hat sie alle hinweggerafft. Es ist ein Baum.“

„Ein Baum im All?“ entgegnete ich ungläubig und fragte mich, wie er wohl dorthin gekommen war. Durch das Glas der Kuppel war von Auge nichts zu sehen. Draußen herrschte abgrundtiefe Finsternis.

Der Dürre sah mich mit einem seltsamen Ausdruck in seinen bernsteinfarbigen Augen an: „Du bist nicht von hier?“

„Nein ich komme von drüben“, sagte ich unbestimmt.

„Aber du denkst?“

„Ja natürlich. Auf jeden Fall denke ich, dass ich denke. Sonst könnte ich ja nicht mit dir sprechen.“

„Die meisten können sprechen ohne zu denken“, sagte er und schnalzte mit der Zunge. Dann fügte er an: „Von denen da drüben.“

„Manche denken eben unbewusst. Das ist normal. Nur die Protagonisten in Büchern denken, als würden sie mit sich selbst sprechen.“

Der Dürre schnalzte wieder mit der Zunge: „Er kommt hierher.“

„Wer? Der Baum? Und überhaupt: Wieso treibt er denn wurzellos durch den leeren Raum? Bäume sind doch in der Regel fest verankert.“

„Legenden, nichts als Legenden. Bäume sind schon immer durch den Raum gezogen. Auch als es noch Sterne gab. Aber ihr da drüben, ihr wisst halt nichts. Ihr glaubt bloß zu wissen. Darum seht ihr die Bäume verankert und erkennt nicht, dass sie in Wirklichkeit fliegen.“

„Was wir wissen, ist nicht wenig“, protestierte ich. Zum Beispiel weiß ich, dass ich träume. Sonst wäre ich nämlich nicht hier.“

Er schnalzte gleich dreimal mit der Zunge, bevor er antwortete: „Seltsame Logik. Du glaubst, dass du träumst und du glaubst, du wärst hier. Dein Wissen basiert auf Glauben. Nicht gerade eine solide Basis.“

Noch bevor ich mich wundern konnte, wieso mich die Diskussion über Wissen und Glauben durch all meine Träume verfolgte, krachte es. Die gläserne Kuppel bekam Sprünge und durch einzelne Löcher drang Wurzelwerk.

„Er ist da!“ ereiferte sich der Dürre und tanzte um sein Bündelfernrohr. „Er ist gelandet. Mein kardasisches Wumps hat ihn angezogen.“

„Dann ist dein Rohrbündel gar kein Fernrohr, sondern eine Art Baummagnet“, folgerte ich messerscharf.

„Ja natürlich, so kannst du ihn auch nennen. Ist es nicht wunderbar, dass er hier ist. Wir werden durch ihn enorm hinzugewinnen.“

Aha, dachte ich, hier geht es wieder einmal um Geld. Diese Seuche hatte jetzt offenbar auch die Traumwelten erfasst. „Wieviel ist er denn wert?“

Der Dürre schnalzte wieder mit der Zunge und es klang diesmal als würde er mit ihr eine heiße Herdplatte berühren. „Unendlich viel. Der Baum wird mit seinem Wissen, das er in sich trägt, die Welt viel reicher und stabiler machen.“

Reich und stabil? Welch’ seltsame Kombination. Welch’ seltsame Welt.

„Du meinst diesen Traum hier?“ Ich machte eine umfassende Bewegung mit den Armen.

„Ja, hier. Die Kuppel, die Wasserfälle, und alle die darin denken. Wir werden wissen und wir werden verstehen. Er ist endlich hier.“

Die Wurzeln des Baums umschlangen das Rohrbündel und das Räderwerk. Vom Kuppeldach regnete es Glas, das auf dem Boden zu Wasser zerfloss.

„Komm“, sagte der Dürre, „gehen wir zu ihm. Er hat uns soviel zu erzählen.“

Gerne hätte ich weiter geträumt und erfahren, was der reisende Baum zu berichten hatte, doch wie üblich wachte ich im spannendsten Moment meines Traumes auf.

Haltet eure Träume fest, sie wollen euch viel erzählen. Euer Traumperlentaucher



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