Der Apfel sieht besser aus, als er schmeckt

Sternapi_WochenspiegelWochenspiegel: «Der Apfel sieht besser aus, als er schmeckt»

Zuerst veröffentlicht im «Wochenspiegel» vom 20. Juli 2016.

In Höri bewahrt Fructus alte Obstsorten vor dem Aussterben. Der Star unter den rund 250 Sorten ist der Sternapi. Zum Essen ist er von geringer Qualität, sieht aber immerhin gut aus.

Wenn «Frau Rotacher», die sich eigentlich Fraurotacher schreibt, gerade keine Lust hat, dann geht es dem Sternapi schlecht. Denn zur Bestäubung braucht es bei den Äpfeln immer zwei. Der Sternapi wäre ohne Bienen, Hummeln oder andere Insekten ziemlich hilflos. Die Insekten fliegen von Fraurotacher zum Sternapi – natürlich auch umgekehrt – und erledigen ihren Job.

Fraurotacher und Sternapi sind Apfelsorten. Die zwei Bäume stehen sich in Höri direkt gegenüber. «Natürlich werden die Blüten des Sternapi nicht nur mit Blütenstaub von Fraurotacher bestäubt», erklärt Klaus Gersbach. Insekten würden einfach von Apfelbaum zu Apfelbaum fliegen und den Blütenstaub mitbringen. Sofern es sich um die Pollenkörner der Blüte einer geeigneten Sorte handle, werde die Blüte befruchtet, sodass wieder neue Früchte entstehen. «Windbestäubung hat bei den Äpfeln eine geringe Bedeutung», so Gersbach.

200 Apfelsorten in Höri
Der Obstsortengarten von Fructus in Höri beherbergt auf mehr als 350 Obststammbäumen 230 alte Obstsorten, darunter 152 verschiedene Äpfel, 53 Birnen, 17 Kirschen und 10 Zwetschgen. «Unser Ziel ist es, die genetische Vielfalt einheimischer, krankheitsrobuster Sorten mit mög- lichst geringem Bedarf von Pflanzenschutzmitteln zu erhalten», sagt Gersbach, der 16 Jahre Präsident von Fructus war. 2015 gab der 69- Jährige, der schon als «Apfelflüsterer» bezeichnet wurde, sein Amt ab und führt nun in seiner Freizeit durch die «Live-Genbank».

Der wohl berühmteste Bewohner des Obstgartens ist der Sternapi. Gersbach: «Die Sorte ist seit der Römerzeit bekannt und mit grosser Wahrscheinlichkeit ein Original aus Kasachstan, der Urheimat der Äpfel.» Sie zähle zu den seltensten Apfelsorten der Schweiz. «Originale, alte Bäume existieren kaum mehr», führt Gersbach weiter aus. 1995 wurde in Höri deshalb ein einzelner Baum dieser Sorte gepflanzt. Ein Risiko, falls der Sternapi-Baum durch höhere Gewalt Schaden nehmen sollte. Was wäre, wenn ein Blitz einschlagen, der Baum in Flammen aufgehen würde? Doch Gersbach beruhigt: Die Wahrscheinlichkeit dafür sei zum Glück gering, zudem würden auch im waadtländischen Arboretum in Aubonne Sternapi-Bäume stehen. «Der Bund fördert den Erhalt alter Obstsorten, doch die Auflage ist, dass sie in mindestens zwei Sammlungen in verschiedenen Regionen vorkommen müssen, damit sie nicht ganz aussterben.»

Der Sternapi ist nicht nur deshalb berühmt, weil er ein alter Hase unter den Apfelsorten ist. Seine spezielle Form fiel schon dem Pomologen Jean Bauhin auf, der von 1541 bis 1613 lebte und den Apfel wegen seiner besonderen Form Fünfsternapfel (Pomum Pentagonum) nannte. Er habe ihn auch ein erstes Mal gezeichnet, erklärt Gersbach. Der Sternapi ist also auch wegen seiner Sternform ein Star. In der Schweiz ist der Apfel im Februar 1981 erstmals wieder in den Radar von Fructus geraten. «Damals hat eine Frau aus Corsier bei Genf im Winter einen grossen Baum ohne Blätter, aber dafür voller Äpfel entdeckt», so Gersbach. Sie rief einen der Gründerväter von Fructus, Roger Corbaz, an und nannte die Äpfel «Pommes Fleur», also Blumenäpfel. «Es stellte sich heraus, dass es sich tatsächlich um die lange vergessene Sorte Sternapi handelte», erzählt Gersbach.

Der Sternapi fällt nicht
Die Früchte seien Ende Oktober pflückreif, würden aber nicht selbst vom Baum fallen. Wenn es zutrifft, dass Isaac Newton einst ein Apfel auf den Kopf gefallen ist und er dadurch zum Gravitationsgesetz inspiriert wurde, wäre ihm dies unter einem Sternapi-Baum wohl nie passiert. Ein Glück also, ist die Sorte nicht weiter verbreitet, könnte man meinen, sofern man der Geschichte denn Glauben schenkt.
Der Sternapi hat zudem einen kleinen Makel: Er ist zum Essen von eher geringer Qualität. Gersbach: «Er ist aber sehr fest und lagerfähig, und wenn er im März vollständig gereift ist, dann schmeckt er nicht schlecht.» Auch wenn die uralte Sorte aus der Römerzeit vielleicht nicht die leckersten Äpfel gebe, «sie ist umso attraktiver in ihrer Form».



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