Prinz Zuko aus "Avatar - Der Herr der Elemente" - zwar kein "Neben"charakter, aber einer, hinter dem mehr steckt als man glaubt.
Zurzeit arbeite ich an der 3. Version von "Das Arkanum der Alchemisten" und das bedeutet für mich, dass ich genauer auf die Bausteine schaue, die meine Geschichte ausmachen. Das war am Anfang schwierig für mich, weil ich gar nicht wusste wo ich anfangen soll. Mit den Charakteren? Dem Plot? Den Red-Herrings? Ich habe dann zunächst mit dem World-Building angefangen - das ist der größte Baustein, auf den die Charaktere beruhen - auf dem der Plot beruht. Da habe ich große Defizite dargestellt, denn das World-Building hat Konsequenzen auf die Charaktere, und demnach auch auf den Plot. Mir hat diese Etappe in der Bearbeitung auf viele Ideen gebracht, wie ich die Charaktere noch einmal mehr Tiefe verleihen kann. Wenn ich weiß wie weit fortgeschritten die Technologie in meiner Welt ist, dann kann ich mir auch besser vorstellen, welche Folgen dies auf das Leben der Charaktere hat. Positive oder Negative? In einer hoch technisierten Welt profitiert nicht jeder davon - was ist mit den Leuten, die keinen Zugang dazu haben und auf alle Mitglieder der Familie angewiesen sind, Geld zu verdienen?Das sind jetzt große Schritte - dazwischen liegen selbstverständlich auch mehrere. Aber ich habe mir deswegen noch einmal die Charaktere angeschaut - und nicht zuerst den Plot, wie ich es vor hatte - und überlegt, wie sie sich in diesem Umfeld, das ich genauer definiert habe, bewegen. Und als ich die Hintergrundgeschichten der einzelnen noch einmal genauer festgelegt habe, habe ich jede Menge Potential in einem Charakter gefunden. Ein Charakter, der eigentlich nur als "Villain of the Week", wie man ihn vielleicht in TV-Serien sieht, funktionieren sollte. Dieser Charakter ist sozusagen aus diesem World Building entstanden - er soll eine Seite der Welt beleuchten, nämlich eine schlechte, weswegen er auch als Schurke gesehen wird beziehungsweise eher als Antagonist, weil er nur ein Hindernis darstellen soll, um den Protagonisten die Reise zu erschweren. In den ersten Fassungen war dieser Charakter, den ich Mikhail getauft habe, eine 2-dimensionale Figur, die sarkastisch und narzisstisch ist und den Helden ein wenig auf die Nerven gehen sollte.
Nachdem ich das Potential erkannt habe, habe ich weiter an Mikhail gearbeitet und dachte... nein. Er ist viel zu gut, als dass er nur auf einen Teil der Story beschränkt werden sollte. Er ist vielleicht auch gar nicht so schrecklich, wie man ihn vielleicht zuerst sieht - vielleicht hat er seine Gründe, warum er so schrecklich angesehen wird. Er könnte ein moralisches Spiegelbild zum Protagonisten darstellen - oder eine Sichtweise, die man vorher noch nicht betrachtet hat. Er könnte den Protagonisten und seine moralische Vorstellungen herausfordern... Und tada, geboren ist der Anti-Villain. Eine Person, die vielleicht moralische Absichten hat, sie aber nur auf dem falschen Weg zu erreichen versucht. Dabei möchte ich nicht auf der Schiene gelangen, die zur "tragic backstory" führt, die dann das (schreckliche) Verhalten des Antagonisten entschuldigen soll - viel mehr bin ich interessiert daran, die verschiedenen Facetten des Charakters zu beleuchten, denn nicht jeder kann der Held der Geschichte sein. Und Mikhail ist kein Held - glaubt aber, einer zu sein. Er glaubt, die Welt vom dem Bösen befreien zu können und geht die Sache vollkommen falsch an (laut den Protagonisten).
Geschichten, in der Dualismen die Norm sind, sind meiner Meinung nach langweilig - sie sind natürlich einfach zu schreiben, denn in diesen Geschichten herrscht eine klare Trennung zwischen Gut und Böse, und es wird nicht hinterfragt, was wirklich gut und böse ist. Diese Grenzen aufzubrechen erfordert natürlich mehr Arbeit, aber ich habe festgestellt, dass gerade diese Charaktere, die zwischen diesen Grenzen schwimmen, mir am meisten gefallen. Ein Beispiel hierfür wäre Draco Malfoy von Harry Potter, der definitiv ein Anti-Villain ist. Oder meine Inspiration für Mikhail, nämlich Prinz Zuko aus Avatar - Der Herr der Elemente, der als böse angesehen wird, weil er den Protagonisten fangen möchte, der aber eigentlich "ehrenhafte" Absichten hat. An solchen Geschichten merkt man, dass es wirklich darauf ankommt, aus welcher Perspektive man liest - auch der Protagonist kann fragwürdige Entscheidungen treffen (Clarke Griffin aus The 100, Adelina aus The Young Elites), aber wir feuern ihn immer noch an, weil wir seine Beweggründe und seine Hintergrundgeschichte kennen, die dieses Verhalten begründen - nicht entschuldigen.
Ich weiß, es ist furchtbar anstrengend abgesehen von den Hauptcharakteren auch noch die Nebencharaktere zu entwickeln, aber manchmal lohnt sich das wirklich. Vor allem, wenn der Nebencharakter ein Plot-Element darstellt. Der Leser wird sich auch fragen: Warum stellt sich der Antagonist dem Protagonist im Weg? Wenn der Antagonist nicht gerade eine Naturkatastrophe darstellt wie ein Hurricane, dann wird er auch seine eigenen Motive haben. Nebencharaktere sind auch Menschen - oder sonstige Lebewesen, je nach Setting - die Wünsche, Träume, Ängste haben. Wenn man diese kennt, dann wird der Charakter gleich glaubwürdiger - und wer weiß? Vielleicht erkennt man in ihn eine Schlüsselfigur, die mehr erreichen kann, als nur der "Villain of the Week" zu sein.
Somit habe ich quasi den Gegeneffekt von "Kill Your Darlings" - von dem ich vor ein paar Wochen geschrieben habe - erreicht. Statt etwas aus der Story zu nehmen, habe ich mehr auf der Story schöpfen können. Und das ist großartig. :)
Welche Charaktere kennt ihr, die mehr einen "Anti-Villain" als einen echten Schurken darstellen?Haben sich in eurer Lese- und Schreiberfahrung auch Nebencharaktere zu "vollen" Charakteren entwickelt?