Der Anfang ist mein Ende

Der Anfang ist mein Ende

Das Ensemble "Solistes XXI" in der Kirche St. Pierre le Jeune (c) Philippe Stirnweiss

Eine der bemerkenswertesten Uraufführungen zeitgenössischer Musik in diesem Jahr war am 6. Oktober 2010 in der Kirche St. Pierre le Jeune in Straßburg zu erleben. Die „Solistes XXI“ unter Rachid Safir führten das Stück „Mon commencement est ma fin“ – zu Deutsch – „Mein Anfang ist mein Ende“ des französischen Komponisten Philippe Leroux  auf.

Dieser verfasste ein Werk rund um eine Motette von Guillaume de Machaut (ca. 1300-1377) mit demselben Namen, welcher dieser zu seinem eigenen Text geschrieben hatte. Darin verweist er auch sprachlich auf eine Rondeauform, die sich in ihrem Schluss ihrem Beginn gleicht. Neben dieser Basis verwendete Leroux jedoch noch Stücke von 5 weiteren Komponisten, sowie weitere von de Machaut selbst, die er teilweise im Original beließ und teilweise überarbeitete und setzte ihnen eigene Kompositionen gegenüber. Das  Spannende daran war, dass sich unter den insgesamt 25 Kompostionen 5 völlig eigenständige von Leroux befanden. 10, bei denen er eine Überarbeitung des Originales vorgenommen hat, 9 welche in der Originalversion erklangen und eine, die von Pierre Boragno als  Improvisation über das Hauptthema eingefügt wurde und die dieser auf dem  Dudelsack beisteuerte.

Gerade die Verschränkung dieser musikalischen Arbeit war es, die den Zauber des Werkes ausmachte. Aber bei weitem nicht nur das. Das Ensemble „Solistes XXI“ sang und spielte, als ob Engelszungen im Raum gewesen wären. Verkörperten Liebe und Angst, Lust und Leidenschaft, Wahnsinn und Entrückung in allen nur erdenklichen klanglichen Facetten. Die zu Beginn, als das Publikum noch in die Kirche strömte, eingespielte Sprachkulisse, ließ dieses auf ein ungewöhnliches Ereignis einstimmen. Nacheinander nahmen die Sängerinnen und Sänger beinahe unbemerkt verteilt in den Kirchenbänken Platz, um sich dann, nach einem kurzen gesanglichen Intermezzo von den eingenommenen Plätzen aus, in Richtung Bühne vor dem Lettner zu bewegen. St. Pierre le Jeune ist eine jener wenigen Kirchen in Frankreich, in welcher diese architektonische Bereicherung, vor der sich einst nur das gewöhnliche Volk, dahinter aber der Klerus versammelte, erhalten geblieben ist. Die Tridentinische Reform im 16. Jahrhundert, die als Antwort auf die Reformation reagierte, ließ die Funktion des Lettners auf, woraufhin viele eingerissen wurden. In der Straßburger Kirche bot sie an diesem Abend auch die Möglichkeit, die Stücke von Leroux mit moderner Beleuchtung noch hervorzuheben. Auf die schönen Renaissancemalereien wurden bunte Farbschlieren geblendet, die einen zusätzlichen, optischen Akzent boten. Während des ersten Stückes unterstrichen die Interpreten ihren Gesang mit Gesten, welche die mittelalterliche Notation in eine wunderbar einfache Bildsprache übersetzten.

Leroux´s Kompositionen wurdens stets von einem deutlich hörbaren Aus-und Einatmen der Sänger angekündigt, bzw. verabschiedet. Ein besonderes Hörerlebnis, welches tatsächlich einen transzendenten Charakter besitzt, der das Publikum auch dazu veranlasste, sich extrem leise zu verhalten. Viele der kurzen Stücke, die sich ganz  stark dem gesungenen oder auch gesprochenen Wort unterwarfen, wiesen eine immer wieder kehrende Gemeinsamkeit auf: ein auf- oder absteigendes Glissando, das durch die reinen und perfekten Stimmen eine unglaubliche Schönheit entwickelte. Die Geschmeidigkeit der beiden Sopranstimmen und ihr außergewöhnlicher Einsatz ließen Staunen und Aufhorchen.  Hélène Decarpignies und Raphaële Kennedy wechselten innerhalb von Sekunden den stimmlichen Ausdruck zwischen wilder Raserei, Flüstern und Wohlklang – eine bewundernswerte Leistung, die ein Höchstmaß an Können erforderte. Ihnen standen der Countertenor Damien Brun, die Tenöre Laurent David und Stephan Olry, der Bass Marc Busnel sowie der Bariton Jean-Christophe Jacques in nichts nach. Aber ohne Caroline Delume an der Laute, Hager Hanana am Cello und der Fiedel, sowie Pierre Boragno an den Flöten und dem Dudelsack wäre der Hörgenuss nicht ganz so groß gewesen. In perfekter historischer Musizierpraxis unterstrichen sie die jeweiligen Harmonien, boten rhythmischen Halt und ließen in solistischen Darbietungen die Schönheit des Originals, aber auch die atemberaubende neue Interpretation der Musik in das Kirchenschiff verströmen.

Die Erarbeitung dieses Werkes erforderte eine intensive Probenarbeit und die Exaktheit, der Liebreiz und die Pracht, die in dieser Aufführung vorexerziert wurde, kann von den Interpretinnen und Interpreten nach eigenen Aussagen noch höchstens 1 Woche aufrecht erhalten werden. Danach müssten erneute Proben intensiv aufgenommen werden um so, wie an diesem Abend, an der Partitur bleiben zu können.

Mögen Zeitgenossen  Leroux vielleicht des wohldurchdachten Kalküls bezichtigen, historische Musik als Ohrenöffner  und –schmeichler der Seinen gegenüberzustellen und schon alleine dadurch das Publikum zu fangen – man soll ihnen diese Aussage beruhigt nicht aus dem Mund nehmen. Dieses Kalkül ging voll und ganz auf, aber nicht in einer platten, abgeschmackten Form, sondern in einer höchst raffinierten, in der Philippe Leroux mithilfe von Rachid Safir etwas gelang: seine eigene glasklare kompositorische Handschrift unter Beweis zu stellen. Dreimal schade, dass dieses Konzert nicht aufgezeichnet wurde.

Dass die Kirche an diesem Abend nicht beheizt worden war und deshalb der Kritikerin einen passablen Schnupfen bescherte, sei nur als Fußnote angemerkt. Es wäre keiner Erwähnung wert, hätte sie dadurch nicht noch einige weitere Konzerte des Festival Musica versäumt, was wiederum unverzeihlich ist. Aber zumindest darf sie sich schon auf die neue Ausgabe 2011 freuen und dann vorausschauend – wärmer ausgerüstet in ein Konzert gehen, dass nicht im Konzertsaal stattfindet.

 


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