Der amerikanische Trinkgeld-Wahnsinn

Von Janina @ferntastisch

Die USA sind mein liebstes Reiseland von allen. Trotzdem gibt es eine Sache, die mich bei jedem Aufenthalt verrückt macht: die amerikanische Trinkgeld-Politik. Ernsthaft, das Trinkgeld-Geben bereitet mir regelmäßig vor und während der Reise Kopfzerbrechen. Ich versuche bereits vor der Reise herauszufinden, welche Trinkgeld-Standards für unser Hotel bzw. unsere Reise-Region angebracht sind, lasse mir beim Umtauschen von Euros in Dollars lediglich kleine Scheine geben, scanne mein Umfeld im Hotel dann ständig nach potentiellen Trinkgeld-Empfängern ab, und gerate augenblicklich in Panik, wenn ich feststelle, dass keine Ein-Dollar-Scheine mehr im Portemonnaie sind.

Wenn man sich als Europäer mit der Trinkgeld-Politik in Nordamerika beschäftigt, hat man augenblicklich folgenden Eindruck: Jeder bekommt Trinkgeld. Und bitte immer nur in Scheinen. Nicht nur in Nordamerika gelten die besagten “Regeln”, auch viele Karibik-Staaten sind freudig auf den Trinkgeld-Zug aufgesprungen, so dass man sich mittlerweile nicht nur in den USA und in Kanada, sondern auch in Gegenden, in denen Nordamerikaner gerne Urlaub machen, den Kopf darüber zerbrechen muss, wem genau man jetzt Trinkgeld gibt und vor allem wie viel.

Am Anfang jeder Reise in eine dieser Trinkgeld-Regionen verspüre ich stets das Bedürfnis, einen Stapel Dollar-Noten in der Hand zu halten, und jedem ein paar Scheine in die Hand zu drücken, der mich auch nur freundlich anlächelt. So groß ist meine Angst, irgendjemanden zu vergessen. Für uns Europäer, die nicht in einer solchen Trinkgeld-Gesellschaft aufgewachsen sind, erscheinen die Regeln oft befremdlich. Viele tun sich schwer damit, jemanden dafür extra zu bezahlen, der eigentlich nur seinen Job macht. Dazu gehöre ich auch oft, und ich mag das Trinkgeld-Geben (abseits vom Restaurant) kein bisschen. Es erscheint mir sonderbar, jemandem einfach einige Dollar in die Hand zu drücken. Wer bin ich, dass ich einem erwachsenen Mann, der doppelt so alt ist wie ich, ein paar Scheine zustecke?

Ich weiß, dass bei Jobs in diesen Ländern und Regionen das Gehalt zu großen Teilen auf dem Trinkgeld basiert, und die Angestellten darauf angewiesen sind. Auch habe ich kein Problem damit, dieses Trinkgeld zu bezahlen. Nur kann ich mich an die Art und Weise einfach nicht gewöhnen. Lieber wäre es mir, wenn die Hotels, Restaurants etc. die Preise anheben, und das auf die Service-Mitarbeiter umlegen würden. Aber den Angstellten ständig und für jede Dienstleistung Scheine zustecken zu müssen? Ich hasse es.

Natürlich gelten in anderen Ländern andere Sitten, aber mit dieser Sitte kann ich mich auch nach vielen Aufenthalten in Nordamerika und der Karibik und trotz meiner lächerlich großen Liebe zu den USA nicht anfreunden. Aber so lange ich weiterhin in meine Lieblingsregionen reisen will, muss ich mich wohl oder übel mit den Gepflogenheiten arrangieren. Zu meinen großen Reise-Ängsten gehört es, deutlich zu wenig zu geben, oder jemanden zu vergessen. Falls Ihr diese Ängste teilt, habe ich hier die wichtigsten Trinkgeld-Regeln, und wie ich persönlich sie umsetze:

Im Hotel

Kofferträger: Der Kofferträger bekommt pro Gepäckstück einen Dollar, bei schweren Gepäckstücken oder einem beschwerlichen Weg zum Hotelzimmer auch zwei. Das Trinkgeld wird überreicht, nachdem das Gepäck ins Zimmer gebracht wurde. Eigentlich mögen es weder mein Mann noch ich, wenn uns andere die Koffer schleppen, und wir würden sie lieber selbst zum Zimmer bringen. Schließlich haben wir uns nicht umsonst zwei supertolle, kinderleicht rollbare Riesenkoffer angeschafft, die mein Mann spielend und ohne Probleme beide transportieren kann. Oft wird einen in Hotels aber hierfür nicht wirklich die Chance gelassen, weil die Koffer noch während man aussteigt und den Taxifahrer bezahlt, von einem Kofferträger ausgeladen werden. Man muss hier schon vehement protestieren – und dazu kann ich mich dann meistens doch nicht durchringen.

Zimmermädchen: Die Amerikaner geben praktisch jedem Trinkgeld, aber komischerweise wird laut eigener Aussage das Zimmermädchen oft vergessen. Das ist für mich vollkommen unverständlich, weil sie meiner Meinung nach den schwersten Job im Hotel hat. Empfohlen sind zwei bis vier Dollar pro Tag und Zimmer. Standardmäßig geben wir ungefähr 20 Dollar pro Woche. Bei herausragendem Service können es auch gerne mal deutlich mehr sein. Ich versuche, das Trinkgeld täglich zu geben, um zu gewährleisten, dass kein Zimmermädchen leer ausgeht, wenn verschiedene das Zimmer sauber machen. Wenn ich merke, dass jeden Tag das gleiche Zimmermädchen zuständig ist (oft frage ich sie auch am ersten Tag, wenn wir ihr begegnen), gebe ich meistens am ersten und am letzten Tag eine entsprechende Summe – wenn nicht persönlich, dann mit einer kurzen “Thank you”- oder “Gracias”-Notiz.

Concierge: Er bekommt – je nach Aufwand – ein Trinkgeld zwischen zwei und zehn Dollar für Reservierungen für Restaurants, Theater, Ausflüge, etc. Wir nutzen den Concierge-Service fast nie.

Bellboy: Er ist in der Regel dafür zuständig, Euch ein Taxi zu rufen, oder Eure Koffer für Euch aufzubewahren, wenn Ihr bereits ausgecheckt habt, Eure Koffer aber noch für ein paar Stunden im Hotel lassen wollt. Außerdem koordiniert er die Kofferträger. Für ein gerufenes Taxi gebe ich meistens zwei Dollar (meistens lädt er dann noch Gepäck ins Taxi und hält einem die Tür auf). Wenn die Koffer aufbewahrt werden, gebe ich meistens einen Dollar pro Gepäckstück, wenn er mir sympatisch ist, dann zwei. In der Regel gebe ich das Trinkgeld schon dann, wenn wir die Koffer abgeben, in der Hoffnung, dass er dann etwas besser darauf aufpasst.

Doorman: Manche Hotels haben neben einem Bellboy auch einen Doorman, der die Türe aufhält, und manchmal anstelle des Bellboys für das Rufen von Taxis verantwortlich ist. Für letzteres gebe ich entsprechend Trinkgeld. Manche Reisende geben dem Doorman auch für das Türaufhalten ein Trinkgeld – meistens am Ende des Aufenthalts, oder wenn er für eine größere Gruppe besonders lange die Türe aufgehalten hat. Dazu konnte ich mich bisher aber noch nicht durchringen. Es erscheint mir irgendwie lächerlich, jemandem einen Schein in die Hand zu drücken, der mir lediglich für zwei Sekunden die Türe aufhält. Mag sein, dass ich mich damit der Trinkgeld-Etikette widersetze, aber ich gebe dem Doorman keinen tip.

Barkeeper: In All-inclusive-Resorts gebe ich für Cocktails einen Dollar Trinkgeld. Für andere, unaufwändige Getränke wie Kaffee, Softdrinks und Wasser, die ich an der Bar hole, gebe ich nicht jedesmal ein Trinkgeld, sondern meistens erst, nachdem ich schon ein paarmal etwas geholt habe. Wenn die All-inclusive-Getränke allerdings serviert werden, gibt es einen Dollar pro Getränk. Bei regulärem Bar-Service (also nicht All-inclusive) schlagen wir etwas mehr als 15 Prozent auf die Rechnung auf. (Achtet immer darauf, ob auf der Rechnung “tip/service included” steht – dann wurde nämlich ein Trinkgeld von mindestens 15 Prozent, manchmal auch von großzügigen 18 bis 20 Prozent bereits eingerechnet.)

Kellner: In Restaurants, in denen man regulär bezahlt (ob bar, mit Kreditkarte, oder per Zimmerabrechnung im Hotel) ist die Regel relativ einfach: Man gibt 15 bis 20 Prozent des Nettopreises. Wenn der Service außergewöhnlich gut war, und man das honorieren will, gibt man über 20 Prozent. Das handhaben wir selbst auch immer genauso. Schwierig ist es meiner Meinung nach in All-inclusive-Resorts. Hier gibt es auch keine wirklichen Regeln, was mir sowohl die Onlinerecherche als auch das Beobachten anderer Gäste gezeigt hat. Beim Frühstücksbuffet – sofern es sehr casual ist – geben wir meistens kein Trinkgeld. Wenn hier aber immer wieder derselbe Kellner kommt, und zügig abräumt, dann doch. Wenn es eine Trinkgeld-Box am Ausgang gibt, dann landen darin oft ein paar Dollar. Der Großteil der Gäste gibt beim Frühstück kein Trinkgeld. Anders sieht es beim Abendessen aus. Bei à la carte ist ein Trinkgeld angebracht. Je nachdem, wie gut der Service ist, ob wir viele Getränke bestellen, etc. geben wir in der Regel fünf bis zehn Dollar. Essen wir abends am Buffet, dann entscheiden wir spontan je nachdem, wie gut der Service ist, und ob wir die Getränke beim Kellner bestellen oder selbst holen. Meistens lassen wir dann drei bis sieben Dollar liegen. Wenn das Buffet sehr locker ist, kein Kellner direkt für den Tisch zuständig ist, und auch nur selten abgeräumt wird, kann man auch auf ein Trinkgeld verzichten.

Auf der Kreuzfahrt

Hier befolge ich normalerweise dieselben Regeln wie im Hotel. Allerdings solltet Ihr ganz besonders aufpassen, ob Eure Kreuzfahrtgesellschaft ein automatisches Trinkgeld in Eurem Account hinterlegt. Bei Kreuzfahrten ab den USA ist das meistens der Fall, und der Betrag liegt meistens bei zwölf Dollar pro Person und Tag. Keine schlechte Summe, wenn man sich das zusammenrechnet. Ihr erfahrt in der Regel über ein Schreiben, wie genau das Trinkgeld aufgeteilt wird. Außerdem wird bei kostenpflichtigen Getränken und Speisen automatisch ein Trinkgeld von 15 Prozent auf die Rechnung aufgeschlagen. Bei unserer ersten Kreuzfahrt im November haben wir das Trinkgeld auf fünf Dollar pro Person und Tag kürzen lassen, und haben z.B. dem Zimmermädchen persönlich ein Trinkgeld gegeben. Ich bin von dieser Methode des Trinkgeldgebens nämlich überhaupt kein Fan und mache mir immer Sorgen, wie viel der automatisch in Rechnung gestellten Trinkgelder tatsächlich beim Servicepersonal ankommt, und wie viel in den übervollen Taschen der Kreuzfahrtgesellschaften landet.

Bei der Kreuzfahrt, von der wir gerade frisch zurückkommen, haben wir eine exakte Aufteilung des automatischen Trinkgelds bekommen, und waren mit dieser absolut nicht einverstanden. Allerdings durften die Mitarbeiter auf diesem Schiff allem Anschein nach keine direkten tips annehmen. Also habe ich unser automatisches Trinkgeld – wieder – beim Guest Service ändern lassen (man muss das aktiv und selbst machen, sonst werden die zwölf Dollar pro Gast und Tag einfach vom Kreditkartenkonto abgezogen). Da wir nie im Dining Room sondern nur am Buffet gegessen haben, und für den Dining Room für uns beide insgesamt zwölf Dollar täglich veranschlagt wurden, habe ich diesen Trinkgeldposten komplett streichen lassen. Stattdessen habe ich unser Trinkgeld für die Buffet-Mitarbeiter erhöhen lassen. Für die Reinigung unseres Zimmers wurden für uns beide zusammen acht Dollar täglich als Trinkgeld veranschlagt. In einem Fünf-Sterne-Resort gebe ich keine acht Dollar pro Tag an das Zimmermädchen – warum also auf einem Kreuzfahrtschiff, in dem wir statt einer riesengroßen Suite nur eine Standardkabine bewohnen? Auch diesen Betrag habe ich etwas kürzen lassen. Das mag herzlos klingen, aber ich finde den Betrag einfach zu hoch, und ich sehe eine Kürzung als wirksame Möglichkeit, die Lohnpolitik der Kreuzfahrtgesellschaften zu kritisieren (wenn es denn jeder machen würde).

Unterwegs

Kellner und Barkeeper: Da man hier ja im Normalfall regulär seine Rechnung bezahlt, gelten wie oben 15 bis 20 Prozent als Standard. Besonders guten Service kann man mit mehr als 20 Prozent honorieren. Auch wenn man nicht wirklich zufrieden war, sollte man die obligatorischen 15 Prozent geben. Gab es größere Gründe zur Beanstandung, sollte man das ansprechen (erst beim Kellner, dann eventuell auch beim Manager), und das Trinkgeld im Notfall kleiner halten. Europäern fällt es oft schwer, für durchschittlichen Service mindestens 15 Prozent Trinkgeld zu geben. Trotzdem sollte man die 15 Prozent nur im absoluten Ausnahmefall bei großer Unzufriedenheit unterschreiten, da die Kellner nicht wie bei uns einen ausreichenden Stundenlohn erhalten, sondern oft nur durch das Trinkgeld entlohnt werden. Auch hier gilt wieder: Achtet darauf, ob schon ein tip bzw. ein Serviceentgelt auf der Rechnung ausgewiesen wird (gerade in Touristenregionen wird das häufig gemacht). Dann ist ein zusätzliches Trinkgeld unnötig.

Taxifahrer: Taxifahrer sollten mindestens 15 Prozent des Fahrpreises bekommen. In den USA tendenziell etwas mehr, in der Karibik reicht auch eine etwas geringere Summe. Bei uns bekommt ein Taxifahrer mindestens 15 Prozent, wenn er nett war und uns mit etwas Hintergrundinfos versorgt hat, dann über 20 Prozent.

Tourguides und Fahrer: Bei einer privaten Tour gibt es von uns in der Regel zehn bis 15 Prozent des Tourpreises, aufgerundet auf eine glatte Zahl. Bei sehr teuren Touren kann es auch weniger sein. Bei Gruppentouren ist es immer gut, auf das Gefühl zu hören, da sich die Touren in ihrer Länge, Zusammensetzung etc. ja doch immer unterscheiden. Kleiner Tipp: Der Betrag, den Ihr im Gefühl habt, ist praktisch immer zu niedrig. Zumindest im Vergleich zu den Trinkgeldern der amerikanischen und kanadischen Gäste. Die Nordamerikaner wachsen damit auf, ständig Trinkgelder zu geben, demtentsprechend fällt es ihnen nicht schwer, und sie sind auch in der Regel extrem großzügig. Ich tue mir mit den Geldsummen, mit denen um sich geschmissen wird, oft schwer, und wir geben bei Touren in größeren Gruppen, die einige Stunden dauern, dem Tourguide und dem Fahrer selten mehr als jeweils zehn Dollar. Wenn man das auf die Teilnehmeranzahl hochrechnet, finde ich das in jedem Fall ausreichend. Wenn wir uns exzellent betreut fühlen, geben wir auch mal mehr.

Die Amerikaner sind da übrigens oft deutlich großzügiger. Nach unserem Hubschrauberflug zum Grand Canyon haben wir danach am Flugplatz beobachtet, wie einige Amerikaner ihren Piloten Hunderter zugesteckt haben. Das fande ich schon relativ heftig. Wir fanden unser Trinkgeld (ich glaube, es waren 20 Dollar) schon wirklich großzügig, aber bei 100 Dollar musste ich dann doch schlucken. Manchmal nimmt das Umherwerfen mit Dollarnoten in meinen (nichtamerikanischen) Augen Überhand. Während unserer Kreuzfahrt letzte Woche mussten wir in Belize vom Schiff zum Hafen tendern. Das bedeutet, dass man vom Schiff in ein geräumiges Boot steigt, das dann nach und nach die Passagiere (pro Boot 200 bis 300 Mann) an Land bringt. Dieser Service ist natürlich Sache der Kreuzfahrtgesellschaft, und ist mit im Reisepreis inbegriffen. Die Tenderboot-Besatzung gehört nicht zum Schiff, wird aber von der Kreuzfahrtgesellschaft bezahlt. Am Ende der fünfminütigen Überfahrt bat dann ein Bootsbegleiter darum, die Arbeit des Kapitäns und des Teams mit einem Trinkgeld zu würdigen. Beim Aussteigen habe ich unzählige Amerikaner beobachtet, die dem Bootskapitän Zehner zugesteckt haben. Für knappe fünf Minuten! Ich habe innerlich mit dem Kopf geschüttelt, und konnte mich zu mehr als einem Dollar einfach nicht durchringen.

Gerade bei Gruppentouren kann man übrigens häufig beobachten, dass Reisende aus Europa und Asien gar kein Trinkgeld geben. Leider sehe ich mich, wenn ich beobachte, dass andere gar nichts geben, oft gezwungen, mehr zu geben, weil ich nicht möchte, dass die Tourguides und Fahrer aufgrund des Geizes/der Uninformiertheit/der Ignoranz ihrer Gruppe einen schlechten Tag haben. Auch wenn ich mich mit den nordamerikanischen Trinkgeld-Gepflogenheiten nicht ganz anfreunden kann, sind sie nunmal Teil der Kultur, und stellen für Service-Mitarbeiter einen Großteil des Einkommens dar. Deshalb lasse ich mir auch in Zukunft bei Einkäufen nur in Ein- oder Fünf-Dollar-Noten rausgeben, habe immer ein Bündel kleiner Scheine in der Tasche, und versuche krampfhaft, niemanden beim Verteilen der Dollar-Noten zu vergessen. Schließlich ist kein Reiseland perfekt.