Im Morgennebel des 4. Mai 1945 gehen die sowjetischen Truppen unter starken Kämpfen bei dem Dorf Tiekow über die Havel und nehmen in der Folge das Gut Kützkow, sowie die Dörfer Bahnitz und Möthliz ein. Im folgenden Beitrag sollen diese regionalen Ereignisse in den größeren militärgeschichtlichen Zusammenhang eingeordnet werden und mit den oftmals sehr persönlich gefärbten und detaillierten Erinnerungen der Bevölkerung vor Ort abgeglichen werden.In der vorliegenden Ausarbeitung verbindet sich lokalgeschichtliches mit allgemeinerem zeitgeschichtlichen Interesse. Überall im Land Brandenburg finden sich auf den Friedhöfen der Dörfer und Städte Gräber deutscher Soldaten aus der Endzeit des Zweiten Weltkrieges. Dies gilt nicht nur für die Dörfer im östlichen Brandenburg (insbesondere der gefallenen Soldaten des "Kessels von Halbe"), sondern in geringerem Umfang auch für die Dörfer zwischen Brandenburg und Rathenow, zwischen Havel und Elbe. Also noch hundert Kilometer westlich von Berlin. Auch hier hat es Kämpfe gegeben, zum Teil sehr schwere mit vielen Toten. Auch hier sind in den Endtagen des Zweiten Weltkrieges noch viele Menschen gestorben. Auf einem Soldatenfriedhof in Genthin sind die in dieser Gegend gefallenen russischen Soldaten gesammelt bestattet worden.
Abb. 1: Der 4. Mai 1945: Angriff auf die Dörfer des Havelbogens Kützkow, Bahnitz, Möthlitz, Nitzahn von Tieckow aus
Wer vor solchen Gräber steht, fragt sich unwillkürlich: In welchem Zusammenhang sind diese Menschen gestorben? Welche Ereignisse verbinden sich mit diesen Gräbern? Wie kann man sie in Abgleich bringen mit den Erinnerungen, die in den örtlichen Familien von Generation zu Generation weitererzählt und in Ortschroniken festgehalten werden (1 - 18)?
Vielleicht kann die vorliegende Ausarbeitung auch anderen Anregung geben, den hier zusammengetragenen Sachverhalten weiter nachzugehen. Vielleicht ergänzen die hier gegebenen Schilderungen auch Erkenntnisse aus allgemeineren, kriegsgeschichtlichen Darstellungen. Für die vorliegende Darstellung ist bislang noch keine systematische und damit erschöpfende Literatur-Suche (oder gar Archiv-Studium) betrieben worden. Dafür sind aber manche erschienene Dorfchroniken benutzt worden und sonstiges Material, das Menschen, die von überörtlicher Warte aus sich mit den militärischen Ereignissen der letzten Tage des Zweiten Weltkrieges befassen, auf den ersten Zugriff nicht unbedingt zugänglich sein muß.
A. Der Elb-Havel-Winkel - Bismarcks Heimat
Zur Region selbst sei nur kurz angedeutet, daß es sich um eine Kernregion Preußens handelt, bedeckt von sandigen Kiefernwäldern, wogenden Feldern, durchzogen von Flüssen, Seen und Kanälen. Zu ihren bedeutendsten Söhnen gehört Otto von Bismarck ebenso wie viele andere Angehörige des vormaligen "ostelbischen Adels". Hier stammen die berühmten "Ziethen-Husaren" her ebenso wie berühmte preußische "Kürassier"-Regimenter. Es sei nur angedeutet, daß in ihr Schwerindustrie ebenso beheimatet ist, wie Optik und Chemiefaserwerke. Daß es sich aber vor allem um ein Land von Bauern und Fischern handelt. Das Land, wo man "Kartoffeln mit Stippe" aß, und wo die Namen der langhingestreckten Straßendörfer auf "-itz" und -"ow" enden, wo Theodor Fontane gewandert ist, und wo sich heute ein "Naturschutzgebiet Westhavelland" befindet.Nach 1941 war auch der Alltag in dieser vergleichsweise abgelegenen Gegend neben Urlaubsidylle beherrscht von Einberufungen, Gefallenen- und Vermißtenmeldungen, sowie von dem Beobachten der allnächtlichen, auf Berlin anfliegenden Bomberverbände. Russische Kriegsgefangene kamen auf fast jeden größeren Hof als Arbeitskräfte. Die Kinder freundeten sich häufig mit ihnen an. Die eigenen Väter standen zur gleichen Zeit oft "im Felde" und sahen ihre Kinder nur selten (15).
Einer der Helden dieser Zeit hieß Werner Mölders, ein berühmter Jagdflieger, nach dem eine Schule in Brandenburg benannt wurde. Aber das "Kriegsglück" wandte sich. Die USA waren in den Krieg eingetreten und unterstützten mit großen Materialmengen die Sowjetunion und Großbritannien. Anfang 1945 überschritt der Landkrieg - erstmals wieder seit 1914 - von Osten und von Westen her die Grenzen des Deutschen Reiches. Der so genannte "Volkssturm" wurde aufgestellt. Überall in den Ortschaften richtete man sich auf örtliche Verteidigung ein. Es gab viele Menschen, die bereit waren, „bis zum letzten Atemzug“ zu kämpfen. Menschen mit skeptischeren, kritischeren Einstellungen äußerten sich nicht offen. Das hätte sonst schlimme Folgen für sie haben können.
1943/1944: Behelfsheime werden in allen Dörfern errichtet
Abb.3: Ausgestellt am 3.7.1944 (als Beispiel)
Abb. 2: Baukarte von 1944
Die Zeit von 1943 bis in die 1950er Jahre muß man sich in fast allen Ortschaften als die Zeit der "Behelfsheime" vorstellen. Spätestens 1944 mußte jedes Dorf ein "Behelfsheim" für ausgebombte Familien errichten (19 - 25). In Bahnitz wurde ein solches errichtet an der Dorfseite des Friedhofes (im Dreieck zwischen den Wegen nach Möthlitz und nach Jerchel). Heute ist es längst abgerissen.Abb. 4: Behelfsheim bei Duisburg (1944) (als Beispiel)
Das Behelfsheim aber, das im Dorf Knoblauch errichtet worden ist (drei Kilometer südlich von Nitzahn), ist noch heute neben dem dortigen Friedhof erhalten (siehe Abb. 5). Es stellt sich die Frage, ob es nicht unter Denkmalschutz gestellt werden sollte. In anderen Bundesländern sind solche Behelfsheime schon in Freilichtmuseen für die Nachwelt erhalten worden. (Die Thematik der Behelfsheime gibt wohl für nachgeborene Generationen überhaupt einen guten visuellen Eindruck von der durch und durch "provisorischen" Zeit zwischen 1939 bis 1950, in der Millionen Menschen in provisorischen Unterkünften wie Behelfsheimen und Mannschafts-Baracken lebten.)Abb. 5: Behelfsheim im Dorf Knoblauch (Zustand im August 2011: "zu verkaufen")
Zur Verteidigung eingerichtet
Abb. 6: Ehemalige Schützengräben bei Bonn um 1947 (als Beispiel)
Über die Verteidigungsvorbereitungen heißt es in der Chronik des Dorfes Möthlitz (1): „Im Frühjahr mußten alle Orte, so auch Möthlitz, zur Verteidigung hergerichtet werden. An jedem Ortseingang wurde eine Panzersperre errichtet. Rund um den Ort wurden Schützenlöcher ausgehoben. Diese Arbeiten und auch die spätere Bewachung mußte der Volkssturm übernehmen. Dazu gehörten die noch im Ort verbliebenen Männer bis 60 Jahre. Ihre Ausrüstung und Bewaffnung war mangelhaft und improvisiert. Es war das letzte Aufgebot zur Verlängerung des Krieges.“Der hier befohlene Einsatz von Volkssturmmännern führte dazu, daß unter den letzten Opfern des Krieges auch viele Menschen dieses Personenkreises gehörten.
Abb. 7: Panzersperre bei Görlitz 1945 (als Beispiel)
Zu gleicher Zeit begannen die Flüchtlingstrecks aus dem Osten einzutreffen. Auf den Dörfern waren in viele Bauernhöfen schon Kinder und ältere Leute aus der Verwandtschaft in den Städten aufgenommen worden. Zum Teil handelte es sich um Ausgebombte. Auf den Dörfern lebten also zu jener Zeit überall Menschen ganz verschiedener Herkunft zusammen. Und die Bevölkerungszahl war gegenüber Friedenszeiten oft verdoppelt. Um so näher die Front rückte, um so dichter kam dann dazu noch die Einquartierung mit Militär.Um so näher die Fronten kamen, um so dringender bereiteten sich die Menschen auf das Kommende vor. Man hörte ja von den Flüchtlingen, wie es denen erging, die zu Hause blieben und in den Machtbereich der sowjetischen Armee gelangten. Man hoffte auf das Vorrücken der Amerikaner über die Elbe hinaus.
In aller Heimlichkeit wurden nachts auch Besitztümer und Jagdwaffen im Garten vergraben. Es wurden Dokumente und Unterlagen verbrannt, die als politisch belastend hätten eingestuft werden können. Oft verbrannten die Frauen ganze Bibliotheken ihrer Männer, die irgendwo an der Front Dienst leisteten oder schon gefallen waren oder sich in Kriegsgefangenschaft befanden. Vieles mußten eben die Frauen allein entscheiden. B. "Wenck, wo bleibt Wenck?"
Ende April 1945 wurden mit dem „Kampf um Berlin“ und mit der Eroberung des Ruhrgebietes die deutschen Fronten im Osten und im Westen immer mehr in Richtung Elb-Havel-Winkel gedrückt. Die amerikanischen Truppen, auf die sich die Menschen auch östlich der Elbe Hoffnungen gemacht hatten, blieben aber bei Magdeburg und Tangermünde an der Elbe stehen. Dadurch konnten verbliebene deutsche Truppen und Stäbe, die zuvor im Westen gegen die Amerikaner und Engländer gekämpft hatten, und die sich bis hinter die Elbe hatten absetzen können, noch einmal nach Osten gewendet werden.
Aus diesen wurde die fast legendär gewordene 12. Armee des Generals Wenck gebildet. Diese sollte auf Befehl Hitlers das von der Roten Armee eingeschlossene Berlin noch in letzter Minute befreien. Im historisch ziemlich genauen Kinofilm „Der Untergang“ wird dargestellt, wie Hitler in seinen letzten Lebenstagen im Bunker der Reichskanzlei in der Wilhelmsstraße alle seine Hoffnungen auf diese „Armee Wenck“ setzte und wie er immer wieder schrie: „Wo bleibt Wenck? Warum kommt Wenck nicht?“
Abb. 8: Durchbruchkämpfe in Hennickendorf - abgeschossener T34/85 (aus: 18)
Aber den fünf größtenteils aus rückwärtigen Einheiten, Ausbildungs- und Reichsarbeitsdienst-Einheiten neu aufgestellten Angriffsdivisionen dieser Armee mit den Namen Jahn, Hutten, Scharnhorst, Körner und Schill gelang es nur noch, bis kurz vor Potsdam vorzustoßen, bis zu den Orten Petzow und Caputh. Dadurch konnten sie wenigstens noch Teile der in Potsdam eingeschlossenen Korpsgruppe Reymann und südlich davon die Reste der aus dem Kessel von Halbe ausgebrochenen 9. Armee aufnehmen. Zu weiterem Vordringen reichte die militärische Kraft nicht mehr."Völkerwanderung" über die Havel
Abb. 9: Flüchtlingstreck in Scheuerfeld (als Beispiel)
Der Besitzer des Gutes von Kützkow an der Westseite der Havel, gegenüber der Ortschaft Pritzerbe (siehe Abb. 1), ein Hermann von Schnehen, berichtet, was sich während des „Kampfes um Berlin“ in den noch nicht von der Roten Armee besetzten Gebietsteilen abspielte: „Am 20. April 1945 erreichte die Völkerwanderung der Vertriebenen und Flüchtlinge ihren Höhepunkt! (...) Menschenmassen strömten über die Havel nach Kützkow, ließen sich im Schloß, im Park, in den Scheunen und Ställen nieder. Die Fähren fuhren ohne Pause hin und her, zum Überschwappen voll! Mir lief jede Organisation aus dem Ruder, so daß ich alles duldete, was da auf mich zukam!“ (2, S. 112)An der Havel zwischen Pritzerbe und Kützkow ist die landschaftlich schön gelegene Autofähre noch heute rege in Betrieb. An dieser Stelle ging schließlich auch General Wenck mit seinem Armeegefechtsstab über die Havel zurück. Nachdem klar geworden war, daß ein weiteres Vorstoßen nach Berlin nicht durchführbar war (1):
Abb. 10: Flüchtlingstreck in Altötting (als Beispiel)
„Am 28. April 1945 verließ das Oberkommando der 12. Armee unter General Wenck seinen Gefechtsstand in Seelensdorf bei Pritzerbe und setzte sich nach Genthin ab. Zuvor waren viele Flüchtlinge und Angehörige der zerschlagenen Einheiten der Wehrmacht bei Pritzerbe und Tieckow mit den Fähren über die Havel gekommen und in Richtung Elbe weitergezogen. Die Havellinie war anfangs nicht von der Wehrmacht besetzt, lediglich der Volkssturm führte Patrouillen durch.“Der Gefechtsstand von General Wenck lag dann, das soll hier gleich vorgreifend erwähnt werden, vom 30. April bis 5. Mai im Dorf Klein-Wulkow, vom 6. bis 7. Mai im Dorf Klietznick auf dem Hof des Bauern Dertz (3). Mit einem Schlauchboot setzte General Wenck dann am 7. Mai gegen 17 Uhr unter russischem Beschuß als einer der letzten Soldaten seiner Armee bei dem Dorf Ferchland über die Elbe zu den Amerikanern über. - Dies nur als Vorgriff. Zurück zu dem Geschehen an der Havel eine gute Woche zuvor.
Zeitzeuge Gutsbesitzer Hermann von Schnehen schreibt in seinen Erinnerungen: „Das Havelufer war bunt belebt wie ein Jahrmarkt. (...) Abschaum trieb nach oben wie in einem stinkenden, schmutzigen Gewässer!“ (2, S. 112)
Alarmeinheiten gehen in Stellung
Der Havel entlang wurden nun Alarmeinheiten der Wehrmacht aufgestellt. Und damit in Zusammenhang berichtet von Schnehen von einem sich als „Kampfkommandant“ ausgebenden, angeblichen „Ganoven“, der zugleich aktiver Parteigenosse der NSDAP gewesen sei, und der dann „in der Nacht“ (wohl in den Morgenstunden des 4. Mai) mit den von ihm beschlagnahmten Kassen des Gutes geflohen sei (siehe unten). (2, S. 112) (Hierbei handelt es sich möglicherweise auch um eine teilweise sehr persönlich gefärbte Erinnerung dieses Gutsbesitzers.)
Der Dorfchronik von Möthlitz ist zu entnehmen: „Ende April 1945 bezogen Alarmeinheiten der Wehrmacht an der Havel Stellung. Der“ (Bataillons-?, Regiments-?) „Gefechtsstand dieser Einheiten befand sich in der Kützkower Schäferei (Vorwerk), welches heute nicht mehr existiert.“ (1) Am 28. April sprengte die Wehrmacht die beiden Brücken zwischen Fohrde und Pritzerbe, über die noch heute der Kraftwagen- und Schienenverkehr zwischen Rathenow und Brandenburg verläuft. Am 30. April und am 1. Mai 1945 besetzte die Rote Armee kampflos das Dorf Fohrde auf der Ostseite der Havel (4, S. 36).
Den Menschen und Truppen im abseits gelegenen Havelbogen am westlichen Havelufer blieben nun noch ein paar Tage Verschnaufpause. Noch wurden die sowjetischen Hauptkräfte gebraucht, um den Ring um Berlin bei Potsdam zu schließen und die hier durchbrechenden deutschen Verbänden zu bekämpfen. Gespannt jedoch erwartete man auch weiter nördlich an der Havel, an welchen Stellen die Rote Armee zuerst versuchen würde, über die Havel zu setzen. An der Fährstelle bei Milow begann dies mit Kämpfen am 3. Mai.
General Karl Arndt
Abb. 11: General Karl Arndt
Das der 12. Armee unterstellte 39. Panzerkorps war in den letzten Kämpfen der Westfront von den Amerikanern auf die Elbe zurückgedrängt worden. Am 26. April hatte der Ritterkreuzträger Generalleutnant Karl Arndt die Führung dieses Korps übernommen (Abb. 11 und 12). Sein Manuskript zu den weiteren Vorgängen zwischen Havel und Elbe, offenbar erstellt in amerikanischer Kriegsgefangenschaft auf Veranlassung der amerikanischen militärgeschichtlichen Abteilung, liegt in den „National Archives“ in Washington D.C. (erstellt in der Reihe „Foreign Military Studies, Historical Division, US Army in Europe“). Es wäre sicherlich sinnvoll, dasselbe für die folgende Darstellung auszuwerten, bzw. zu veröffentlichen.Diese Korpsgruppe hatte am 29. April höchstens noch Divisionsstärke (5, S. 222). Am 1. Mai übernahm General Arndt mit dem Stab des 39. Panzerkorps die Führung der Havelfront von Rathenow bis Brandenburg und die Führung der nicht mehr kämpfenden Elbefront von Havelberg bis Tangermünde. Sein Korpsgefechtsstand befand sich vom 1. bis 7. Mai in dem Dorf Sydow bei Zollchow. Also nördlich des Havelbogen bei Tieckow. Ihm standen zunächst zwei Divisionen zur Verfügung (jeweils dem Namen, nicht der Ist-Stärke nach). Die eine bestand aus vier, die andere aus zwei Regimentern:
Abb. 12: General Karl Arndt
Die 309. Infanteriedivision (Berlin) mit drei Infanterie- und einem Artillerieregiment verteidigte Rathenow und Abschnitte nördlich davon bis Havelberg in schweren Kämpfen gegen starke sowjetische Angriffe. (Der Ort des Divisionsgefechtsstandes ist noch zu ermitteln.)Die Division Konitzky mit zwei Infanterie- und einem Artillerieregiment verteidigte mit einem Regiment Brandenburg und mit einem weiteren die Havel bis südlich Rathenow. (Der Ort des Divisionsgefechtsstandes ist auch hier noch zu ermitteln. Er könnte bei Plaue gelegen haben.)
„Die angegebenen Frontabschnitte waren laut Weisung vom Armeeoberkommando 12“ (General Wenck) „so lange zu halten, bis die Korpsgruppe Reymann (aus Potsdam) und die Reste der 9. Armee gerettet waren. Später sollte gegenüber den Amerikanern kapituliert werden.“ (6, S. 98)
Das war ein in seiner Logik leicht nachzuvollziehender Auftrag. Das Korps sollte den Rückzug der 12. Armee zur Elbe decken. „Die Division Konitzky bestand aus zwei Infanterie-Regimentern zu je zwei Bataillonen, von denen das eine Regiment aus Magenkranken“ (vielleicht aus Militär-Krankenhäusern in Brandenburg oder Genthin?) „bestand und daher nur bedingt einsatzfähig war.“ (6, S. 98) Möglicherweise befanden sich unter diesen auch Angehörige der spanischen „Blauen Division“ (250. Infanteriedivision) mit einem „schneidigen Leutnant“, der im Dorf Bahnitz an der Havel den Befehl übernahm (7). (Die spanische „Blaue Division“ hatte ihre eigene Geschichte hinter sich, die noch zu rekapitulieren wäre.)
Am nordöstlichen Rand des Dorfes Bahnitz (im sogenannten „Ausbau“) fiel während der späteren Kampfhandlungen auch ein Berliner Oberleutnant (siehe unten). Bei ihm handelt es sich sicherlich um einen weiterer Zug- oder Kompanieführer der Wehrmacht-Einheiten, die im Dorf Bahnitz Stellung bezogen hatten, oder die sich von Kützkow aus während der Kampfhandlungen zurückzogen.
Die Havel als natürliches Hindernis
Für die „große“ Kriegsgeschichte sind die Dörfer im Havelbogen nur Nebenkriegs-Schauplatz: „Die Verteidigung der übrigen Front der Division“ (Konitzky) „- nördlich Brandenburg bis südlich Rathenow – war deshalb relativ problemlos“ (- bzw. wurde so eingeschätzt), „weil sie die Havel und ihre sumpfigen Ufer als unmittelbares Hindernis vor der eigenen Front hatte. Daher wurde hier das Magenkranken-Regiment eingesetzt.“ (6, S. 99)
Der eben zitierten Studie sind sonst keine weiteren Auskünfte zur Verteidigung der Havellinie zwischen Brandenburg und Rathenow zu entnehmen. Friedensmäßig besteht ein Regiment aus zwei Bataillonen zu je grob 500 Soldaten, die durch je eine Feldküche versorgt werden. Da die Einheiten, wie oben erwähnt, drastisch zusammen geschmolzen waren, könnte man mit je nur 250 Soldaten rechnen.
Zwei Bataillone zu je 250 Soldaten, also 500 Soldaten, so könnte man grob annehmen, verteidigten die Linie zwischen südlich Rathenow und nördlich Brandenburg. Für die Ortschaft Milow wird an anderer Stelle eine SS-Einheit von etwa 100 Mann erwähnt, die schließlich „kampflos“ abgezogen sei (8). Es könnte sich um ein auf Kompaniestärke zusammengeschmolzenes Bataillon gehandelt haben. Ähnliches wird auch für das Dorf Bahnitz, das Gut Kützkow und die Fährstelle Tieckow zu gelten haben, die dann jeweils auch eine Feldküche mit sich geführt haben dürften.
Über letztgenannte Fährstelle wurde dann schließlich der sowjetische Angriff vorgetragen. Denn die südlicher an der Havel gelegenen Ortschaft Plaue wurde mit der dort verlaufenden Hauptrückzugsstraße noch erbittert von dem Nachbarregiment und anderen Einheiten der 9. Armee verteidigt. Es ist noch zu klären, wie überraschend der Angriff bei der Fährstelle Tieckow für die dortigen Einheiten kam, oder ob er dort schon länger erwartet worden war.
Verteidigungs-Vorbereitungen auf dem Gut Kützkow an der Havel
Zivilbeobachter überschauten die größere Lage nicht und gaben darum dem von ihnen beobachteten Handeln von Soldaten vor Ort eine Bewertung, die mit dem übrigen Geschehen nicht besonders eng in Einklang zu bringen sein muß. Sie erfahren ja auch nicht die jeweils gegebenen Befehle im Wortlaut.
Abb. 13: 16-Jähriger beim Volkssturm (1944)
Die Schwester des schon angeführten Gutsbesitzers Hermann von Schnehen in Kützkow, Ilse von Bismarck (geborene von Schnehen), schreibt von Hitlerjungen-Einheiten. Dabei könnte es sich wiederum um vielleicht hundert Jugendliche gehandelt haben: „Im Kützkower Schloß, meinem Elternhaus, hatte sich der Werwolf verbarrikadiert.“ Und weiter: „Als es brenzlich wurde, verdrückten sich diese fanatischen Leute.“Etwas anderes als Abzug wird ihnen ab einem bestimmten Zeitpunkt auch gar nicht übriggeblieben sein. Denn diese Zeitzeugin schreibt ja auch weiter: „An der Havel“ - sie meint sicherlich die südlich gelegene Fährstelle Tieckow - „ tobte der Kampf“ (9, S. 138). Dort lagen, so ist zu vermuten, ebenfalls vielleicht 100 deutsche Soldaten in Verteidigung. Sie erlitten nicht unbeträchtliche Verluste, als der sowjetische Angriff dort unter Einsatz schwerer Waffen über die Havel vorgetragen wurde. Die dortigen 14 Gefallenen liegen heute auf dem Friedhof in Kützkow begraben.
Nachdem an der Fährstelle Tieckow der Kampf entschieden war, ist an anderen Stellen ein Widerstand sicherlich als sinnlos erkannt worden. Denn von dem Havelknie Kützkow aus konnte man nur über Bahnitz und Möthlitz noch herauskommen, wenn man hier nicht abgeschnitten werden wollte. Die (wohl etwa 100) Hitlerjungen im Gut Kützkow erwähnt auch der unverheiratete Bruder Hermann von Schnehen in seinen Erinnerungen (siehe unten). Aber auch bei ihm stehen im Vordergrund der Erinnerung eher Umstände, die nicht aus der Gesamt-Lage abgeleitet sind. Hier steht der angebliche „Ganove“ im Vordergrund, der als Militärkommandant eingesetzt war:
„Über Nacht quartierte sich dann mit überheblicher Miene und ohne Vorwarnung ein ganz fieser Militär-Kommandant ein, der Zivilisten und Flüchtlinge für das Graben von Schützengräben anforderte. Er führte sich rigoroser auf als wenig später die Russen.“ (2, S. 114)
Wo der Regimentsgefechtsstand des Regimentes der „Magenkranken“ zwischen Rathenow und Brandenburg lag, ist noch zu ermitteln. Vielleicht bei Plaue. Ebenso ist zu ermitteln, welche artilleristische Unterstützung es an der Fährstelle Tieckow und auch sonst für die deutschen Verteidiger gab. Da in Bahnitz ein Flakgeschütz stationiert war (15), darf man ähnliches auch von anderen Uferstellen vermuten, etwa für die Fährstelle Tieckow oder für das Gut Kützkow.
Zu ermitteln sind auch die Befehle, ob es sich um Haltebefehle oder Abzugsbefehle gehandelt hat. Der Befehlsweg jedenfalls ging von General Wenck in Klein-Wulckow über General Arndt in Sydow zum Regimentsgefechtsstand, vielleicht in Plaue, möglicherweise auch in den Dörfern Nitzahn oder Knoblauch, hinunter zu den „Bataillonen“ (eigentlich Kompanien) in den Dörfern Milow, Bahnitz, Schäferei Kützkow und an der Fährstelle Tieckow. Die Meldewege gingen dann über die gleichen Wege zurück zu den „höheren“ Befehlsstellen.
Verteidigungsvorbereitungen im Dorf Bahnitz
Abb. 14: Vierlings-Flak-Geschütz
Im Dorf Bahnitz standen zwei Vierlings-Flakgeschütze, Kaliber 3,7 cm, zwischen den Pappeln am Havelufer rechts von der Ablage. Sie konnten bis zur Fährstelle bei Milow hinüber schießen und dann wohl auch bis zur Fährstelle Tieckow. „Direkt in der Mitte der Ablage wurde ein schweres MG postiert, der Schütze war durch eine dicke Mauer geschützt. Der Schwanebeck’sche Pferdestall wurde zur Munitionskammer und zum Vorratsraum umfunktioniert.“ (7) Von der heute noch schönen, höher gelegenen Bahnitzer Ablage aus hat ein Maschinengewehrschütze ein weites Schußfeld über die Havel hinüber. Es war naheliegend, diesen Umstand militärisch auszunutzen. Aber von dieser Seite sollte der entscheidende Angriff dann gar nicht vorgetragen werden.Abb. 15: Vierlings-Flak-Geschütz
Truppen richteten sich möglicherweise (?) auch an der Bahnitzer Schleuse zwischen Bahnitz und Kützkow zur Verteidigung ein. Sie wurden später umgangen und hielten sich auf der Schleuse noch bis zum 8. Mai versteckt, bevor sie gefangengenommen wurden (15). (Es könnte sich aber auch um sonst versprengte Truppenteile handeln, die nach den Kämpfen von Berlin versuchten, noch in den Westen zu gelangen.)Rückzug aus dem Raum Schwielosee-Belzig (1. Mai)
Die kampfkräftigeren Divisionen der 12. Armee, die unter Führung des 20. Panzerkorps den Angriff auf Potsdam geführt hatten, und die Teile der 9. Armee des Kessels von Halbe aufgenommen hatten, wurden ab dem 1. Mai nachmittags (zumeist in Nachtmärschen) nach Norden verschoben Richtung Genthin, Rathenow und Tangermünde, wo die Russen den Rückzug der 12. Armee zur Elbe gefährdeten. Dabei handelte es sich - wie oben schon angeführt - um mehrere neu gebildete Divisionen (die Divisionen Jahn, Körner, Scharnhorst, von Hutten und von Schill) mit mehreren 10.000 Mann, sowie mit Sturmgeschützen und Artillerie. Auf dem Rückmarsch verteidigte die Division Schill mit ihren neu aus dem Panzerwerk Brandenburg bezogenen Sturmgeschützen zunächst (am 2. und 3. Mai?) die Stadt Brandenburg. (5)
Kämpfe um die Ortschaften Plaue, Rathenow, Premnitz und Milow (3. Mai)
Am 3. Mai war die Rote Armee nur noch einen Tag vom Havelbogen hinter Kützkow entfernt. Die Bahnitzer Vierlingsflak schoß in Richtung der umkämpften Milower Fähre, die an diesem Tag von den Deutschen gesprengt wurde. Die Stadt Brandenburg hatte inzwischen geräumt werden müssen. Die Ortschaft Plaue, westlich von Brandenburg, wurde durch Teile der Division Jahn (Grenadierregiment 1) erbittert gegen starke russische Angriffe gehalten (5, S. 298). In Plaue konzentrierten sich alle Kampfhandlungen auf die Havelbrücke. Diese wurde einen Tag später von den Deutschen gesprengt.
Der sowjetischen Führung stellte sich die Frage, ob sie noch auf einem anderen Weg als über Plaue dem Rückzug der 12. Armee in den Rücken fallen konnte. Und auch für die Deutschen stellte sich die Frage, ob und wann die Sowjets noch an anderer Stelle versuchen würden, über die Havel zu setzen. Viele Einwohner von Plaue flüchteten in die angrenzenden Dörfer, nach Möthlitz und auch nach Bahnitz. Russische Granaten schlugen in dem Dorf Kirchmöser ein (10, S. 154) und nun sicherlich auch schon in die Dörfer weiter nördlich hinter der Havel.
Wann genau die ersten sowjetischen Granaten in Bahnitz einschlugen, ist den Unterlagen nicht zu entnehmen. Die erste jedenfalls traf in Bahnitz friedlich in der Sonne auf der Dorfstraße spielende Kinder. Der Beschuß könnte also schon am 3. Mai oder früher eingesetzt haben. (Er könnte aber auch nur am Tag der Einnahme selbst vor sich gegangen sein.) Ein zweijähriger Flüchtlings-Junge, der Sohn einer Berlinerin (Frau Scharschmidt) war nach dem ersten Granateinschlag sofort tot (7).
Viele Bahnitzer versuchten noch nach Westen über die Elbe zu flüchten. So die Bäuerin Johanna Bading (1912 – 1984, die Oma des Verfassers dieser Zeilen). Ihr Mann galt seit der Ardennen-Offensive als vermißt. Er befand sich, was die Familie zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen konnte, in französischer Kriegsgefangenschaft. Auch sie fuhr mit ihren vier Kindern (11 bis 4 Jahre alt) mit dem Pferdefuhrwerk Richtung Elbe. Dasselbe taten die Großeltern Schwanebeck (7) und viele andere.
Aber schon auf der Fahrt dorthin erfuhren die Flüchtenden, daß die Amerikaner keine Flüchtlinge mehr über die Elbe lassen würden. Deshalb quartierte sich Johanna Bading in ihrem Elternhaus in dem Dorf Zollchow ein.
Der Bahnitzer Siegfried Laskowski war Soldat und lag mit seiner Einheit zufällig bei dem Dorf Knoblauch. Er erhielt die Erlaubnis, noch kurz in Bahnitz seine Familie besuchen zu dürfen. Viele kehrten damals schon nicht mehr zu ihren Einheiten zurück. Er tat es aber dennoch und zog dann mit seiner Einheit weiter Richtung Elbe. Das Dorf Knoblauch lag auf einer der beiden Durchgangs-Straßen, über die die Divisionen und Regimenter der Armee Wenck sich Richtung Elbe absetzten.
C. Der 4. Mai auf den Dörfern im Havelbogen Am Morgen des 4. Mai sollte der Roten Armee schließlich überraschend der Übergang über die Havel bei der Fährstelle Tieckow gelingen. Bis zum Abend, bzw. bis um Mitternacht nach Ende dieses Tages sollten sie von dort aus bis in die Dörfer Altbensdorf, Möthlitz, Kützkow, Bahnitz und Jerchel gelangen. Für diese Dörfer war also der 4. Mai der Tag der entscheidenden Kämpfe.
Die Kämpfe um die Fährstelle Tieckow
In den frühen Morgenstunden des 4. Mai erzwangen sich die sowjetischen Truppen den Havelübergang an der Fährstelle Tieckow (siehe Abb. 1). An der schmalsten Stelle der Havel befand sich bei dem Dorf Tieckow bis 1945 eine Bauernfähre. Heute ist sie lange aufgegeben. Die Fährstelle nutzten die Tieckower Bauern seit Jahrhunderten zum Erreichen ihrer Heuwiesen nordwestlich des Dorfes Bahnitz. Von der Fährstelle aus führt dorthin der so genannte „Tieckower Heuweg“, heute immer noch ein ungepflasterter, selten benutzter, einsamer Sandweg, der zunächst durch Wald, dann durch Felder führt.
Abb. 16: Soldaten bei einer Besprechung (Bundesarchiv)
Das westliche Havelufer ist an der früheren Tieckower Fährstelle heute von Baumgruppen, sowie einer feuchten Schilf- und Wiesenniederung gesäumt. 30 Meter vom Ufer entfernt beginnt mit einer Bodenerhöhung der Wald. Im Randbereich dieses Waldes, insbesondere über den Bereich der ersten etwa 30 Meter nördlich des heutigen Tieckower Heuweges lagen an jenem 4. Mai 1945 die Granateinschläge der sowjetischen Artillerie dicht an dicht. Noch heute sieht man hier die Einschlagslöcher der Granaten von 1945. Heute wachsen dort etwa 60 Jahre alte Eichen, Kiefern und Birken. Aber auch der eine oder andere ältere Baum steht dazwischen.Von dieser Bodenerhöhung aus, sichtgeschützt aus dem Wald heraus hatten die deutschen Verteidiger ein geeignetes Schußfeld auf die Havel und ihre beiden Ufer. Mit Gewehren, Maschinengewehren und Flakgeschützen werden sie sich hier zur Verteidigung eingerichtet haben. Von den sowjetischen Truppen wurde der Flußübergang mit Materialüberlegenheit artilleristisch vorbereitet. Schon während dieses Beschusses durch die Artillerie werden die deutschen Soldaten Verluste erfahren haben. Zum Zeitpunkt des sowjetischen Angriffes herrschte außerdem dichter Morgennebel, der den Verteidigern die Sicht entzog.
Die sowjetischen Einheiten werden dann mit Sturmbooten über die Havel gesetzt sein. (Oft haben sie in diesem Krieg aber auch mit wesentlich einfacheren Mitteln Flüsse überwunden. Zum Teil sogar bloß mit den Waffen schwimmend.) Viele Einzelheiten dieses Angriffs über die Havel sind der verwendeten Literatur nicht zu entnehmen. Der Havelübergang wurde aber von den sowjetischen Truppen in den 1960er Jahren in einer militärischen Übung noch einmal nachgestellt. Zu ihm wird es also Angaben in der russischen militärgeschichtlichen Literatur geben.
Offen bleiben muß einstweilen auch, wie stark die Deutschen Widerstand geleistet haben oder überhaupt leisten konnten, nachdem die sowjetischen Soldaten das Ufer erreicht hatten. Auch wie hoch die Verluste der russischen Truppen bei diesem Havelübergang waren und ob und wie viele von den deutschen Soldaten in Gefangenschaft gerieten, muß vorerst ungeklärt bleiben.
Abb. 17: Gutsfriedhof Kützkow
14 deutsche Gefallene aus diesen Kämpfen sind heute neben dem Dorffriedhof von Kützkow bestattet (siehe Abb. 17 - 19). Diesen deutschen Soldaten wird ein Ausweichen gar nicht erlaubt gewesen sein, da der Havelübergang einen Stoß in die Flanke der zurückgehenden deutschen Truppen darstellte.Die Soldaten vor Ort und ihre übergeordneten Stellen (in Milow und schließlich General Wenck selbst) wußten ja, daß die sowjetischen Truppen durch diesen Havelübergang den abziehenden deutschen Truppenteilen den Rückweg zur Elbe abschneiden wollten. Umso unerbittlicher werden die Befehle zum Ausharren gelautet haben.
Abb. 18: Gutsfriedhof Kützkow
Als Gefallene sind auf dem Kützkower Friedhof bestattet: Albert Schnidke, Wilhelm Jahner, Helmut Lehmann, Wilhelm Lenz, Karl Prochnow, Fritz Schäfer und Heinz Scholt. Außerdem weitere acht unbekannte Soldaten.Auf der Tafel für den Schützen Albert Schnidke ist auch die militärische Einheit angegeben, der er angehörte. Die Abkürzung könnte lauten: „107. Landesschützen-Ersatzbataillon, 2. Maschinengewehr-Kompanie“. Zu einem „Landesschützen-Ersatzbataillon 107“ finden sich im Weltnetz derzeit keine Angaben.
Stark zerschlagene deutsche Truppenteile, so wird kann man vermuten, werden sich dann noch – vielleicht Widerstand leistend - aus ihren Stellungen zurückgezogen haben und auf das Dorf Möthlitz zurückgegangen sein.
Die Möthlitzer Dorfchronik wertete die persönlichen Aufzeichnungen des Möthlitzers Berthold Schulz aus. Berthold Schulz wurde 1929 geboren und war also damals 14 Jahre alt. Er berichtet:
Abb. 19: Gutsfriedhof Kützkow
„Im Morgengrauen des 4. Mai 1945, bei dichtem Nebel, erzwang die Rote Armee den Übergang“ (gemeint ist: über die Havel). Die Einheiten der Roten Armee stießen in zwei Richtungen vor, einmal entlang des Tieckower Heuweges in Richtung“ der Dörfer Kützkow und „Bahnitz und zum anderen (...) in den Möthlitzer Park. Gegen Mittag erreichten sie beide Orte.“ (9)Im Wald an der Fährstelle Tieckow lagen noch in den 1950er Jahren militärische Ausrüstungsgegenstände, etwa durchlöcherte Stahlhelme. Als der Kampf um den dortigen Übergang über die Havel von den sowjetischen Truppen Seite noch einmal in den 1960er Jahren nachgespielt wurde, machte dabei ein Helmut Polanek heimlich Aufnahmen. (lt. Blasek 2.1.07 [?]))
Das Gut Kützkow wird geräumt
Dem deutschen Militär, das in Kützkow lag, blieb nach diesem Havelübergang nichts anderes übrig, als Kützkow zu räumen. Der Kützkower Gutsbesitzer Hermann von Schnehen, der die militärische Lage nicht vollständig überblicken konnte, merkt abschätzig an: „Bevor es aber zu einer Auseinandersetzung zwischen ihm“ (dem von ihm als „widerlich“ empfundenen deutschen Kampfkommandanten von Kützkow) „und mir kam, zog er mit Hitlerjungen und Volkssturm unter Mitnahme von Wagen, Pferden und den Fahrrädern der Flüchtlinge feige“ (- ?) „von dannen, in Richtung Westen. Für die jungen Pimpfe (Jungvolk) und die alten Männer war das gewiß das Beste! Aber dieser widerliche Patron tat es bestimmt nicht ihretwegen!“ (2, S. 114)Granatbeschuss auf das Dorf Bahnitz
Abb. 20: Schweres deutsches Infanteriegeschütz (Bundesarchiv)
Nach den Erinnerungen der Familie ist Johanna Bading (siehe oben) am 4. Mai in der Frühe noch einmal allein nach Bahnitz zurückgekehrt, um nach den Tieren auf dem Hof zu sehen. Zu diesem Zeitpunkt lag das Dorf schon unter Granatbeschuß. Eine Granate traf den 45-jährigen Paul Fahrholz tödlich direkt vor der Haustür seines Hauses am Havelufer. Eine andere Granate traf das Dach des Wohnhauses der Familie Bading und schlug bis in die Küche hindurch. Auch die Scheune auf diesem Hof hatte einen Treffer erhalten. Die Kirche erhielt mehrere Treffer. Eine Granate schlug nahe der Friedenseiche (an der Kirche) ein und verwundete mit einem Splitter den Bauern Adolf Sengespeick am Bein.Nachdem die deutschen Militäreinheiten von dem Übergang der Russen an der Fährstelle Tieckow erfahren hatten, werden sie ihren Abzug beschleunigt haben. Sie forderten Johanna Bading auf, den in ihrer Hofgarage stehenden PKW herauszugeben. Frau Bading weigerte sich zunächst, setzte dann aber durch, daß der soeben durch einen Granatsplitter im Bein verwundete Adolf Sengespeick zumindest noch bis nach Milow in das Lazarett mitgenommen wurde. Dann verließ auch sie selbst wieder das kurz vor der Einnahme durch die Sowjets stehende Dorf. Sie erzählte immer, wie sie mit dem Pferdefuhrwerk gefahren sei - wahrscheinlich auf dem Weg von Bahnitz nach Jerchel (oder über Möthlitz und Nitzahn nach Jerchel?): Von der westlichen Seite hätten deutsche Geschütze über sie hinweg geschossen, von der östlichen Seite die russischen.
Von der Fährstelle Tieckow aus fächerten sich die russischen Truppen auf und stießen sowohl Richtung Möthlitz als auch Richtung Kützkow vor. Sie überquerten in Kützkow die Havel in Richtung Pritzerbe und nahmen die Stadt am östlichen Ufer der Havel ein, deren Zufahrtsbrücken auf der östlichen Havelseite gesprengt worden waren. Die russischen Truppen drangen weiter in Richtung Bahnitz vor.
Tote im „Ausbau“ von Bahnitz - "fast kampflose Einnahme"?
Abb. 21: Volkssturmmann vor Berlin mit Panzerfaust (als Beispiel)
Im Verlauf der nun beginnenden Rückzugsgefechte des magenkranken (?) Bataillons fielen in Bahnitz drei deutsche Soldaten. Zwei von ihnen sind auf dem Bahnitzer Dorffriedhof bestattet. Der dritte, ein Oberleutnant, wurde von seinen Angehörigen noch im Jahr 1945 nach Berlin umgebettet. Ob man also den richtigen Eindruck erhält, wenn in Erinnerungen von der „fast kampflosen“ Einnahme des Dorfes Bahnitz die Rede ist (7), muß doch bezweifelt werden. Außerdem wurden noch am 8. Mai 1945 einige gefangene deutsche Soldaten, die sich an der Havelschleuse (zwischen Bahnitz und Kützkow) versteckt gehalten hatten und abgeschnitten waren, durch das Dorf geführt.Gefechte hat es also am 4. Mai zunächst um den „Ausbau“ am nordöstlichen Dorfrand von Bahnitz gegeben, von wo aus zurückgebliebene deutsche Einheiten russische Einheiten, die auf Bahnitz vordrangen beschossen haben können. Davon bekamen die Menschen in den Kellern in der Dorfmitte wahrscheinlich nur wenig mit.
Man kann sich denken, daß zurückgebliebene deutsche Einheiten in den Gehöften des Ausbaus am Dorfrand nach Osten, nach Kützkow hin, mit Maschinengewehren das Feuer auf den Weg nach Kützkow eröffneten, nachdem sie dort gesehen haben, wie sich russische Einheiten auf einige hundert Meter dem Dorf genähert hatten. Diese mögen das Feuer erwidert haben und auch die sowjetische Artillerie wird verstärkt auf das Dorf geschossen haben. Dabei mag der Berliner Oberleutnant ums Leben gekommen sein.
Abb. 22: Gefallener deutscher Soldat (1944)
Ein deutscher Soldat lag nach den Kämpfen auf einem der Ausbau-Höfe. Es soll ein Litauer (oder Spanier?) gewesen sein, wie Edith Thiedecke, die damalige Tochter des Ausbau-Hofes, später erzählt hat. Ein zweiter deutscher Soldat, der genannte Berliner Oberleutnant, lag auf dem Nachbarhof. In seiner Nähe lag auch der 40-jährige Walter Löbert aus Plaue. Er war hier vielleicht als Volkssturmmann eingesetzt gewesen. Er war bis 1942 Soldat in Rußland gewesen, dann aber als Rüstungsarbeiter in Brandenburg unabkömmlich gestellt worden. Viele Einwohner Plaues waren bei Beginn der Kämpfe um Plaue am 2. Mai 1945 (?) in die nördlichen Nachbardörfer ausgewichen. Und Walter Löbert hatte in Bahnitz Verwandte, bei denen er unterkommen konnte (Krüger, Hof Nr. 9).Tote auf dem Weg nach Jerchel
Die letzten deutschen Einheiten haben sich dann vermutlich durch das Dorf zum Friedhof hin zurückgezogen, um sich von dort durch den Wald nach dem Dorf Jerchel abzusetzen, bevor ihnen auch dort der Weg abgeschnitten werden konnte. Wenn russische Truppen von der Tieckower Fährstelle schon weit in Richtung Möthlitz vorgedrungen waren, dann war dieser Weg vom Bahnitzer Friedhof hinüber zum Jercheler Wald einzusehen und zu beschießen und möglicherweise nicht mehr leicht für die letzten, abziehenden, deutschen Soldaten zu überwinden.
Von der Friedhofsmauer am Südrand des Dorfes aus gab die letzte Nachhut sicherlich Feuerschutz für die nach Jerchel abziehenden Truppen und geriet dadurch selbst in Beschuß. Die deutschen Soldaten hatten sich innerhalb des Friedhofs hinter der Friedhofsmauer verschanzt und wurden von sowjetischen Maschinengewehren und Granatwerfern beschossen. Das ist zum Teil bis heute an den Einschlagspuren in der Friedhofsmauer sichtbar. Ebenso sind Granatsplitter-Einschläge an den der Straße zugewandten Ställen der Höfe Nr. 5 und Nr. 27 zu sehen.
Abb. 23: Gefallener russischer Soldat
Nur einige hundert Meter vor der Friedhofsmauer ist ein russischer Soldat gefallen. Seine Leiche wurde erst beim Pflügen im Herbst an der Stelle entdeckt, wo sich heute der „Tannenweg“ befindet. Ein deutscher Soldat lag zweihundert Meter vom Friedhof entfernt auf dem Weg Richtung Jerchel tot am Straßenrand. Er war dort seinen Verletzungen erlegen, die er vielleicht schon am Friedhof selbst erhalten hatte.Die zum Jercheler Wald abziehenden deutschen Truppen gerieten noch vor dem Waldrand an der Dunke-Brücke in weitere Kämpfe. Oder zumindest unter Beschuß. Hier fiel noch einmal ein deutscher Soldat. Und noch drei weitere deutsche Soldaten fielen bei Kämpfen rund um das Dorf Jerchel. Auf dem Friedhof von Jerchel liegen insgesamt „vier unbekannte deutsche Soldaten“ begraben.
In Erinnerungen ist von der „fast kampflosen“ Einnahme des Dorfes Bahnitz die Rede (7). Doch bei dieser Einnahme sind drei deutsche Soldaten und der Volkssturmmann [?] Walter Löbert gefallen, sowie ein russischer Soldat. Außerdem ist bei dem Granatbeschuß ein zweijähriger Junge und der 45-jährige Paul Fahrholz ums Leben gekommen. Und es sind weitere Personen verletzt worden.
Die Russen in Bahnitz
Horst R. Baumann lebte 1943 bis Juni 1945 als 12 ½-jähriger Hitlerjunge – zum Schluß zusammen mit seiner Schwester Gudrun - bei seinen Großeltern Schwanebeck in Bahnitz auf dem Hof Nr. 11 (heute Sch., der drittletzte Hof links vor der Ablage an der Havel). Die Mutter arbeitete in Berlin. Die Großeltern versuchten noch, über die Elbe zu kommen, während Baumann mit seiner Schwester bei der Urgroßmutter auf dem Hof blieb.
Baumann erinnert sich: „Inzwischen hatten viele Bahnitzer ihr Heil in der Flucht gesucht, und die ersten russischen Infanteristen, mehrheitlich Mongolen, nahmen das Dorf am 5. Mai 1945“ (- ? wohl falsch, gemeint wird sein, wenn man den Verlauf der übrigen militärischen Ereignisse berücksichtigt: der 4. Mai*)) „fast kampflos ein, nachdem sich die deutsche Truppe abgesetzt hatte, der Krieg war ohnehin schon längst verloren. In den damaligen Kriegsnachrichten hätte man das als ‚planmäßige Absetzbewegung zur Begradigung der Front’ bezeichnet. Soweit wir das damals nachvollziehen konnten, waren wohl ein paar versprengte Soldaten von den Russen überrannt worden, denn wir fanden in den Tagen nach der Kapitulation drei tote Soldaten in der unmittelbaren Umgebung des Dorfes. Wer sich um die Beisetzungen kümmerte, ist mir nicht bekannt. (...) In Schwanebecks Gewölbekeller befanden sich zu dieser Zeit“ Flüchtlinge und Hausbewohner. „Bis dahin hatten wir nur einige Uräschreie der Russen gehört, im Dorf bzw. Keller hatten wir keinen Schuß gehört, als sich plötzlich ein altes russisches Maschinengewehr auf einem Karren durch unser Kellerfenster schob ...“ (7)
Deutscher Gegenangriff bei Möthlitz Die Einnahme der Dörfer Bahnitz und Möthlitz bedrohte die deutsche Rückzugsstraße zwischen Altbensdorf und Milow. Deshalb wurde mit verfügbaren Einheiten von den Dörfern Knoblauch und Nitzahn aus ein deutscher Gegenangriff Richtung Möthlitz bereit gestellt und durchgeführt. Bei ihrem Marsch nach Norden erhielten Truppenteile der Division Schill, vor allem das Grenadierregiment 1, im Verlauf des Vormittags des 4. Mai den Befehl, den bei „Bahnitz“ (bzw. Tieckow) gebildeten sowjetischen Brückenkopf zurückzudrängen:
„Zwischen Plaue und Premnitz erwehrte sich das nordwärts marschierende Grenadierregiment Schill 1 nur mühsam der über die Havel hinweg geführten russischen Angriffe und versuchte – mangels schwerer Waffen vergeblich -, einen bei Bahnitz“ (gemeint ist bei der Tieckower Fährstelle) „über den Fluß gebildeten sowjetischen Brückenkopf einzudrücken.“ (5, S. 297)
Der damals 14-jährige Möthlitzer Berthold Schulz erinnert sich: „Da die Absetzbewegungen der 12. Armee zur Elbe“ durch den Vorstoß der Sowjets über die Havel bei der Fährstelle Tieckow „gefährdet waren, begann die Wehrmacht mit eilig herbeigeführten Kampfgruppen und mit Unterstützung von drei Sturmgeschützen“ (der Division Schill) „am frühen Nachmittag aus Richtung Nitzahn, entlang des Knoblaucher Weges einen Gegenangriff. Dieser kam durch das schwere Abwehrfeuer der Roten Armee mit Artillerie, Salvengeschützen und Granatwerfern kaum voran“ (muß besser heißen: schwer voran) „und brach am Waldrand des Kützkower Weges endgültig zusammen.“ (1)
Das Dorf Möthlitz liegt von Nitzahn, also den Ausgangsstellungen drei (?) Kilometer, der Waldrand Richtung Kützkow fünf (?) Kilometer entfernt. Der Gegenangriff kam also sehr wohl voran. Allerdings gelang es nicht, den von den Sowjets gebildeten Brückenkopf wieder ganz zu beseitigen. Berthold Schultz schreibt weiter: „Die Rote Armee grub sich am Waldrand ein und zündete diesen teilweise an.“
Abb. 24: Deutsches Sturmgeschütz (1944, Bundesarchiv)
Diese sowjetischen Truppenteile fühlten sich jeweils stark in die Defensive zurückgedrängt. Ein dabei auf dem Weg von Möthlitz nach Plaue gefallener russischer Soldat wurde erst Ende des Jahres 1945 entdeckt. Berthold Schulz erinnert sich:„Die Wehrmacht zog sich am Nachmittag in den Ort“ (Möthlitz) „zurück und beließ ihre Einheiten und Sturmgeschütze im Bereich des Gutshofes“ (von Möthlitz). „(...) Nach Einbruch der Dunkelheit setzte sich die Wehrmacht Richtung Elbe, in den Brückenkopf Tangermünde ab.“ (1)
Abb. 25: Am Grab eines gefallenen Kameraden (1939, Bundesarchiv)
In diesen Kämpfen in und um Möthlitz sind am 4. Mai fünf deutsche Soldaten gefallen. Unter ihnen befanden sich zwei 20-jährige Angehörige des Reserve-Flieger-Ersatz-Bataillons 7, die möglicherweise zur Division Schill gehörten. Sie liegen auf dem Möthlitzer Friedhof begraben. Auch fielen insgesamt sechs russische Soldaten. Sie wurden später auf den Sammelfriedhof Genthin umgebettet.Fast alle Möthlitzer Grundstücke und Gebäude sind in diesen Kämpfen durch Beschußschäden in Mitleidenschaft gezogen worden. Ganz zerstört wurden fünf Gebäude (1).
In der Erinnerung von Berthold Schultz: „Die Rote Armee stieß langsam nach und erreichte um Mitternacht den Ort“ (Möthlitz) „und besetzte ihn. Am 5. Mai 1945 kamen dann die schweren Einheiten über die Havel, nachdem an beiden Fährstellen (Pritzerbe und Tieckow) Holzbrücken errichtet worden waren. Diese Einheiten zogen weiter nach Westen.“ (1)
Die drei Sturmgeschütze der Division Schill schufen kurzfristig und örtlich eine Überlegenheit, die aber nicht nachhaltig aufrecht erhalten werden konnte.
Die Plauer Brücke wird gesprengt
Gesprengte Freybrücke in Spandau, 1945 (als Beispiel)
Am Abend des 4. Mai „um 22.45 Uhr wurde die Plauer Brücke“ – über die Havel von deutschen Einheiten - „gesprengt; in geringen Zeitabständen flogen dann die Brücken nach Kirchmöser und die Kanalbrücken (bei Großwusterwitz und Woltersdorf) in die Luft. (...) Unmittelbar nach der Sprengung hatten alle zur Verteidigung des Havelübergangs eingesetzten Soldaten Plaue verlassen.“ (10, S. 154)Die Russen rücken zögernd nach Plaue, Bensdorf, Milow und Kirchmöser
Nun rücken also die sowjetischen Truppen den abziehenden deutschen Truppen hinterher, zum Teil mit einem halben Tag Verzögerung: „Die Wehrmacht zog sich Richtung Elbe zurück und in der Nacht zum 5. Mai 1945 zog ein letzter SS-Trupp durch Altbensdorf. Gegen Nachmittag“ (des 5. Mai) „kam die Nachricht ‚der Russe ist da’. Von Knoblauch her marschierte ein Trupp Russen auf das Dorf zu.“ (11, S. 11)
In Premnitz und Rathenow sah man Brände, Rote Fahnen und Rote Truppen. Um Milow selbst scheint dann ebenfalls nicht mehr gekämpft worden zu sein. „In der Nacht zum 5. Mai rückt die SS“ auch aus Milow „ab. (...) Gegen sechs Uhr“ abends am 5. Mai „zieht die Rote Armee in Milow ein.“ (8, S. 162f, ebenso 12)
D. Verteidigung Zollchows Richtung Rathenow (5. Mai)
Die Division Schill sammelte um das Gut Grille bei dem Dorf Zollchow. Sie wehrte am 5. Mai (?) sehr verlustreich Angriffe aus Richtung Rathenow ab. Dabei hatte sie 30 Gefallene zu beklagen. Diese liegen auf dem Dorffriedhof von Zollchow begraben (?).
Mit anderen Familien grub sich die Familie Bading in der Nacht vom 5. auf den 6. Mai im Wald zwischen Zollchow und Sydow ein. Der 11-jährige Sohn bekam dabei von deutschen Soldaten, die ihren Panzerspähwagen abrüsteten, Scherenfernrohre, die er im Wald vergrub.
Die Rückzugskämpfe der 12. Armee setzten sich vom 5. auf den 6. Mai fort über die Dörfer Böhne, Bützer, Vieritz und Zollchow und mündeten in der Verteidigung des letzten Brückenkopfes bei Tangermünde am 7. Mai.
Rückkehr der Zivilbevölkerung nach Bahnitz am 6. Mai
Im Wald von Zollchow ging am Morgen des 6. Mai russische Infanterie vor und schickte die Zivilbevölkerung zurück. Die Familie Bading fuhr unter Granatfeuer zurück ins Dorf Zollchow und sofort weiter mit dem Pferdewagen nach Bahnitz. Zwischen den Dörfern Zollchow und Vieritz lagen links im Wald Stalinorgeln (Salvengeschütze) und schossen über die Familie hinweg zur Elbe.
Kurz vor Bahnitz lag ein toter deutscher Soldat, der kurze Zeit später neben dem Weg begraben wurde. (Die Russen kippten auf das blumengeschmückte Grab, so die Erinnerungen, Mist. Später wurde der Soldat auf dem Friedhof unter einer Linde mit einem weiteren unbekannten deutschen Soldaten begraben.)
Im Bading’schen Hof in Bahnitz war der Hofhund von den russischen Soldaten erschossen worden und alles Vieh war auf die Havelwiesen hinausgetrieben worden. Dies war auf allen Höfen geschehen.
Nur mühsam sollten die Bauern in den nächsten Jahren wieder ihren früheren Viehbestand aufbauen können. Eine oft von Johanna Bading erzählte Erinnerung war, wie die russischen Soldaten versuchten, auf der Toilette mit Wasserspülung Kartoffeln zu waschen. Als sie an der Spülung zogen, waren die Kartoffeln weg und der betreffende Russe guckte ganz verdutzt. Johanna Bading mußte noch im späteren Lebensalter lauthals lachen, wenn sie davon erzählte. Es war wohl eines der seltenen Ereignisse, bei denen man in dieser Zeit lachen konnte.
Nach 1945
Mit dem Schauspieler Heinrich George wurden 10.000e von bekannten und weniger bekannten deutschen Mitbürger interniert. Darunter auch der allseits geschätzte Bahnitzer Lehrer Pape. Pape sollte wie Heinrich George aus der Internierung nicht lebend nach Hause zurückkehren.
Abb. 26: Soldatengrab an der Havel (1945)
Die nun folgenden Nachkriegsjahre waren für die Menschen auf den Dörfern schwer. Aber wohl nicht so schwer, wie für die Menschen in den Städten.
Die Dörfer des Havelbogens haben sicherlich niemals zuvor in ihrer Geschichte - und zum Glück auch niemals mehr seither - so sehr im "Zentrum" umwälzendster weltgeschichtlicher Ereignisse gestanden, bzw. sind von ihnen betroffen gewesen, wie in jenen Endtagen des Zweiten Weltkrieges.
In jeder nachwachsenden Generation bleibt die Unruhe über die Frage weiter vorhanden oder entsteht neu, welche Bedeutung eigentlich die Geschehnisse des Zweiten Weltkrieges noch heute für uns haben. Und ob das abschließende Urteil der Geschichte über sie schon gesprochen worden ist, indem sich die ganze Welt einfach der Deutungshoheit der jeweiligen "Sieger" jenes Krieges anschloß.
(erstmals veröffentlicht: 15.09.2008, überarbeitet: 30.7. und 7.8.2011)
*) Da es ja schon am 4. Mai sowohl in Möthlitz wie auch in Jerchel Kämpfe gegeben hatte, wird einem nicht so recht nachvollziehbar, daß dies erst am 5. Mai geschehen sein soll.
Literatur
- Gaubatz, Petra: Chronik der Gemeinde Möthlitz. Möthlitz, Dezember 1996
- von Schnehen, Hermann: Erlebnisse und Erinnerungen von 1944 – 1949. In: von Schnehen, Margarete: Im Strom der Zeit. Familienschicksale im Elb-Havelland. Wallstein Verlag, Göttingen/Klein Schneen 2004, S. 108 – 131
- Kaiser, Barbara: am 4.7.1998
- Blasek, Willi: Chronik des Dorfes Fohrde mit Ortsteil Tieckow 1997
- Voss, Klaus; Kehlenbeck, Paul: Letzte Divisionen 1945. Die Panzerdivision Clausewitz. Die Infanteriedivision Schill. Amun-Verlag, Schleusingen 2000
- Gellermann, Günther W.: Die Armee Wenck – Hitlers letzte Hoffnung. Aufstellung, Einsatz und Ende der 12. deutschen Armee im Frühjahr 1945. Bernard & Graefe Verlag, Koblenz (2. erw. Aufl.) 1990
- Baumann, Horst R.: Was sich wirklich in Bahnitz am Kriegsende abspielte. Brief an F. B., Jonesboro, GA/USA, 16.3.2005
- Pientka, Andrea: Chronik der Gemeinde Milow. Milow Mai 1995
- von Bismarck, Ilse: Auszüge aus Tagebüchern. In: von Schnehen, Margarete: Im Strom der Zeit. Familienschicksale im Elb-Havelland. Wallstein Verlag, Göttingen/Klein Schneen 2004, S. 137 – 147
- Deichgräber, Albert (1870 – 1950): Tagebuchaufzeichnungen vom 26. April 1945 bis zum 20. Mai 1945. (Geschehnisse in Kirchmöser und Plaue) In: 7. Jahresbericht des Historischen Vereins Brandenburg (Havel) e.V. 1997-1998, Brandenburg a.d.H. 1998, S. 152 - 162
- Winkler, Angela: Dorfchronik Altbensdorf. Altbensdorf 2005
- Pritzkow, Prof. Dr. W.: Erinnerungen an die Zeit vor 50 Jahren (in Milow). Manuskript, Merseburg 14. 4. 1995
- Kurowski, Franz: Armee Wenck. Die 12. Armee zwischen Elbe und Oder - Endkampf um Berlin 1945. Förderkreis für deutsche Geschichte e.V., Emmelshausen 2005
- Guderian, Günther: Das letzte Kriegsjahr im Westen. Die Geschichte der 16. Panzer-Division 1944 – 1945. SZ Offsetdruck-Verlag, Sankt Augustin (2. überarb. Aufl.) 1997
- B., F.: Erinnerungen eines 70-Jährigen. Bahnitz, Frühjahr 2004
- Gralow, Helmut B.: Ich war damals erst fünfzehn Jahre alt. Kriegsschauplatz Elb-Havel-Winkel im Frühjahr 1945. In: Altmark-Blätter, Heimatbeilage der Altmark-Zeitung 30. 5. 1998 – 11. 7. 1998 (in Fortsetzungen)
- Musial, Bogdan: Kampfplatz Deutschland. 2008
- Schulze, Henrik: 19 Tage Krieg. Die RAD-Infanteriedivision "Friedrich Ludwig Jahn" in der Lücke zwischen 9. und 12. Armee. Die Mark Brandenburg im Frühjahr 1945. Projekt + Verlag Dr. Erwin Meißler, Hoppegarten bei Berlin 2011 (www.meissler.de)
- Ossenberg, Stefan: Tapetenwechsel im Museum. In: RP Online, Duisburg, 09.01.2010
- Kleber, Walter: Bereit für den Umzug. Behelfsheim aus Gessertshausen steht kurz vor seiner Umsiedlung ins Bauernhofmuseum Illerbeuren. In: Augsburger Allgemeine, 7.8.2011
- Plattenhaus Poppenbüttel (Wikipedia)
- Klaus Peter Synnatzschke: Historisches aus der Stadt Sandersdorf-Brehna - Die Siedlung
- Deutsches Wohnungshilfswerk (Wikipedia)
- Arne Keilmann: Der Architekt Ferdinand Keilmann im Systemwandel des 20. Jahrhunderts - Behelfsheimplanung
- Peter Lehanka (Zirndorf): Baukarte zur Errichtung eines Behelfsheimes aufgrund des Erlasses vom 9.9.1943 (Auktion)
Abb. 27: Russische Besatzungssoldaten
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