Depression der Rauhnächte...

Von Schamanenstube
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Die Rauhnächte streifen durch die Strassen

Viele Menschen nehmen zu Beginn der Rauhnächte wahr, dass Ihre Unternehmungen, Projekte und Pläne von einer Sinnlosigkeit geprägt sind. Dieser Trugschluss hält gerne Einzug mit den ersten Rauhnächten und formt die Gedanken am Tag. Wenn man das weiss, kann diese Phase der Zeit zwischen den Jahren positiv genutzt werden: die Gedanken spinnen, also warum sich Sorgen machen? - Das geht vorbei.

Ein ganz besonderes Phänomen zaubern die Rauhnächte zuweilen hervor. In der Zeit zwischen den Jahren schleichen sich gerne Gedanken ein, die den Sinn der eigenen Bestrebungen und Sicherheiten stark hinterfragen. Die Vorbereitungen zu Weihnachten dauern immer lange: verstopfte Städte und Konsum bauen eine Erwartungshaltung auf, dass etwas Grosses käme. Filme zeigen, wie wichtig es ist, zu Weihnachten Liebe und Gemeinschaft zu leben.
Was wenn diese Liebe ausfällt oder von so kurzer Dauer ist, wie nur der Weihnachtsabend? Das mag den einen oder anderen enttäuschen: ein gewaltiges Vorspiel für zu wenig Erfüllung - ein Rohrkrepierer.
Bei einer Enttäuschung geschieht etwas Merkwürdiges: wir versuchen trotz dem empfundenen Verlust, unseren Stolz fast schon mit den Armen umherringend irgendwo festzumachen. Hier greifen die Rauhnächte: alles, was wir finden, wird mit Makeln behaftet.

Aggression und Wut

Naja, wir geben zu, auch keine Heiligen zu sein. Den Kirchenlärm von Gähwil übertönt derzeit gerade unser Shake-5 mit AC/DC. Es lässt sich gut schreiben im eigenen Krach...
*lach*

Unsere Kundschaft verspürt teilweise echte Wut und Aggression in dieser Zeit. Wir nehmen Wut allerdings nicht als etwas wahr, wovor man sich äusserlich zurück ziehen muss, sondern wir hören uns an, wogegen sich die Wehrwesen wehren. Aus unserer prozedualen Gefühlsmathematik heraus wissen wir, dass die Wut ein erster Schritt der Verarbeitung von Verlusten ist.

Und wieder: der Verlustglauben zwischen den Jahren ist eine Illusion. Man kann sich ihm hingeben. Aber in ein paar Tagen ist sie verflogen, von selbst. Was hier hilft kann die Selbstkritik sein: "alles Quatsch".

Die Schamanenstube ist aus therapeutischen Gründen in den meisten Fällen gegen die Abgabe von Verantwortung. Aber nicht zu den Rauhnächten: die eigenen Negativ-Gedanken als Quatsch zu bezeichnen, braucht den Aufhänger der Rechtfertigung durch die Rauhnächte. Therapeutisch macht die Abgabe der Verantwortung nur dann Sinn, wenn dieser Akt zur Erhöhung der Lebensqualität führt. Das tut der Ausspruch "alles Quatsch" zu den Rauhnächten. Der Einzug der Geister in die eigenen Gedanken ist wie eine Verführung, sich runter zu machen. In dieser Verführung ist sogar etwas Schönes zu finden: der natürliche Hinzug der Rauhnachts-Geister, irgendwo noch Kraft zu finden. Rein schamanisch gesehen besteht für Fortgeschrittene die Möglichkeit, mit den Geistern über den kalten Boden zu hetzen und dem Lebenstrieb zu fröhnen. Verwerflich? - Ja, absolut. Aber fürs Verständnis dafür, was eigentlich passiert, ist das für einmal spannend.

Die Freiheit des Quatsches lässt zu, sich dem wilden Treiben zu entziehen. Niemand holt irgendwo Kraft, wenn diese nicht gegeben wird und sie rund herum eh zur Verfügung steht. Die Natur geht immer den einfachen Weg. Wie jede Pflanze sich den Weg zum besten Sonnenplatz erkämpft, wie jedes Tier sich sein Futter auf direktem Weg erkämpft. Klar, diese Wege können kompliziert werden, die Natur geht dennoch den direkten, einfachen Weg, egal wie kompliziert sich dieser gestalten mag.
"Alles Quatsch" eröffnet einem die Möglichkeit, vom rauhen Treiben Abstand zu nehmen. Die Zeit zwischen den Jahren kann also für die Faulheit benutzt werden. Ausgedehnte Bäder, ein Fernseh-Tag, ein Nachmittags-Schläfchen...
Alles liegt drin. Ist das nicht schön?
Man muss sich auch nicht schämen, den Ordnungen der Rauhgeister anheim gefallen zu sein: das ist nur natürlich.

Pünklich in der ersten Rauhnacht färbt sich der Himmel blutrot und der erste Schnee fällt. Die Erde wird bedeckt, unter dem weissen Mantel versteckt.

Ich mache mich auf den Weg. Es ist dunkel in Gähwil und es ist kalt. Bin ich bereit für die Geister der Rauhnächte? - Ein schamanischer Rat wird einberufen: woher der fast perverse Drang, da raus zu gehen? Gibt es selbstzerstörerische Gedanken dabei? - Die kritische Selbstreflektion im Rat zeigt auf, welche Ordnungen sich schon eingeschlichen haben. Alle sind dafür: dieses Jahr leben wir die die Gier und gehen raus. Der Rat beschliesst, mich in dunkle Mäntel, fast schon Fetzen zu kleiden und mein Gesicht zu verzerren.
Die Mittelwelt-Reise beginnt im Garten der Schamanenstube. Hier ist nichts, die Kugel der Stube umgibt das Gelände. So reise ich zum Kirchplatz runter und warte.
Es geht nicht lange, da nähern sich langgezogene Wesen vom Lütenried her. Sie kommen mir vor, wie junge Heavy-Metaller in innerem Übermut. Mit einem tiefem "Hahahaa" stehe ich auf und schliesse mich ihnen proforma an.

Ich spüre sofort inneren Stolz, Überheblichkeit und den Drang, Unfung anzustellen. Wir steigen zusammen auf, hoch über den Kirchtum. Dort sitzt ein Wesen auf dem Kreuz oben, den Rücken gekrümmt, aber die Augen gierig runter Richtung ewiges Baustellen-Dorf Gähwil. Es lauert. Wir umkreisen den Kirchturm in sehr hoher Geschwindigkeit. Da trennen sich auf einmal alle und ich beobachte, wie die Rauhnachtsgeister in die Häuser schiessen. Mit ihren zerlumpten Ärmeln suchen sie die Menschen heim und streichen mit den Spitzen des Stoffes über die Stirnen. Das geht sehr schnell und schon sind die Wesen wieder versammelt. Das wars hier, hier gibt es nichts mehr.
Sie machen Zeichen an den Wänden der Baustelle und Häuser, entschwinden durch die Gemäuer und überlassen Gähwil der Stille.
Da läutet die Kirchglocke laut: viertelnachzwei. Im Klang des Metalls spüren wir dieselbe überhebliche Kraft, wie die der Geister: der Blick aufs Kreuz zeigt: das Wesen kauert noch da oben.
Ich kehre über Umwege zurück in die Geborgenheit der Stube.

Die Reise dauerte nicht wirklich lange, obschon viele Eindrücke da waren. Die Wahrnehmung der Heavy-Metal Halbstarken ist sicherlich geformt von mir als Reisender selbst. Wie die Wesen wirklich aussehen, bleibt unklar. Das Gehirn sucht sich bekanntlich die nächst mögliche Form, wie sich etwas einordnen lässt. So ist das Gefühl der Halbstarken entscheidender. Doch begleitet dieses Gefühl im Gegensatz zu eigenen Erfahrungen von aussen betrachtet eine Skrupellosigkeit. Diesen Wesen ist eine andere Ethik Basis für ihr Treiben. Sie folgen ihrem Trieb.

Wir teilen selten solche Reisen mit anderen. Sie wirken sehr esoterisch und scheinen nicht zum therapeutischen Schamanismus zu gehören. Die entnommenen Ordnungen bieten dennoch Möglichkeiten, in den Rauhnächten in der eigenen Kraft zu bleiben: es sind nur Halbstarke, deren Ärmel sich packen lassen, sie weit über die Hügel zu schmeissen.
Sie gehen den einfachen Weg.
So enden wir die Nacht mit "Hell's Bells", wenn wir schon keine Karten für AC/DC bekommen haben.
*heul*