Im phoenix-Jahresschwerpunkt „Rätsel RAF-Terror“, der noch in der Entstehung ist, geht der bekannte und langjährige TV-Historiker Guido Knopp auf Spurensuche. Er spricht mit Zeitzeugen und sucht mehrere Tatorte auf. Moderator Michael Krons befragt darüber hinaus unter anderem den ehemaligen RAF-Terroristen Karl-Heinz Dellwo und Julia Albrecht, die Schwester von RAF-Attentäterin Susanne Albrecht. Welche Entdeckungen erhofft sich Knopp von seiner Spurensuche und wer unterstützt ihn dabei? All dies konnten wir in einem Interview klären. Knopp plaudert auch ein wenig aus dem Nähkästchen und erzählt uns, welche historischen Themen ihn besonders begeistern. Vielen Dank noch einmal an Guido Knopp und Michael Krons. Euch ganz viel Spaß,
Dennis
Dennis: „Erst einmal vielen Dank für dieses Interview! Anfang Mai ist der phoenix-Jahresschwerpunkt ‚Rätsel RAF-Terror‘ gestartet. Was genau erwartet den Zuschauer?“
Guido Knopp: „Zunächst einmal diskutiere ich in einer Ausgabe von „History Live“ mit RAF-Forschern und einem Juristen über das ‚Rätsel RAF-Terror‘. Die Forscher sind Wolfgang Kraushaar und Gisela Diewald-Kerkmann, namhafte Terrorismus- und RAF-Experten. Der Jurist ist ein früherer Kollege von mir, Bernhard Töpper, der in den 1970er und 1980er Jahren für das ZDF als Gerichtsreporter die RAF-Prozesse generell und den von Stammheim speziell verfolgt hat. Sie alle können aus dem Nähkästchen erzählen, sowohl über bestimmte Sachverhalte als auch über offene Fragen. Das dient uns dann als Basis für unsere Spurensuche, unsere Zeitreise. Diese historische Reportage mit Doku-Elementen wird am 30. November zu sehen sein. Im Mai beginnen wir mit den Dreharbeiten.
Dennis: „Was erwarten Sie denn selbst, was passieren wird?“
Guido Knopp: „Wir wollen uns den Rätseln und den offenen Fragen, den Geheimnissen der RAF widmen. Davon gibt es eine ganze Reihe - ich nenne nur mal zwei. Da wäre natürlich die Frage nach der Involvierung der Geheimdienste. Zum Beispiel die Staatssicherheit der DDR: Hat sie die RAF beeinflusst, und wenn ja, wie? Wie sehr ist die DDR involviert in die Terrorakte der RAF? Viele offene Fragen gibt es auch zum Berliner Landesamt für Verfassungsschutz, das schon in der Gründungsphase, also sehr früh, V-Leute in die RAF geschickt hat. Einer davon war der berühmt-berüchtigte Peter Urbach, der RAF-Mitglieder mit Waffen und Sprengstoff versorgt hat. Damit wurden dann Terrorakte verübt. Dieser Peter Urbach hat später gegen Horst Mahler, einen der RAF-Gründer, ausgesagt. Danach wurde er gleichsam verbannt und vom Verfassungsschutz in ein Zeugenschutzprogramm in die USA gebracht. Da ist er dann 40 Jahre später, im Jahr 2012, gestorben. Das ist doch zumindest ein merkwürdiges Verfahren.
Noch merkwürdiger ist, dass die Akten dieser Verfassungsschutzbehörde, die sehr aufschlussreich wären, im Jahr 2000 einfach verschwunden sind. Keiner weiß, ob sie vernichtet oder versteckt worden sind. Das finde ich skandalös.“
Dennis: „Das klingt ja auch ein wenig detektivisch. Wie genau ist das denn für den Zuschauer? Brauche ich spezielles Vorwissen, wenn ich mir Ihre Doku Sendung anschaue?“
Michael Krons: „Wir zeigen das ganze Jahr über unterschiedliche Dokumentationen und Sendungen zum Thema RAF. Die Dokumentationen sind Produktionen von ARD und ZDF, wir sind ja eine Tochter der beiden Sender. Hinzu kommen phoenix-Eigenproduktionen wie Guido Knopps Spurensuche und einige Gesprächssendungen. Am 8. Mai war der Auftakt für den Themenschwerpunkt „Rätsel-RAF“ – unter anderem mit der ‚History Live‘-Sendung von Guido Knopp. In meiner Sendung „Im Dialog“ spreche ich mit dem ehemaligen RAF-Terroristen Karl-Heinz Dellwo. In einem weiteren „Dialog“ im Juni ist Julia Albrecht zu Gast, die Schwester von RAF-Attentäterin Susanne Albrecht. Ihr Film ,Die Folgen der Tat‘ ist kürzlich mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet worden. Zusätzlich drehen Guido Knopp und ich das ganze Jahr über an Tatorten von damals und sprechen mit Zeitzeugen. Im November fassen wir unsere Recherchen dann in einer Art Spurensuche zusammen. Wir haben nicht den Anspruch, dass Rätsel RAF-Terror zu lösen. Aber wir wollen zeigen, welche Fragen es noch gibt, denn viele Taten sind noch nicht aufgeklärt. Warum ist das so? Was könnte in dem einen oder anderen Fall passiert sein? Wir wollen bei der Aufklärung ein kleines Stückchen weiterkommen. Durch die unterschiedlichen Perspektiven und Sendeformen im Jahresschwerpunkt bekommen die Zuschauer einige Antworten auf offene Fragen zum Rätsel RAF-Terror.“
Dennis: „Das klingt für mich so, als wäre dies sehr greifbar für den Zuschauer, da Sie über Schauplätze sprechen, die sie wirklich besucht haben, und einen Zeitraum, den viele aus eigener Erfahrung kennen.“
Guido Knopp: „Genau, weil wir mit Zeitzeugen vor Ort sprechen – ‚faces in places‘ –, hat unsere Spurensuche Elemente einer historischen Reportage. Natürlich kommen aber auch dokumentarische Elemente hinzu. So gehen wir auf eine Zeitreise.“
Guido Knopp: „In der älteren Generation auf jeden Fall, bei ihr gehören die Fahndungsplakate der 1970er Jahre zum kollektiven Gedächtnis. Bei den Jüngeren wohl eher nicht mehr. Das wird sich dann hoffentlich durch unsere Sendung ändern. Es ist ja auch für sie interessant zu sehen, wie damals junge Menschen vom Protest gegen das System und den Staat in den Terrorismus und in die Kriminalität abgerutscht sind. Was ist da mit ihnen passiert? Wie haben sie das damals gerechtfertigt und wie rechtfertigen sie es heute? Ich habe bislang von keinem ehemaligen RAF-Terroristen gehört, der sagt: ‚Ich habe mich geirrt. Ich habe Verbrechen begangen. Ich bereue‘. Das sind alles Leute, die ihre damaligen Taten rechtfertigen, indem sie sagen ‚Wir haben richtig gehandelt‘. Das liegt vielleicht auch daran, dass sie nicht zugeben möchten, dass sie ihr Leben verpfuscht haben. Der Terror muss ja einen Sinn gehabt haben. Vielleicht denken sie sogar, dass man sich auch heute gegen den globalen Kapitalismus wenden sollte. Wir können froh sein, dass bisher keine stichhaltigen Hinweise vorhanden sind, dass es eine Generation „RAF 4.0“ gibt. Es gibt zwar Verdachtsmomente, aber keine Beweise. Die Überfälle auf Geldtransporter im vergangenen Jahr könnte man zum Beispiel als Beschaffungstaten deuten, um mögliche Anschläge zu finanzieren. An den Tatorten wurden DNA-Spuren von Mitgliedern der dritten RAF-Generation gefunden. Wir können aber wohl eher davon ausgehen, dass sich die ehemaligen Terroristen damit Rücklagen für ihren Ruhestand sichern wollten.“
Dennis: „Das bedeutet, man hofft einfach, dass sich solch ein Szenario einfach nicht wiederholt.“
Guido Knopp: „Toi, toi, toi (lächelt).“
Dennis: „Sie selbst haben ja schon viele Dokumentationen gemacht. Was interessiert Sie selbst am meisten? Gibt es ein Thema, bei dem Sie mit Leib und Seele dabei sind?“
Guido Knopp: „Ich bin in meiner Zeit als Leiter der ZDF-Redaktion Zeitgeschichte immer mit Herz und Seele dabei gewesen. Seit ich vor drei Jahren in den Ruhestand gegangen bin, mache ich aus reiner Lust an meinem Beruf noch für phoenix die History-Live-Sendungen und einmal im Jahr eine ‚Zeitreise‘. Damals wie heute gilt: Es ist es sehr emotional zu sehen, wie Geschichte auf Menschen einwirkt. Ob es um den Holocaust geht, den Bombenkrieg oder ein Thema wie Flucht und Vertreibung – es gibt immer Erzählungen, die einem sehr unter die Haut gehen. Besonders nahe geht es einem, wenn Frauen und Kinder betroffen sind. Ein Lieblingsthema kann ich Ihnen eigentlich gar nicht nennen – aber vielleicht doch ein Thema, das mich sehr bewegt hat.
Ab 1991 produzierte ich für das ZDF gemeinsam mit dem sowjetischen und später dem russischen Fernsehen die 18-teilige Reihe ‚Der verdammte Krieg‘. Das war das erste Mal, dass beide Länder zusammen eine Serie über den Zweiten Weltkrieg zeigten, mit denselben Bildern und Texten. Am Anfang dachten wir, es wird sicher schwierig, gemeinsam mit den Russen zu drehen. Das gibt doch ein ‚Meer aus Blut und Tränen‘. Doch es war gar nicht schwierig, sondern viel einfacher als manche Koproduktion mit anderen Ländern. Wir haben sehr leicht eine gemeinsame Sprache gefunden. Das lag auch ein bisschen am damaligen Zeitgeist. Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre, gab es nach der deutschen Wiedervereinigung eine Art ‚romantische Phase‘ zwischen Russen und Deutschen. Wir dachten, jetzt wird alles ganz toll. Inzwischen wissen wir, dass es so nicht weiterging.
Ein zweites Thema, das mir große Freude bereitet hat, ist eine 20-teilige Reihe über die Geschichte der Deutschen. Vor allem, weil wir das 20. Jahrhundert einmal hinter uns lassen und in frühere Jahrhunderte eintauchen konnten. Wir konnten mal ungehemmt auch Spielszenen entwickeln, die für unser Projekt legitim und angebracht waren. Für das 20. Jahrhundert muss man das immer begründen.“
Dennis: „Das kann ich mir sehr gut vorstellen! Bei der Situation des ersten Themas finde ich besonders schön, dass es bei der Planung einer solchen Koproduktion ja wahnsinnig ermutigend gewesen sein muss, wenn die Russen ebenfalls ein entsprechendes Bedürfnis entwickelten.“
Guido Knopp: „Wir haben in einer Liberalisierungsphase am Ende der Ära Gorbatschow gedreht. Michail Gorbatschows Deutschland-Fachmann verschaffte mir damals Zugang zu bislang geschlossenen Archiven – Gorbatschow persönlich hatte das genehmigt. Das muss man sich einmal vorstellen: Wie effektiv ist ein System, in dem der Staats- und Parteichef so etwas für eine Fernsehsendung genehmigen muss? Die Mitarbeiter hatten Angst, dass sie sonst Ärger bekommen. Aber es gab diesen romantischen Geist des Miteinanders, den ich sehr genossen habe. Wir haben auch gemeinsame Diskussionssendungen produziert, die in Deutschland und in der Sowjetunion zeitgleich gesendet wurden. Stellen Sie sich das einmal vor, gemeinsame Diskussionen!
Eine Sendung über die Wiedervereinigung verbinde ich mit einer besonderen Anekdote. Wir wollten im Katharinensaal des Kremls drehen, der ist so berühmt wie die Sixtinische Kapelle in Rom, ich wollte unbedingt einmal hinein. Wir verhandelten lange. Schließlich fragten wir unsere Gegenüber: ‚Können wir euch irgendwie behilflich sein? Braucht ihr irgendetwas?‘. Den Russen ging es damals nicht so gut. Sie guckten sich an, guckten uns an, und sagten dann: ‚Also, wenn Sie uns so fragen, ja. Wir bräuchten Staubsauger‘. Stellen Sie sich das einmal vor. Das war unsere Chance: Wir haben sofort 18 Top-Staubsauger mit einer Luftbrücke von Mainz über Frankfurt nach Moskau in den Kreml verschickt. Die Diskussion fand statt. Ich sehe noch Egon Bahr und Rainer Barzel jeweils mit so einem Staubsauger da sitzen.
Und ich sage immer: ‚Wissen Sie – Gorbatschow, Jelzin, Putin, Medwedew, jetzt wieder Putin – die Kreml-Herrscher kommen und gehen, aber unsere Staubsauger, die gibt es immer noch!‘ .“ (Alle lachen)
Dennis: „Zum Abschluss noch eine Frage: Meine Chefin studiert Geschichte und wenn sie mit ihren Dozenten ins Gespräch kommt und Dokumentationen zur Sprache kommen, nennt sie gerne mal den Namen „Knopp“. Das Problem ist dann aber, dass Dozenten darauf sehr merkwürdig reagieren und man katapultiere sich sehr schnell ins Aus, sagt sie. Was glauben Sie ist der Grund, weshalb Wissenschaftler ‚Historytainment‘ nicht ernst nehmen wollen?“
Guido Knopp: (lacht) „Das ist ein deutsches Phänomen, also bestellen Sie Ihrer Chefin einen schönen Gruß, sie ist in guter Gesellschaft. Wir haben für unsere Programme alle Preise bekommen, die man gewinnen kann – darunter mehrere Emmys. Nur der Oscar fehlt, aber das kommt vielleicht auch noch. Aber in Deutschland haben noch viele Historiker Vorbehalte, weil sie nicht verstehen können, dass für einen 50-minütigen Dokumentarfilm andere Kriterien gelten als für ein Fachbuch von 850 Seiten. Ein Film zeigt zehn Prozent, aber er hat die weiteren 90 Prozent eines Themas als Basis, also praktisch das 850-Seiten-Buch. Die Gesamtrecherche machen wir auch. Wir zeigen dann eine Zusammenfassung, aber lassen alles weg, was Zusatzwissen betrifft. Da müssen die Dozenten noch ein bisschen lernen.“
Michael Krons: „Ich habe für Phoenix einmal eine Reihe mit etwa 100 Sendungen über zwei Raumfahrtmissionen gedreht, an denen Deutsche beteiligt waren. Bei den Wissenschaftlern habe ich festgestellt, dass sie sehr schnell dazu bereit waren, vor die Kamera zu treten. Sie haben aber immer nach spätestens zwei Sätzen gesagt: ‚Das ist alles viel komplizierter, als ich es hier darstelle‘. Das war das eine Phänomen. Das andere ist: Diejenigen, die nicht aufgetreten sind, fanden das immer unmöglich. Aber diejenigen, die aufgetreten sind, fanden es großartig.“ (lacht)
Dennis: „Ich bedanke mich sehr für Ihre Zeit und das Interview.“