Den Sack voller Scheiße, den es nicht gibt

Irgendwo bemerkt Bukowski, dass die Welt im Grunde genommen nur ein Sack voller Scheiße sei, der jederzeit zu platzen drohe. Nun aber behauptet Markus Gabriel, dass es eine Welt überhaupt nicht gibt. Und damit den Sack voller Scheiße nicht? Das macht mir Sorgen.
Der Versuch einer Einordnung und sowas wie eine Rezension.

Den Sack voller Scheiße, den es nicht gibt

Quelle: Ullstein Verlag

Gabriel philosophiert sich in "Warum es die Welt nicht gibt" nicht nur durch die Historie, sondern entwirft selbst ein philosophisches Gebäude. Von dem ist er jedoch überzeugt, dass es das gibt. Nur die Welt gibt es nicht. Weltanschauung und Weltsicht gleichwohl demgemäß auch nicht. Dass man die Welt als etwas in sich Geschlossenes betrachten könnte, schließt Gabriel völlig aus. Es sind bestenfalls Weltausschnitte, die wir irrtümlich gerne als "die Welt" bezeichnen. Er räumt aber ein, dass die Welt ein Bereich aller Bereiche ist, ein Bereich sämtlicher Sinnfelder, in der es Tatsachen gibt, die aber nicht zwingend materieller Natur sein müssen.

Im Sinnfeld der Evolutionslehre etwa, tummeln sich nach Gabriels These einige Schlagwörter. Darwin und die Galapagos-Inseln, Genetik und Selektion, Neandertaler und allerlei Missverständnisse und Fehlinterpretationen. Innerhalb des Sinnfeldes "Evolution" haben wir es mit einem geschlossenen Kosmos zu tun. Schwappt aber das Sinnfeld "Evolution" in das Sinnfeld "Gesellschaft" über, macht also die Evolution ihre Begrenztheit zum Weltbild, dann wird es problematisch, weil da ein Weltausschnitt danach trachtet, mehrere Weltausschnitte zu beeinflussen und zu formen. Der Evolutionismus, der Sozialdarwinismus waren (und wären jederzeit wieder) Weltanschauungen, die vorgaben, "die Welt" zu sein. Zu erklären, wie aber dann Fürsorge, Solidarität, Uneigennützigkeit trotzdem "in die Welt" gekommen sein sollen, tun sie sich schwer. Im Zweifelsfall diffamiert man diese Verhaltensnormen als unnatürlich, als "außerweltlich", weil biologisch unnötig.
Das trifft auch auf die Ökonomie zu. Im Sinnfeld "Wirtschaft" ist manches sicherlich auch für das Sinnfeld "Gesellschaft" (mit all seinen kleineren Sinnfeldern wie Familie, Straßen, Unterhaltung, Senioren, Haustiere, Urlaubsplanung oder Sex Shops) interessant. Gabriel weist ausdrücklich darauf hin, dass Sinnfelder nicht starr sind, dass es Schnittflächen gibt. Wenn die Ökonomie aber beginnt, ihren Bereich als "die ganze Welt" zu deuten, dann kann es nicht verwundern, dass das gesamte Weltbild aus Kosten-Nutzen-Analysen und aus Menschen besteht, die wie Computer Risikorechnungen aufstellen, um Kauf- oder Berufsentscheidungen zu treffen. Die "Ökonomie als Welt" hat Schwierigkeiten mit Verhalten, das nicht haushälterisch geerdet ist. Wenn ein Kunde trotz gleicher Qualität, sich doch für das teurere Stück Butter entscheidet, schwankt "die Welt" in ihren Grundfesten.
Bei der Ökonomie ist der Wackelfaktor noch viel größer als in der Physik. Die Ökonomie ist nur bedingt wissenschaftlich verifizierbar. Meist ist sie ein Abwägen und Deuten, ein empirisches Belegen. Zwar entwerfen Ökonomen stichhaltige Thesen, warum die gesamtgesellschaftliche Konsumfreude ausgerechnet jetzt stattfinde - aber dieselben Indikatoren, die die These so nachvollziehbar machten, können später weiterhin gegeben sein, obgleich nun allgemeine Kaufzurückhaltung herrscht. Nichts Genaues weiß man nicht. In der Physik ist das anders. Und dennoch warnt Gabriel, dass das wissenschaftliche Weltbild, das heute von den meisten Menschen bevorzugt wird, nicht "die Welt" ist. Sie ist auch nur ein Ausschnitt und wir täten als Menschen gut daran, uns das stets vor Augen zu führen.
Und der Sack Scheiße, der laut Bukowski die Welt ist? Wahrscheinlich würde Gabriel erklären, dass Bukowski seinen Lebensausschnitt zur Welt gekürt hat. Das Sinnfeld "Gosse" beinhaltet den Sack Scheiße als Metapher. Das Sinnfeld "Wohlstand" eher nicht. Das ist schade, finde ich. Denn Bukowskis Welterklärung schien mir doch treffsicher. Philosophisch mag Markus richtig liegen. Aus der Alltagserfahrung heraus hat sich für mich aber Bukowski als der bodenständigere Philosoph erwiesen. Den Sack kann ich, auch wenn ich ihn nicht sehe, über mir schweben spüren. Und Markus Gabriel und die Philosophie sind letztlich ja auch nicht "die Welt", sondern nur Ausschnitte. Und wenn man sich die Welt als Sack Scheiße vorstellen kann, dann ist die Welt als Sack Scheiße auch irgendwo eine Erscheinung im Bereich aller Bereiche und Tatsachen.
Dass es die Welt nicht gibt, kann man nach der Lektüre nachvollziehen. Sein Denkansatz ist als ein Beitrag gegen den Ideologismus zu werten, ohne gleich die typischen historischen Beispiele aufzufahren. Er richtet sich gegen die Ideologien unserer Tage und erweitert den menschlichen Kosmos auch um Dinge, die es materiell nicht gibt. Wobei Erdachtes ja auch immer aus der Materie des Gehirns entfleucht. Im Bereich aller Bereiche gibt es eben auch rosa Giraffen hinterm Mond, Hamlet oder göttliche Kreaturen, schlicht weil sie sich der Mensch denken kann. Solche Gebilde kann man zwar geisteswissenschaftlich beackern, gelten aber dennoch im physikalischen Weltbild als nichtig. Das kommt davon, wenn man Physik und "die Welt" gleichsetzt. Aber "die Welt", wenn es sie gäbe, ist ja auch Religion und Liebesroman und Spinnerei, auch sie kommen im Bereich aller Bereiche vor.
Ich schrieb mal irgendwo, dass ich persönlich nicht an Gott glaube, seine Existenz für mich verleugne, dennoch aber davon überzeugt bin, dass es ihn gibt. Das ist nicht paradox, sondern nur die Erkenntnis, dass auch "Gott in der Welt ist", weil er sich dort gedacht wird. In meinem Inneren herrscht doch ständig ein Kampf zwischen klaren und weniger klaren Tatsachen. Ich spüre den Zahnschmerz sehr real und stelle mir auf dem Stuhl beim Zahnarzt eine hübsche Insel vor, um mich abzulenken. Das ist alles nur in meinem Kopf, heißt es bei Andreas Bourani. Aber mein Kopf ist im Bereich aller Bereiche zu finden, also ist auch der immaterielle Inhalt dort. Kurzum, Gabriels Denkansatz ist ein Plädoyer für Toleranz.
Dass Markus Gabriel kein vertrockneter Philosoph ist, tut der Sache gut. Er schreibt über das Sinnfeld der Philosophie hinaus und ermöglicht so auch Laien, seine Gedankengänge zu verstehen.
Warum es die Welt nicht gibt von Markus Gabriel ist im Ullstein Verlag erschienen.

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