Diesen Bericht über meine Radtour mit dem Rennrad, hinauf zum Monte Grappa hatte ich schon länger im im Kopf. Von diesem Berg, gelegen in den südlichen Ausläufern der Dolomiten, hatte ich zum ersten Mal auf dem Blog von Torsten Frank gehört. Dort hatte er ein wahnsinnig mystisches und spirituelles Foto veröffentlicht, das ihn oben bei der Ankunft am Checkpoint des Transcontinental Race an der kleinen Kapelle zeigt. Für mich eines der großartigsten Fotos, die ich zum Thema Radfahren und Bikepacking jemals gesehen habe! Ich konnte Torsten nach dem Race interviewen und durfte das Foto dazu verwenden. Schaut es euch an, dann wisst ihr, was ich meine! Seitdem schwirrte der Gedanke, dort auch einmal hochzukurbeln, immer mal wieder verschwommen durch meinen Kopf. Letztes Jahr im Herbst war es so weit und mir bot sich die Gelegenheit. Das konnte ich mir unmöglich entgehen lassen. Auf dem Weg in die Emilia Romagna machte ich daher in der Nähe der Stadt Bassano del Grappa einen Zwischenstopp. Ich wollte unbedingt diesen geschichtsträchtigen Berg hinauf.
Im Ersten Weltkrieg spielten sich hier grausame Szenen ab. Hier bekämpften sich auf einer Verteidigungslinie italienische und österreich-ungarische Soldaten. In den 1930er Jahren errichteten die Faschisten dann eine Gedenkstätte für die Gefallenen. Und auch ein „Knochenhaus" und eine Kapelle („Sacrario Militare di Cima Grappa") wurden gebaut, in denen die Gebeine der Gefallenen ruhen. In den drei sogenannten Piaveschlachten (der Monte Grappa liegt zwischen den Flüssen Piave und Brenta) ließen hier 22000 Menschen ihr Leben! Auf dem 1175 Meter hohen Berg sind heute noch aus dieser schrecklichen Zeit Spuren u.a. in Form von Schützengräben zu erkennen. Was müssen die Menschen hier an unvorstellbaren Grausamkeiten erlitten haben.
Steigungen, wie gemacht für's Rennrad
Um so mehr hatte ich auch Respekt vor diesem Berg, der da so friedlich im Nebeldunst vor mir lag, als ich von Romano D'Ezzelino aufbrach. Von hier starten die meisten Rennrad-Fahrer auf den Monte Grappa. Es gibt allerdings noch andere Wege, die hinauf zum Gipfel führen. Vor mir warteten nun an die 25 Kilometer bergauf mit vielen Serpentinen und fiesen Rampen, die einem alles abverlangen können. Genau wie den Radrenn-Profis beim Giro d'Italia, die hier auch schon ihre Waden abgearbeitet haben. Eine mittlere (!) Steigung von ungefähr 6 % kann man da durchaus anspruchsvoll nennen. Für mich gab es da nur eine Wahl: aufwärts! Ich wollte es wissen. Die ersten wenigen Kilometer bis zum Fuße des Berges waren leicht wellig, genau richtig um die Muskulatur in Schwung zu bringen.
Der Berg lag im Dunst vor mir, ich konnte nicht viel erkennen. Doch trotz des Nebels und der daraus resultierenden schlechten Sicht waren einige Paraglider in der Luft, die sich mutig von verschiedenen Punkten oberhalb des Berges in die Hände des Windes aufschwangen. Bei dem Licht ein surreales Bild. In den ersten, noch moderaten Kurven hinauf, surrte es öfters über mir, als die Piloten dicht am Berg über meinen Kopf hinweg schwebten. Dann wurde mir bewusst, dass es jetzt auch für mich ernst wurde. Die Anstrengung nahm zu. Hier unten war noch ein ordentlicher Baumbestand. Vom Gefühl gewann ich zuerst ganz gut an Höhe. Ich ließ es auch nicht all zu schnell angehen. Andere würden wahrscheinlich sagen, ich krebste den Berg hinauf. Auch weil ich, nicht nur um zu verschnaufen, gerne mal in den Kurven am Rande der Straße stehen blieb, um ins Tal zu schauen.
Im Nebel des Monte Grappa
So weit das denn überhaupt möglich war wegen des Dunstes. Außerdem war ich schließlich nicht beim Rennen. Ein gewisser Grad an Genuss war für mich schon ein wichtiger Aspekt dieser Runde. Ich merkte schnell, das der Monte Grappa durchaus anspruchsvoller für mich sein konnte, als gedacht. Je höher ich kam, desto frischer wurde es. Nebelbänke zogen auf, waberten über die Hänge und die Straße. Die Sicht wurde schlechter. Verkehr herrschte im Grunde hier nicht. Zum Glück, denn die Sicht war teilweise auf nur wenige Meter beschränkt. Ein entgegenkommendes Auto, das zu weit mittig auf der teils schmalen Straße fahren würde, wäre eine ernsthafte Gefahr! Etwas unwohl fühlte ich mich schon.
Trotzdem waren das faszinierende und verlockende Momente. Alles fühlte sich so weit weg an. Plötzlich war ich wie in einer kleinen Blase gefangen und konnte nicht viel um mich herum wahrnehmen. Das einzige, was ich hörte, war mein Puls und mein Atem, während ich mich, Pedalumdrehung für Pedalumdrehung, die Straße hochwand. So einfach es am Anfang noch gewesen war, jetzt war ich dankbar für jedes kleine Stück Asphalt, welches ein paar Meter gerade führte. Es gab nicht viele davon. Bei Campo Croce mussten ein paar Behausungen sein, viel konnte ich allerdings nicht erkennen. Fiese Rampen stellten sich mir auch weiterhin in den Weg. Manchmal im zweistelligen Prozent-Bereich. Ich war es bis dato nicht gewohnt, solche Berge zu fahren. Doch je höher ich kam, aus eigener Kraft, ohne abzusteigen und unter dem Leiden und dem Schmerz der brennenden Beine, desto eher verstand ich doch die Faszination, die solche Bergfahrten ausmachen. Das hätte ich so nie erwartet. Nun, jetzt lag es ganz deutlich vor mir.
Ich habe schon oft gelesen, das dieses Bergauffahren für viele Rennradfahrer überhaupt der Grund ist, das sie Rennrad fahren. Doch ich denke, man muss selbst erst einmal die Erfahrung machen und diesen besonderen Moment erleben, wenn es KLICK macht. Nicht jeder wird diesen Moment fühlen können und daher unter Umständen dieses Bergauffahren nur als notwendiges Übel erachten. Auch ich werde niemals ein toller Bergfahrer werden. Auf dieses Level komme ich nicht. Doch ich glaube, ich habe in diesem Moment verstanden, warum dies so eine Faszination auf Rennradfahrer ausüben kann. Mit jedem Meter, den ich mich weiter aus eigener Kraft den Monte Grappa hinauf kämpfte, war das quasi besser begreifbar. Jeder Kurve, die ich schaffte, folgte ein kleiner Endorphin-Schub. Und mit jeder weiteren Kurve hinauf wurde auch das Licht anders.
Der Wille
Vorbei an friedlich grasenden Kühen, die halb im Nebel verschwanden, wurde es langsam über mir von dunkelgrau zu hellgrau. Der Wille, diesen Berg zu bezwingen, war sogar noch stärker ausgeprägt als zu Beginn der Tour. Mein Puls wurde sogar langsamer, mein ganzer Körper entspannte sich geradezu. Klar, war das anstrengend. Ich war es nicht gewohnt so eine lange Strecke permanent hochzukurbeln. Doch ich war rundherum glücklich. Diesen Moment habe ich in meinem Kopf festgehalten. Und dann kam der Augenblick, wo ich plötzlich die Wolkendecke durchbrach. Für mich eine der schönsten Momente meines gesamten Radfahrer-Daseins. Ich kann diesen nur schwer beschreiben, aber ich erinnere mich, dass ich die Faust geballt habe und wohl auch etwas vor Freude geschrien habe. Ich hatte eine Art Prickeln im Kopf, ich war total begeistert. Über meine Leistung, über diesen berauschenden Augenblick, über die sich vor mir auf tuende spektakuläre Landschaft. Einige werden vielleicht denken, das ich nicht alle Tassen im Schrank habe. Für den ein oder anderen wird das gewiss ein Stück Normalität sein, wenn er in solchen Regionen lebt. Aber für mich, als Flachländer, war das ein unglaublich herrliches Gefühl, obwohl ich den Monte Grappa immer noch nicht bezwungen hatte. Noch musste ich weiter hinauf kurbeln! Doch die Beine traten nun wieder leichtfüßiger in die Pedale.
Ehrfurchtsvoll
Ich genoss nun jeden Augenblick, jede Kurve und jede Aussicht. Den Blick in jede Himmelsrichtung. Bis ich oben am Refugio Bassano angekommen war. Doch das Wirtshaus ließ ich zunächst links liegen und begab mich schiebend ein Stück weiter hoch zum Ossarium und in Richtung der Kapelle. Hier gebot sich Anstand nicht zu fahren! Das wäre pietätlos gewesen. Die Stille oben am Monument war atemberaubend. Alles wirkte nicht ganz real. Das Mahnmal wie aus einem Film, oberhalb der Wolken, der stahlblaue Himmel - die Eindrücke waren immens. So ein friedlicher Ort! Jetzt fiel es mir noch viel schwerer zu glauben, das Menschen sich hier bekämpfen konnten. Leider ist es aber geschehen. So verharrte ich einen Augenblick lang still, in Gedanken versunken, bevor ich mein Rennrad wieder hinunter zum Refugio Bassano schob.
Hier wollte ich mich erst einmal stärken. In dem Wirtshaus war nicht viel los. Ich war der einzige Gast, der draußen in der Sonne saß. Bei Kuchen und einem leckeren Weizenbier ließ sich der Aufstieg noch einmal prima Revue passieren. Ich war stolz auf meine Leistung. Vor allem, das ich nicht abgestiegen bin und geschoben habe! Gründe hätte ich dafür unterwegs genug gefunden. Nein, ich war komplett im Reinen mit mir. Es war schön zu fühlen, wie mein Körper diese Belastung verpackt hatte. Ich gebe zu, ich hatte ein wenig gefallen an Bergfahrten gefunden. Und ich denke, zukünftig werde ich mich, wenn ich denn die Gelegenheit dazu habe, mich auch sehr gerne wieder solchen Herausforderungen stellen. Wieso auch nicht?
Die Abfahrt ist im Grund schnell erzählt. Kaum unterhalb der Wolkendecke angekommen, war die Sicht fast bei null und es wurde frisch. Der Weg führte mich am Cima della Mandria und dem Punta Muscè die Via Sant Andrea hinunter. Die Bremsgummis wurden hier ganz schön in den Serpentinen beansprucht. Ich bin da (noch) kein Abfahrtsheld, da ist das schon mal so, aber die Geschwindigkeit gefiel mir trotzdem sehr gut. Obwohl ich den Griff fest umklammerte bis die Knöchel weiß wurden. Aber das kam vielleicht auch von der Kälte her. Schön war das nicht, doch der Spaß war einfach zu groß. Also war es mir egal. Und ehe ich mich versah, war ich Crespano del Grappa gelandet. Mein Ritt auf und vom Berg hinunter war damit zu Ende. So schön die Tour auch gewesen war, den typischen Grappa, der den Namen aus der Region hat, trinke ich auch weiterhin nicht. Das wird dann doch leider einfach nicht mein Geschmack werden. 😉
Hier Und hier lest ihr von meinen anderen Radtouren in Italien, wenn ihr Lust habt! noch ein Link zur historischen Geschichte des Monte Grappa im 1. Weltkrieg