Manchmal erhalte ich Nachrichten, die bei mir aus unerklärlichen Gründen einen Schauer über den Rücken jagen und in der Folge ein stetiges Kribbeln erhalten. Die Meldung, dass der „8 Blickwinkel“-Regisseur Pete Travis eine neue Verfilmung der Comicserie „2000 A.D.“ plant – die hierzulande eher unter dem Namen „Judge Dredd“ bekannt sein dürfte – ließ mich im ersten Moment frohlocken. Karl Urban als knallharter Superpolizist in einer dystopischen Supermetropole in Mitten einer vom Fallout gezeichneten Wüstenlandschaft, konnte nicht grundlegend verkehrt sein. Vor allem in Hinblick auf den ersten Leinwandausflug des Judges – 1995 fatal missgedeutet von B-Movie-Veteran Danny Cannon – gab es große Erwartungen. Weg vom knallbunten Platiklook! Hin zu düsterer und kompromissloser Gewalt!
Die Erde ist ganz schön fertig. Verschiedene Katastrophen, auf die nicht weiter eingegangen wird, haben den größten Teil des Planeten unbewohnbar gemacht. Die kläglichen Reste der Menschheit haben sich in sogenannten Mega-Cities zusammengerottet. Auf relativ engem Raum leben hier mehrere hundert Millionen Menschen. Die neue Gesellschaftsform feierte ihre Taufe mit einem radikalen Ansteigen der Verbrechensrate. So wurde die Einheit der Judges ins Leben gerufen. Das sind Polizisten mit einer speziellen Ausbildung und einer superspeziellen Ausrüstung. Obendrein sind sie ermächtigt, Vergehen festzustellen, den Schuldigen ausfindig zu machen, das Urteil und das Strafmaß direkt vor Ort festzulegen und das Urteil sozusagen instant zu vollstrecken. Judge Dredd ist der beste und auch berüchtigste Vertreter dieser Sondereinheit. Sein Wort ist Gesetz und wer sich mit ihm anlegt, hat prinzipiell schon verloren. Innerhalb der Mega-City gibt es Mega-Blocks. Riesige Wolkenkratz, in denen mehrere hunderttausende Menschen leben. In einem dieser Mega-Blocks wird ein Dreifachmord gemeldet. Dredd übernimmt den Fall. An sich kein Problem für ihn, aber ausgerechnet heute bekommt er noch die junge Anwärterin Anderson vor gesetzt. Dredd muss sie prüfen um fest zu stellen, ob sie für den Dienst als Judge geeignet ist. Dann kommen noch mehr Schwierigkeiten auf die beiden zu. Die Spur führt zu Mama, einer Drogenkönigin, die den gesamten Block unter Kontrolle hat. Sie will nicht zulassen, dass die beiden Gesetzeshüter den Block lebend verlassen.
Der Film baut in den ersten Minuten mit waghalsiger Geschwindigkeit ein absolut faszinierendes Setting auf. Mega-City-One sieht absolut super aus. Die schiere Weite dieses Molochs nimmt einem den Atem. Im Gegensatz zur Verfilmung aus den 90ern bleibt hier alles in einem halbwegs realistischen Rahmen. Hier gibt es keine funkelnden Wolkenkratzer und keine fliegenden Autos. Der ganze Look ist dreckig und verbraucht. Außerdem zeigt der Film, dass Mega-City-One in einem Wüstengebiet liegt. Konsequenterweise scheint die Sonne also sehr intensiv und alles wirkt überbelichtet. Kaum, dass man sich an den Look gewöhnt hat, verlagert der Film die Handlung ins innere des Super-Wolkenkratzers. Ein mutiger Schritt, der aber seine Wirkung nicht verfehlt. Der Kontrast zwischen der unfassbaren Weite der Stadt zur klaustrophobischen Enge der Treppenschächte und Korridore schraubt die Spannungskurve enorm nach oben. Die Story nimmt entsprechend schlichte Züge an. Die Judges wollen Mama erwischen. Mama will die Judges erwischen. Ganz banal!
Ohne völlig verquere Story-Kapriolen – auf die die Verfilmung mit Stallone so gar nicht verzichten wollte – kann man sich voll und ganz dem Bilderrausch hingeben. Und der ist wirklich spektakulär.
„Dredd“ nutzt einen Effekt, der gleichermaßen simpel, wie auch wirkungsvoll funktioniert. Mit Highspeed-Kameras werden Zeitlupeneffekte erzielt, die regelmäßig das Tempo aus den Actionszenen nehmen, ohne aber die Dynamik dieser Sequenzen zu zerstören. Konsequenterweise fällt auch die Gewaltdarstellung in diesen Szenen entsprechend detailliert aus. Von schmelzenden und platzenden Köpfen über abgetrennte Körperteile sieht man alles, was die Palette so her gibt.
Am schönsten ist, dass dieser Slo-Mo-Effekt sogar noch sinnvoll in die Geschichte eingebettet ist. Zentrales Element ist nämlich eine Droge, die die Wahrnehmung des Konsumenten extrem erhöht und dafür sorgt, dass dieser alles super langsam erlebt. Passenderweise heißt diese Droge „SloMo“.
Das große Manko von „Dredd“ kann man dem Film selbst nicht einmal vorwerfen. Erst vor kurzem gab es einen indonesischen Film, der einige frappierende Ähnlichkeiten zu „Dredd“ aufwies. In „The Raid“ wird eine ähnliche Story erzählt, ein ähnlicher Stil gefahren und auf ähnliche Weise ein überbordendes Actionfeuerwerk vom Stapel gelassen. „Dredd“ musste sich also zwangsläufig die nicht unberechtigten Vergleiche mit „The Raid“ gefallen lassen.
Mir persönlich kommt „Dredd“ aber wesentlich runder vor. Das Gesamtbild ist stimmiger und handwerklich ist der düstere Richter mit enormen Gewaltbewältigungsproblemen wesentlich überzeugender dargestellt. Zum Abschluss sei noch der indie-angehauchte, enorm eingängige und frenetische Soundtrack von Paul Leonard-Morgan erwähnt, der dem ganzen Bild noch den letzten Schliff verpasst.
„Dredd“ war irgendwie gut. Anders, als erwartet, aber auch besser, als befürchtet. Mittlerweile habe ich den Film drei mal gesehen und von mal zu mal gefällt mir das Teil besser. Wenn man sich nach Genuss übrigens dann doch mal die Version von 1995 ansieht, ist ein Kulturschock garantiert. Dadurch bekommt dieser – durchaus ernst gemeinte – Actionklassiker eine enorm unterhaltsame Note. Erstaunlich, wie sehr sich unser Bild von der Zukunft in so wenigen Jahren so sehr verändern konnte.
Dredd (USA, 2012): R.: Pete Travis; D.: Karl Urban, Olivia Thrilby, Lena Headey, u.a.; M.: Paul Leonard-Morgan; offizielle Homepage
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