Die Vermessung des Glücks, um es in eine Landkarte eintragen zu können.
Zweimal Glück im Unglück aus der Extreme des 20. Jahrhunderts. Kleinere "Glücksstudien" innerhalb der Literatur gab es freilich auch: Das Verbrecherglück, das Mario Puzo episch beschrieb; das Glück der Bonvivants bei Capote; Bukowkis Säuferglück - oder das von Thomas Mann beschriebene Glück im bürgerlichen Niedergang. Und natürlich auch das anspruchsvollere Gedankengebäude über das Glück im Fatalismus, das Camus beschrieb.
In einem Satz: Glück ist subjektiv. Es gibt nicht das Glück. Deshalb gab es in Diktaturen wie im anarchistischen Barcelona gleichermaßen Menschen, die behaupteten, sie seien glücklich. In noch keiner Gesellschaft gab es ein geschlossenes Kollektiv von völlig Unglücklichen. In Fritz Langs Metropolis gab es Massen griesgrämig dreinblickender Gestalten. In Realität ist eine solche Konzentration von Glücksbereinigung gar nicht denkbar. Dazu ist der Mensch gar nicht begabt. Er sucht sein subjektives Glück auch im objektiven Unglück.
Drogensüchtige kennen Glücksmomente. Andere finden ihr Glück bei Shoppen. Oder auf der Couch. Oder beim Bungee Jumping. Fragte man all diese Leute im richtigen Augenblick, so sagten sie: Ja, ich bin wirklich glücklich. Kurz nach oder vor dem Schuss, dem Kauf, dem Gammeln oder Sprung heißt es dann eher: Ach, was ist schon Glück? Aber ich bin zufrieden. Kann nicht klagen.
Wenn mir der Zahnarzt meine Schmerzen der letzten drei Tage und Nächte (besonders die Nächte sind höllisch!) nimmt, dann sage ich unmittelbar danach (währenddessen geht es ja nicht, weil der Mund offen steht): Mensch, ich kann mich glücklich schätzen, in einer Gesellschaft zu leben, in der es ein Gesundheitswesen gibt. Am nächsten Tag, mit etwas Abstand und zweimal Zähneputzen mehr auf dem Buckel, sage ich dann: Sicher, es ist nicht alles schlecht, aber die Entwicklung, die das Gesundheitswesen nimmt, die macht mich schon unglücklich.
Dieser Glücksatlas, der alle Jahre wieder durch die Presse irrt, ist ein Musterbeispiel an heißer Luft. Was ist denn Glück? Philosophen zerbrachen sich den Kopf darüber und kamen nie zu einem befriedigendem Ergebnis. Lange Spaziergänge waren Kants alltägliches Glück. Den an Bronchialbeschwerden leidenden Jaspers machten sie unglücklich. Heidegger fühlte sich phasenweise glücklich, in einer Zeit zu leben, in der eine große Bewegung die deutsche Revolution ausrief. Der unglückliche Tucholsky floh deshalb. Glück ist alles und nichts. Und selbst im größten Unglück, so lehren uns nicht nur Solschenizyn und Semprún, sondern beinahe alle große Literatur des letzten Jahrhunderts, finden sich Augenblicke des Glücks. Meist Banalitäten, das kleine Glück im großen Morast. Aber auch das ist eine strittige Frage: Ist das kleine Glück reell oder nur das große Glück? Gibt es letzteres überhaupt? Ist es nicht eine Summe kleinerer Glückspositionen?
Wie will man also Glück vermessen? Auf welche Zahlen kann man bauen? Der Gini-Koeffizient, der die Ungleichverteilung innerhalb von Gesellschaften beurteilt, kann sich wenigstens auf Auswertungen berufen, auf Ziffern und Berechnungen, nimmt offizielle Zahlen aus Ministerien unter die Lupe. Und der Glücksatlas? Er baut auf subjektives Empfinden? Auf die Gefühlslage von Menschen, für die Glück die eigene Couch sein kann oder aber ein Flug zum Mars. Für die Glück zwischen Hurra, ich habe endlich einen Minijob! oder Endlich geschafft: Entgeltgruppe 15! liegt.
Glück ist insofern die heiße Luft eigener Empfindungen. Flüchtig wie Liebe, die ja auch nur schwer als Gradmesser heranzuziehen ist. Was soll denn wahre Liebe sein? Die Liebe gibt es nicht, es gibt nur so viele Lieben, wie es Menschen gibt. Man kann Glück nicht ausmessen und als Zahl kenntlich machen. Das ist, nach einem berühmten Ausspruch Carnaps, fast so, als würde man den Bock melken und dabei ein Sieb drunterhalten. Glück ist kein Landstrich, den man einfach in eine Landkarte skizzieren kann. Es ist subjektiv, verschiedenartig, unsichtbar, paradox und manchmal auch skurril. Man denke an das Glück des Masochisten. Und das schimmelbefallene Schlafzimmer, das einen am Morgen unglücklich macht, kann ein Hort des Glücks sein, so kurz nach dem Geschlechtsakt.
Wie es keine Indizes gibt, an die man Glück nageln kann, so gibt es auch kein Patentrezept, wann Glück zum Glück wird und wann nicht. Wie glauben die Atlantenproduzenten denn das Glück der Menschen festhalten zu können? Und wann haben sie die Leute gefragt? Nach einem Streit mit ihrem Boss oder nach dem Sex? Das zeitigt durchaus Unterschiede. Fragten sie am Monatsanfang oder am Monatsende? Reiche oder Arme? Dicke oder Dünne? Für jemanden, dessen Glück und Zufriedenheit es ist, am Nachmittag das Programm von RTL ohne Störung konsumieren zu können, ist auch das deutsche Sozialwesen eher noch eine glückliche Fügung. Man kann das Glück nicht fassen, es geht immer durch das Sieb hindurch, das man drunterhält.
Was soll der Glücksquotient denn ausdrücken? Macht es das System besser, wenn es im Zustand allgemeinen Glücks an die Wand fährt? Werden gekürzte Sozialausgaben legitimer, wenn sie mit Glück im Rücken geschehen? Es ist schon ein lustiges Stück Postdemokratie, das wir jährlich neu erleben, wenn dieser Atlas das Licht der Öffentlichkeit erblickt. Fragte man einen Herausgeber des Glücksatlas nachdem sein Produkt bei Bildzeitung und Focus thematisiert wurde, ob er denn glücklich mit den Chancen sei, die diese Gesellschaft ihm biete, dann würde er sich viel positiver äußern, als nach einer generellen Nichtbeachtung seines Presseerzeugnisses. Insofern ist dieser Glücksatlas keine Dokumentation über den Aggregatszustand des Glücks, sondern selbst nur Glücksbringer oder -nehmer, also auch nur heiße Luft.
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"Wir müssen uns Sisyphos als
einen glücklichen Menschen
vorstellen."
Zweimal Glück im Unglück aus der Extreme des 20. Jahrhunderts. Kleinere "Glücksstudien" innerhalb der Literatur gab es freilich auch: Das Verbrecherglück, das Mario Puzo episch beschrieb; das Glück der Bonvivants bei Capote; Bukowkis Säuferglück - oder das von Thomas Mann beschriebene Glück im bürgerlichen Niedergang. Und natürlich auch das anspruchsvollere Gedankengebäude über das Glück im Fatalismus, das Camus beschrieb.
In einem Satz: Glück ist subjektiv. Es gibt nicht das Glück. Deshalb gab es in Diktaturen wie im anarchistischen Barcelona gleichermaßen Menschen, die behaupteten, sie seien glücklich. In noch keiner Gesellschaft gab es ein geschlossenes Kollektiv von völlig Unglücklichen. In Fritz Langs Metropolis gab es Massen griesgrämig dreinblickender Gestalten. In Realität ist eine solche Konzentration von Glücksbereinigung gar nicht denkbar. Dazu ist der Mensch gar nicht begabt. Er sucht sein subjektives Glück auch im objektiven Unglück.
Drogensüchtige kennen Glücksmomente. Andere finden ihr Glück bei Shoppen. Oder auf der Couch. Oder beim Bungee Jumping. Fragte man all diese Leute im richtigen Augenblick, so sagten sie: Ja, ich bin wirklich glücklich. Kurz nach oder vor dem Schuss, dem Kauf, dem Gammeln oder Sprung heißt es dann eher: Ach, was ist schon Glück? Aber ich bin zufrieden. Kann nicht klagen.
Wenn mir der Zahnarzt meine Schmerzen der letzten drei Tage und Nächte (besonders die Nächte sind höllisch!) nimmt, dann sage ich unmittelbar danach (währenddessen geht es ja nicht, weil der Mund offen steht): Mensch, ich kann mich glücklich schätzen, in einer Gesellschaft zu leben, in der es ein Gesundheitswesen gibt. Am nächsten Tag, mit etwas Abstand und zweimal Zähneputzen mehr auf dem Buckel, sage ich dann: Sicher, es ist nicht alles schlecht, aber die Entwicklung, die das Gesundheitswesen nimmt, die macht mich schon unglücklich.
Dieser Glücksatlas, der alle Jahre wieder durch die Presse irrt, ist ein Musterbeispiel an heißer Luft. Was ist denn Glück? Philosophen zerbrachen sich den Kopf darüber und kamen nie zu einem befriedigendem Ergebnis. Lange Spaziergänge waren Kants alltägliches Glück. Den an Bronchialbeschwerden leidenden Jaspers machten sie unglücklich. Heidegger fühlte sich phasenweise glücklich, in einer Zeit zu leben, in der eine große Bewegung die deutsche Revolution ausrief. Der unglückliche Tucholsky floh deshalb. Glück ist alles und nichts. Und selbst im größten Unglück, so lehren uns nicht nur Solschenizyn und Semprún, sondern beinahe alle große Literatur des letzten Jahrhunderts, finden sich Augenblicke des Glücks. Meist Banalitäten, das kleine Glück im großen Morast. Aber auch das ist eine strittige Frage: Ist das kleine Glück reell oder nur das große Glück? Gibt es letzteres überhaupt? Ist es nicht eine Summe kleinerer Glückspositionen?
Wie will man also Glück vermessen? Auf welche Zahlen kann man bauen? Der Gini-Koeffizient, der die Ungleichverteilung innerhalb von Gesellschaften beurteilt, kann sich wenigstens auf Auswertungen berufen, auf Ziffern und Berechnungen, nimmt offizielle Zahlen aus Ministerien unter die Lupe. Und der Glücksatlas? Er baut auf subjektives Empfinden? Auf die Gefühlslage von Menschen, für die Glück die eigene Couch sein kann oder aber ein Flug zum Mars. Für die Glück zwischen Hurra, ich habe endlich einen Minijob! oder Endlich geschafft: Entgeltgruppe 15! liegt.
Glück ist insofern die heiße Luft eigener Empfindungen. Flüchtig wie Liebe, die ja auch nur schwer als Gradmesser heranzuziehen ist. Was soll denn wahre Liebe sein? Die Liebe gibt es nicht, es gibt nur so viele Lieben, wie es Menschen gibt. Man kann Glück nicht ausmessen und als Zahl kenntlich machen. Das ist, nach einem berühmten Ausspruch Carnaps, fast so, als würde man den Bock melken und dabei ein Sieb drunterhalten. Glück ist kein Landstrich, den man einfach in eine Landkarte skizzieren kann. Es ist subjektiv, verschiedenartig, unsichtbar, paradox und manchmal auch skurril. Man denke an das Glück des Masochisten. Und das schimmelbefallene Schlafzimmer, das einen am Morgen unglücklich macht, kann ein Hort des Glücks sein, so kurz nach dem Geschlechtsakt.
Wie es keine Indizes gibt, an die man Glück nageln kann, so gibt es auch kein Patentrezept, wann Glück zum Glück wird und wann nicht. Wie glauben die Atlantenproduzenten denn das Glück der Menschen festhalten zu können? Und wann haben sie die Leute gefragt? Nach einem Streit mit ihrem Boss oder nach dem Sex? Das zeitigt durchaus Unterschiede. Fragten sie am Monatsanfang oder am Monatsende? Reiche oder Arme? Dicke oder Dünne? Für jemanden, dessen Glück und Zufriedenheit es ist, am Nachmittag das Programm von RTL ohne Störung konsumieren zu können, ist auch das deutsche Sozialwesen eher noch eine glückliche Fügung. Man kann das Glück nicht fassen, es geht immer durch das Sieb hindurch, das man drunterhält.
Was soll der Glücksquotient denn ausdrücken? Macht es das System besser, wenn es im Zustand allgemeinen Glücks an die Wand fährt? Werden gekürzte Sozialausgaben legitimer, wenn sie mit Glück im Rücken geschehen? Es ist schon ein lustiges Stück Postdemokratie, das wir jährlich neu erleben, wenn dieser Atlas das Licht der Öffentlichkeit erblickt. Fragte man einen Herausgeber des Glücksatlas nachdem sein Produkt bei Bildzeitung und Focus thematisiert wurde, ob er denn glücklich mit den Chancen sei, die diese Gesellschaft ihm biete, dann würde er sich viel positiver äußern, als nach einer generellen Nichtbeachtung seines Presseerzeugnisses. Insofern ist dieser Glücksatlas keine Dokumentation über den Aggregatszustand des Glücks, sondern selbst nur Glücksbringer oder -nehmer, also auch nur heiße Luft.
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