Demokratische Freiheitsbomber über Libyen

Jetzt tun sie es also doch. Bisher war Muammar al Gadaffi durchaus der nützliche Idiot, dem man, trotz all dem kruden Zeugs, das in seinem Grünen Buch steht, recht günstig Öl abkaufen konnte. Und der unter anderem dafür gesorgt hat, dass die sich Flüchtlingsströme aus Nordafrika nicht ungehemmt übers Mittelmehr nach Europa ergießen – wie das jetzt über Tunesien der Fall ist. Da haben die Tunesier ihren Ben Ali zum Teufel geschickt und wissen mit ihrer neuen Freiheit nichts besseres anzufangen, als sich in einen Kahn nach Lampedusa zu setzen. Vielleicht haben sie aber auch nur gemerkt, dass Freiheit allein nicht satt macht. Demokratie macht übrigens auch nicht satt.

Aber zurück zu Gadaffi. Jetzt hat ers mit seinem Größenwahn ein bisschen zu weit getrieben und hat den Schwanz nicht eingekniffen wie die abgehalfterten Diktatoren in seinen Nachbarländern. Nein, der schießt zurück, und zwar scharf, und das Militär hält noch immer zum alten Revolutionsführer, statt sich auf die Seite der neuen Revolutionäre zu schlagen. Vielleicht liegt das auch daran, dass es für Libyen keine großzügigen Militärbeihilfen aus dem Westen gibt.

Und blöderweise muss sich der PGV (Président Grande Vitesse, in Anlehnung an die Abkürzung von TVG, Train Grande Vitesse, wie der französische ICE abgekürzt wird, alias Sarkotzi) in Frankreich gerade beweisen, dass er eigentlich ein toller Hecht ist – und was eignet dazu sich besser als ein kleiner Krieg, den man dank gnadenloser militärischer Überlegenheit mal eben gewinnen kann. Und nebenbei die Werte der französischen Revolution ein bisschen aufpolieren, das kommt auch immer gut im Land von Liberté, Egalité et Fraternité. Vielleicht hat der PGV die Szene aus Casablanca vor Augen, als Major Strasser in Ricks Café die Wacht am Rhein befielt und der couragierte Widerstandskämpfer Victor Lazlo die Kapelle die Marseillaise spielen lässt. Und die ganzen Leute im Café natürlich alle die Marseillaise mitsingen. Da sehen die blöden Nazis aber alt aus!

Nein, ich denke jetzt mal nicht an die Amis – die haben sich den nützlichen Idioten Saddam Hussein im Irak auch erst aufgebaut und gegen die Mullahs im Iran in Stellung gebracht, bevor sie ihn dann in Grund und Boden bombardiert haben. Ohne, dass es den Leuten im Irak jetzt signifikant besser ginge als unter Saddam Hussein. Oder den Leuten in Somalia. Da sind die USA ja auch mit Aplomb eingeritten, um sich unverrichteter Dinge wieder zurück zu ziehen, weil es halt doch nicht so einfach ist, mal eben einen Krieg zu gewinnen, in dem die Fronten gar nicht klar sind. Oder Afghanistan. Jetzt rächt es sich, dass die USA die Taliban erst mit Milliardenhilfen aufgepäppelt haben, nur um die Russen, damals noch Sowjets, zu ärgern.

Nationale Interessen und die Internationale Gemeinschaft

Nur die Großbritannier haben mal eben einen Krieg gewonnen, damals, den Falkland-Krieg von 1982. Ich gehe davon aus, dass sich der PGV das ungefähr so vorstellt. Aber die Lage in Libyen ist eine andere. Ich persönlich glaube durchaus, dass Gadaffi einen an der Waffel hat. Ich halte auch Saddam Hussein oder die Taliban nicht für nette Kerle, mit denen man gern mal einen Tee trinken möchte. Nein, keineswegs. Aber ich denke auch nicht, dass „der Westen“ oder die „Internationale Gemeinschaft“, wie es immer so konsensheischend wie beschönigend heißt, von lauteren Zielen getrieben sind, wenn sie wieder ein Land in Klump schießen wollen. Denn auf nichts anderes läuft es heraus, wenn „der Westen“ mit seinem Militärapparat irgendwo aufkreuzt, um Demokratie, Freiheit, Menschenrechte, oder was denen auch sonst an kriegserklärenden Floskeln einfällt, zu verteidigen.

Es handelt sich immer um eine extrem offensive Verteidigung, die damit endet, dass jede Menge zivile Opfer zu beklagen sind (die man eigentlich zu verhindern vor gibt) und das jede Menge Infrastruktur zerstört ist, was den Unternehmen der siegreicheren Mächte in der Regel auch fette Wiederaufbau-Aufträge sichert. Wobei ich nicht behaupten würde, dass deshalb Krieg geführt werde. Nein, die wirtschaftlichen Interessen sind anderer Natur, meistens geht es um Rohstoffe, im Fall von Libyen vor allem um Öl. Und es geht um Ordnung, eine ordentliche Regierung soll es in Libyen dann auch irgendwann geben. Wie auch in Tunesien und in Ägypten. Am besten eine irgendwie demokratische, aber das muss nicht sein – in Saudi-Arabien oder Bahrein ist ja bisher auch keine Demokratie ausgebrochen, obwohl die Internationale Gemeinschaft diese Staaten sehr wohl als ordentlich regierte anerkennt, Menschenrechte hin oder her. Bis auf weiteres jedenfalls.

Gadaffi war schon immer ein Sonderfall, deshalb tritt der jetzt auch nicht einfach wie ein Ben Ali oder ein Mubarak ab. Aber zum Geschäftemachen hat er bisher getaugt, genau wie unsere anderen Diktatoren. Deshalb hat es auch so lange gedauert, bis die „Internationale Gemeinschaft“ sich durchringen konnte, den bisher doch ganz brauchbaren Gadaffi jetzt zu bombardieren. Und den Deutschen fällt das noch immer schwer – 30 Prozent des „deutschen“ Öls kommen aus Libyen. So eine Rohstoffquelle will man sich ja auch nicht verderben.

Gadaffi muss weg – aber was kommt danach?

Aber jetzt isses halt soweit – sogar vielen arabischen Ländern wurde Gadaffi jetzt zu peinlich. Deshalb haben die ja auch ein Eingreifen gefordert – auch wenn es denen jetzt schon wieder zu viel wird, weil bei den Angriffen nicht nur viel kaputt geht, sondern auch Menschen sterben, die vielleicht nicht mal Gadaffi-Anhänger sind. Aber was haben die denn erwartet? Das die Alliierten mit ihren Flugzeugen Flugblätter abwerfen? Bonbons? Praktische Demokratiepäckchen mit Instantfreiheit zum Selbstanrühren? Da können die bürgerlichen Medien hierzulande gern von Durst nach Freiheit und Hunger nach Demokratie schreiben. Oder ähnlich dämliches Zeug, das ein militärisches Eingreifen von Außen rechtfertigen soll. Unsinn bleibt es allemal.

Hilfe zur Demokratie heißt gerade in diesem Fall ja nicht, dass Rosinenbomber eingesetzt werden, um die Libyer vorm Verhungern zu retten, wie damals die Westberliner mit der Luftbrücke 1948. Mit Verhungerten kann man weder Demokratie noch Geschäfte machen, das ist klar. Auch kenne ich durchaus Leute, die die Amerikaner deshalb noch immer gut finden – weil sie damals von ihnen vor dem Verhungern gerettet wurden. (Aber auch die Russen hatten den Berlinern 1945 Kartoffeln mitgebracht. Das wurde über den kalten Krieg aber vergessen, besonders im Westen) Aber die Libyer hungern nicht, anders wie viele Tunesier und Ägypter. Die haben, durchaus verständlich, einfach die Nase voll von Gadaffi. Zumindest ein paar von ihnen. Aber wäre es jetzt nicht absolut und einzig die Sache der Libyer, dieses Problem zu lösen? Meinetwegen mit diplomatischer Vermittlung anderer Länder, die zwischen den gegnerischen Parteien vermitteln könnten. Aber nicht mit Waffenhilfe.

Und wer sind überhaupt diese Rebellen, die ebenfalls einen an der Waffel haben müssen, denn sonst wären sie ja wohl kaum auf die Idee gekommen, Gadaffi, der nun mal über eine gut ausgerüstete Armee verfügt, ausgerechnet militärisch anzugreifen? Und das, nach dem die ganze Welt über die relativ gewaltfreien Umstürze in Tunesien und vor allem in Ägypten ins Schwärmen geraten ist?! Und was wollen sie? Gadaffi mag zwar einen Knall haben, aber ist er tatsächlich so viel schlimmer als eine freiheitlich demokratische Regierung?!

Vielleicht sollten die Libyer, die Tunesier, die Ägypter einfach mal genauer hinschauen und sich besser überlegen, wofür sie eigentlich auf die Straße gegangen sind und im Fall der Libyer sogar zu den Waffen greifen. Unsere freiheitlich-demokratische Regierung zwingt ihrem Volk gegen seinen Willen nicht nur Auslandseinsätze der Bundeswehr auf, die es natürlich zu bezahlen hat, sondern auch Laufzeitverlängerungen von Atomkraftwerken, die nun offenbar doch so unsicher sind, dass sie ganz schnell still gelegt werden müssen, zumindest, bis die aktuell anstehenden Wahlen vorbei sind. Unsere gute selbstgewählte Regierung macht Milliarden locker, um Zocker zu retten und spart dafür bei ohnehin schon armen Kindern, bei der Bildung, bei allem, was ihren Bürgern viel lieber und teurer wäre, wenn sie denn etwas zu sagen hätten. Und die anderen demokratisch-freiheitlicheren Regierungen sind keineswegs besser. Frankreich, Großbritannien, die USA, sie alle muten ihren Insassen viel zu, um die Interessen bestimmter Minderheiten zu bedienen. Und die weniger freiheitlichen, sondern diktatorisch-kapitalistischen sind auch nicht besser, siehe China, siehe Russland und so weiter.

Die Tunesier, die Ägypter, und vielleicht auch die Libyer, wenn sie dann irgendwann mit dem Bürgerkrieg, der nun kommt, fertig sein sollten, werden fest stellen, dass Freiheit und Demokratie allein niemanden ein besseres Leben bescheren. Und dass die meisten Leute weiterhin nichts zu sagen, sondern zu funktionieren haben. Nur, und das ist ja das Perfide an unserem System, dass uns keiner sagt, wos lang geht, sondern dass wir aufgeklärt und einsichtig den Sachzwängen folgen und uns entsprechend konditionieren, so dass wir immer einsehen, dass es nicht am System liegt, wenn wir zu kurz kommen, sondern an uns selbst. Wir hätten ja die Möglichkeit gehabt – wenn wir nur cleverer, fleißiger, besser, glücklicher gewesen wären. Deshalb funktioniert der freiheitlich-demokratische Kapitalismus so gut. Und zwar nur deshalb. Und überhaupt nicht, weil er tatsächlich gut für die Menschen wäre.



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