Demokratie der Feten und Miniröcke

Von Robertodelapuente @adsinistram
Einer der Unternehmensgrundsätze der Axel Springer AG lautet, die Lebensrechte des israelischen Volkes zu unterstützen. Kein Wunder also, dass die BamS einen Kommentar dazu druckte, der den einschlägigen Titel Tel Aviv ist Berlin trägt. Geschrieben von einem gewissen Martin S. Lambeck, der üblicherweise Essen & Trinken-Kolumnen für seine Zeitung schreibt. Der Text ist mehr als ein Bekenntnis zu Israel; er ist im Grunde ein tiefer Blick in das Welt- und Demokratieverständnis einer AG, die Kriegstreiberei und Augenwischerei betreibt.
Statt Burka-Frauen, so schreibt Lambeck, flanierten selbstbewusste Mädchen in Miniröcken am Strand durch Tel Aviv. Die mag es dort geben. Die Frage ist nur, was der Mann gegenüberstellen will. Denn palästinensische Frauen tragen gemeinehin keine Burka - und sollte er auf den Iran anspielen, so gilt dort dasselbe, nämlich dass Frauen auch dort nicht in Burkas versteckt gehalten werden. Was haben die Taliban, die er vermutlich meint, also mit Tel Aviv am Hut? Wohl nur etwas, wenn man die islamische Welt wie aus einem Guss begreift. Sind doch eh alle gleich, diese Mohammedaner! Hier wird ein Feindbild genährt und es wird suggeriert, dass dieser Feind eine Einheitsfront bildet. Der Mann hat eindeutig zu viel im Clash of Civilisations geschmökert.

Zudem ist es nicht nur so, dass in Tel Aviv miniberockte Frauen zu sehen sind. Manche tragen auch Uniform. Und Maschinengewehr. Auch das ist Tel Aviv. Das sollte man schon auch mal betonen. Und wenn die israelische Hauptstadt wie Berlin ist, muss man sich fragen, wohin Wowereit all die mit Waffen bestückten Uniformistinnen verschwinden läßt, warum er sie aus dem Stadtbild tilgt.
Und "am Wochenende gibt es in Tel Aviv so viele Parties wie in Berlin", weiß er außerdem. Unmittelbar nächster Satz von Lambeck: "Israel ist das einzige Land im Nahen Osten, in dem Demokratie herrscht ..." Weil es viele Feten gibt, herrscht in Israel Demokratie, ist sie eine freiheitliche Gesellschaft? Das läßt wahrlich tief blicken. Wo gefeiert werden kann, da ist Demokratie. Zur Erinnerung: Die Nazis feierten auch und nicht selten Feste; selbst als Berlin Zweifrontstadt war, gab es noch fette Sausen. War das alles Demokratie? Feierte man im Europa des Wiener Kongresses nicht rauschende Feste? Der Kongress tanzt, nannte sich eine Revue später - sich beziehend auf einen Ausspruch des Zeitgenossen Ligne. War das alles demokratisch? Lambeck verbreitet ein Demokratieverständnis, das für Teenager annehmbar sein mag. Gibt der Spaßgesellschaft nun die Spaßdemokratie, die auf Tanzflächen bestritten wird. Demokratie als epikuräischer Veitstanz? Was will er sein? Eine demokratische Dancing Queen? You can dance, you can jive, having the democracy of your life? Feiern Leute, feste feiern - das ist uns Demokratie genug! Mehr ist nicht notwendig. Eine Pulle, Musik, Miniröcke und Tanzfläche. Ach Demokratie, was bist du leicht zu haben.
Auf der Tanzfläche herrscht Krieg, ist ein aktuelles Lied. Lambeck schreibt, man höre in Tel Aviv "die gleiche Musik" - auch dieses Stück? Wenn Tanzfläche israelische Demokratie meint, dann ist der Titel wirklich treffend. Die israelische Gesellschaft wird von Regimekritikern immer wieder als reaktionäre und wenig meinungsfreie Gesellschaft bezeichnet. Die sozialen Diskrepanzen sind Sprengstoff. Versöhnende Projekte zwischen Juden und Palästinensern sieht man nur äußerst ungern. Es ermutigt die Palästinenser nur unnötig, wenn man ihnen Hoffnung macht. Avraham Burg schrieb vor Jahren, dass sich die israelische Gesellschaft von der Staatsdoktrin verabschieden sollte, wonach der Holocaust ein singuläres Ereignis darstellt, das zur nationalen Identitätsstiftung missbraucht wird. Man dürfe das Morden nicht vergessen, sollte bewusst daran zurückdenken, nicht aber in dem Sinne, es als rein an den Juden begangenes Unrecht zu verstehen. Wenn der Holocaust überhaupt eine Bedeutung gehabt haben soll, so Burg, dann als universelle Mahnung, was der Mensch dem Menschen antun kann, wenn sämtliche moralischen Imperative einstürzen. Dafür erntete Burg nicht den Applaus einer freiheitlichen Gesellschaft, sondern viel Hass und Drohungen.
Solidarität mit der leidenden israelischen Zivilgesellschaft verlangt Lambeck schlussendlich. Natürlich. Darauf arbeitete sein Text ja hin. Palästinensische Menschen leiden vermutlich nicht. Das Feindbild verdient nicht, mit menschlichen Zügen ausgestattet zu werden. Außerdem teilen wir in Deutschland "unsere Werte und unsere Träume" mit Israel - was immer die auch sind. Zivile Häuser bombardieren? Träumen wir hiervon, unliebsame Menschen in Wüstenlandstriche zu verbannen? Und träumen Menschen mit islamischen Hintergrund nicht auch vom Frieden? Von intakten Lebensverhältnissen? Von gesunden Kindern, von Liebe und Zuneigung? Welche Werte und Träume, glaubt Lambeck, pflegen die in Gaza lebenden Menschen denn unter ihrer nicht vorhandenen Burka? Todbringung? Mord? Bombengürtel?
Man kann es abkürzen und feststellen, dass Lambecks Text nicht zur Solidarisierung gedacht ist, sondern zur Verteufelung von Menschen, denen er das Menschsein zwischen den Zeilen abspricht. Es ist schlicht Kriegstreiberei. Pardon wird nicht gegeben, falsche Mitmenschlichkeit erlauben wir uns nicht, wenn wir vom Schreibtisch aus heilige Kriege, heilige Gemetzel entwerfen, wenn wir Feinde generieren, die ohne menschliche Attribute auskommen müssen. Ein mutiger Partydemokrat ist das, der mit flotter Sohle über das Parkett huscht, um das Blutvergießen zu einer gerechten Sache zu formulieren.