Dem "Linksextremismus" auf den Zahn gefühlt

Was ist eigentlich Linksextremismus? Folgt man dem gängigen Bild in den Medien, sind mit ihm unweigerlich brennende Autos und Vermummte hinter Barrikaden verbunden. Für die Wissenschaft beginnt er nicht erst, wenn ein Stein auf Polizisten geworfen wird - mit dem Suchen nach Alternativen zum gesellschaftlichen status quo fängt er bereits an. Die Autoren des Buches „Verfassungsfeinde? Wie die Hüter von Denk- und Gewaltmonopolen mit dem 'Linksextremismus umgehen'" meinen dagegen, dass zunehmend ein undemokratisches Verfahren eingeführt wird, um einen ganzen Zweig der politischen Debatte zu kriminalisieren.
Susanne Feustel et al.: „Verfassungsfeinde? Wie die Hüter von Denk- und Gewaltmonopolen mit den 'Linksextremismus' umgehen“;Hamburg: VSA-Verlag; 2012; 157 Seiten; 12,80 €
Seit etwa dreißig Jahren wird über „Extremismus" geforscht, dennoch sei diese Theorie in den Wissenschaften immer noch isoliert, von weiten Teilen der Sozialwissenschaften würde sie nicht ernst genommen und „Linksextremismus" nicht als eigenständiger Forschungsgegenstand anerkannt, meint Jennifer Stange in ihrem Beitrag. Das Fundament des Begriffs „Extremismus" sei die Angst vor Abweichung und politischer Veränderung. Er sei eindeutig interessengeleitet, weil er sich nur mit bestimmten politischen Phänomenen auseinander setzt. Christliche Fundamentalisten oder Marktliberale würden z.B. nicht unter den Extremismusbegriff subsumiert, obwohl die einen eindeutig antiliberal sind und die anderen demokratische Entscheidungen zugunsten des Wirkens der Märkte absetzen wollen.
Der Politikwissenschaftlicher und Attac-Mitarbeiter Holger Oppenhäuser stellt fest, dass in den letzten Jahren ein paradoxer Effekt zu beobachten war: Erfolgreiches zivilgesellschaftliches Handeln gegen Nazis hat auf der Ebene der staatlichen Exekutive einen zwanghaften Kampf gegen „Linksextremismus" hervorgebracht. Demokratische Organisationen sollen ihre politischen Positionen und Aktionsformen so ändern, wie es den Innenministern genehm ist. Die skandalöse Extremismusklausel im Steuerrecht sei nur ein Beispiel dafür. Bemerkenswert sei, meint er, dass bisher keine Neonazi-Organisation von dieser Regelung betroffen war, dafür aber zwei antifaschistische. So konnte AIDA zwar erfolgreich gegen die Aufnahme in den bayerischen VS-Bericht klagen, wurde aber in den folgenden Jahren immer wieder genannt und verlor deshalb faktisch die Gemeinnützigkeit.
Freerk Huisken beschäftigt sich mit der Mobilisierung gegen Linksextremismus in Schulen. Kritisches Denken soll den Jugendlichen schon recht zeitig abgewöhnt werden. „Denn mit ihrer Hoheit über die Köpfe des Nachwuchses wollen sie sicherstellen, dass Kritik und Beschwerden, Klagen und Reklamationen der Bürger nur einen Adressaten kennen, nämlich die regierende Politik." (S. 65) Und weil sich Beschwerden nicht vermeiden lassen, weil Politik über die Köpfe der Mehrheit der Bürger geht, müsse es eine Art Beschwerdewesen geben, das sicher stellt, dass sich nichts grundlegend ändert.
Die staatlichen Organe betreiben eine klare Fehlinformation der Öffentlichkeit, schreibt Susanne Feustel in ihrem Beitrag über Behördenwillkür bei der Datensammlung zur linken Gefahr. So seien im Lagebericht zur politisch motivierten Gewalt von links (PMK-links) 2011 für Sachsen Fälle registriert, die klare Notwehrhandlungen gegen Naziübergriffe waren. So wies z.B. Kerstin Köditz (MdL, DIE LINKE) nach der Veröffentlichung der Statistik darauf hin: „Am 1. Oktober 2011 kam es in Burgstädt zu einem Angriff von ca. 20 Neonazis [...] auf ein alternatives Wohnprojekt. Anfang November wurde eine als linksalternativ bekannte Frau in ihrem Auto in Lunzenau von rund zehn vermummten Personen angegriffen. Der Vorgang wiederholte sich wenige Tage später in Anwesenheit eines Kamerateams von Spiegel-TV und wurde dokumentiert. Alle drei Übergriffe wurden in die Statistik PMK-links einsortiert." (S. 105) Eine klare Produktion „linksextremer" Kriminalität durch staatliche Stellen, meint Susanne Feustel.
Die Autoren arbeiten sehr gut heraus, dass mit dem Extremismusbegriff nichts anderes gemeint ist, als eine Abweichung von den staatlichen „Planvorgaben". „Linksextremismus" ist dabei ein Kampfbegriff gegen das politische Spektrum, das nach Alternativen zum herrschenden politischen und wirtschaftlichen System sucht. Und weil in Krisenzeiten immer mehr Menschen nach Alternativen suchen, versucht sie der Staat durch Repression von ihrem Suchen abzuhalten und einzuschüchtern. Wissenschaftlich ist diese Theorie nicht zu halten; aber je lauter sie hinausgeschrien wird, desto ernster wird sie genommen.
Susanne Feustel et al.: „Verfassungsfeinde? Wie die Hüter von Denk- und Gewaltmonopolen mit den 'Linksextremismus' umgehen“;Hamburg: VSA-Verlag; 2012; 157 Seiten; 12,80 €

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