Über ein Drittel der (gültigen) WählerInnen-Stimmen gingen also beim ersten Durchgang der Bundespräsidentschafts-Wahl an Norbert Hofer, den Kandidaten der FPÖ. Das ist deutlich mehr, als sich selbst seine Anhänger bzw. die Partei erhofft hatten; und das lässt viele seiner politischen und moralischen GegnerInnen in einem Gefühlschaos zwischen Enttäuschung, Verängstigung und Entrüstung zurück.
Gegen Hofer steigt beim zweiten, bedeutenderen Wahlgang am 22. Mai nun Alexander Van der Bellen in den Ring – der langjährige Grünen-Chef und nunmehr unabhängige (nun ja, darüber kann man diskutieren) Kandidat.
Was all jenen, für die Hofers Politik ein Gräuel darstellt, zu empfehlen ist: keine Panik. Denn es ist alles offen.
Zum einen haben ihn gut 65 Prozent der WählerInnen vorerst NICHT als den geeignetsten Hofburg-Kandidaten erkannt. Zum anderen hat es nahezu ein Drittel der Wahlberechtigten bisher nicht der Mühe Wert befunden, sich an dieser demokratischen Übung zu beteiligen. Einigen davon wird jetzt, wie man so schön sagt, der Reiß gehen – und sie werden diesen Fehler kein zweites Mal begehen.
Was aber all jenen, die sich nicht unbedingt als blaues Kern-Klientel betrachten und diesmal eine Proteststimme abgegeben haben, bewusst werden sollte: Jetzt ist gut, der „Tritt in die Fresse der Regierungsparteien“ hat mal echt gesessen. Noch einmal Hofer zu wählen, nur um es „denen da oben“ zu zeigen, wäre einfach nicht schlüssig.
Rot-schwarz: Wann ist Schluss mit der Machterhalter-Politik?
Sie werden sich den gestrigen Tag hoffentlich merken und nach all den Jahren, in denen sich ein Wahldebakel an das nächste gereiht hat, vielleicht auch endlich einmal ihre Hausübungen machen – um sich inhaltlich und personell völlig neu aufzustellen: für das Land, für seine BürgerInnen – für uns! Und nicht einfach nur wieder für das Ziel, irgendwie doch noch irgendwo (!) an der Macht zu bleiben.
Wer politisch etwas verändern will, muss die Missgunst seiner WählerInnen beim nächsten Wahlgang mit einkalkulieren. Wer sich weiterhin nur auf Machterhalt und Freunderlwirtschaft konzentriert, darf allerdings fix damit rechnen: quod erat demonstrandum.
Erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik werden wir nun also einen Bundespräsidenten bekommen, der weder der sozialdemokratischen noch der christlich-sozialen (sic!) Partei angehört. Das ist grundsätzlich mal sehr gut. Das könnte sogar ein Gewinn für uns alle werden. Für uns als Gemeinschaft.
Die (Kontroll-) Funktion des Bundespräsidenten, seine Rechte und Aufgaben, sollten gerade deshalb aber nicht unterschätzt werden. Denn er ist so viel mehr als nur der „Grüß-Gott-August“, als der er vielfach geschmäht wird. Oder könnte das zumindest sein.
Ausgleich zwischen den gesellschaftlichen Positionen
So liest man auf der offiziellen Webpräsenz der Österreichischen Präsidentschaftskanzlei nämlich folgendes:
Neben [den] verfassungsmäßig garantierten Rechten hat der Bundespräsident dem Land einen moralischen Rückhalt zu geben. Hierbei steht der Ausgleich zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Positionen, die Einbeziehung von Minderheiten in den politischen Prozess und die Beachtung des demokratischen Systems im Vordergrund. Lange politische Erfahrung, eine feste Verankerung in der Bevölkerung, Kompetenz in allen Lebens- bzw. Politikbereichen und Überparteilichkeit sind hierfür die wesentlichsten Erfordernisse.
Durch diese Kombination von verfassungsrechtlich verankerten Rechten bzw. Befugnissen und der eben beschriebenen Realkompetenzen wird dem Staat die notwendige Balance zwischen den jeweiligen Staatsgewalten gegeben. Nach Außen hin ist er damit der Garant für die Berechenbarkeit Österreichs in der internationalen Staatengemeinschaft.
Den „Ausgleich zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Positionen, die Einbeziehung von Minderheiten in den politischen Prozess und die Beachtung des demokratischen Systems“: Trauen wir das dem durchschnittlichen FPÖ-Vertreter zu? Gerade angesichts der Erfahrungen, die wir 2000 bis 2006 mit der FPÖ-Regierungsbeteiligung im Bund machen mussten? (Weiter will ich gar nicht ausholen.)
Und „die notwendige Balance zwischen den jeweiligen Staatsgewalten“ bzw. der „Garant für die Berechenbarkeit Österreichs“: Ist es das, was Norbert Hofer, Heinz-Christian Strache und viele, viele andere FPÖ-Politiker – teils in relevanten (Landes-) Regierungspositionen – tagtäglich versprechen oder gar leben?
Nicht an Hofer verzweifeln – persönliche Verletzung überwinden
Darüber sollte jede/r wahlberechtigte StaatsbürgerIn in den nächsten vier Wochen bis zum zweiten Wahlgang ordentlich nachdenken. Und im persönlichen Umfeld, mit FreundInnen, Verwandten, Bekannten diskutieren; ohne Hass und Vorwürfe – ohne Verzweiflung, ohne persönliche Verletzung.
Die Devise lautet jetzt nicht, wochenlang demonstrierend um die Häuser zu ziehen und (wieder einmal) den blauen Teufel an die Wand zu malen. Im schlechtesten Fall bleiben dafür eh noch sechs, vielleicht sogar zwölf Jahre Zeit.
Die Devise lautet jetzt, sich zu deklarieren. Auch und ganz besonders für die VertreterInnen der Verliererparteien: Liebe SozialdemokratInnen, liebe ChristdemokratInnen: Wir wollen endlich wieder wissen, woran wir mit euch sind – bekennt gefälligst Farbe!
Und auch ihr, liebe Neos: Ziert euch nicht – es gibt umgekehrt genügend Grüne, die euch seit dem Einzug in den Nationalrat bundesweit wie auch in den Ländern und Gemeinden als Bereicherung erleben und das auch offen sagen. Ein geeintes „Wählt Van der Bellen!“ wird das beste Argument für viele SympathisantInnen sein, euch auch 2018 wieder (deutlich) über die Vier-Prozent-Hürde zu hieven.