Heute möchte ich auf eine interessante Probeausgabe (3/2010) der Zeitschrift zenith aufmerksam machen. Diese Zeitschrift beobachte ich schon länger, bietet sie doch mit die kenntnisreichsten Reportagen, Analysen, Hintergrundinformationen über den Nahen Osten in der deutschen Medienlandschaft. Abgesehen von Fachzeitschriften wissenschaftlicher Einrichtungen, deren Zielpublikum mitunter auch ein anderes ist. Und dieses uns übermittelte differenzierte und abseits von Tagesaktualität oft hervorragend tiefgründige Bild des Nahen Ostens kommt nicht von ungefähr: Sind doch die Redakteure Orientalisten oder angehende Orientalisten, meistens Islamwissenschaftler. Ihre im Studium erlernten Tugenden der genauen Recherche, der fundierten Quellensuche, des Blickes unter die Oberfläche, des komplexen differenzierendem Denken, der Betrachtung aus mehreren Blickwinkeln, und nicht zuletzt durch Auslandsaufenthalte erlernte soziale Kompetenz und Empathiefähigkeit, merkt man den meisten Artikeln an. Das bedeutet natürlich nicht, dass deren Qualität nicht auch schwanken kann. Doch meistens bieten die Artikel von zenith einen echten Mehrwert, verglichen mit anderen Medien, sofern dort nicht auch Orientalisten als Autoren beschäftigt sind.
Sie selbst beschreiben sich folgendermaßen:
zenith – Zeitschrift für den Orient ist das führende deutsche Magazin zum Nahen Osten, dem Maghreb und der muslimischen Welt. Kritisch, ausgewogen und kenntnisreich – diese Ansprüche stellt zenith an die eigene Berichterstattung.Da ich gerade zuletzt einen Blogpost zu den neuen ethischen Fragen an den Islam durch Wissenschaft und Forschung verfasst habe, verlinke ich hier einen thematisch sehr passenden aktuellen Artikel von zenith:
Ein weltweites Netzwerk aus Autoren, Reportern und Fotografen zwischen Marokko, Israel, Iran und Indonesien, aber auch viele Korrespondenten in Europa wirken daran mit. Das Interesse an einer qualifizierten Orient-Berichterstattung ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Viele Medien konzentrieren sich jedoch vor allem auf Krisen und bewaffnete Konflikte: zenith ist vor Ort, bevor es knallt, und bleibt, wenn sich das Tränengas verzogen hat, um neben der großen Politik auch den Alltag der Menschen zu begleiten.
Um ein differenziertes Bild dieser Region zu vermitteln, gründeten 1999 in Hamburg sechs Studenten der Orientalistik das Magazin zenith, das inzwischen einen festen Platz am deutschen Zeitschriftenmarkt hat.
Neben Analysen, Hintergrundberichten und Top-Interviews bietet zenith starke, preisgekrönte Foto-Reportagen und Illustrationen. Die Schwerpunkt-Dossiers des Magazins beleuchten Themen des Zeitgeschehens auf unkonventionelle Art und Weise. Entscheidend für die Autoren ist die richtige Mischung aus journalistischer Aufbereitung und fachlicher Expertise. zenith versteht sich als Gradmesser für politische und soziale Entwicklung im Orient: das Magazin berichtet über diese Themen oft lange bevor sie Gegenstand der tagesaktuellen Medien werden. zenith versteht sich auch als Schmiede für junge Auslandsberichterstatter, die sich schwerpunktmäßig mit dem Nahen Osten und der islamischen Welt befassen. [...]
Täglich aktuell hingegen berichtet zenith auf www.zenithonline.de. Der gesamte Orient auf einen Klick: Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Kultur. Ein weltweites Netzwerk aus Journalisten berichtet vor Ort über die neuesten Entwicklungen und Geschehnisse.
Ein neues Jungfernhäutchen, bitte
Mai-Britt WulfDoch kommen wir nun zu dem Blogtitel und den Artikeln aus zenith, der der eigentliche Grund für meinen Post bilden. Ist doch diese Frage, wer bestimmt, was Muslime glauben gerade hochaktuell bezüglich der in Deutschland an einigen Universitäten neu geschaffenen bekenntnisorientiertem Studiengang Islamische Theologie, nach Vorbild der evangelischen und katholischen Fakultäten. Obwohl diese Ausgabe von 2010 ist, noch vor dem arabischen Frühling, zeigt sich doch die Qualität der Artikel daran, dass sie auch jenseits der Tagesaktualität interessant bleiben, Hintergründe erläutern, und einige auch ebenso heute wieder erscheinen könnten.
Weltweit ist ein Anstieg der Hymenorrhaphie zu beobachten. Welche Motive treiben Frauen dazu, sich das Jungfernhäutchen wiederherstellen zu lassen und wie wird im Nahen und Mittleren Osten auf diese Entwicklung reagiert? [...]
Kampf um den Islam
Das Ringen um Macht und Moral – eine Spurensuche von der Frühzeit des Islams bis zum radikalen Fundamentalismus heute
Los geht es mit einer Fotoserie:
Tee mit Terroristen
Wie resozialisiert man Gotteskrieger?
Saudi-Arabien versucht es im Umerziehungslager von Hayar auf die sanfte Art und Weise
Weiter geht es mit dem ersten interessanten Artikel:
Eine Religion im BelagerungszustandWer bis hierhin "lediglich" einen Artikel über einen lokalen Streit erwartet, der sollte weiterlesen, denn der Artikel behandelt weit mehr, wie die mitunter durchaus provokativen Zwischenüberschriften und Einschübe verdeutlichen:
Der Streit um den richtigen Glauben spaltet die Gemeinschaft der Muslime seit dem Tod des Propheten. Aber nie zuvor war die Deutungshoheit über den Koran so umkämpft wie heute. Dafür sind nicht zuletzt die westlichen Islam-Debatten verantwortlich
Der Kampf um den Islam begann am 15. März 2010. An diesem Tag weigerte sich eine Gruppe Gläubiger, die ihr auferlegten Pflichten zu erfüllen. Spannungen hatte es schon zuvor gegeben, nun trat das Zerwürfnis offen zutage. Es ging um Geld, aber auch um Macht und Ideologie; einige der Delinquenten betrachteten ihre Mission sogar als dschihad, als »heiligen Kampf«. Kurzzeitig sah es nach einem Sieg der Rebellen aus, doch dann verloren sie ausgerechnet ihren prominentesten Unterstützer. Die Auseinandersetzung führte schließlich zur Abspaltung der Gruppe, die sich einen neuen Namen gab und versprach, die ursprüngliche, ja »wahre« Mission fortzuführen. Dies zumindest kann man auf OnIslam.com nachlesen, das von der geschassten Redaktion des Internet-Portals IslamOnline.net seit kurzem betrieben wird. Zwischen den Redakteuren und ihrem damaligen Arbeitgeber war im Frühjahr ein bizarrer Machtkampf entbrannt. Die Website IslamOnline, eines der einflussreichsten Islam-Portale weltweit, gehört einer in Katar beheimateten Stiftung. Als die Inhaber die Verlagerung der redaktionellen Arbeit in das Golfemirat ankündigten und über Nacht die Passwörter wechselten, gingen die 330 Mitarbeiter in Kairo in Streik: Abgeschnitten vom Zugang zu ihrer eigenen Seite, besetzten sie ihrerseits über Wochen das Gebäude – letztlich erfolglos. [...]
- 14 Jahrhunderte nach Muhammads Tod wirkt die Gemeinschaft der Muslime gespalten und führungslos
- Es ist die zentrale Frage in einem Machtkampf um Glauben und Sünde: Wann hört ein Muslim auf, Muslim zu sein?
- Wer bestimmt auf Dauer, was die mehr als eine Milliarde Muslime auf der Welt glauben sollen?
- Ist der Kalif Uthman zu Recht getötet worden?
- Verspätete Medienrevolution in der arabischen Welt
- Selbst wie man einen Dschihad zu führen hat, ist unter Radikalen inzwischen umstritten
- Die Schiiten – eine »lauernde Schlange«
- Was Islam bedeutet, kann heute nicht mehr ohne den Westen diskutiert werden
- Europa fungiert als Zerrspiegel für den Islam
Weiter geht es mit einem Interview eines der weltweit bedeutendsten Kenner der islamischen Theologie. Hoch aufschlussreich:
»Der Koran ist eine reformatorische Schrift«Zwischen den Artikeln kommen 18 höchst unterschiedliche Muslime zu Wort um zu definieren, was für sie "der Islam" sei.
Wann wurde der Islam zum Islam? Der Orientalist Josef van Ess im zenith-Gespräch über Prophetengenossen, verrückte Gnostiker und die Gebetsgymnastik der frühen Muslime
zenith: Herr van Ess, seit wann gibt es den Islam?
Josef van Ess: Diese Frage ist überhaupt nicht zu beantworten. Zumal man ja schon unterschiedlicher Meinung darüber ist, seit wann es den Koran gibt. Eines ist klar: Als es den Koran gab, gab es noch lange nicht den Islam.
zenith: Wie ist das zu verstehen?
Josef van Ess: Eine Religion braucht Generationen, bis sie weiß, warum sie da ist. Als Offenbarungsreligion hat der Islam bestimmte Grundvoraussetzungen: ein Gottesbild und die Notwendigkeit eines Stifters etwa. Aus diesen Voraussetzungen folgen Optionen. Und dann müssen Entscheidungen gefällt werden – was Zeit braucht, zum Teil Jahrhunderte.Durch diese Entscheidungen wird der Entscheidungsspielraum immer weiter eingegrenzt – sozusagen eine natürliche Erstarrung, die es bei allen Religionen gibt.
zenith: Häufig heißt es, der Islam brauche eine Reformation – einen »islamischen Luther«, um die Erstarrung aufzuhalten.
Josef van Ess: Ach, das ist doch ein alter Hut. Der Gedanke taucht schon im späten 19. Jahrhundert auf, und man hört es auch jetzt immer wieder. Dahinter steht der etwas amorphe Wunsch nach Reform, weil man mit der Gegenwart unzufrieden ist.Dabei ist schon der Koran eine reformatorische Schrift – insofern, als die älteren Religionen als Irrwege abgetan werden. Was natürlich eine Illusion ist: Der Koran ist nie zu den Anfängen zurückgekehrt. Aber dahinter steht vermutlich eine historische Erfahrung: Die Zeitgenossen des Propheten erlebten das Christentum nicht als einheitliche Religion, sondern als drei verschiedene »Kirchen«, die sich wüst beschimpften.
[...]
zenith: Sie zeichnen ein fast schon atomistisches Bild vom Islam.
Josef van Ess: Oder ich stelle das gängige Bild auf den Kopf. Die Pluralität steht am Anfang, die Einheit kommt später. Ein Fundamentalist würde es genau umgekehrt sehen. [...]
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