De dicto

Von Robertodelapuente @adsinistram
"Deutsche Richter haben für vieles Verständnis:
Für Kinderschänder, die selbst angeblich eine schwere Kindheit hatten.
Oder für U-Bahn-Schläger, die im Vollrausch Menschen ins Koma geprügelt haben.
Rentner Heinz F. (85) aus Baden-Württemberg hoffte vergeblich auf Milde. Er muss 30 Monate ins Gefängnis.
Sein Verbrechen? Nach 58 Jahren Ehe tötete er seine schwer demenzkranke Ehefrau (84), weil sie ihn darum gebeten hatte.
[...]
Warum gibt es bei Gerichten volles Verständnis für Vollrausch – aber kein Verständnis für Liebe?"
- Christian Stenzel, BILD-Zeitung vom 1. Februar 2013 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Was man hier zu lesen vorgesetzt bekommt, ist der übliche Sermon des Konservatismus, wonach die Rechtssprechung in dieser dem Linksruck unterworfenen Demokratie zuweilen zu lasch sei. Er suggeriert, dass in diesem Land der nachsichtigen Richter der sexuelle Missbrauch an Kindern geduldet und schwere Körperverletzung entschuldigt würde - und findet nebenher, dass zweieinhalb Jahre Gefängnis eine sehr schwere Strafe für die Tötung eines Menschen sei, wenn man denn aus Zuneigung tötete. Die U-Bahn-Schläger, auf die Stenzel anspielt, hatten jedoch vor mehr als einem Jahr Haftstrafen zwischen vier und sechs Jahren erhalten - eine höheres Strafmaß als der Rentner, ohne je getötet zu haben. Verfolgt man die Berichte in den Medien, so stellt man Haftstrafen zwischen fünf und zwölf Jahren für Sexualstraftäter fest, die sich an Kindern oder Jugendlichen vergriffen haben. Tötet ein solcher Täter seine Opfer zudem, ist die Sicherheitsverwahrung nach lebenslänglicher Haftdauer der Regelfall. Auch hier kann sicherlich nicht von zu viel Rücksichtnahme gesprochen werden.

Natürlich spricht Stenzel da ein dumpfes Grollen innerhalb der bürgerlichen Sphäre an. Til Schweiger wollte Sexualstraftätern mal die Bürgerrechte entzogen sehen, Frau Guttenberg verschwisterte sich mit einem Leib- und Brüstesender, um durch Verführung zur Straftat Tätern habhaft zu werden - und um hernach die Rechtssprechung zu schelten, die diese Art von Beweisführung gerichtlich nicht verwenden wollte. Zwölf Jahre Haft für den sexuellen Missbrauch eines Kindes ist für diese Leute nicht genug. Zwischen lebenslänglicher Kerkerhaft und Todesstrafe liegen die Forderungen üblicherweise. Für diese Leute ist wie für Stenzel auch, die Rechtssprechung in diesem Lande eine geradezu lauschige Veranstaltung, die Institution einer Täterschutzgesellschaft. Dieser Unsinn dient dazu, die Stimmen nach einer harten Hand, nach erbarmungsloser Ahndung zu fördern und die Abschaffung resozialisierenden Gedankenguts zu postulieren.
Dafür ist kein Mittel zu blöd. Jetzt ist es das verwirrende Beispiel eines Rentners, der seine demente Frau tötete und dafür viel zu hart bestraft wurde. Ist denn die Tötung, selbst wenn sie auf Wunsch erfolgte, keine Straftat mehr? Hat die Tat Freispruch verdient? Und Ungereimtheiten: Wie war es der "schwer demenzkranken Ehefrau" möglich, ihren Tod zu erbitten? Hat sie das vorher schon mal als Bitte geäußert? Und was zählt ein solcher Wunsch von gestern im Heute? Stenzel fragt verlogen: "Sein Verbrechen?" - und nennt dann die Tat. Soll diese rhetorische Frage suggerieren, dass das Verbrechen gar kein Verbrechen sei? Dass Sterbehilfe plötzlich moralisch legal ist? Wie sähe denn eine Gesellschaft aus, in der jeder nach Gutdünken, ohne notarielle und ärztliche Aufsicht, sterbehelfen dürfte? Und dann die Liebe, die er als Motiv bemüht. Natürlich kann es Zuneigung und Mitleid gewesen sein. Spielt bei so einer Entscheidung aber nicht stets auch ein egoistischer Impuls mit, die Befreiung von Sorge und Pflege? Und die Leere natürlich. Keine Kraft mehr zu haben, ausgebrannt zu sein, desillusioniert - auch das wären noch weitere Motive. Und überhaupt scheint Stenzel ein Lebensgefühl anzusprechen, das kein Problem damit zu haben scheint, lästiges und zeitraubendes Leben vorzeitig dem Tode zu übergeben - hier tickt eine Ökonomie der Nützlichkeit.
Stenzel macht es sich da schon ganz einfach - aber so einfach muss es wohl sein, wenn man belegen will, dass in diesem Staat das Verbrechen wohlgelitten ist, während die Tötung aus mitmenschlicher Güte heraus, gnadenlos bestraft würde, dass also immer die Falschen bestraft würden, während die Richtigen davonkämen. Zu dem Zwecke eine rigide Haltung und gnadenlose Bestrafung in die Rechtssprechung zu diktieren, ist jedes Mittel recht und billig. Auch die dreiste Lüge, dass in diesen Gefilden die reine Nächstenliebe den Straftäter in seine Arme schließt. Aber wer natürlich Lebenslänglich noch für zu kurz hält, der glaubt diesen Unsinn vermutlich wirklich.