De dicto

"Diese Zahl ist eine Schande! An manchen Bundeswehrstandorten, so der Bericht des Wehrbeauftragten, gehen 80 bis 90 Prozent der Soldatenehen in die Brüche.
(...)
Doch noch immer werden sie wie Schachfiguren alle Jahre an einen neuen Standort verschoben – das hält kaum eine Beziehung aus."

- Julian Reichelt, BILD-Zeitung vom 24. Januar 2012 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Denkt an unsere Soldaten!, schreit der Reichelt. Er ist der richtige Mann dafür, denn er hat sich mit dem Heer verbrüdert, war mit ihm im Kriegsgebiet unterwegs. Live von der Front - das übliche Gewäsch von braven Soldaten Müller und Huber, der seinen Dienst tut, der die Wilden zähmt und dafür keine ausreichende Anerkennung in der Heimat und vor der Geschichte erhält. Warum nur mag keiner die Helden aus Stahlgewittern schätzen, fragte damals Jünger - und der Jünger des Jünger, der boulevardeske Kriegsjünger Reichelt, tat es ihm weniger sprachbegabt gleich.

Wer mitfühlt, wie sie in Stellungen frieren und an sich Heimweh quälen, der fühlt auch mit, wenn die Soldaten im ehelichen Grabenkrieg Entbehrungen ertragen müssen. Dolle Scheidungsraten! Denkt an unsere Soldaten! Soldatenbräute, lauft doch nicht weg! Schuld daran, so weiß Reichelt und der Wehrbeauftragte, sind die Arbeitsbedingungen, der andauernde Wechsel der Standorte, das Vagabundendasein. Die Erklärung ist so einfach - und so harmlos. Kann es denn aber nicht sein, dass diese Gesellschaft, die Krieg führt, die also zwangsläufig Kriegsveteranen züchtet, ganz einfach mit den Folgen dieses Umstandes zu kämpfen hat? Traumatische Erlebnisse mancher Veteranen aus anderen Kriegen haben Ehen zerstört, Elternschaft zerlegt, Lebensordnungen über den Haufen geworfen. Veteranen, die den Krieg gesehen haben, die taugen nicht mehr für den Alltag. Dass die Selbstmordrate bei Bundeswehrsoldaten, die irgendwo Krieg miterlebt hatten, nicht besonders niedrig liegt, konnte man phasenweise der Presse entnehmen. Warum soll also die hohe Scheidungsrate nicht auch darauf zurückzuführen sein?

Trennungsgründe sind mannigfaltig. Es kann das Vagabundenleben sein - aber auch: der schlechte oder gar nicht mehr stattfindende Sex - es kann Entliebung sein - ein neue Liebe, die nicht mehr als Affäre gesehen, sondern offiziell gemacht werden soll - oder einfach nur Selbstverwirklichung. Aber sollte eine Kriegsgesellschaft nicht auch die Option offenlassen, dass einige dieser Ehen auch Opfer der erlittenen Kriegsgräuel sind? Verwunderlich wäre das nicht - verwunderlich ist auch nicht, warum man das offenbar harmlose Motiv der Umzugsunlust vorschiebt. Das sind nämliche private Probleme - das Trauma einer Bevölkerungsgruppe ist hingegen von öffentlichen Interesse, das die Außenpolitik hinterfragt. Auch eine Form von Privatisierung! Nicht dass es letztlich heißt: Denkt an unsere Soldaten! Schickt sie nicht mehr in den Krieg! Das wäre Fatal, das kostete Reichelt seine Frontstellung und dem Wehretat Kürzungen.


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