Vom zerstrittenen Politikern hört oder liest man häufig hierzulande. Hoffentlich, so heißt es da meist, würden sich die allzu überworfenen Politiker, mal ein Beispiel am Pragmatismus, an der Einigkeit oder der Feierlaune ihres Volkes nehmen. Das Ende der Zerstrittenheit wird gefordert, während man auf angebliche Vorbilder deutet, die vorgaukeln, dass es auch ohne Streiterei ginge. Es geht auch ohne Streit: das ist allenfalls die eine Lesart. Die andere ist die, dass sich der Bürger nicht zu sorgen braucht, denn noch wird politisch gestritten in diesem Land, noch läuft die Demokratie wie ein Uhrwerk.
Letzteres ist fadenscheinig, denn zerstrittene Politiker scheint es kaum zu geben - selbst Interessensgruppen suchen keinen Streit mit der Politik. Da kungelt jeder mit jedem. Der Sozialdemokrat, der ohnehin wie ein Schrat aus der Union auftritt, schmust mit FDP-Mitgliedern, träumt von einer koalitionären Vereinigung der angeblichen Antagonisten - und der Gewerkschafter löffelt dankbar jene Suppe, die ihn die Arbeitgeber und die Politik nicht nur eingebrockt, sondern sogar bezahlt haben. Zerstritten mögen einzelne Zeitgenossen untereinander sein, Einzelfälle eben, die überdies nicht unbedingt inhaltlich zerstritten sein müssen, sondern aus privaten Gründen - aber die Politik als Gesamterscheinung, sie ist ein Hort der Harmonie und Brüderlichkeit. Die zerstrittenen Politiker, die in den Medien gerne begriffliche Erwähnung finden, sollen verdecken, dass die Würze in der demokratischen Suppe, der Streit nämlich, noch herauszuschmecken ist. Alles intakt, alles bestens: die Demokratie arbeitet vorbildlich!
Aber noch etwas funkelt dezent aus der Begriffsverwendung: jene Zerstrittenheit wird gerne verächtlich verwendet. Man schaut auf die anscheinend verfeindeten Politiker herab. Streiten die schon wieder!, heißt es dann. Die wollen keine Lösung finden, die streiten doch nur! Diese Würze in der demokratischen Suppe, sie nervt, wird gar nicht gerne gesehen, geschmeckt. Die Rechtsradikalen der Weimarer Republik waren weitaus direkter, sie sprachen ganz ungeniert von der Quasselbude - quasseln und streiten als Hindernis und Blockade für emsige Macher; Demokratie als störender Widerstreit verschiedener Sichtweisen, der Zeit und Geld raubt und am Ende nur fade Kompromisse zu präsentieren hat. Wie effektiv wäre da eine starke Hand! Spricht man verächtlich von der Zerstrittenheit der Politik, die zudem realistisch betrachtet nicht mal gegeben ist, dann will man zu Aktionismus treiben - macht was! Bewegt euch endlich! Reformen, Reformen, Reformen - aber schnell!
Die zerstrittenen Politiker können auf zweierlei Weise begrifflich wirken, das heißt, begriffen werden: erstens, sie sollen weismachen, dass in dieser Demokratie nicht der Lobbyismus sein Diktat ausübt, sondern die Volksvertreter um die res publica ringen - und, zweitens, sie ringen so sehr um ihre Positionen, dass sie blockieren und wichtige Reformen vereiteln. Aus diesen Thesen erblüht die gemeinschaftliche Synthese, die irgendwo unterschwellig in der Begrifflichkeit herausblitzt: streiten für Positionen - ja! Aber nur so viel, dass es nicht aufhält. Anders formuliert: Demokratie ist zwar erlaubt und erwünscht - allerdings nur bis zu einem gewissen Grad. Es soll nur so demokratisch zugehen, wie es der realpolitische Pragmatismus, der nichts anderes ist wie das wirtschaftliche Schattenreich, erlaubt. Eine streitlose Demokratie, so tischen sie der Öffentlichkeit auf, wäre eine bessere, effektivere, gerechtere Demokratie - unbestritten streitlos ist sie jedoch heute schon: aber davon wissen die Medien nichts zu berichten.