geschrieben von Heidi Röthlisberger
Liebe Freunde,
vor vielen Jahren habe ich einen Selbstverteidigungskurs für Frauen gemacht und dort wurde uns erklärt, dass wir in einer Gefahrensituation als erstes versuchen sollen, so schnell wie möglich wegzurennen. In meinen Augen klingt das sehr vernünftig. Die Tarahumaras in Mexiko machen es auch so. Es sind die schnellsten Menschen der Welt. Sie gehen jeglichen Konflikten aus dem Weg, indem sie einfach weglaufen, davonlaufen. Eine Methode, die sie unbedingt brauchen, um dort in den einsamen Canyons, wo die Drogenmafia herrscht, als Volk überleben zu können.
Weglaufen, davonlaufen, das tönt bei uns feige. Man sucht bei uns immer das Gespräch. Man versucht stets, Konflikte verbal zu lösen. Daheim im Elternhaus, in der Schule, in Partnerschaften, in der Firma. Wenn die Probleme zu gross werden, nicht mehr zu zweit gelöst werden können, dann wird eine aussenstehende Person eingeschaltet, zum Beispiel ein Mediator. Wer nicht sprechen will, wer nicht kommunizieren will, der wird bei uns als etwas sonderbar angeschaut.
Manchmal liegt die Stärke eines Menschen jedoch nicht in der Kommunikation. Dann macht es keinen Sinn, wenn man Konflikte ausdiskutieren will. Es ist wie bei einer Gazelle, einem Löwen und einem Nashorn. Ein Löwe ist zum Kämpfen geboren, ein Nashorn braucht nicht zu kämpfen und eine Gazelle, ihre Stärke liegt im Rennen. Niemals würde eine Gazelle sich mit einem Löwen auseinandersetzen. Wir würden auch eine Gazelle nicht als feige bezeichnen, nur weil sie so schnell rennt.
Wir Menschen haben die Wahl. Benützen Sie doch einmal andere Wörter für davonlaufen und weglaufen. Testen Sie aus, ob sich dann etwas verändert. Sagen Sie stattdessen: Ich ziehe mich zurück. Ich verzichte auf eine Auseinandersetzung. Ich schütze mich. Ich wende mich anderen Dingen zu. Ich investiere meine Zeit in etwas anderes. Ich widme mich meinen eigenen Sachen. Ich verändere den Fokus.
All das gehört auch zum Weglaufen. Früher wie auch heute haben ganze Völker so überlebt. Also muss doch etwas Gutes daran sein.
Ich wünsche Ihnen eine wunderbare Woche.
Ganz liebe Grüsse
Heidi Röthlisberger