David O. Russell inszeniert “Silver Linings”

Erstellt am 21. Dezember 2012 von Denis Sasse @filmtogo

© Senator/Central / Bradley Cooper in David O. Russells “Silver Linings”

In Romanform erschien Matthew Quicks „The Silver Linings Playbook“ im Jahre 2008, schon vor der Veröffentlichung wurden die Rechte von der Weinstein Company erworben um eine schnelle Verfilmung folgen zu lassen. Regisseur David O. Russell sah sich mit dieser Verfilmung vor dem Problem, eine Geschichte zu zeigen, die emotional kompliziert, zugleich aber lustig und romantisch sein sollte. Russell muss schon während seines letzten Films „The Fighter“ an dem Skript zu „Silver Linings“ (der verkürzte deutsche Titel) gesessen haben, laut eigener Aussage musste er das Drehbuch etwa zwanzig Mal über fünf Jahre verteilt umschreiben bis es ihm letztendlich gefiel. Diese Ausdauer kommt nicht von ungefähr: Dem Regisseur gefiel die Familiendynamik, die sich innerhalb der Geschichte abspielt, aber auch der Hauptprotagonist hatte es ihm angetan, da dieser, wie Russells eigener Sohn, manisch-depressiv und einer Zwangsstörung erlegen ist.

Dieser Mensch ist im Film Pat Solatano (Bradley Cooper), ein Mann der sein Haus, seinen Job und seine Frau verloren hat. Gerade erst hat er auf gerichtliche Anweisung hin acht Monate in einer psychiatrischen Anstalt verbracht, nun ist er wieder daheim bei seiner Mutter (Jacki Weaver) und seinem Vater (Robert De Niro). Er ist fest dazu entschlossen, positiv zu denken, sein Leben wieder in die richtige Bahn zu lenken und vor allem seine Frau zurückzuerobern. Dann aber lernt er Tiffany (Jennifer Lawrence) kennen und es wird kompliziert. Sie bietet ihm zwar Hilfe bei der Rückeroberung seiner Frau an, hängt aber als Bedingung seine Mithilfe bei einer Tanzchoreografie an. Bei den Proben kommen sie sich näher und Pat muss sich für den richtigen Weg entscheiden, orientiert sich dabei am Silberstreifen am Horizont.

Bradley Cooper und Jennifer Lawrence

Sie schreit Robert De Niro an, liest ihm die Leviten, konfrontiert ihn mit Fakten, mit Wahrheiten, macht ihn geradezu zur Schnecke und schnell fragt man sich als Zuschauer, wie sich eine junge Schauspielerin fühlt, die einer Schauspiellegende – als solche darf De Niro trotz mancher Fehlentscheidung sicherlich betitelt werden – so dermaßen die Show stiehlt. Manch einer wird Mitgefühl zeigen mit Jennifer Lawrence, die in „Die Tribute von Panem“ oder „X-Men: Erste Entscheidung“ zwar gut spielt, aber nie ihr Potential entfalten kann, wie es zum Beispiel in „Winter’s Bone“ der Fall war, für den sie sogleich eine Oscar-Nominierung erhielt. Hier darf sie wieder alles geben, übertrifft sich vielleicht sogar noch. Sie brilliert als manipulative Lügnerin, die dennoch nur das Beste für Pat will, sie läuft ihm hinterher, sucht ihm beim Joggen heim, verliebt sich langsam in ihn. Ohne es deutlich anzusprechen, ohne den Holzhammer zu schwingen, erahnt man als Zuschauer dieses Gefühlsleben, ohne dass der Film zu sehr damit belastet wird. Hier nähern sich zwei Menschen an, die sich am Essenstisch über eingenommene Medikamente unterhalten können, während es den übrigen Teilnehmern dieses Gespräches als peinlich erscheint über solche Dinge offen zu sprechen. Es sind zwei Menschen, die vorgeben niemals zu lügen, eine Welt für angenehmer halten, in der die Wahrheit gesprochen wird: Dennoch lügt einer von beiden.

Bradley Cooper leistet ebenso seinen Teil zu „Silver Linings Playbook“ ab wie Lawrence. Bei einer Therapiesitzung fährt die Kamera nahe an seine Hände heran, er scheuert sich die Knöchel wund, möchte sich ablenken von seinen Wutgelüsten. Immer erwartet man den Ausbruch, immer wenn er die Stimme erhebt, könnte mehr passieren als nur ein aufbrausender Streit. Einmal schlägt er aus Versehen seine Mutter zu Boden, ein anderes Mal versucht er seinen Bruder vor einer Meute verrückter Football-Fans zu retten. Über beide Situationen ist sein Vater – Robert De Niro – wenig erfreut, dreht selbst durch. Ihn belastet nur ein Stadionverbot wegen einer Schlägerei, hier darf er sich nicht mehr blicken lassen. Bei Pat ist es seine Ehefrau, die er beim Fremdgehen erwischt und daraufhin den „Neuen“ ordentlich verdroschen hat, die zum Verbot geworden ist – nicht näher als 150 Meter darf er sich ihr nähern. Vater und Sohn, so wenig sie miteinander sprechen, so sehr ähneln sie sich doch. Beide leiden unter diesen Wutausbrüchen, von denen sie heimgesucht werden, der Zufall hat es so gewollt, dass es für den Sohn mit einem Aufenthalt in der Psychiatrischen Anstalt enden musste.

Die Eltern von Pat: Jacki Weaver und Robert De Niro

Aber „Silver Linings Playbook“ entwickelt sich hierdurch nicht zu einem schweren Drama, sondern sucht den Weg in die Leichtigkeit, wie es auch schon „50/50“ zuvor gemacht hat, wo eine Krebserkrankung von Joseph Gordon-Levitt als alles andere als traurig inszeniert wurde. Hier ist es vor allem das verrückt wirkende Aufeinandertreffen von Cooper und Lawrence, was für dieses Gefühl von Erleichterung verantwortlich gemacht werden kann. Sie ist sein Silberstreifen („Silver Lining“) am Horizont, von dem er lange Zeit keine Notiz nimmt – er verrennt sich, muss er auch selbst zugeben. Immer sehen die Zuschauer ihn durch die Straßen joggen, mit einer übergestreiften Mülltüte, die für sein persönliches Empfinden von sich selbst stehen könnte. Er rennt und rennt und rennt, man weiß nur nicht so recht wieso. Er scheint den Horizont erreichen zu wollen, an dem sein Silberstreifen auf ihn wartet, läuft dabei allerdings, wie erwähnt, den falschen Weg. Erst ab dem Moment in dem Tiffany ihm auflauert, ändert sich einiges: Sie zwingt ihn geradezu dazu, ihr bei einer Tanz-Performance auszuhelfen, die am Ende noch entscheidend für seinen Vater werden soll. Schön werden am Ende die Figuren miteinander in Beziehung gesetzt, sie finden sich im Wohnzimmer der Solatanos ein, dort wo Jennifer Lawrence ihre Wut auf Pats Papa Robert De Niro austoben darf, um das Finale einzuläuten.

Dieses ist dann als Hollywoodmärchen in Szene gesetzt. Unmögliche Dinge geschehen, das Schicksal schlägt zu und beschert den Zuschauern einen lang ersehnten Moment. Bereits seit Ewigkeiten, so fühlt es sich an, hat man sich nicht mehr eine Romanze so sehr herbei gesehnt, wie bei den zwei geschundenen Persönlichkeiten, die hier aufeinander treffen. Dann stehen sie dort, umkreist von der Kamera und küssen sich – diese Tatsache ist keine Vorwegnahme der Handlung, das Bild genügt um sehenswert zu sein. Denn so unterhaltsam „Silver Linings Playbook“ zuvor auch war, erschaffen Bradley Cooper und Jennifer Lawrence hier ein Bild der vollkommenden Erleichterung – mit einem Kuss, der gerne in die moderne Filmhistorie des Filmkusses eingehen darf. Nicht etwa weil er übermäßig emotional erzählt wird, sondern weil er einfach nur wahrhaftig wirkt.

Denis Sasse


“Silver Linings“