David Garrett und das Rollband

Pilgerabfertigung in Guadalupe

Pilgerabfertigung in Guadalupe

Nach meinem letzten Artikel wies mich der Kommentator adeodatus auf die Rollbänder hin, die im mexikanischen Wallfahrtsort Guadalupe den Pilgerstrom zum Heiligtum hin- und wieder weglenken. Ich hatte von diesen Wallfahrts-Beschleunigern schon gehört und fand sie ungefähr ebenso schrecklich wie die Apple-und-Gucci-Shopping-Mall neben der Kaaba in Mekka, angeblich die größte der Welt, auf die erst vor wenigen Tagen der Schriftsteller Navid Kermani in seiner lesenswerten Rede zur Friedenspreis-Verleihung hingewiesen hat.

Nun dachte ich bisher, diese katholischen und islamischen Monstrositäten seien deswegen so furchtbar, weil sie das Unverfügbare, das Sich-der-Machbarkeit-Entziehende einer kapitalistischen Verwertungs- und Effizienzlogik unterwürfen: möglichst viele Pilger in möglichst kurzer Zeit zum Wallfahrtsort zu schleusen; als Nebenprodukt der Haddsch möglichst viel Reibach zu machen, um ihn dann einer guten Sache (Koranschulen in Äthiopien, Islamzentren in Österreich) zugutekommen zu lassen.

Im Lichte meiner letzten Reflexionen über die transzendierende Kraft des Rollbands ist mir jedoch noch ein zusätzlicher Aspekt eingefallen. Rollband und Heiligtum sind nicht in jeglicher Hinsicht entgegengesetzt. Teilweise entsprechen sie sich. Allerdings in einer merkwürdigen, verqueren Weise, die absolut nicht stimmig erscheinen will. Mit den Worten Pascals: Zwei gleiche Gesichter, von denen jedes allein keinerlei Gelächter erregt, reizen, nebeneinander gesehen, wegen ihrer Ähnlichkeit zum Lachen.“

Was ist damit gemeint?

Das Rollband und das Heiligtum wirken beide transzendierend – aber das Rollband auf eine einfache, durchschaubare Weise, das Heiligtum auf eine ungreifbare, undurchschaubare Art.

Um das zu verstehen, schauen wir zum Vergleich einfach mal auf einen Musiker wie den Pornogeiger David Garrett. Er kann zweifellos ziemlich gut Geige spielen. Yehudi Menuhin nannte ihn einst den „größten Geiger seiner Generation“. Aber dass er sich auf den billigen Wettstreit einlässt, den Hummelflug in weniger als 66 Sekunden zu spielen, und damit einen neuen Guinnessbuch-Weltrekord aufstellt, reduziert ihn auf ein Jahrmarktsfiedler-Niveau, das sich mit seinem technischen Können beißt. Er würde eigentlich gut genug spielen, um eine echte Transzendierung zuwegezubringen. Doch die billige Transzendierung, für die er sich entscheidet, legt sich drüber und verzerrt alles, was dahintersteht.

Genauso ist es mit dem Rollband in Guadalupe. Die Transzendierung, die es leistet, kann man ähnlich konkret messen wie das Tempo des Hummelflugs – in beats per minute letzteres, in Meter pro Sekunde ersteres. Die Transzendierung des Gnadenbilds hingegen, zu dem das Rollband führt, ist ebensowenig in Zahlen zu fassen wie eine gute, musikalisch aufregende Interpretation des Hummelsflugs. In beiden Fällen kleistert die konkrete, numerisch fassbare Transzendierung die komplexere, unfassbare Transzendierung zu. Und der Gesamtanblick wird lächerlich, obwohl keine der beiden Komponenten – weder das Rollband noch das Heiligtum, weder das Guinnessbuch noch der Hummelflug – für sich genommen lächerlich wäre.


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