David Frankfurter ✡ Er erschoss Wilhelm Gustloff

David Frankfurter war ein Kind der k.u.k. Monarchie Österreichs, doch ein ‚normales’ Kind seiner Zeit war er nicht, denn er war kränklich, musste häufig operiert werden und war so von größeren sozialen Kontakten mit Gleichaltrigen häufig ausgeschlossen. So David Frankfurterwaren Erwachsene, vor allem seine Eltern, seine Bezugpunkte, die ihn prägten. Sein Vater Moritz Frankfurter war Rabbiner und seine Mutter Rebekka hatte den lebendigen Haushalt fest im Griff. Doch trotz des häufigen Fehlens in der Schule und seiner schwächlichen Konstitution, war der Schulabschluss für David Frankfurter kein Problem, denn ab 1929 studierte der nun 20jährige Medizin, zuerst in Wien, dann in Leipzig und Berlin. Auch in der Studentenzeit blieb er mehr oder weniger ein Einzelgänger, nicht weil das unbedingt sein Naturell war, doch wohl eher weil er darin weniger geübt war Kontakte zu pflegen. Auf den ersten Blick hätte man ihn für schüchtern gehalten, vielleicht auch für introvertiert. Seine Kontakte beliefen sich mehr auf der Ebene von Verwandten oder Freunden und Bekannten seiner Eltern. Auch solch ein Umfeld prägt, macht vielleicht auch älter als man real ist. Er erlebte den aufkommenden Antisemitismus an den Universitäten und die SA Horden auf den Straßen, genauso erlebte er die scheinbare Ruhe und Gelassenheit der davon betroffenen Juden, die ihn entsetzte. Nachdem den Nationalsozialisten 1933 die Macht übergeben wurde, kam es immer häufiger zu Ausschreitung gegen einzelne Juden, noch waren es Beschimpfungen, Rempeleien oder ‚nur’ ein paar Ohrfeigen, doch David Frankfurter konnte und wollte in diesem Klima nicht leben. Im Oktober 1933 floh er in die Schweiz. Als er im Dezember 1934 seinen Onkel in Frankfurt am Main besuchte, musste er miterleben, wie dieser auf offener Straße verprügelt wurde; und keiner half. Er hörte von ‚wilden’ Konzentrationslagern, von der Hatz auf Kommunisten und Sozialdemokraten; er erlebte das Verstummen der jüdischen Gemeinde seiner Verwandten schmerzlich. Zurück in der Schweiz erlebte er auch dort, dass der Samen des Antisemitismus und die deutsche Propaganda, durchaus auch auf fruchtbaren Boden fielen. Nicht bei allen deutschsprachigen Schweizern, aber auch bei nicht zu wenigen, so dass das Problem nicht zuignorieren war. Zumal auch in der Schweiz Ableger der NSDAP größer wurden und auch hier Anhänger gefunden werden konnten. Wilhelm Gustloff war seit Februar 1932 nationalsozialistischer Landesgruppenleiter in der Schweiz und damit dienstältester Landesgruppenleiter im Ausland überhaupt, ihm unterstanden 47 kleine und kleinste nationalsozialistische Gruppen, deren Ziel es war, dass die deutschsprachige Schweiz dem großen Deutschen Reich angegliedert werden soll. Anhänger Prozess gegen David Frankfurter 1936für diese Idee gab es in Berlin auch. David Frankfurter sah, fühlte und erlebte das alles aus tiefster Seele; seine eigene Hilflosigkeit angesichts der Maßnahmen nach Verkündung der Nürnberger Gesetze in Deutschland und so manche antisemitische Tendenz in der Schweiz wollte und konnte er nicht aushalten. Am 4. Februar 1936 klingelte er an der Wohnungstür von Wilhelm Gustloff in Davos, an dessen Klingelschild stand ‚GUSTLOFF NSDAP’ und Hedwig Gustloff öffnete und ließ den ‚arisch’ wirkenden blonden jungen Mann in das Büro ihres Mannes, da dieser ja vorgab ihn sprechen zu wollen. Nach kurzer Wartezeit erschien Wilhelm Gustloff und David Frankfurter hob seine Waffe, der erste Schuss verfehlte Gustloff, doch die weiteren vier Schüsse töteten ihn. An sich wollte sich David dann selbst töten, doch die letzte Kugel blieb im Lauf stecken. So verließ er das Haus Gustloffs und irrte erst einmal durch den Ort, um sich dann bei der Ortspolizei selbst zu stellen. Die Polizisten wollten ihm erst gar nicht glauben, so holten sie Frau Gustloff und ihn zu identifizieren, dabei sagte sie zu David: „Wie konntest du so etwas tun, du hast doch so gute Augen.“ Darauf erwiderte Frankfurter: „Ich bin Jude und das erklärt alles!“ Das erste Attentat gegen einen Repräsentanten des Dritten Reiches im Ausland wurde von der nationalsozialistischen Propaganda zur antijüdischen Hetze und zu Angriffen gegen die Schweiz instrumentalisiert. Die deutschen Zeitungen tobten: ‚Weltjudentum’ - ‚Weltverschwörung’. In Deutschland sollte sofort ein Pogrom gegen die Juden ausbrechen, doch es war das Jahr 1936 und Hitler wollte die Olympiade in Berlin nicht gefährden, die durch eine solche Hetze wahrscheinlich verschoben worden wäre. Lieber Olympiaspiele als einen Judenpogrom! Hitler hatte nach dem Mord ‚grundsätzlich die Erhebung einer Judensondersteuer gebilligt’; diese sollte zum Abschluss des Prozesses gegen Frankfurter verkündet werden. Die Ankündigung wurde dann jedoch verschoben ‚mit Rücksicht auf die zu erwartende Reaktion des Auslands, und die wäre eine Gefahr für die Rohstoff- und Devisenlage des Reiches’ gewesen. Gustloffs Sarg wurde in einem Trauerzug langsam durch Deutschland gefahren bis Schwerin, wo Gustloff beigesetzt wurde. Hitler hielt die Begräbnisrede. Er sagte: „Wir haben die Herausforderung verstanden und wissen, wie wir darauf zu antworten haben.“ Dies war eine versteckte Drohung gegen die Juden. Zum Leidwesen der Nationalsozialisten gab kein Auslieferungsabkommen von Häftlingen zwischen Deutschland und der Schweiz. Das eigentliche Drama dieses Falls begann indessen erst nach dem Attentat, mit der Reaktion der Öffentlichkeit und dem Churer Prozess. Da war zunächst die durchaus gespaltene Resonanz bei den verschiedenen jüdischen Gruppen, die sichtlich von der Furcht mitbestimmt war, das Attentat könne den Nazis Argumentationshilfen bieten, die Neutralität der Neutralen, die Sympathien der wohlwollenden Weltöffentlichkeit und nicht zuletzt das dringend benötigte politische Asyl gerade in der Schweiz gefährden. Die NS-Propaganda reagierte äußerst eindeutig und mit bekannt großer Effizienz. Gustloff selber, psychisch wirklich ein germanischer „Goliath“, sonst aber eher ein furchtsamer und gehemmter, unbedeutender Funktionärstypus, der allenfalls deswegen bemerkenswert ist, weil sein unbedingter Führergehorsam im Konfliktfall selbst Frau und Kinder zu töten gelobte, wurde als Leiche sogleich in das ewige Buchtitel David FrankfurterBataillon der NS-Heroen und Kultfiguren vom Schlage Horst Wessels aufgenommen. Die Fahrt durch Deutschland zu seinem Geburtsort Schwerin und die Bestattung in Gegenwart der ganzen braunen Creme bis zum Führer hinauf gestaltete sich dementsprechend zum monumentalen Trauerspektakel. Der gleichzeitig begonnene und im Prozess kulminierende Propaganda-Feldzug schlug das erwünschte demagogische Kapital daraus. Es war klar, dass Frankfurter nicht als Einzeltäter fungieren durfte, sondern nur die Speerspitze der bekannten Verschwörung des ‚Weltjudentums’ sein konnte. In einem Atem wurde dabei Frankfurters primärer politischer Anstoß: die nationalsozialistische Judenverfolgung, dementiert und legitimiert. Zugleich zielte die NS-Presse und Prozessführung gegen jene Teile der Schweizer Presse, deren ‚Hetze’ gegen die antidemokratische und antisemitische Politik des ‚Dritten Reiches’ für das Attentat geradezu mitverantwortlich gemacht wurde. Der Bundesrat Motta telegraphierte aus Bern seine ‚tiefste Bestürzung’ über das ‚verabscheuungswürdige Verbrechen’ des Attentäters. Die Neue Zürcher Zeitung kommentierte hier mit lakonischem Sarkasmus: „Es ist neu, dass der Bundesrat bei einem politischen Mord an einer Privatperson sein Beileid ausdrückt“. Für solche und ähnliche ‚deutschfeindlichen Ausfälle’ musste sich die NZZ von Berner Bundesrepräsentanten ‚unverantwortliche Kriegstreiberei’ vorwerfen lassen. Als nachteilig hatte indessen auch die NZZ am 6. Februar 1936 vermerkt, dass sich ‚durch die Ermordung Gustloffs ein Schatten auf die sonst freundschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und der Schweiz’ gelegt habe. Als ‚widerliches Machwerk’ wurde Emil Verteidigungsschrift so paritätisch verrissen, dass das Volksrecht vom 10. November 1936 von einem importierten ‚kalten Faschismus’ sprach. Und das Urteil von Chur avancierte gar zum Ausdruck ‚für sauberes schweizerisches Rechtsempfinden und saubere Schweizer Justiz’, während die Basler Freiheit vom 15. Dezember 1936 es als ‚neuen beschämenden Kniefall der Schweiz vor dem nationalsozialistischen Deutschland’ rügte. David Frankfurter wurde zu 18 Jahren Zuchthaus verurteilt und wurde, nach einem Gnadengesuch, dass einer Revision des Urteils gleichkam, wurde er im Frühjahr 1945 entlassen. Kurz danach wanderte er nach Palästina aus und arbeitete auf einigen Stationen, bis hin zu höchsten Positionen am Aufbau des Staates Israel mit. Doch blieb er seinem Naturell treu, immer im Hintergrund.  David Frankfurter starb am 19. Juli 1982 in Tel Aviv, an seinem Krankenbett besuchte ihn Menachem Begin und Jitzchak Rabin hielt die Trauerrede. David Frankfurter hinterließ Frau und zwei Kinder. Eine der Hauptstrassen in Petach Tikwa in Israel wurde noch zu seinen Lebzeiten nach seinem Namen benannt. In Ramat Gan trägt ein kleiner Garten seinen Namen.   Weiterlesen:

➼ Die ‚Nürnberger Gesetze’ • Wegbereiter zum Holocaust

➼ Georg Elser · “Ich hab den Krieg verhindern wollen” …

➼ Reichspogromnacht 9. & 10. November 1938

Bild 1: David Frankfurter – Quelle: dunkletage.de · Bild 2: D. Frankfurter vor Gericht 1936 – Quelle: yadvashem · Bild 3: Buchtitel Da. Frankfurter – Quelle: berlinstory.de

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