David Bowie: Der gute Geist

David Bowie: Der gute GeistDavid Bowie
„Blackstar“

(Smi Col/Sony)
Ein Künstler, also auch Musiker, hat ja im Grunde zwei Möglichkeiten: Entweder er macht, was er will oder das, was alle wollen. Im günstigsten Falle ist die Schnittmenge aus beidem so groß, dass er davon seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. David Bowie kann von sich, jetzt, da er gerade neunundsechzig Jahre alt geworden ist und ganze fünfundzwanzig Studioalben veröffenlicht hat, behaupten, dass ihm das Zeit seines Lebens bestens geglückt ist. Was sicher auch daran lag, dass der Mann immer einen Schritt schneller im Kopf war als sein Publikum, er also schon vorher ahnte, was auszuprobieren sich lohnte – in gleichem Maße hatte er Mut und Selbstverständnis genug, sich auch mal mächtig zu vergaloppieren, nur um hernach diese Rückschläge und Misserfolge einigermaßen locker wegzustecken. Dass ihn dieses feine Gespür gleich vom Start weg die fünfzig Jahre seiner Karriere begleitete, zeichnet wohl ein so seltenes Genie aus, dass man davon auch auf der aktuellen Platte „Blackstar“ noch so viel zu hören bekommt, ist schlichtweg verblüffend.
Erstaunlich ist, dass es Bowie wie selten zuvor gelingt, versponnene Avantgarde mühelos neben klassischen Spacerock zu platzieren, er die Bewahrer also genau so zufriedenzustellen vermag wie diejenigen, die von ihm stets eine neue Identität, ein neues Kostüm, eine irgendwie schrille Note erwarten. Und auch wenn Jazz das nächste große Ding ist – einen mystisch verbrämten Siebenminüter wie den Titelsong hätte man wohl jedem anderem sogleich um die Ohren gehauen, Bowie verpackt sein rätselhaftes Raunen gleich mal in zwei Teile (irrlichternde, dunkle Töne hier, zaghafte Drums und soulige Chöre dort) und hat gleich wieder alle auf seiner Seite. Auch das dem Dramatiker John Ford entlehnte „‘Tis A Pity She Was A Whore“ spart weder mit textlichen noch mit klanglichen Extravaganzen, „Sue (Or In A Season Of Crime)“ kann sogar mit ein paar fiebrigen Breakbeats aufwarten.
Dagegen bleibt „Lazarus“, eines der stärksten Stücke des Albums, eher von konventioneller, deshalb aber kaum weniger reizvoller Bauart, nicht das einzige Mal durchzieht ein Hauch von „Space Oddity“ die dazugehörigen Textzeilen: „Look up here, I'm in heaven, I've got scars that can't be seen, I've got drama, can't be stolen, everybody knows me now…” – eine Art von Selbstreferetialität, die ihm die Traditionalisten sicher hoch anrechnen werden. Wehmut wie diese begleitet die Platte über die komplette Spiellänge so verlässlich wie das wunderbare Saxophonspiel des Amerikaners Donny McCaslin, beides kulminiert in den Schlussakten des lakonischen “Dollar Days” (Solo) und den Worten von “I Can’t Give Everything Away”: “Seeing more and feeling less, saying no but meaning yes, this is all I ever meant, that's the message that I sent. I can't give everything away…”
Man muss nicht zwingend noch erwähnt haben, dass Tim Elmhirst und Tony Visconti die Produktion des Albums besorgt haben, auch James Murphy hat in diesen Tagen andere Schlagzeilen sicher als die über sein kurzes Gastspiel am Schlagzeug. Schöner dafür folgendes Zitat, kürzlich in einem Nachruf zu Lemmy Kilmister im Feuilleton gefunden: “Die Generation der Stunde null tritt an zu den womöglich stets letzten großen Konzertreisen: David Gilmour ist auf seiner Old-Mans-Tour. Bryan Ferry spielte neulich … auffallend oft sitzend (der Rücken). David Bowie ist nur noch als Geist da. Bob Dylan krächzt je nach Form auf dem letzten oder vorletzten Loch. Lou Reed tot. J.J. Cale tot. Helmut Schmidt tot. Joe Cocker tot. Lemmy Kilmister jetzt auch tot. Eines Tages werden wir allein sein mit frauenfeindlichen Rappern, die irre doof sind, keinen Spaß verstehen und mit schweren Goldketten die Gebisse ihrer Feinde einschlagen.“ Auch wenn das vielleicht etwas betulich klingen mag – von guten Geistern wie diesem möchte man möglichst nie verlassen werden. www.davidbowie.com

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