Daughter: Nicht mehr nur zartbitter

Daughter: Nicht mehr nur zartbitterDaughter
„Not To Disappear“

(4AD)
Dass das Unglück der anderen immer Hochkonjunktur hat, ist ein trauriges Gesetz, welches wohl in allen Bereichen unseres Lebens Gültigkeit hat. Man möchte mitschaudern, mitleiden, sich anrühren lassen, solange es nicht die eigenen Sorgen und Nöte sind, die einen umtreiben. Aus dieser Ecke stammt das fragwürdige journalistische Credo „Only bad news are good news“, deshalb verkaufen sich Geschichten und Filme von durchgeknallten Serienmördern anhaltend glänzend und jeder zweite möchte wenigstens bei der CSI Bad Salzuflen als Profiler arbeiten. Auch wenn der Topf, in den hier gerade alles geworfen wird, ein sehr großer ist – es sollte niemanden überraschen, wenn das zweite Album der Londoner Formation Daughter ebenso guten Absatz findet wie ihr traumhaftes Debüt „If You Leave“. Denn in punkto Trauerarbeit und Schmerzbewältigung macht Elena Tonra, Igor Haefeli und Remi Aguilella niemand etwas vor, wer sich von der Zartheit und Eleganz des Erstlings hat anfassen lassen, wird auch an „Not To Disappear“ seine bittersüße Freude haben.
Zwar haben die drei ihren Sound mit der neuen Platte etwas größer und voller gedacht/gemacht, haben mehr als noch zu Beginn auf elektronische Stilmittel gesetzt und den einen oder anderen Ausfallschritt gewagt, an der melancholischen bis betrübten Grundstimmung ändert das aber nichts. Allein von den ersten drei Songs „New Ways“, „Numbers“ und „Doing The Right Thing“ läßt man sich willenlos packen – wenn Tonra ihr Mantra „I feel numb in this kingdom“ anstimmt, schnürt es einem regelrecht die Kehle zu. Ganz zu schweigen von der Dramatik des folgenden Stückes, Liebe und Fortpflanzung als Lebenslüge und zum Zwecke der bloßen Reproduktion – die betont kühle und distanzierte Betrachtung, der Rückzug in Abseits und Einsamkeit lassen einen unwillkürlich frösteln. Keiner, der bestreiten wollte, dass Jeff Buckley der Sängerin bei ihren Arbeiten als Hauptinspirationsquelle diente.
Von Selbstaufgabe dennoch keine Spur, schließlich gönnen sich Daughter mit „How“ einen überraschend traumpoppigen Coldplay-Moment, ohne dabei ansatzweise kitschig zu wirken, auch das nervös stolpernde „No Care“ klingt nicht nach Kapitulation, sondern eher spröde und wenigstens unentschlossen. In die gleiche Kerbe schlägt das dunkel pumpende „Alone/With You“, ein Paradestück für den Kampf mit sich selbst – keine Erfüllung, nirgends, nicht zu zweit und auch nicht allein. Es macht tatsächlich Spaß, der Band dabei zuzuhören, wie sie ihr musikalisches Konzept ganz behutsam weiterentwickelt, wie sie die ehemals programmatische Entrücktheit langsam (und zögerlich vielleicht) zu einer größeren, bestimmteren Bandbreite auffächert und nun, aus anderer Richtung kommend, dort landet, wo sich auch Blonde Redhead und Warpaint mittlerweile stilistisch positioniert haben. Wenn Daughter am Anfang also nur zartbitter waren, so machen die neuen Geschmacksrichtungen deutlich Lust auf mehr. http://ohdaughter.com/
31.01.  Köln, Live Music Hall
03.02.  Hamburg, Gruenspan
07.02.  Berlin, Huxleys Neue Welt
08.02.  München, Technikum
09.02.  Zürich, Kaufleuten

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