„Carnation“
(Sub Pop)
Hand auf’s Herz: Typen, die so blendend aussehen wie Josh Martin, denen traut man doch ernsthafte oder nachdenkliche Songs gar nicht zu. Einsamkeit – der? Niemals. Unglück, Selbstzweifel? Das will man doch von jemandem wie Martin oder seinem Bühnen-Alter-Ego Daughn Gibson gar nicht hören. Tatsächlich sind das genau die Vorurteile, mit denen der Songwriter aus Pennsylvania seit Beginn seiner Karriere zu kämpfen hat – einer, der so sehr Mann scheint wie er, dem nimmt man das alles doch gar nicht ab. Dass er sich mit Raymond Carver und George Saunders, Foster-Wallace und Pynchon beschäftigt, dass er versucht, seine Albträume und dunklen Gedanken in die Kurzgeschichten seiner Stücke umzuarbeiten. Dabei waren doch gerade die beiden ersten Alben „All Hell“ und „Me Moan“ stilistische Totentänze aus Goth, Blues und Country, zusammengehalten durch eine Vielzahl von elektronischen Effekten und dem rauchigen, tieftönenden Barriton Gibsons.
Er ist also in der Tat ein tiefgründiger, grüblerischer Typ und wenn die geschilderten Erfahrungen und die schwarzen Gedanken auch nicht immer die seinen sind, so kennt er sie, so scheint es, doch nur zu genau: „I don’t want to hear every dumb detail of someone’s meaningless day, but I do want to fill in the blanks of someone’s observations, or my observations … I like to take these voices, but honestly I feel all these things myself and I’m pretending when I use someone else.”” sagte er kürzlich dem Netzportal In The Line Of Best Fit und wer ihm das partu nicht abnehmen mag, dem entgehen ein paar wirklich gute Momente. „Carnation“ ist dabei noch eine Spur wandlungsfähiger, vielschichtiger geworden als die beiden Vorgänger – war es da eher die Verwandtschaft zu Nick Cave und Iggy Pop, so meint man jetzt öfter die sanfte Eleganz von David Sylvian oder Bryan Ferry herauszuhören.
Und das, obwohl diese Platte von keinem Geringeren als Randall Dunn produziert worden ist, dem Mann, der schon mit Schwergewichten wie Earth oder Sun O))) gearbeitet hat. Natürlich haben die Songs ihren sinisteren Charakter nicht verloren, klingen das vampirische „For Every Bite“ oder das Kriegsdrama „Shine Of The Night“ noch immer gruselig und düster. Aber die Mittel, mit denen Gibson diese fiebrige Atmosphäre zum klingen bringt, sind variabler geworden. Und werden nicht selten auch mal ins Gegenteil verkehrt. So treffen dronige Synths auf mehrstimmigen Frauengesang, kratzige Akkorde auf geschmeidige Steel-Guitar-Spuren, mittendrin hellt ein Saxophonsolo die Stimmung auf und selbst Autotune wird als künstlerisches Mittel keineswegs verworfen.
Den berührendsten, intimsten Eindruck allerdings hinterläßt das reduzierteste Stück des Albums – die verzweifelte Suche nach sexueller Identität, mehr noch die Hoffnung auf vorbehaltlose Anerkennung bei „Daddy I Cut My Hair“ schicken einem Schauer über die Haut, außer einer einfachen Melodie braucht es hier nicht viele Verzierungen, um innezuhalten. Vieles auf „Carnations“ hat diesen bleibenden Zauber, Gibson erscheint noch reifer, noch abgeklärter. Und auch wenn die Parallele vielleicht etwa vorschnell gezogen ist – es gibt da mit Leonard Cohen einen Mann, der schon früh verteufelt gut aussah und der dennoch stets die dunkle Seite des Mondes (und also natürlich der Liebe) besungen hat. Cohen gilt bis heute als ein Meister des Abgründigen, kann ja gut sein, dass wir hier seinem legitimen Nachfolger zuhören.