Das Wunder von Rieti

Bernardino Luini, Maria mit dem Kind zwischen der hl. Martha und Johannes dem Evangelisten und einer Nonne

Bernardino Luini, Maria mit dem Kind zwischen der hl. Martha und Johannes dem Evangelisten und einer Nonne

WIEN. (hpd) Eine Nonne bringt einen Sohn zur Welt. Der scheint nicht ganz so unbe­fleckt emp­fan­gen wor­den zu sein, wie es die Betreffende gerne hätte. Abseits die­ses eher bana­len Vorgangs för­dert die Geschichte eini­ges zutage, was man zumin­dest als über­ra­schend bezeich­nen kann. Wenn nicht als Wunder.

Unbefleckte Empfängnis hin oder her. Dass es in einem euro­päi­schen Land eine Nonne im gebär­fä­hi­gen Alter gibt, grenzt an ein Wunder. Nicht unbe­dingt im Sinne von über­na­tür­lich. Aber im Sinne von sich einer logi­schen Erklärung weit­ge­hend ent­zie­hend.

Kloster ist keine Alternative mehr

Ein freud­lo­ses Leben ist für die meis­ten jun­gen Frauen heut­zu­tage keine Alternative mehr. Muss es auch nicht. Frauen dür­fen heute arbei­ten und sind gebil­de­ter als Generationen an Frauen vor ihnen. Zur Versorgung, wie in ver­gan­ge­nen Jahrhunderten, muss heute nie­mand mehr ins Kloster. Und all­ge­mei­ner Wohlstand und Bildung machen Religion, die Karl Marx nicht umsonst Opium des Volkes nannte, zuneh­mend unin­ter­es­san­ter.

Fällt eine Frau trotz allem in die Kategorie »spi­ri­tu­elle Schwärmerin«, ist ein Kloster auch nicht mehr die nahe­lie­gendste Variante. Der Esoterikmarkt bie­tet ihr Paralleluniversen in Hülle und Fülle, die auf den ers­ten Blick weni­ger Versagungen und mehr Freiheiten ver­hei­ßen als ein Konvent.

Ob diese Versprechen auch ein­ge­löst wer­den oder ein Kloster im Vergleich zum eso­te­ri­schen Paralleluniversum nicht wie eine Stätte der Freiheit wirkt, ist eine andere Frage.

Wo es das Opium braucht

Wie bei Wundern ver­läss­lich der Fall, bringt es eine Analyse zum Verschwinden. Stammt die Nonne doch aus El Salvador. Dort erfreuen sich reli­giöse Umtriebe einer höhe­ren gesell­schaft­li­chen Akzeptanz als hier­zu­lande.

Sozialstaatliche Strukturen sind in Mittel- und Südamerika nicht son­der­lich aus­ge­prägt. In El Savador gilt Analphabetismus als gro­ßes Problem. Als rei­ches Land kann man den Staat auch nicht bezeich­nen. 38 Prozent der Bevölkerung leben von weni­ger als zwei Dollar pro Tag.

Dass es junge Frauen unter die­sen Umständen ins Kloster zieht, ist wirk­lich kein Wunder.

Bei jun­gen Männern aus armen Ländern gibt es eine ähn­li­che Entwicklung. Sie wer­den ver­mehrt Priester.

Angebot bleibt halb­wegs, Nachfrage schwin­det

Das erhöhte Angebot an Nonnen und Priestern aus Entwicklungsländern erlaubt es der katho­li­schen Kirche, das stark sin­kende Angebot an glei­chem Personal in ent­wi­ckel­ten Ländern halb­wegs aus­zu­glei­chen. Auf den ers­ten Blick bei­nahe der Traum eines Marktwirtschaftsfetischisten.

Freilich funk­tio­niert das meist nur so gut wie die sta­li­nis­ti­sche Planwirtschaft in ihren schwär­zes­ten Stunden. Angebotsorientierte Nachfrage ent­steht aus der Strategie kaum. Es mag halb­wegs genug Priester geben, um die Kirchen Europas eini­ger­ma­ßen offen zu hal­ten. Nur wer­den die offe­nen Kirchen immer lee­rer. Das Volk spürt immer weni­ger den Bedarf nach sei­nem Opium.

Auch bei den Nonnen funk­tio­niert das mehr schlecht als recht. Es gibt zu wenig Personal, um die beste­hende Infrastruktur aus­zu­las­ten. Klöster wer­den nach und nach auf­ge­las­sen. Auch mit dem Zuzug aus ärme­ren Ländern steigt das Durchschnittsalter der Klosterbewohnerinnen stän­dig. Es fehlt an Nachwuchs.

Welle der Sympathie mit Betroffener

Dass eine Nonne sozu­sa­gen in Eigenregie, wenn auch unge­plant, für den feh­len­den Nachwuchs gesorgt hat (zumin­dest für ein Mönchskloster), könnte man in einem Wirtschaftsunternehmen als Musterbeispiel an Engagement hin­stel­len. Allein, es beschleicht einen der Verdacht, dass die eigen­mäch­tige Vorgangsweise bei den Vorgesetzten der Betroffenen auf eher über­schau­bare Gegenliebe stößt.

Bei den mehr oder weni­ger gläu­bi­gen Italienern (und wahr­schein­lich vor allem den Italienerinnen) scheint das anders zu sein, wie die WELT in einem gut recher­chier­ten Artikel fest­stellt. Dort wird von zahl­rei­chen Geschenken berich­tet: Babykleidung, Blumen und so wei­ter und so fort.

Das wird die junge Mutter auch brau­chen. Derlei Gegenstände wird’s in ihrem bis­he­ri­gen Zuhause eher nicht so geben. Freilich stellt sich die Frage, woher die Sympathiewelle mit einer – aus katho­li­scher Sicht – gefal­le­nen Nonne kommt. Menschlich berüh­rend ist das, keine Frage. Es erscheint zwei­fel­haft, ob die Schwester Oberin auch so viel Verständnis auf­bringt wie die ita­lie­ni­sche Öffent­lich­keit.

Die Logik des Boulevards

Man würde sich sol­che Wellen der Sympathie auch bei ande­ren jun­gen Migrantinnen wün­schen, die unge­plant ein Kind auf die Welt brin­gen. Flüchtlingen, zum Beispiel.

Dass diese Bekundungen aus­blei­ben, kann man fai­rer­weise nur zum Teil der Bevölkerung anlas­ten. Von den Neugeborenen der Flüchtlingsfamilien erfährt sie nichts. Eine Nonne, die ein Kind auf die Welt bringt, ist eine Schlagzeile auf der gan­zen Welt wert. Das ist Boulevardlogik. Die hat mit Menschlichkeit nichts zu tun. Sondern mit Quoten, Voyeurismus und Vorurteilen.

Und lässt sich die Heuchelei der katho­li­schen Kirche bes­ser dar­stel­len als mit einer Nonne, die ein Kind zur Welt gebracht hat und ernst­haft über­rascht ist?

Das ver­gisst man gerne die eigene Heuchelei, die einen dazu bringt, Mitgefühl mit der Nonne zu haben, wäh­rend man die Flüchtlingstragödie von Lampedusa und die poli­ti­schen Umstände, die diese erst mög­lich gemacht haben, wahr­schein­lich schon lange ver­ges­sen hat.

Christoph Baumgarten

[Erstveröffentlichung: hpd]

Bildquelle: meisterwerke-online.de


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