Ich habe zunächst gezögert, diesen Blott zu beginnen, nachdem ich noch nicht einmal meinen vorangegangenen Offenbach-Eintrag fertiggestellt habe*. Indes treiben mich einige Überlegungen um, die hier mal raus (oder doch zumindest für mich selbst festgehalten werden) müssen.
[*Nachtrag: mittlerweile ist auch jener Eintrag abgeschlossen.]
Die Medien karren uns, brutal gesagt, beinahe täglich Tote ins Haus: das überfordert, bei mir jedenfalls, die Mitleidensfähigkeit und stumpft ab.
Bilder gehen zwar trotzdem noch unter die Haut, aber die hatte ich zunächst nicht gesehen bzw. ausgeblendet; auf den Internet-Seiten müsste man sie erst einmal vergrößern, und zum Fern-Sehen fehlt mir einfach die Zeit.
Was mich tiefer in die Sache reingezogen hat, war eine kartographische Illustration des Geschehens am Fuß der Zugangsrampe zum Festgelände und der zugehörige Augenzeugenbericht "Augenzeugenbericht von der Loveparade
Warum nur diese Polizeikette?" auf FAZ.net vom 27.07.2010: "Jürgen G. entschied eher spontan, zur Loveparade zu gehen. Auf dem Weg zum Veranstaltungsgelände erlebte er das Chaos aus nächster Nähe. Sein Augenzeugenbericht liefert plausible Gründe, warum es zur Katastrophe kam."
Wenn man sich erst darauf einlässt, die Karten und die zugehörigen Erläuterungen Schritt für Schritt nachzuvollziehen, steht man plötzlich selbst gedanklich am Ort der Katastrophe. Mit tieferem Einlesen, zunächst noch um das Verständnis der räumlichen Zusammenhänge ringend, kamen dann auch die Augenzeugenberichte und die Bilder und das Entsetzen. Einerseits. Gleichzeitig aber stellte sich das Thema (und wird ja auch von Medien und Kommentatoren in zahlreichen Berichten und Meinungsäußerungen in dieser Weise angegangen) als eine intellektuelle Herausforderung dar, gewissermaßen ein Katastrophen-Whodunit.
Viele Kommentatoren sind freilich mit der Identifikation der "Täter" recht schnell bei der Hand: "Die da oben", "die abgehobenen/größenwahnsinnigen/korrupten Politiker" waren Schuld, und insbesondere natürlich der Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland.
Den will ich hier weder freisprechen noch - moralisch, politisch oder gar quasi-juristisch - verurteilen.
Überhaupt möchte ich hier keine Analyse der konkreten Geschehensabläufe versuchen; das leisten andere besser, als ich es könnte:
- Alvar Freude präsentiert in seinem ODEM-Blog zwei Einträge dazu, mit einer Fülle von Links (weitere in den Leser-Kommentaren): "Was passierte auf der Loveparade warum? Wer hat die Schuld? (Updates)", begonnen am 27.07.10 und "Der Ablauf der Tragödie Loveparade", begonnen am 29.07.10.
- Eine noch umfangreichere Materialsammlung, insbesondere auch von verlinkten Augenzeugenvideos (alle oder fast alle bei Youtube) bietet der Blog "Loveparade2010doku" [von einer, wie ich hier in ihren Kommentaren erfahre, "Martina"]: "Dokumentation der Ereignisse zur Loveparade 2010 in Duisburg. Sammlung von Bildern, Videos und Informationen". Dieser Blog hat sich eine detaillierte Rekonstruktion der Vorgänge durch die Gemeinschaft der Netznutzer zum Ziel gesetzt. An diese appelliert er (und diese Aufforderung gebe ich gern weiter):
"Suche nach Bildern und Videos zwischen 16:25 Uhr und 17:20 Uhr!
30. Juli 2010 – 13:02
Leute, wir haben längst noch nicht genug Material!
Bitte ladet alle Bilder und Videos, die ihr gemacht habt, bei www.multiupload.com hoch und postet die Links als Kommentar!
Insbesondere Aufnahmen vom unteren Rampenbereich, speziell bei der Treppe, in der Zeit von 16:25 bis 17:20 Uhr fehlen noch massiv!
Wenn ihr im Netz noch weiteres Material findet – bitte postet die Links! Bitte möglichst Originalaufnahmen und nicht Zusammenschnitte.
Wichtig ist, dass immer die genaue Zeit herausgefunden wird. Gegebenenfalls die Kamerazeit mit der Realzeit abgleichen, um Abweichungen herausrechnen zu können."
Auch hier liefern Leserkommentare zahlreiche ergänzende Informationen und Links.
[Erg. 26.8.10: Über die Hintergründe und die Macher - Martina war wohl die Ideengeberin, ist aber nicht die alleinige Bloggerin dort - informiert heute xtranews: "Loveparade: Interview mit den Machern des Loveparade2010doku-Blogs". Sehr interessant - danke!]
Aus meiner vielfältigen, wenn auch eher kursorischen, Lektüre von Berichten, Kartenmaterial, Fotos und Videos kristallisiert sich für mich ein abstraktes Raster heraus, das vielleicht helfen kann, ein wenig vom Geschehen zurück zu treten und die verschiedenen Betrachtungsweisen mit ihren unterschiedlichen Zielsetzungen zu unterscheiden und vielleicht auch zu kanalisieren.
Ich stelle mir ein solches 'Erfassungsschema' als eine Matrix vor:
- Auf der einen Achse die Zielsetzungen. Hier sehe ich 2 relevante Analysedimensionen (mit weiterer Unterteilung der einen):
-- Welche Fehler wurden objektiv gemacht und haben zu dem Unglück geführt? (Die Absperrung der Rampe durch die Polizei könnte ein gravierender Fehler gewesen sein*; andererseits kann niemand wissen, ob es nicht ohne diese Sperrung dann weiter oben beim Aufeinandertreffen der Abgehenden und der Zugehenden - das ja offenbar mit der Sperrung verhindert werden sollte - zu einem noch größeren Unglück gekommen wäre). Ziel dieser Ursachenerforschung ist (außer der Freude an einem abstrakten Erkenntnisgewinn) die Prävention bei anderen derartigen Veranstaltungen. Zugleich ist eine solche Kausalanalyse aber auch die Voraussetzung für jegliche juristische Aufarbeitung.
* vgl. dazu auch diesen Augenzeugenbericht!
[Für Zahlen zum Zugang-Abgang-Problem vgl. nunmehr Teil 3 ("Für wie viele Besucher pro Stunde waren die Zugangswege ausgelegt?") der SpiegelOnline-Recherche von Simone Utler "Love-Parade-Trickserei. Die wundersame Schrumpfung der 1,4 Millionen"]
-- Liegt insoweit ein Verschulden der unmittelbar Handelnden (bzw. Weisunggebenden) vor? Dazu müsste man deren Informationshorizont kennen; aber zweifellos sind die Akteure davon ausgegangen, dass sie mit ihrem Handeln die Besucher schützen. Dass diese Einschätzung möglicher Weise objektiv falsch war, kann man ihnen nicht ohne Weiteres moralisch oder gar juristisch als Schuld zurechnen; Fehler kann man auch unverschuldet machen. Und da die Polizei sicherlich nicht die Absicht hatte, den Besuchern zu schaden, spricht zunächst einmal alles dafür, dass sie zwar vermutlich Fehler gemacht hat, dass diese ihr aber nicht (moralisch bzw. juristisch) schuldhaft zuzurechnen sind.
--- Strafverfolger (aber auch Zivilrechtler: Schadenersatz; vgl. dazu auch bei SPON) haben, wenn die beiden ersten Punkte im Sinne konkreter Kausal- und Schuldzuweisungen beantwortet werden können, den Verschuldensgrad zu ermitteln. Vorsatz fällt hier zweifellos aus, doch müsste noch zwischen grober und leichter Fahrlässigkeit unterschieden werden. Um diese Aufgabe beneide ich keinen Richter; insbesondere bei denjenigen, die für die Planung bzw. Genehmigung verantwortlich und damit in der Kausalkette von den tatsächlichen Vorkommnissen weit entfernt waren, wird die Rechtsfindung außerordentlich schwierig sein.
Der letzte Satz weist bereits auf die andere Achse meiner Beurteilungsmatrix hin. Hier geht es um die kausale Nähe der Akteure zur (bzw. Entfernung von) der Massenpanik bei der Duisburger Loveparade. Insoweit lassen sich mindestens -5- Ebenen, Grade oder Stufen unterscheiden:
- Planungsebene. Menschenmengen in dieser Größenordnung (auch wenn man niedrigere Werte annimmt als die ursprünglich vom Veranstalter zu Werbezwecke grotesk übertriebene Zahlen von über 1 Mio.) hätte man schon nicht durch einen einzigen relativ schmalen Zugang leiten dürfen. Dafür, dass man diesen dann auch noch als (regulär) einzigen Abgang geplant hat, fällt mir kein anderes Wort ein als "kriminell". Es bleibt zwar immer noch schwierig, einen absolut wasserdichten Kausalzusammenhang herzustellen. Denn die Toten und Verletzten waren ja nicht die Folge aus einem Zusammenprall von Kommenden und Gehenden, sondern aus einer Art Verwirbelung an einem (eigentlich gesperrten und zur Benutzung weder vorgesehenen noch freigegebenen) Treppchen. (Die Todesfälle haben sich anscheinend sämtlich im Bereich der Treppe ereignet; die Verletzten dürften auch an anderen Stellen am Fuß der oder an den beiden Tunnelenden zur Rampe gestanden haben; allerdings war nach diesem Bericht von Marcel jedenfalls an einem -welchem?- der Tunnelausgänge das Gedränge noch erträglich.) [Momentan kann wohl nicht völlig ausgeschlossen werden, dass es auch im Tunnel - also ggf. wohl an dem bzw. den Tunnelausgang/ausgängen zur Rampe - zu Todesfällen kam. "usererfurt" verneint das freilich in einem -früheren- 3-teiligen Kommentar.] Und natürlich werden sich die Planer darauf berufen, dass sie Sicherheitsmaßnahmen vorgesehen hatten, die dann nicht umgesetzt wurden (angeblich hätte eine Trennung der das Gelände betretenden und verlassenden Personen durch Gitter erfolgen sollen; das hätte allerdings die Rampe noch mehr verengt [s. a. diesen Augenzeugenbericht], insbesondere für den jeweils größeren Strom der Kommenden am Anfang und der Gehenden am Schluss).
Aber selbst wenn hier vorgesehene Sicherheitsmaßnahmen nicht umgesetzt wurden, oder Hindernisse aufgestellt, die in der Planung nicht vorgesehen waren (Brezelbude? Bauzäune, Fahrzeuge, nach diesem Bild bzw. dem zugehörigen Augenzeugenbericht sogar Toiletten; hier berichtet jemand, der offenbar nahe der Unglückstreppe stand: "... standen wir etwa 5-6 Meter von den 2 Dixie Klos, die an der Mauer gegenueber der Rampe standen, entfernt"), kann man jedenfalls sachlich (die moralische und juristische Dimension lasse ich hier dahingestellt) den Planenden einen Mangel an Redundanz bei der Sicherheitsplanung vorwerfen. Mit Redundanz meine ich, dass Sicherheit auch beim Ausfall oder Versagen einzelner Elemente bzw. Personen noch gewährleistet sein muss.
Ganz allgemein lassen sich bei einer solchen Planung die Ebenen a) der aktiven und b) der passiven Sicherheit unterscheiden. Das 'Arrangement' sollte insgesamt so beschaffen sein, dass a) massive Probleme aller Voraussicht nach gar nicht erst auftreten (passive Sicherheit: angemessene Breite der Ein- und Ausgänge, und selbstverständlich keine gleichzeitige Nutzung eines einzigen - relativ schmalen - Durchlasses als Ein- und Ausgang).
Für den Fall, dass man solche dennoch nicht ganz ausschließen kann, müssen Maßnahmen der aktiven Sicherheit (Einlassschleusen, Ordner usw.) vorgesehen werden (aktive Sicherheit).
Das Motto muss also lauten: 'Aufgrund der gegebenen Verhältnisse kann man eine hinreichende Sicherheit annehmen; sollte es doch zu Schwierigkeiten kommen, haben wir Vorkehrungen für deren Lösung getroffen'.
Hier dagegen hat man den Eindruck, dass nach der Devise verfahren wurde:
'Ja, es gibt da gewisse Gefahrstellen, aber die kriegen wir auf der organisatorischen Ebene in den Griff'.
Das ist definitiv ein bereits im Kern verfehlter Ansatz. Ob dieser Fehler an sich justiziabel ist, ist freilich eine andere Geschichte. Ich gehe allerdings (um hier mal kühn eine Vorhersage des Strafverfahrens zu riskieren) davon aus, dass es zu einer Verurteilung der für diesen Engpass Verantwortlichen kommen wird - sowohl auf der Planungs- und Genehmigungsebene als auch, sofern die Rampe ungeplant weiter verengt wurde, auf der organisatorischen Ebene.
Unabhängig davon, ob im vorliegenden Fall die Probleme auf einer nachgelagerten Ebene (organisatorische Ausführung) noch verschärft wurden (etwa durch eine in der Planung nicht vorgesehene teilweise Verengung der Rampe durch Bauzäune usw.), hätten aus (nicht nur:) meiner Sicht Eingang und Ausgang getrennt werden müssen (wobei dann immer noch fraglich sein kann, ob man für solche Menschenströme nicht mehr als nur jeweils einen Ein- und Ausgang hätte einplanen müssen - egal, wie breit die sind).
Ich habe hier, wie gesagt, die tatsächliche Ebene angesprochen. Eine ganz andere Frage ist die juristische Schuldzuweisung. Relativ leicht zu beantworten ist sie insoweit, als ein Verstoß gegen Vorschriften vorliegt. Vorschriften kann man im vorliegenden Zusammenhang als in Worte geronnene Erfahrungen betrachten, als das Minimum dessen, was in anderen Zusammenhängen "state of the art", "anerkannte Regeln der Technik" usw. genannt wird.
Ist der Sachverhalt nicht unmittelbar in den Vorschriften geregelt, dürfte sich juristisch zunächst die Frage stellen, ob es andere Orientierungsmaßstäbe gibt (eben die oben schon angesprochenen 'allgemein anerkannten Regeln der Kunst'), welche die Verantwortlichen hätten kennen und die sie hätten befolgen müssen. ('Wo steht das / woher hätte ich das wissen können / sollen, dass es gefährlich ist, wenn die Besucher gleichzeitig denselben Durchlass benutzen?')
Gibt es solche nicht, müsste die strafrechtliche Bewertung die Frage stellen, ob ganz allgemein bei Anwendung der zumutbaren Sorgfalt die Gefahr hätte erkannt werden können und müssen. Ich gehe davon aus, dass die Gerichte dies bejahen werden; auch andere Veranstalter von Großereignissen haben ja bereits die Zusammenlegung von Ein- und Ausgang scharf kritisiert.
- Genehmigungsebene. Die Ausführungen für die Planungsebene gelten insoweit entsprechend, nur dass hier natürlich ein Verstoß gegen Gesetze und/oder Verwaltungsvorschriften ein größeres Gewicht bekommt.
Gegen manches aufgeregte Mediengeschrei ist dabei allerdings die Mahnung des Regensburger Rechtsprofessors Henning Ernst Müller zu beherzigen, die er in einem (auch auf der Informationsebene vorzüglichen) Beitrag im Rechtsblog des Beck-Verlages u. d. T. "Love Parade - wie wurde die Katastrophe verursacht? Ein Zwischenfazit" vom 28.07.10 ff. äußert:
"Viele der derzeit bekannt gewordenen Fakten zum Love Parade-Unglück sind für die Todesfälle nicht bedeutsam, da sie zwar möglicherweise pflichtwidrige Handlungen belegen, nicht aber einen unmittelbaren Zusammenhang mit den Todesfällen [stehen] ... . [Es] ist ... unerheblich, ob, wann und in welcher Breite Fluchtwege vom Gelände genehmigt wurden bzw. ein ausreichendes Brandschutzkonzept für das Gelände vorlag, denn diese haben bei der Katastrophe überhaupt keine Rolle gespielt. Auch der Zeitpunkt der Genehmigung ist unerheblich.".
[Vgl. dazu auch hier die Stellungnahme der Fa. TraffGo HT [traffgoht], die im Vorfeld der Veranstaltung ein Gutachten zur Evakuierung des Geländes verfasst hatte (meine Hervorhebung): "Die Evakuierungsanalyse untersucht lediglich die Entleerung des Veranstaltungsortes, nicht das Befüllen, bei dem der tragische Unfall auftrat. Die Entleerung des Geländes nach Veranstaltungsende verlief nach unserem Wissen problemlos, was die Analyseergebnisse unterstützt. Es besteht nach unserer Meinung kein kausaler Zusammenhang zwischen der Verringerung der Gesamtnotausgangsbreiten und den Problemen, die bei der Befüllung des Geländes auftraten." Die Fa. ist natürlich nicht unparteiisch, aber deswegen muss sie noch lange nicht Unrecht haben.]
Interessant auch einige Diskussionsbeiträge*, besonders die von Prof. Dr. Müller selbst stammenden, z. B. seine 'Einlassung' "... ich tendiere ... zu der Auffassung, dass die Genehmigung rechtswidrig war. Jedoch waren damit schon die (konkreten) Ereignisse vorhersehbar? Wenn der Genehmigende z.B. davon ausging, der Veranstalter würde solche Situationen mit seinen Ordnern schon bewältigen? Nach allem was bekannt ist, waren die Todesfälle noch am Ort vermeidbar durch ein klügeres Vorgehen der Ordnungskräfte. Deshalb: Ja, eine Schadenshaftung der Stadt Duisburg wird gegeben sein, aber nicht unbedingt eine Strafbarkeit der Verantwortlichen in den Ämtern" die sich wohl mit dem deckt, was ich hier geschrieben habe (seinen Kommentar-Kommentar habe ich erst nachträglich gelesen). Weitere Feststellung (bezogen freilich auf allgemeine Warnungen, nicht spezifisch auf evtl. Hinweise auf das Engpassproblem): "... das ist kein dolus eventualis hinsichtlich der Tötung bzw. Verletzung von Besuchern der Love Parade, da vielleicht allgemein Probleme vorausgesehen wurden, aber diese offenbar nicht ernstgenommen wurden und jedenfalls auch keine konkrete (tödliche) Verletzung von Besuchern vorausgesehen wurde. Ich bin ziemlich sicher, dass Veranstalter und Stadt Duisburg davon ausgingen, es würde "schon alles gut gehen".]:
* Zur Faktendimension vgl. jetzt ganz besonders den (trotz des kuriosen Kommentator-Nicks außerordentlich tief eindringenden) Beitrag Nr. 64 von "Pilsbierchen"!!! (Aufschlussreich jetzt auch sein weiteres Posting Nr. 93 und Nr. 100!)
Auf der Planungs- wie auf der Genehmigungsebene stellt sich für eine strafrechtliche (oder auch zivilrechtliche bei Schadenersatzansprüchen) Schuldzuweisung nach (oder zusammen mit) der Klärung der Kausalzusammenhänge die Frage der Zurechnung eines identifizierten Fehlers zu einer bestimmten Person oder Personengruppe. Es liegt auf der Hand, dass ein Amtsleiter oder gar ein Oberbürgermeister schon rein zeitlich die Veranstaltungspläne gar nicht im Detail durchsehen und kennen kann. Und dass es andererseits immer warnende Stimmen gibt, von Übervorsichtigen oder auch von Leuten, die Veranstaltungen aus ganz anderen Gründen torpedieren wollen und Sicherheitsbedenken nur vorschieben, muss ebenfalls in Rechnung gestellt werden. Wollte man, wenn etwas schiefgeht, Amtsträger schon dafür zur Rechnung ziehen, dass sie überhaupt eine Großveranstaltung genehmigt haben, hätten wir sehr bald "tote Hose" in Deutschland. Und wenn wir die Haftungsrisiken ins Unermessliche steigern, müssten wir am Ende Menschen zur Übernahme von Ämtern zwingen, so wie das bei den Magistraten im Alten Rom am Ende der Kaiserzeit der Fall gewesen sein soll (die mussten nämlich für das Steueraufkommen ihrer Civitas haften!). Sollte allerdings OB Sauerland konkret auf die Zugangsprobleme hingewiesen worden sein (und nicht nur unspezifisch darauf, dass 'die Stadt zu eng' oder 'das Gelände ungeeignet' ist), käme zweifellos eine strafrechtliche Verurteilung in Betracht. (Allerdings wäre er, wenn jemand ihm gegenüber das Gelände nur in allgemeiner Form für ungeeignet erklärt haben sollte, m. E. zur Nachfrage nach dem Grund verpflichtet gewesen.)
Aber selbstverständlich trägt der Oberbürgermeister die politische Verantwortung für die Geschehnisse und wird deshalb ja sogar von seinen eigenen Parteifreunden zum Rücktritt aufgefordert.
- Ausführende Stufe der Organisation (z. B. Floats zu nahe am Rampenausgang, Verkaufsbude, Bauzäune, Fahrzeuge auf Rampe, soweit diese Elemente in der Planung bzw. in den zur Genehmigung vorgelegten Unterlagen nicht enthalten waren).
[Dass die Organisation auch an anderen Stellen in der Stadt zu wünschen übrig ließ - und es auch dort zu kritischen Situationen kam - kann man z. B. in dem Augenzeugenbericht auf MeinKölnBlog nachlesen; ebenso dort bei "metamiri", wo übrigens die Stimmung als "grundsätzlich sehr friedlich und entspannt" beschrieben wird, also keineswegs aggressiv, wie Eva Herman -s. u.- ihren Leserinnen und Lesern weismachen will.]
- Entscheidungsebene während der laufenden Veranstaltung (Polizeiführung, Veranstaltungsleitung, Sicherheitschef ...) und zuletzt die
- Handlungsebene der einzelnen Menschen (Drängler, aber andererseits auch "Beruhiger" und Helfer in der Menge, Ordnungskraft oder Polizist auf der Treppe, der/die einzelne Polizist(in) in der Absperrkette, evtl. sogar von Teilnehmern über die Situation informiert usw.) Hier wird ein Schuldnachweis kaum möglich sein. (Die Probleme der Informationsbewertung, mit denen diese Polizisten konfrontiert waren, beschreibt hier sehr verständnisvoll der Kommentar von "Robert" vom 26. Juli 2010, 23:59: "... es wurde auch bereits Kritik laut, von Jugendlichen, die die Polizisten um Hilfe gebeten haben, und darauf hingewiesen haben, dass das im Tunnel da „einfach nicht so geht“. Diese sind einfach abgewimmelt worden [s. a. hier in dem erschütternden Bericht von Anja! S. a. hier], teils mit patzigen Kommentaren (angeblich). Nun ja. Einerseits ist die Polizei verpflichtet jeder Meldung und Anzeige erst einmal nachzugehen. Andererseits muss im Vorfeld bereits eine Filterung und subjektive Bewertung der Informationen stattfinden. Da haben wir nun den Polizisten, den ein paar hysterische Raver anschreien „da vorn gibt es ein Problem“, und im Gegensatz die Anweisung seiner Einsatzleitung „halt hier die Stellung“. Schon klar, dass der Polizist geneigt ist, sich nach vorab besprochenen/befohlenen Mustern zu verhalten. Meist bestimmt auch richtig, aber im vorliegenden Fall in gewissen Situationen grundfalsch, weil eine angemessene Reaktion so verhindert wurde.") Es wäre z. B. objektiv eventuell hilfreicher gewesen, wenn der Ordner auf der Treppe, statt eine einzelne Frau über das Geländer hochzuziehen, für eine schnelle Fortbewegung der Menschen über die Treppe nach oben gesorgt hätte. (Oder hätte man, wie dieser Augenzeuge meint, die Treppe besser gesperrt gehalten?) Aber das wird sich nicht beweisen lassen, und schon gar nicht kann man es der Ordnungskraft juristisch oder auch nur moralisch zum Vorwurf machen, dass er die Situation nicht erkannt oder umfassend genug analysiert hat. Die Drängler weiter hinten in den beiden Tunneln haben objektiv zur Menschenverdichtung und damit im Ergebnis (über einige Zwischenstufen) auch zu den Todesfällen beigetragen. Diesen Zusammenhang konnten sie aber während des Geschehens nicht erkennen; ihr Verhalten ist deshalb auch nicht justiziabel.
Auch das engmaschigste Bewertungsraster sperrt freilich nicht die Traurigkeit aus, die mich angesichts der Duisburger Tragödie immer wieder bedrängt.
Ohne damit die eigentlich Verantwortlichen exkulpieren zu wollen, will ich (wie manche andere Leserkommentatoren z. B. auf der Seite "DerWesten" das ebenfalls getan haben) doch auch die Rolle der Medien kritisch beleuchten.
In Kommentaren zu Artikeln auf dem Portal "Der Westen" der WAZ-Mediengruppe (Westdeutsche Allgemeine Zeitung) weisen einige darauf hin, dass sich (zwar einige Leser - z. B. hier und dort -, aber:) kein (Lokal-)Journalist Gedanken über die Sicherheit (insbesondere die Tunnelsituation) gemacht und einen entsprechend kritischen Artikel verfasst habe. Vielmehr hätten die Zeitungen positiv berichtet bzw. sogar Druck gemacht, damit die LoPa in Duisburg stattfindet.
Tatsächlich haben einige (allerdings wenige) schon recht frühzeitig die Meinung vertreten, dass Duisburg ein ungeeigneter Austragungsort für die Loveparade sei. So meint "dongiovanni" in einem Forenfaden u. d. T. "Loveparade" im Internetportal "DerWesten" bereits am 07.02.2010:
"Ich unterstütze die Absage Bochums und würde auch die Duisburgs unterstützen, da ich an den wesentlichen LP der Vergangenheit teilgenommen habe. Dortmund hatte es nicht geschafft. Die Veranstaltung war nur Murks. Leider. Essen war noch OK, natürlich nicht im Vergleich zu Berlin, aber immerhin. DO war eine Katastrophe. Bochum und Duisburg fehlen einfach der entsprechende Raum und die verkehrlichen Möglichkeiten. Duisburgs ÖPNV schafft doch kaum die Spiele des MSV in zweiter Liga und den Berufsverkehr. Die LP sollte nicht verramscht werden, sie hätte es nicht verdient."
Noch konkreter sind dann einige Kommentare zu den Artikeln "Loveparade wird zum Tanz auf dem Drahtseil" vom 20.07.10 und insbesondere bei "Bloß nicht in Flip-Flops zur Loveparade!" vom 21.07.10 auf dem gleichen Portal.
Kritik an den Medien übt (in anderer Hinsicht) auch die Augenzeugin, oder vielmehr das Beinahe-Opfer Julia, die in ihrem Blog ihre Todesangst, ihre Todesnähe, ihre Erschütterung über das Leid, das Sterben anderer, das sie unmittelbar miterlebt hat, zugleich hinausschreit wie auch verarbeitet (und sich dabei für mich trotz aller Erschütterung im Kern als eine außerordentlich starke und emotional tief verwurzelte Persönlichkeit darstellt):
"Was für mich auch unverständlich ist und mich zeitgleich total erschüttert sind viele Medien, bzw Presseleute, ich möchte keinesfalls alle über einen Kamm scheren, kann jedoch nicht verstehen wie wenig Mitgefühl vorhanden ist und man aus der Sache noch soviel Profit schlagen möchte! ..... Ich möchte mit niemandem reden, das betone ich hier nochmal ausdrücklich!
Ich werde auch keine Stellungnahme abgeben, besonders jetzt, zu diesem Zeitpunkt nicht!! Hätte ich den Drang danach würde ich mich mitteilen! Ich bitte noch einmal das bitte einfach zu respektieren. Die Menschen lesen meine Geschichte, was will man daran noch ausschlachten? Ich kann nicht mehr wiedergeben als meine Gedanken die ich HIER niederschreibe für MICH meine FREUNDINNEN und alle ANDEREN die ebenfalls vor Ort waren. Wieso respektieren die das nicht einfach? Wo ist das Mitgefühl?"
Schlechthin unsäglich ist der Kommentar "Sex- und Drogenorgie Loveparade: Zahlreiche Tote bei Sodom und Gomorrha in Duisburg" von Eva Herman vom 25.07.10 auf der Webseite des Kopp-Verlages, zwischendurch abgeschaltet und momentan wieder online. Als die Frau vor einiger Zeit wegen scheinbar Nazi-freundlicher Äußerungen angegriffen wurde und ihren Job als Tagesschau-Sprecherin verlor, hatte ich noch versucht, sie zu verstehen (in diesem Blott). Wenn ich jetzt aber einen Satzteil lese wie "Sie wussten, was sie erwartet", dann muss ich, wenn schon nicht am Verstand, dann doch zumindest an der Kommunikationsfähigkeit dieser Dame begründete Zweifel anmelden: DAS wussten die Feierfreudigen gerade nicht, dass man sie in eine Todesfalle einpferchen würde!
Blanke Äpfelchen, für unsere Eva Sittsam schon ein Abgrund an Verkommenheit ("Viele Mädchen haben den Busen blank gezogen, manche sind fast völlig nackt. Sie wiegen sich in ekstatischer Verzückung im ohrenbetäubenden Lärm, Begriffe wie Sittlichkeit oder Anstand haben sich in den abgrundtiefen Bassschlägen ins Nichts aufgelöst.") mag sich der eine oder andere erhofft haben. Aber wenn man sich die ganzen Videos, oder hier eine Unmenge von Bildern vom Fest selbst anschaut, sieht man davon keine bzw. bei den Fotos einige wenige (und die wohl meist oder alle von Leuten auf den "Floats", also den Wagen, die für Stimmung - und Publicity, und knackige Fotos für die Presse - sorgen sollen, also möglicher Weise vom Veranstalter arrangiert). [Blanke Busen sieht man anscheinend eher beim Oktoberfest in München!]
Ja, einige der Feiernden waren wirklich "betrunken oder vollgekifft" (vgl. auch den "Loveparade-Augenzeugenbericht 'Macht die Mauern weg!' " der ZEIT-Journalistin Andrea Hanna Hünniger). Die große Mehrheit kann das aber nicht gewesen sein. Das sieht man nicht nur aus den Bildern. Das kann man in diesem Augenzeugenbericht nachlesen (auch die Enttäuschung über die wenigen blanken weiblichen Brüste ;-) ): "Wir feierten mit den Leuten um die floats, waren z.T. verwundert, dass es so gesittet und sozial ablief und kaum Alkohol oder Drogenopfer zu sehen waren. Eine gewisse Enttäuschung war auch vorhanden, da wir eigentlich von einer viel verrückteren Party ausgegangen waren wie man sie in den letzten Jahren im TV verfolgen konnte: Freaks in freakigen Kostümen und blanke Brüste waren echt die Seltenheit dort."
Das lässt sich aber vor allem aus dem erschließen, was (nicht nur:) für mich geradezu ein Wunder, das Wunder von Duisburg ist:
Dass nämlich eine solche Menschenmenge, in einer solchen Situation, sich in der Summe (trotz einzelnen Fehlverhaltens) trotz allem doch noch so diszipliniert verhalten hat, dass es nicht zu weitaus mehr Todesopfern gekommen ist. Ich weiß nicht, ob ich persönlich, auch ohne Alkohol und Drogen, in einem solchen Hexenkessel die Nerven behalten hätte. Nicht auszudenken auch, was bei einigen Hitzegraden mehr passiert wäre ... . Oder eben bei einer tatsächlich weitgehend drogenberauschten Masse.
Eva Hermans Schlussatz
"Eventuell haben hier ja auch ganz andere Mächte mit eingegriffen, um dem schamlosen Treiben endlich ein Ende zu setzen. Was das angeht, kann man nur erleichtert aufatmen!"
ist unerträglich, obwohl sie (um ihren Text insoweit nicht unzulässig zu verkürzen) noch ein schmallippiges Bedauern folgen lässt:
"Grauenhaft allerdings, dass es erst zu einem solchen Unglück kommen musste."
Diese Frau erscheint mir als eine religiöse Fanatikerin, und auf jeden Fall als schon nicht mehr satisfaktionsfähig. Sollte sie sich zukünftig einem FKK-Gelände nähern, wird jeder pflichtbewusste Polizeibeamte sie nach einem Sprengsatzgürtel durchsuchen müssen.
Nachtrag 2.8.10: Nicht verschwiegen sei auch Frau Hermans Folgeartikel "Große Resonanz auf »Loveparade«-Artikel" vom 26.07.10, in dem sie sich zu rechtfertigen sucht. Kritik an der Loveparade lässt sich sicherlich rechtfertigen*, und der Satz "Es ist nur schwer verständlich, dass eine solche Veranstaltung von Politik, Gesellschaft und Medien nahezu kritiklos schöngeredet und verharmlost wird, ohne dabei auch nur den Versuch zu unternehmen, auf die damit verbundenen Gefahren hinzuweisen" mag ja auch eine gewisse Berechtigung haben. Aber dass das Fest ein "Sodom und Gomorrha", "eine riesige Drogen-, Alkohol- und Sexorgie" gewesen wäre, ist wohl arg überzogen, und der Satzteil "sie wussten, was sie erwartet" ist vor dem Hintergrund der Todesfälle absolut makaber. Ebenso ist Frau Hermans Versuch, den Teilnehmern selbst die Schuld an dem Unglück zu geben, daneben gegriffen. Sicher gab es Aggression und Pöbelei gegen Sicherheitskräfte. Aber entscheidend für das Unglück war der absolut unverständliche Planungsfehler, für den (zudem noch erwartungsgemäß teilweise gleichzeitigen!) Zu- und Abgang der Teilnehmer nur eine einzige Wegstrecke vorzusehen, die auch keine Ausweichmöglichkeiten bot. Und die Katastrophe als Gottesurteil darzustellen, ist nicht besonders intelligent: warum sollte der liebe Gott Menschen umbringen müssen, um sie zu bessern?
[* Es mag auch zutreffen, dass die Medien die Love Parade positiv überzeichnen und negative Erscheinungen bewusst ausblenden, wie ihr Verlagskollege Udo Ulfkotte in einer publizistischen Verteidigung ("Nach der Loveparade: Journalisten schmeißen Eva Herman mal wieder einen Stein hinterher" - 27.07.2010) von Frau Herman behauptet. Aber das rechtfertigt natürlich keine Übertreibungen nach der anderen Seite.]
Mittlerweile übt (um zum Thema 'Medienkritik' zurück zu kehren) sogar der FAZ-Mitarbeiter Stefan Niggemeier in seinem ironisch mit "Die Loveparade in den Medien. Ein einziger Blick in die Zukunft hätte doch gezeigt..." betitelten Artikel vom 01.08.2010 Kollegenschelte:
"Es ist eine bemerkenswerte Selbstgerechtigkeit, die durch viele Berichte über die Loveparade schimmert. Weitgehend ungestellt bleibt darin die Frage, warum die Journalisten selbst die angeblich unübersehbaren Mängel übersehen hatten."
Und weiter:
"Jeder Laie schreibt und sendet, dass jeder Laie das unausweichliche Unglück hätte erkennen können [ähem], und die Laien, die als Journalisten arbeiten, fragten schnell, warum das niemand von den Verantwortlichen erkannt hat. Weitgehend ungestellt blieb die Frage, warum, wenn die Mängel so unübersehbar waren, all die Journalisten sie vorher übersehen hatten. Und ob man zu den vielen, die ihrer Verantwortung nicht gerecht wurden, nicht auch die Medien zählen muss. .....
Vielleicht sagt das Fehlen von Recherchen und kritischen Würdigungen des Sicherheitskonzeptes vor dem Ereignis etwas aus über den Zustand des Lokaljournalismus. (WDR und Bild.de waren Medienpartner und also in der Rolle der Jubelperser.) Ganz sicher aber sagt die fehlende Auseinandersetzung der Medien mit ihrem Versagen etwas aus über ihr Selbstverständnis. .....
Ein einziger Artikel im Internetangebot der WAZ-Gruppe muss als Beleg dafür dienen, dass die Medien vorher schon vor Problemen gewarnt haben. Er referierte mit leichter [richtig: sehr leichter!] Skepsis fünf Tage vorher den Optimismus der Planer und trägt die Überschrift „Loveparade wird zum Tanz auf dem Drahtseil“. Unter diesem Artikel finden sich auch mehrere Leserkommentare, die die Planungen als äußerst riskant bewerten – und die im Nachhinein nun wiederum als Beweis dafür gewertet wurden, dass man es vorher hätte wissen müssen. .....
So wie viele Medien in dem Moment, in dem die Katastrophe passiert war, wussten, dass sie passieren musste, erwarteten sie auch von den Beteiligten unmittelbar Antworten und Schuldbekenntnisse. Keine Frage: Die Pressekonferenz, die Stadt, Behörden und Veranstalter am Sonntagmittag abhielten, war erschütternd. Aber der Anspruch von Medien, angetrieben durch die Taktgeber von „Spiegel Online“ [meine Hervorhebung], dass keine vierundzwanzig Stunden nach einem solchen Ereignis keine Fragen offen bleiben dürfen, spiegelte nicht nur das Quengeln einer unter Aufmerksamkeits-Defizit-Störung leidenden Branche wider, sondern auch die ganze Anmaßung der Rolle als Ankläger, die viele Medien nun eingenommen hatten. .....
Reflexartig wiederholt wurde auch die angebliche Ultra-Kommerzialität der Veranstaltung – ein Vorwurf, den man trotz freien Eintritts anscheinend nicht einmal belegen muss. [Meine Hervorhebung; mehr noch als in den Medien findet sich der befremdliche Kommerz-Vorwurf allerdings in zahlreichen Leserkommentaren.] „Monitor“ fand es irgendwie schon anrüchig, dass ein Limonadenhersteller als Sponsor einen „fünfstelligen Beitrag“ zahlte. Der Vorwurf der Geldmacherei gipfelte auf paradoxe Art darin, zu erwähnen, dass Schaller die Loveparade Millionen koste, die er aber als Verlust von den Steuern abziehen könne. Für „Spiegel-TV“ ist das gar „die einzig gute Nachricht an diesem Wochenende in Duisburg: Der kommerzielle Massenwahn hat keine Zukunft mehr.“"
Worüber ich heute eigentlich noch ausführlich hatte schreiben wollen, nämlich einen unsäglich arroganten Artikel auf Spiegel Online, bringe ich hier aus Zeitgründen nur in Form meines (veränderten, weil ich hier mehr Platz habe als die für FAZ-Leserkommentare zugelassenen 1.500 Zeichen) Kommentars zum Niggemeier-Beitrag:
"Bravo, Herr Niggemeier, für ihre ebenso engagierte wie substantiierte Kollegenschelte! Zwar gehöre auch ich zu jenen bloggenden Laien, die nicht verstehen können, wie Fachleute zufließende und abgehende Menschenmassen gegeneinander leiten können. Indes versuche ich ansonsten, Post-Prävoyeurismus zu vermeiden.
Das schlimmste Produkt journalistischer Verirrung (außer der nicht satisfaktionsfähigen Eva Hermann ) ist für mich der SPON-Artikel "Love-Parade-Tragödie. Widersprüche, Ausflüchte, Lügen." vom 27.07.10.
Beinahe nichts hat dort mit dem Titel zu tun, wie schon die Inhaltsübersicht zeigt:
* 1. Teil: Widersprüche, Ausflüchte, Lügen
* 2. Teil: Warum drängten sich die Massen?
* 3. Teil: Versagte die Kommunikation?
* 4. Teil: Wie viele Raver waren in Duisburg? [Hier wurde in der Tat gelogen. Das geht aber, vor dem Hintergrund der Katastrophe betrachtet, zu Lasten der Verantwortlichen (die haben sich also hier nicht rausgeredet), weil im Vorfeld mit viel zu hohen Besucherzahlen geprahlt wurde.]
* 5. Teil: Wie viele Polizisten waren in Duisburg?
* 6. Teil: Die Genehmigung - kurz und kurzfristig
* 7. Teil: Warnungen und Bedenken
* 8. Teil: Vorwürfe gegen den Bürgermeister
* 9. Teil: Welche Rolle spielte die (Landes-)Politik?
* 10. Teil: Wie finanzierte Duisburg die Love Parade?
* 11. Teil: Wie starben die Opfer?
Dafür herrscht Unverschämtheit:
"Drei Tage [!] ist es jetzt her, dass 21 Menschen in einer Massenpanik ... qualvoll gestorben sind ... Die Republik will endlich [!] wissen, wer dafür verantwortlich ist."
Auf der Folgeseite wird dagegen kommentarlos die nachvollziehbare Feststellung der Polizei zitiert:
"Wir sind zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht in der Lage zu sagen, was der Auslöser für das Ganze war."
Auf S. 6 ("Die Genehmigung - kurz und kurzfristig") wird die Richtigkeit eines Verwaltungsbescheides an seiner Textlänge gemessen: "SPIEGEL ONLINE enthüllte bereits am Sonntag die skandalös erscheinende "Genehmigung einer vorübergehenden Nutzungsänderung" für das Gelände der Love Parade. In diesem gerade einmal zwei Seiten umfassenden Schriftstück an die Berliner Lopavent GmbH befreite ein Sachbearbeiter der Unteren Bauaufsicht die Organisatoren von der Vorschrift, die vorgeschriebenen Breiten der Fluchtwege einhalten zu müssen. [Dass diese Befreiung mit der Katastrophe überhaupt nichts zu tun hat, hatte ich bereits oben erörtert.]
Erst auf S. 7 kommt, was eine - auch strafrechtlich relevante - Lüge sein könnte: "Oberbürgermeister Sauerland ... "Mir sind keine Warnungen bekannt".
Die Bildzeitung ist seriös dagegen!"
Nein, neben diesen Spiegel-Kämpfern möchte ich nicht in einer Massenpanik stecken!
Hier am Schluss des Artikels (vor den Kommentaren) eine Linksammlung einiger Augenzeugenberichte.
"Erinnerungen von Augenzeugen – zusammengefasst und verlinkt" lautet die Überschrift einer Seite in dem oben bereits erwähnten Blog "Loveparade2010Doku".
Ein weiterer Augenzeugenbericht ist der Blog von Christine Rubenbauer (auch mit einigen Videos).
Fotos, vor allem vom Weg hin zum Gelände, von "adam" bei Picasa.
Unsystematisch gesammelte weitere Links zu Pressemeldungen usw., die mir bedeutsam erscheinen:
- "21 Tote bei der Loveparade. Warum diese Polizeikette auf der Rampe?" bei RP Online (wobei freilich die mitverarbeiteten Informationen eines Polizisten aus dem Führungsstab für mich eher spärlich sind).
Unter "Love-Parade-Sicherheit. 'Ich sagte denen klipp und klar: Das geht gar nicht!' " berichtet SPON vom 29.07.10:
"Die Warnung kam von kompetenter Stelle. Der Sachverständige Klaus Schäfer hat bereits im März vor Mitarbeitern der Stadt Duisburg die Planungen für die Love Parade als zu riskant kritisiert. Doch seine Einwände wurden ignoriert. Nun gilt er als wichtiger Zeuge zu den Hintergründen der Katastrophe."
Auszüge:
"Schäfer war am 22. März von der Stadt eingeladen worden. Im Fortbildungszentrum sollte er gegen Honorar über die Planung, über Risiken und Evakuierungsszenarien bei Großveranstaltungen referieren. Die Behörden waren damals noch im Entscheidungsprozess, ob die Love Parade in Duisburg stattfinden sollte oder nicht. Rund 40 verantwortliche Mitarbeiter aus dem Bau-, Tief-, Straßenverkehrs-, Kataster- und Ordnungsamt sowie Feuerwehrmänner hätten an der eintägigen Informationsveranstaltung teilgenommen, wie Schäfer sagt. .....
Schäfer selbst schildert, wie ihm im Rahmen jenes Seminars Pläne für eine Love Parade in Duisburg vorgelegt worden seien. Sein Urteil: "Das Gelände war nicht im Ansatz für eine derartige Veranstaltung geeignet - vor allem wegen des Tunnels als einzigem Ein- und Ausgang. Ich sagte denen klipp und klar: Das geht gar nicht!", so Schäfer heute."
Im unmittelbar anschließenden Text ist allerdings von der Besucherzahl im Verhältnis zur Geländegröße die Rede, aber dann kommt doch noch einmal die Ein- und Auslasssituation zur Sprache:
"Ausdrücklich habe er betont, so sagt er heute, dass die Pläne für die Straßenabsperrungen "absoluter Irrsinn" seien. Ebenso die Idee, Menschenmassen durch einen 16 Meter breiten Tunnel zu schicken. Explizit habe er vor diesen Gefahren gewarnt."
Man vermisst einen Hinweis auf die Problematik der Rampe; entweder hat der Spiegel etwas weggelassen oder Schäfer darüber nicht berichtet - oder auf der Veranstaltung nichts dazu gesagt. Anscheinend hat Schäfer das Gelände auch nicht selbst besichtigt (nicht als Vorwurf gemeint; lediglich als potentiell wichtige Information) (meine Hervorhebung):
"Schäfer selbst schildert, wie ihm im Rahmen jenes Seminars Pläne für eine Love Parade in Duisburg vorgelegt worden seien."
Letztlich ist also der Spiegel-Bericht (oder die Informationen, die Schäfer dem Spiegel gegeben hat?) etwas zu vage, um daraus unmittelbare Schuldvorwürfe, insbesondere gegen konkrete Behördenverantwortliche, ableiten zu können. In seiner vierstündigen Vernehmung bei der Staatsanwaltschaft dürfte er allerdings eine sehr viel detailliertere Schilderung abgegeben haben, und auch der Schluss lässt vermuten, dass den Genehmigungsverantwortlichen Fahrlässigkeit anzulasten ist:
"Teilnehmer des Seminars vom 22. März hätten sein Angebot zur Zusammenarbeit mit den Feuerehren von Essen und Dortmund abgelehnt. Begründung laut Schäfer: Sie hätten sich gegen die Befürworter einer Love Parade und deren Konzept nicht durchsetzen können. Die Techno-Party wurde letztlich, so behauptet es Schäfer, nach dem Plan durchgeführt, vor dem er ausdrücklich gewarnt hatte. "Sie haben es genau so gemacht, wie ich sagte, dass sie es nicht machen sollen."
Im Vorfeld der Veranstaltung war Prof. ("Stauforscher") Michael Schreckenberg von der Universität Duisburg-Essen als Sicherheitsgutachter für die Stadt Duisburg tätig gewesen. Den Inhalt eines Interviews vom 25.07.10 mit ihm fasst die Redaktion von RP Online so zusammen:
"[S.] hatte das Sicherheitskonzept für die Loveparade vorab geprüft. Jetzt erhebt Schreckenberg Vorwürfe, das Konzept sei zwar ausreichend gewesen, sei jedoch offenbar nicht korrekt umgesetzt worden."
Lesen wir dazu mal, was Meister Schreckenberg längere Zeit vorher dem Spiegel über Massenpaniken bzw. deren Verhinderung gesagt hatte ("KATASTROPHEN. Geordnet in den Untergang" vom 06.10.08) (meine Hervorhebung):
"Vorhersagbaren Regeln folge dabei der flüchtende Mensch, und diese würden von Katastrophenschützern viel zu wenig berücksichtigt. "Niemand flieht zum Beispiel in einen dunklen Notausgang", warnt Schreckenberg. Zwei Fluchtwege seien oft nicht besser als einer: "Die Masse der Flüchtenden staut sich immer an der Tür, wo die meisten hinrennen." .....
In Jodhpur kippte eine Mauer um, die zur Kanalisierung der Massen gebaut worden war - ein "dramatischer Planungsfehler", wie Schreckenberg konstatiert.
Fluchtwege müssten so gebaut sein, dass die Menschen hindurchströmen wie ein Schwarm Heringe. Jeder Stillstand kann tödlich sein. ..... Eine Masse in ihrem kollektiven Reflex zu steuern, so etwas gelinge nur in den ersten Momenten. "Strikte Führung" über Lautsprecher sei dafür nötig, so Schreckenberg. Die Leute brauchten das Gefühl, die Organisatoren hätten die Lage im Griff."
Wenn Fluchtwege so gebaut sein müssen, dass die Massen hindurchströmen können, dann sollte das doch wohl genauso und erst Recht für die regulären Wege gelten, Herr Stau-Professor?
Und unabhängig davon, wie die Wege gebaut sind: Wenn man zwei Heringsströme gegeneinander leitet, ist die Schwärmerei sowieso vorbei!
Ein dramatischer Planungsfehler halt.
(Zur Position von Schreckenberg vgl. auch das Interview vom 27.07.10 in der Stuttgarter Zeitung.)
Auch der oben zitierte Regensburger Strafrechtsprofessor Dr. Henning Ernst Müller schätzt die Planung und Genehmigung einer solchen Massenveranstaltung mit nur einem einzigen Zu- und Abgang als fahrlässiges Handeln ein. In seinem Kommentar # 88 im Beck-Blog formuliert er ohne Umschweife:
"Ich halte im Übrigen, wie schon im Ausgangsbeitrag angedeutet, die Durchführung mit nur EINEM Ein/Ausgang bei der erwarteten Anzahl der Zuschauer, die gleichzeitig rein- und rauswollten, für fahrlässig, und hier ist auch ein Kausalzusammenhang gegeben."
Die Stadt ist sich keiner Schuld bewusst und hat von einem Anwaltsbüro ein Gutachten erstellen lassen, das sie exkulpieren soll. (Hier auf der Webseite der Stadt das Gutachten selbst.)
Dagegen ist für den Katastrophenforscher Dirk Oberhagemann glasklar (meine Hervorhebung):
"Laut eigenem Konzept ging der Veranstalter von 485 000 Zuschauern aus, hatte aber eine behördliche Genehmigung nur für 250 000 Besucher.
"Also hat man dann mit Zu- und Abstromanalyse das so ausgerechnet, dass die maximale Anzahl der Besucher auf dem Gelände nie überschritten wurde", sagt der Gutachter. Hier liege ein "eklatanter Konzeptfehler beim Veranstalter" vor, so Oberhagemann weiter. So rechnete die Lopavent GmbH laut eigenen Unterlagen zum Höhepunkt der Katastrophe gegen 17.00 Uhr mit 90 000 Besuchern pro Stunde, die durch die Tunnel auf das Gelände zugehen, und gleichzeitig mit 55 000 Personen, die den Festplatz verlassen. Die Kapazität der Tunnel lag jedoch bei maximal 30 000 Personen pro Stunde.
"All diese Ungereimtheiten hätten der Stadt Duisburg als Genehmigungsbehörde bei einer gründlichen Überprüfung des Sicherheitskonzeptes auf jeden Fall auffallen müssen", rügt der Katastrophenforscher Dirk Oberhagemann. Stattdessen hat die Stadt sowohl das mangelhafte Sicherheitskonzept als auch die Veranstaltungsbeschreibung abgestempelt und genehmigt."
Und schon früher hatte Oberhagemann gegenüber der FAZ erklärt:
"Ein Tunnel als einzigen Zugang für so einen Massenandrang sei „zweifelsohne absolut ungeeignet.“ Eine solch große Veranstaltung dürfe man nur mit einem Einbahnstraßensystem zulassen. Zu- und Abgang müssten auf jeden Fall voneinander getrennt werden. „Ein Eingang und ein separater Ausgang – so und nicht anders.“
Nachtrag 09.08.2010
Zur Gedrängelage am Rampenfuß, bedingt durch Polizeisperrung der Rampe und Öffnung der Schleusen des Westtunnels, vgl. nunmehr unbedingt auch das Spiegel Online Interview "Es war Funkstille" vom 09.08.10 mit dem vom Veranstalter als "Crowd Manager" eingesetzten Psychologen Carsten Walter. Walter saß in dem Container am Fuß der Rampe (d. h. in dem zur Rampe hin offenen Tunnelstück der Karl-Lehr-Straße), über den man auf zahlreichen Videos die Menschen hochklettern sieht.
Weitere Überlegungen zum Verschulden speziell der Stadtverwaltung Duisburg jetzt in meinem 3. Blott "Loveparade-Massenunglück: Eine Brücke zum Schuldverständnis".
Mein 2. Blott zum Thema: "Wahrheit, Lüge, Rechtsgutachten: Zwischenbericht UNTERSUCHUNG DES VERWALTUNGSHANDELNS AUF SEITEN DER STADT DUISBURG ANLÄSSLICH DER LOVEPARADE."
4. Eintrag (vom 17.08.10): "Runter von der Rampe, Adolf! oder: Schwarze Schand für unser Land: Duisburgs OB Sauerland!"
Textstand vom 28.08.2010. Auf meiner Webseite
http://www.beltwild.de/drusenreich_eins.htm
finden Sie eine Gesamtübersicht meiner Blog-Einträge (Blotts).
Zu einem „Permalink“, d. h. zu einem Link nur zum jeweiligen Artikel, gelangen
Sie mit einem Klick auf das Erstellungsdatum unterhalb des jeweiligen Eintrages.
Soweit die Blotts Bilder enthalten, können diese durch Anklicken vergrößert werden.
[*Nachtrag: mittlerweile ist auch jener Eintrag abgeschlossen.]
Die Medien karren uns, brutal gesagt, beinahe täglich Tote ins Haus: das überfordert, bei mir jedenfalls, die Mitleidensfähigkeit und stumpft ab.
Bilder gehen zwar trotzdem noch unter die Haut, aber die hatte ich zunächst nicht gesehen bzw. ausgeblendet; auf den Internet-Seiten müsste man sie erst einmal vergrößern, und zum Fern-Sehen fehlt mir einfach die Zeit.
Was mich tiefer in die Sache reingezogen hat, war eine kartographische Illustration des Geschehens am Fuß der Zugangsrampe zum Festgelände und der zugehörige Augenzeugenbericht "Augenzeugenbericht von der Loveparade
Warum nur diese Polizeikette?" auf FAZ.net vom 27.07.2010: "Jürgen G. entschied eher spontan, zur Loveparade zu gehen. Auf dem Weg zum Veranstaltungsgelände erlebte er das Chaos aus nächster Nähe. Sein Augenzeugenbericht liefert plausible Gründe, warum es zur Katastrophe kam."
Wenn man sich erst darauf einlässt, die Karten und die zugehörigen Erläuterungen Schritt für Schritt nachzuvollziehen, steht man plötzlich selbst gedanklich am Ort der Katastrophe. Mit tieferem Einlesen, zunächst noch um das Verständnis der räumlichen Zusammenhänge ringend, kamen dann auch die Augenzeugenberichte und die Bilder und das Entsetzen. Einerseits. Gleichzeitig aber stellte sich das Thema (und wird ja auch von Medien und Kommentatoren in zahlreichen Berichten und Meinungsäußerungen in dieser Weise angegangen) als eine intellektuelle Herausforderung dar, gewissermaßen ein Katastrophen-Whodunit.
Viele Kommentatoren sind freilich mit der Identifikation der "Täter" recht schnell bei der Hand: "Die da oben", "die abgehobenen/größenwahnsinnigen/korrupten Politiker" waren Schuld, und insbesondere natürlich der Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland.
Den will ich hier weder freisprechen noch - moralisch, politisch oder gar quasi-juristisch - verurteilen.
Überhaupt möchte ich hier keine Analyse der konkreten Geschehensabläufe versuchen; das leisten andere besser, als ich es könnte:
- Alvar Freude präsentiert in seinem ODEM-Blog zwei Einträge dazu, mit einer Fülle von Links (weitere in den Leser-Kommentaren): "Was passierte auf der Loveparade warum? Wer hat die Schuld? (Updates)", begonnen am 27.07.10 und "Der Ablauf der Tragödie Loveparade", begonnen am 29.07.10.
- Eine noch umfangreichere Materialsammlung, insbesondere auch von verlinkten Augenzeugenvideos (alle oder fast alle bei Youtube) bietet der Blog "Loveparade2010doku" [von einer, wie ich hier in ihren Kommentaren erfahre, "Martina"]: "Dokumentation der Ereignisse zur Loveparade 2010 in Duisburg. Sammlung von Bildern, Videos und Informationen". Dieser Blog hat sich eine detaillierte Rekonstruktion der Vorgänge durch die Gemeinschaft der Netznutzer zum Ziel gesetzt. An diese appelliert er (und diese Aufforderung gebe ich gern weiter):
"Suche nach Bildern und Videos zwischen 16:25 Uhr und 17:20 Uhr!
30. Juli 2010 – 13:02
Leute, wir haben längst noch nicht genug Material!
Bitte ladet alle Bilder und Videos, die ihr gemacht habt, bei www.multiupload.com hoch und postet die Links als Kommentar!
Insbesondere Aufnahmen vom unteren Rampenbereich, speziell bei der Treppe, in der Zeit von 16:25 bis 17:20 Uhr fehlen noch massiv!
Wenn ihr im Netz noch weiteres Material findet – bitte postet die Links! Bitte möglichst Originalaufnahmen und nicht Zusammenschnitte.
Wichtig ist, dass immer die genaue Zeit herausgefunden wird. Gegebenenfalls die Kamerazeit mit der Realzeit abgleichen, um Abweichungen herausrechnen zu können."
Auch hier liefern Leserkommentare zahlreiche ergänzende Informationen und Links.
[Erg. 26.8.10: Über die Hintergründe und die Macher - Martina war wohl die Ideengeberin, ist aber nicht die alleinige Bloggerin dort - informiert heute xtranews: "Loveparade: Interview mit den Machern des Loveparade2010doku-Blogs". Sehr interessant - danke!]
Aus meiner vielfältigen, wenn auch eher kursorischen, Lektüre von Berichten, Kartenmaterial, Fotos und Videos kristallisiert sich für mich ein abstraktes Raster heraus, das vielleicht helfen kann, ein wenig vom Geschehen zurück zu treten und die verschiedenen Betrachtungsweisen mit ihren unterschiedlichen Zielsetzungen zu unterscheiden und vielleicht auch zu kanalisieren.
Ich stelle mir ein solches 'Erfassungsschema' als eine Matrix vor:
- Auf der einen Achse die Zielsetzungen. Hier sehe ich 2 relevante Analysedimensionen (mit weiterer Unterteilung der einen):
-- Welche Fehler wurden objektiv gemacht und haben zu dem Unglück geführt? (Die Absperrung der Rampe durch die Polizei könnte ein gravierender Fehler gewesen sein*; andererseits kann niemand wissen, ob es nicht ohne diese Sperrung dann weiter oben beim Aufeinandertreffen der Abgehenden und der Zugehenden - das ja offenbar mit der Sperrung verhindert werden sollte - zu einem noch größeren Unglück gekommen wäre). Ziel dieser Ursachenerforschung ist (außer der Freude an einem abstrakten Erkenntnisgewinn) die Prävention bei anderen derartigen Veranstaltungen. Zugleich ist eine solche Kausalanalyse aber auch die Voraussetzung für jegliche juristische Aufarbeitung.
* vgl. dazu auch diesen Augenzeugenbericht!
[Für Zahlen zum Zugang-Abgang-Problem vgl. nunmehr Teil 3 ("Für wie viele Besucher pro Stunde waren die Zugangswege ausgelegt?") der SpiegelOnline-Recherche von Simone Utler "Love-Parade-Trickserei. Die wundersame Schrumpfung der 1,4 Millionen"]
-- Liegt insoweit ein Verschulden der unmittelbar Handelnden (bzw. Weisunggebenden) vor? Dazu müsste man deren Informationshorizont kennen; aber zweifellos sind die Akteure davon ausgegangen, dass sie mit ihrem Handeln die Besucher schützen. Dass diese Einschätzung möglicher Weise objektiv falsch war, kann man ihnen nicht ohne Weiteres moralisch oder gar juristisch als Schuld zurechnen; Fehler kann man auch unverschuldet machen. Und da die Polizei sicherlich nicht die Absicht hatte, den Besuchern zu schaden, spricht zunächst einmal alles dafür, dass sie zwar vermutlich Fehler gemacht hat, dass diese ihr aber nicht (moralisch bzw. juristisch) schuldhaft zuzurechnen sind.
--- Strafverfolger (aber auch Zivilrechtler: Schadenersatz; vgl. dazu auch bei SPON) haben, wenn die beiden ersten Punkte im Sinne konkreter Kausal- und Schuldzuweisungen beantwortet werden können, den Verschuldensgrad zu ermitteln. Vorsatz fällt hier zweifellos aus, doch müsste noch zwischen grober und leichter Fahrlässigkeit unterschieden werden. Um diese Aufgabe beneide ich keinen Richter; insbesondere bei denjenigen, die für die Planung bzw. Genehmigung verantwortlich und damit in der Kausalkette von den tatsächlichen Vorkommnissen weit entfernt waren, wird die Rechtsfindung außerordentlich schwierig sein.
Der letzte Satz weist bereits auf die andere Achse meiner Beurteilungsmatrix hin. Hier geht es um die kausale Nähe der Akteure zur (bzw. Entfernung von) der Massenpanik bei der Duisburger Loveparade. Insoweit lassen sich mindestens -5- Ebenen, Grade oder Stufen unterscheiden:
- Planungsebene. Menschenmengen in dieser Größenordnung (auch wenn man niedrigere Werte annimmt als die ursprünglich vom Veranstalter zu Werbezwecke grotesk übertriebene Zahlen von über 1 Mio.) hätte man schon nicht durch einen einzigen relativ schmalen Zugang leiten dürfen. Dafür, dass man diesen dann auch noch als (regulär) einzigen Abgang geplant hat, fällt mir kein anderes Wort ein als "kriminell". Es bleibt zwar immer noch schwierig, einen absolut wasserdichten Kausalzusammenhang herzustellen. Denn die Toten und Verletzten waren ja nicht die Folge aus einem Zusammenprall von Kommenden und Gehenden, sondern aus einer Art Verwirbelung an einem (eigentlich gesperrten und zur Benutzung weder vorgesehenen noch freigegebenen) Treppchen. (Die Todesfälle haben sich anscheinend sämtlich im Bereich der Treppe ereignet; die Verletzten dürften auch an anderen Stellen am Fuß der oder an den beiden Tunnelenden zur Rampe gestanden haben; allerdings war nach diesem Bericht von Marcel jedenfalls an einem -welchem?- der Tunnelausgänge das Gedränge noch erträglich.) [Momentan kann wohl nicht völlig ausgeschlossen werden, dass es auch im Tunnel - also ggf. wohl an dem bzw. den Tunnelausgang/ausgängen zur Rampe - zu Todesfällen kam. "usererfurt" verneint das freilich in einem -früheren- 3-teiligen Kommentar.] Und natürlich werden sich die Planer darauf berufen, dass sie Sicherheitsmaßnahmen vorgesehen hatten, die dann nicht umgesetzt wurden (angeblich hätte eine Trennung der das Gelände betretenden und verlassenden Personen durch Gitter erfolgen sollen; das hätte allerdings die Rampe noch mehr verengt [s. a. diesen Augenzeugenbericht], insbesondere für den jeweils größeren Strom der Kommenden am Anfang und der Gehenden am Schluss).
Aber selbst wenn hier vorgesehene Sicherheitsmaßnahmen nicht umgesetzt wurden, oder Hindernisse aufgestellt, die in der Planung nicht vorgesehen waren (Brezelbude? Bauzäune, Fahrzeuge, nach diesem Bild bzw. dem zugehörigen Augenzeugenbericht sogar Toiletten; hier berichtet jemand, der offenbar nahe der Unglückstreppe stand: "... standen wir etwa 5-6 Meter von den 2 Dixie Klos, die an der Mauer gegenueber der Rampe standen, entfernt"), kann man jedenfalls sachlich (die moralische und juristische Dimension lasse ich hier dahingestellt) den Planenden einen Mangel an Redundanz bei der Sicherheitsplanung vorwerfen. Mit Redundanz meine ich, dass Sicherheit auch beim Ausfall oder Versagen einzelner Elemente bzw. Personen noch gewährleistet sein muss.
Ganz allgemein lassen sich bei einer solchen Planung die Ebenen a) der aktiven und b) der passiven Sicherheit unterscheiden. Das 'Arrangement' sollte insgesamt so beschaffen sein, dass a) massive Probleme aller Voraussicht nach gar nicht erst auftreten (passive Sicherheit: angemessene Breite der Ein- und Ausgänge, und selbstverständlich keine gleichzeitige Nutzung eines einzigen - relativ schmalen - Durchlasses als Ein- und Ausgang).
Für den Fall, dass man solche dennoch nicht ganz ausschließen kann, müssen Maßnahmen der aktiven Sicherheit (Einlassschleusen, Ordner usw.) vorgesehen werden (aktive Sicherheit).
Das Motto muss also lauten: 'Aufgrund der gegebenen Verhältnisse kann man eine hinreichende Sicherheit annehmen; sollte es doch zu Schwierigkeiten kommen, haben wir Vorkehrungen für deren Lösung getroffen'.
Hier dagegen hat man den Eindruck, dass nach der Devise verfahren wurde:
'Ja, es gibt da gewisse Gefahrstellen, aber die kriegen wir auf der organisatorischen Ebene in den Griff'.
Das ist definitiv ein bereits im Kern verfehlter Ansatz. Ob dieser Fehler an sich justiziabel ist, ist freilich eine andere Geschichte. Ich gehe allerdings (um hier mal kühn eine Vorhersage des Strafverfahrens zu riskieren) davon aus, dass es zu einer Verurteilung der für diesen Engpass Verantwortlichen kommen wird - sowohl auf der Planungs- und Genehmigungsebene als auch, sofern die Rampe ungeplant weiter verengt wurde, auf der organisatorischen Ebene.
Unabhängig davon, ob im vorliegenden Fall die Probleme auf einer nachgelagerten Ebene (organisatorische Ausführung) noch verschärft wurden (etwa durch eine in der Planung nicht vorgesehene teilweise Verengung der Rampe durch Bauzäune usw.), hätten aus (nicht nur:) meiner Sicht Eingang und Ausgang getrennt werden müssen (wobei dann immer noch fraglich sein kann, ob man für solche Menschenströme nicht mehr als nur jeweils einen Ein- und Ausgang hätte einplanen müssen - egal, wie breit die sind).
Ich habe hier, wie gesagt, die tatsächliche Ebene angesprochen. Eine ganz andere Frage ist die juristische Schuldzuweisung. Relativ leicht zu beantworten ist sie insoweit, als ein Verstoß gegen Vorschriften vorliegt. Vorschriften kann man im vorliegenden Zusammenhang als in Worte geronnene Erfahrungen betrachten, als das Minimum dessen, was in anderen Zusammenhängen "state of the art", "anerkannte Regeln der Technik" usw. genannt wird.
Ist der Sachverhalt nicht unmittelbar in den Vorschriften geregelt, dürfte sich juristisch zunächst die Frage stellen, ob es andere Orientierungsmaßstäbe gibt (eben die oben schon angesprochenen 'allgemein anerkannten Regeln der Kunst'), welche die Verantwortlichen hätten kennen und die sie hätten befolgen müssen. ('Wo steht das / woher hätte ich das wissen können / sollen, dass es gefährlich ist, wenn die Besucher gleichzeitig denselben Durchlass benutzen?')
Gibt es solche nicht, müsste die strafrechtliche Bewertung die Frage stellen, ob ganz allgemein bei Anwendung der zumutbaren Sorgfalt die Gefahr hätte erkannt werden können und müssen. Ich gehe davon aus, dass die Gerichte dies bejahen werden; auch andere Veranstalter von Großereignissen haben ja bereits die Zusammenlegung von Ein- und Ausgang scharf kritisiert.
- Genehmigungsebene. Die Ausführungen für die Planungsebene gelten insoweit entsprechend, nur dass hier natürlich ein Verstoß gegen Gesetze und/oder Verwaltungsvorschriften ein größeres Gewicht bekommt.
Gegen manches aufgeregte Mediengeschrei ist dabei allerdings die Mahnung des Regensburger Rechtsprofessors Henning Ernst Müller zu beherzigen, die er in einem (auch auf der Informationsebene vorzüglichen) Beitrag im Rechtsblog des Beck-Verlages u. d. T. "Love Parade - wie wurde die Katastrophe verursacht? Ein Zwischenfazit" vom 28.07.10 ff. äußert:
"Viele der derzeit bekannt gewordenen Fakten zum Love Parade-Unglück sind für die Todesfälle nicht bedeutsam, da sie zwar möglicherweise pflichtwidrige Handlungen belegen, nicht aber einen unmittelbaren Zusammenhang mit den Todesfällen [stehen] ... . [Es] ist ... unerheblich, ob, wann und in welcher Breite Fluchtwege vom Gelände genehmigt wurden bzw. ein ausreichendes Brandschutzkonzept für das Gelände vorlag, denn diese haben bei der Katastrophe überhaupt keine Rolle gespielt. Auch der Zeitpunkt der Genehmigung ist unerheblich.".
[Vgl. dazu auch hier die Stellungnahme der Fa. TraffGo HT [traffgoht], die im Vorfeld der Veranstaltung ein Gutachten zur Evakuierung des Geländes verfasst hatte (meine Hervorhebung): "Die Evakuierungsanalyse untersucht lediglich die Entleerung des Veranstaltungsortes, nicht das Befüllen, bei dem der tragische Unfall auftrat. Die Entleerung des Geländes nach Veranstaltungsende verlief nach unserem Wissen problemlos, was die Analyseergebnisse unterstützt. Es besteht nach unserer Meinung kein kausaler Zusammenhang zwischen der Verringerung der Gesamtnotausgangsbreiten und den Problemen, die bei der Befüllung des Geländes auftraten." Die Fa. ist natürlich nicht unparteiisch, aber deswegen muss sie noch lange nicht Unrecht haben.]
Interessant auch einige Diskussionsbeiträge*, besonders die von Prof. Dr. Müller selbst stammenden, z. B. seine 'Einlassung' "... ich tendiere ... zu der Auffassung, dass die Genehmigung rechtswidrig war. Jedoch waren damit schon die (konkreten) Ereignisse vorhersehbar? Wenn der Genehmigende z.B. davon ausging, der Veranstalter würde solche Situationen mit seinen Ordnern schon bewältigen? Nach allem was bekannt ist, waren die Todesfälle noch am Ort vermeidbar durch ein klügeres Vorgehen der Ordnungskräfte. Deshalb: Ja, eine Schadenshaftung der Stadt Duisburg wird gegeben sein, aber nicht unbedingt eine Strafbarkeit der Verantwortlichen in den Ämtern" die sich wohl mit dem deckt, was ich hier geschrieben habe (seinen Kommentar-Kommentar habe ich erst nachträglich gelesen). Weitere Feststellung (bezogen freilich auf allgemeine Warnungen, nicht spezifisch auf evtl. Hinweise auf das Engpassproblem): "... das ist kein dolus eventualis hinsichtlich der Tötung bzw. Verletzung von Besuchern der Love Parade, da vielleicht allgemein Probleme vorausgesehen wurden, aber diese offenbar nicht ernstgenommen wurden und jedenfalls auch keine konkrete (tödliche) Verletzung von Besuchern vorausgesehen wurde. Ich bin ziemlich sicher, dass Veranstalter und Stadt Duisburg davon ausgingen, es würde "schon alles gut gehen".]:
* Zur Faktendimension vgl. jetzt ganz besonders den (trotz des kuriosen Kommentator-Nicks außerordentlich tief eindringenden) Beitrag Nr. 64 von "Pilsbierchen"!!! (Aufschlussreich jetzt auch sein weiteres Posting Nr. 93 und Nr. 100!)
Auf der Planungs- wie auf der Genehmigungsebene stellt sich für eine strafrechtliche (oder auch zivilrechtliche bei Schadenersatzansprüchen) Schuldzuweisung nach (oder zusammen mit) der Klärung der Kausalzusammenhänge die Frage der Zurechnung eines identifizierten Fehlers zu einer bestimmten Person oder Personengruppe. Es liegt auf der Hand, dass ein Amtsleiter oder gar ein Oberbürgermeister schon rein zeitlich die Veranstaltungspläne gar nicht im Detail durchsehen und kennen kann. Und dass es andererseits immer warnende Stimmen gibt, von Übervorsichtigen oder auch von Leuten, die Veranstaltungen aus ganz anderen Gründen torpedieren wollen und Sicherheitsbedenken nur vorschieben, muss ebenfalls in Rechnung gestellt werden. Wollte man, wenn etwas schiefgeht, Amtsträger schon dafür zur Rechnung ziehen, dass sie überhaupt eine Großveranstaltung genehmigt haben, hätten wir sehr bald "tote Hose" in Deutschland. Und wenn wir die Haftungsrisiken ins Unermessliche steigern, müssten wir am Ende Menschen zur Übernahme von Ämtern zwingen, so wie das bei den Magistraten im Alten Rom am Ende der Kaiserzeit der Fall gewesen sein soll (die mussten nämlich für das Steueraufkommen ihrer Civitas haften!). Sollte allerdings OB Sauerland konkret auf die Zugangsprobleme hingewiesen worden sein (und nicht nur unspezifisch darauf, dass 'die Stadt zu eng' oder 'das Gelände ungeeignet' ist), käme zweifellos eine strafrechtliche Verurteilung in Betracht. (Allerdings wäre er, wenn jemand ihm gegenüber das Gelände nur in allgemeiner Form für ungeeignet erklärt haben sollte, m. E. zur Nachfrage nach dem Grund verpflichtet gewesen.)
Aber selbstverständlich trägt der Oberbürgermeister die politische Verantwortung für die Geschehnisse und wird deshalb ja sogar von seinen eigenen Parteifreunden zum Rücktritt aufgefordert.
- Ausführende Stufe der Organisation (z. B. Floats zu nahe am Rampenausgang, Verkaufsbude, Bauzäune, Fahrzeuge auf Rampe, soweit diese Elemente in der Planung bzw. in den zur Genehmigung vorgelegten Unterlagen nicht enthalten waren).
[Dass die Organisation auch an anderen Stellen in der Stadt zu wünschen übrig ließ - und es auch dort zu kritischen Situationen kam - kann man z. B. in dem Augenzeugenbericht auf MeinKölnBlog nachlesen; ebenso dort bei "metamiri", wo übrigens die Stimmung als "grundsätzlich sehr friedlich und entspannt" beschrieben wird, also keineswegs aggressiv, wie Eva Herman -s. u.- ihren Leserinnen und Lesern weismachen will.]
- Entscheidungsebene während der laufenden Veranstaltung (Polizeiführung, Veranstaltungsleitung, Sicherheitschef ...) und zuletzt die
- Handlungsebene der einzelnen Menschen (Drängler, aber andererseits auch "Beruhiger" und Helfer in der Menge, Ordnungskraft oder Polizist auf der Treppe, der/die einzelne Polizist(in) in der Absperrkette, evtl. sogar von Teilnehmern über die Situation informiert usw.) Hier wird ein Schuldnachweis kaum möglich sein. (Die Probleme der Informationsbewertung, mit denen diese Polizisten konfrontiert waren, beschreibt hier sehr verständnisvoll der Kommentar von "Robert" vom 26. Juli 2010, 23:59: "... es wurde auch bereits Kritik laut, von Jugendlichen, die die Polizisten um Hilfe gebeten haben, und darauf hingewiesen haben, dass das im Tunnel da „einfach nicht so geht“. Diese sind einfach abgewimmelt worden [s. a. hier in dem erschütternden Bericht von Anja! S. a. hier], teils mit patzigen Kommentaren (angeblich). Nun ja. Einerseits ist die Polizei verpflichtet jeder Meldung und Anzeige erst einmal nachzugehen. Andererseits muss im Vorfeld bereits eine Filterung und subjektive Bewertung der Informationen stattfinden. Da haben wir nun den Polizisten, den ein paar hysterische Raver anschreien „da vorn gibt es ein Problem“, und im Gegensatz die Anweisung seiner Einsatzleitung „halt hier die Stellung“. Schon klar, dass der Polizist geneigt ist, sich nach vorab besprochenen/befohlenen Mustern zu verhalten. Meist bestimmt auch richtig, aber im vorliegenden Fall in gewissen Situationen grundfalsch, weil eine angemessene Reaktion so verhindert wurde.") Es wäre z. B. objektiv eventuell hilfreicher gewesen, wenn der Ordner auf der Treppe, statt eine einzelne Frau über das Geländer hochzuziehen, für eine schnelle Fortbewegung der Menschen über die Treppe nach oben gesorgt hätte. (Oder hätte man, wie dieser Augenzeuge meint, die Treppe besser gesperrt gehalten?) Aber das wird sich nicht beweisen lassen, und schon gar nicht kann man es der Ordnungskraft juristisch oder auch nur moralisch zum Vorwurf machen, dass er die Situation nicht erkannt oder umfassend genug analysiert hat. Die Drängler weiter hinten in den beiden Tunneln haben objektiv zur Menschenverdichtung und damit im Ergebnis (über einige Zwischenstufen) auch zu den Todesfällen beigetragen. Diesen Zusammenhang konnten sie aber während des Geschehens nicht erkennen; ihr Verhalten ist deshalb auch nicht justiziabel.
Auch das engmaschigste Bewertungsraster sperrt freilich nicht die Traurigkeit aus, die mich angesichts der Duisburger Tragödie immer wieder bedrängt.
Ohne damit die eigentlich Verantwortlichen exkulpieren zu wollen, will ich (wie manche andere Leserkommentatoren z. B. auf der Seite "DerWesten" das ebenfalls getan haben) doch auch die Rolle der Medien kritisch beleuchten.
In Kommentaren zu Artikeln auf dem Portal "Der Westen" der WAZ-Mediengruppe (Westdeutsche Allgemeine Zeitung) weisen einige darauf hin, dass sich (zwar einige Leser - z. B. hier und dort -, aber:) kein (Lokal-)Journalist Gedanken über die Sicherheit (insbesondere die Tunnelsituation) gemacht und einen entsprechend kritischen Artikel verfasst habe. Vielmehr hätten die Zeitungen positiv berichtet bzw. sogar Druck gemacht, damit die LoPa in Duisburg stattfindet.
Tatsächlich haben einige (allerdings wenige) schon recht frühzeitig die Meinung vertreten, dass Duisburg ein ungeeigneter Austragungsort für die Loveparade sei. So meint "dongiovanni" in einem Forenfaden u. d. T. "Loveparade" im Internetportal "DerWesten" bereits am 07.02.2010:
"Ich unterstütze die Absage Bochums und würde auch die Duisburgs unterstützen, da ich an den wesentlichen LP der Vergangenheit teilgenommen habe. Dortmund hatte es nicht geschafft. Die Veranstaltung war nur Murks. Leider. Essen war noch OK, natürlich nicht im Vergleich zu Berlin, aber immerhin. DO war eine Katastrophe. Bochum und Duisburg fehlen einfach der entsprechende Raum und die verkehrlichen Möglichkeiten. Duisburgs ÖPNV schafft doch kaum die Spiele des MSV in zweiter Liga und den Berufsverkehr. Die LP sollte nicht verramscht werden, sie hätte es nicht verdient."
Noch konkreter sind dann einige Kommentare zu den Artikeln "Loveparade wird zum Tanz auf dem Drahtseil" vom 20.07.10 und insbesondere bei "Bloß nicht in Flip-Flops zur Loveparade!" vom 21.07.10 auf dem gleichen Portal.
Kritik an den Medien übt (in anderer Hinsicht) auch die Augenzeugin, oder vielmehr das Beinahe-Opfer Julia, die in ihrem Blog ihre Todesangst, ihre Todesnähe, ihre Erschütterung über das Leid, das Sterben anderer, das sie unmittelbar miterlebt hat, zugleich hinausschreit wie auch verarbeitet (und sich dabei für mich trotz aller Erschütterung im Kern als eine außerordentlich starke und emotional tief verwurzelte Persönlichkeit darstellt):
"Was für mich auch unverständlich ist und mich zeitgleich total erschüttert sind viele Medien, bzw Presseleute, ich möchte keinesfalls alle über einen Kamm scheren, kann jedoch nicht verstehen wie wenig Mitgefühl vorhanden ist und man aus der Sache noch soviel Profit schlagen möchte! ..... Ich möchte mit niemandem reden, das betone ich hier nochmal ausdrücklich!
Ich werde auch keine Stellungnahme abgeben, besonders jetzt, zu diesem Zeitpunkt nicht!! Hätte ich den Drang danach würde ich mich mitteilen! Ich bitte noch einmal das bitte einfach zu respektieren. Die Menschen lesen meine Geschichte, was will man daran noch ausschlachten? Ich kann nicht mehr wiedergeben als meine Gedanken die ich HIER niederschreibe für MICH meine FREUNDINNEN und alle ANDEREN die ebenfalls vor Ort waren. Wieso respektieren die das nicht einfach? Wo ist das Mitgefühl?"
Schlechthin unsäglich ist der Kommentar "Sex- und Drogenorgie Loveparade: Zahlreiche Tote bei Sodom und Gomorrha in Duisburg" von Eva Herman vom 25.07.10 auf der Webseite des Kopp-Verlages, zwischendurch abgeschaltet und momentan wieder online. Als die Frau vor einiger Zeit wegen scheinbar Nazi-freundlicher Äußerungen angegriffen wurde und ihren Job als Tagesschau-Sprecherin verlor, hatte ich noch versucht, sie zu verstehen (in diesem Blott). Wenn ich jetzt aber einen Satzteil lese wie "Sie wussten, was sie erwartet", dann muss ich, wenn schon nicht am Verstand, dann doch zumindest an der Kommunikationsfähigkeit dieser Dame begründete Zweifel anmelden: DAS wussten die Feierfreudigen gerade nicht, dass man sie in eine Todesfalle einpferchen würde!
Blanke Äpfelchen, für unsere Eva Sittsam schon ein Abgrund an Verkommenheit ("Viele Mädchen haben den Busen blank gezogen, manche sind fast völlig nackt. Sie wiegen sich in ekstatischer Verzückung im ohrenbetäubenden Lärm, Begriffe wie Sittlichkeit oder Anstand haben sich in den abgrundtiefen Bassschlägen ins Nichts aufgelöst.") mag sich der eine oder andere erhofft haben. Aber wenn man sich die ganzen Videos, oder hier eine Unmenge von Bildern vom Fest selbst anschaut, sieht man davon keine bzw. bei den Fotos einige wenige (und die wohl meist oder alle von Leuten auf den "Floats", also den Wagen, die für Stimmung - und Publicity, und knackige Fotos für die Presse - sorgen sollen, also möglicher Weise vom Veranstalter arrangiert). [Blanke Busen sieht man anscheinend eher beim Oktoberfest in München!]
Ja, einige der Feiernden waren wirklich "betrunken oder vollgekifft" (vgl. auch den "Loveparade-Augenzeugenbericht 'Macht die Mauern weg!' " der ZEIT-Journalistin Andrea Hanna Hünniger). Die große Mehrheit kann das aber nicht gewesen sein. Das sieht man nicht nur aus den Bildern. Das kann man in diesem Augenzeugenbericht nachlesen (auch die Enttäuschung über die wenigen blanken weiblichen Brüste ;-) ): "Wir feierten mit den Leuten um die floats, waren z.T. verwundert, dass es so gesittet und sozial ablief und kaum Alkohol oder Drogenopfer zu sehen waren. Eine gewisse Enttäuschung war auch vorhanden, da wir eigentlich von einer viel verrückteren Party ausgegangen waren wie man sie in den letzten Jahren im TV verfolgen konnte: Freaks in freakigen Kostümen und blanke Brüste waren echt die Seltenheit dort."
Das lässt sich aber vor allem aus dem erschließen, was (nicht nur:) für mich geradezu ein Wunder, das Wunder von Duisburg ist:
Dass nämlich eine solche Menschenmenge, in einer solchen Situation, sich in der Summe (trotz einzelnen Fehlverhaltens) trotz allem doch noch so diszipliniert verhalten hat, dass es nicht zu weitaus mehr Todesopfern gekommen ist. Ich weiß nicht, ob ich persönlich, auch ohne Alkohol und Drogen, in einem solchen Hexenkessel die Nerven behalten hätte. Nicht auszudenken auch, was bei einigen Hitzegraden mehr passiert wäre ... . Oder eben bei einer tatsächlich weitgehend drogenberauschten Masse.
Eva Hermans Schlussatz
"Eventuell haben hier ja auch ganz andere Mächte mit eingegriffen, um dem schamlosen Treiben endlich ein Ende zu setzen. Was das angeht, kann man nur erleichtert aufatmen!"
ist unerträglich, obwohl sie (um ihren Text insoweit nicht unzulässig zu verkürzen) noch ein schmallippiges Bedauern folgen lässt:
"Grauenhaft allerdings, dass es erst zu einem solchen Unglück kommen musste."
Diese Frau erscheint mir als eine religiöse Fanatikerin, und auf jeden Fall als schon nicht mehr satisfaktionsfähig. Sollte sie sich zukünftig einem FKK-Gelände nähern, wird jeder pflichtbewusste Polizeibeamte sie nach einem Sprengsatzgürtel durchsuchen müssen.
Nachtrag 2.8.10: Nicht verschwiegen sei auch Frau Hermans Folgeartikel "Große Resonanz auf »Loveparade«-Artikel" vom 26.07.10, in dem sie sich zu rechtfertigen sucht. Kritik an der Loveparade lässt sich sicherlich rechtfertigen*, und der Satz "Es ist nur schwer verständlich, dass eine solche Veranstaltung von Politik, Gesellschaft und Medien nahezu kritiklos schöngeredet und verharmlost wird, ohne dabei auch nur den Versuch zu unternehmen, auf die damit verbundenen Gefahren hinzuweisen" mag ja auch eine gewisse Berechtigung haben. Aber dass das Fest ein "Sodom und Gomorrha", "eine riesige Drogen-, Alkohol- und Sexorgie" gewesen wäre, ist wohl arg überzogen, und der Satzteil "sie wussten, was sie erwartet" ist vor dem Hintergrund der Todesfälle absolut makaber. Ebenso ist Frau Hermans Versuch, den Teilnehmern selbst die Schuld an dem Unglück zu geben, daneben gegriffen. Sicher gab es Aggression und Pöbelei gegen Sicherheitskräfte. Aber entscheidend für das Unglück war der absolut unverständliche Planungsfehler, für den (zudem noch erwartungsgemäß teilweise gleichzeitigen!) Zu- und Abgang der Teilnehmer nur eine einzige Wegstrecke vorzusehen, die auch keine Ausweichmöglichkeiten bot. Und die Katastrophe als Gottesurteil darzustellen, ist nicht besonders intelligent: warum sollte der liebe Gott Menschen umbringen müssen, um sie zu bessern?
[* Es mag auch zutreffen, dass die Medien die Love Parade positiv überzeichnen und negative Erscheinungen bewusst ausblenden, wie ihr Verlagskollege Udo Ulfkotte in einer publizistischen Verteidigung ("Nach der Loveparade: Journalisten schmeißen Eva Herman mal wieder einen Stein hinterher" - 27.07.2010) von Frau Herman behauptet. Aber das rechtfertigt natürlich keine Übertreibungen nach der anderen Seite.]
Mittlerweile übt (um zum Thema 'Medienkritik' zurück zu kehren) sogar der FAZ-Mitarbeiter Stefan Niggemeier in seinem ironisch mit "Die Loveparade in den Medien. Ein einziger Blick in die Zukunft hätte doch gezeigt..." betitelten Artikel vom 01.08.2010 Kollegenschelte:
"Es ist eine bemerkenswerte Selbstgerechtigkeit, die durch viele Berichte über die Loveparade schimmert. Weitgehend ungestellt bleibt darin die Frage, warum die Journalisten selbst die angeblich unübersehbaren Mängel übersehen hatten."
Und weiter:
"Jeder Laie schreibt und sendet, dass jeder Laie das unausweichliche Unglück hätte erkennen können [ähem], und die Laien, die als Journalisten arbeiten, fragten schnell, warum das niemand von den Verantwortlichen erkannt hat. Weitgehend ungestellt blieb die Frage, warum, wenn die Mängel so unübersehbar waren, all die Journalisten sie vorher übersehen hatten. Und ob man zu den vielen, die ihrer Verantwortung nicht gerecht wurden, nicht auch die Medien zählen muss. .....
Vielleicht sagt das Fehlen von Recherchen und kritischen Würdigungen des Sicherheitskonzeptes vor dem Ereignis etwas aus über den Zustand des Lokaljournalismus. (WDR und Bild.de waren Medienpartner und also in der Rolle der Jubelperser.) Ganz sicher aber sagt die fehlende Auseinandersetzung der Medien mit ihrem Versagen etwas aus über ihr Selbstverständnis. .....
Ein einziger Artikel im Internetangebot der WAZ-Gruppe muss als Beleg dafür dienen, dass die Medien vorher schon vor Problemen gewarnt haben. Er referierte mit leichter [richtig: sehr leichter!] Skepsis fünf Tage vorher den Optimismus der Planer und trägt die Überschrift „Loveparade wird zum Tanz auf dem Drahtseil“. Unter diesem Artikel finden sich auch mehrere Leserkommentare, die die Planungen als äußerst riskant bewerten – und die im Nachhinein nun wiederum als Beweis dafür gewertet wurden, dass man es vorher hätte wissen müssen. .....
So wie viele Medien in dem Moment, in dem die Katastrophe passiert war, wussten, dass sie passieren musste, erwarteten sie auch von den Beteiligten unmittelbar Antworten und Schuldbekenntnisse. Keine Frage: Die Pressekonferenz, die Stadt, Behörden und Veranstalter am Sonntagmittag abhielten, war erschütternd. Aber der Anspruch von Medien, angetrieben durch die Taktgeber von „Spiegel Online“ [meine Hervorhebung], dass keine vierundzwanzig Stunden nach einem solchen Ereignis keine Fragen offen bleiben dürfen, spiegelte nicht nur das Quengeln einer unter Aufmerksamkeits-Defizit-Störung leidenden Branche wider, sondern auch die ganze Anmaßung der Rolle als Ankläger, die viele Medien nun eingenommen hatten. .....
Reflexartig wiederholt wurde auch die angebliche Ultra-Kommerzialität der Veranstaltung – ein Vorwurf, den man trotz freien Eintritts anscheinend nicht einmal belegen muss. [Meine Hervorhebung; mehr noch als in den Medien findet sich der befremdliche Kommerz-Vorwurf allerdings in zahlreichen Leserkommentaren.] „Monitor“ fand es irgendwie schon anrüchig, dass ein Limonadenhersteller als Sponsor einen „fünfstelligen Beitrag“ zahlte. Der Vorwurf der Geldmacherei gipfelte auf paradoxe Art darin, zu erwähnen, dass Schaller die Loveparade Millionen koste, die er aber als Verlust von den Steuern abziehen könne. Für „Spiegel-TV“ ist das gar „die einzig gute Nachricht an diesem Wochenende in Duisburg: Der kommerzielle Massenwahn hat keine Zukunft mehr.“"
Worüber ich heute eigentlich noch ausführlich hatte schreiben wollen, nämlich einen unsäglich arroganten Artikel auf Spiegel Online, bringe ich hier aus Zeitgründen nur in Form meines (veränderten, weil ich hier mehr Platz habe als die für FAZ-Leserkommentare zugelassenen 1.500 Zeichen) Kommentars zum Niggemeier-Beitrag:
"Bravo, Herr Niggemeier, für ihre ebenso engagierte wie substantiierte Kollegenschelte! Zwar gehöre auch ich zu jenen bloggenden Laien, die nicht verstehen können, wie Fachleute zufließende und abgehende Menschenmassen gegeneinander leiten können. Indes versuche ich ansonsten, Post-Prävoyeurismus zu vermeiden.
Das schlimmste Produkt journalistischer Verirrung (außer der nicht satisfaktionsfähigen Eva Hermann ) ist für mich der SPON-Artikel "Love-Parade-Tragödie. Widersprüche, Ausflüchte, Lügen." vom 27.07.10.
Beinahe nichts hat dort mit dem Titel zu tun, wie schon die Inhaltsübersicht zeigt:
* 1. Teil: Widersprüche, Ausflüchte, Lügen
* 2. Teil: Warum drängten sich die Massen?
* 3. Teil: Versagte die Kommunikation?
* 4. Teil: Wie viele Raver waren in Duisburg? [Hier wurde in der Tat gelogen. Das geht aber, vor dem Hintergrund der Katastrophe betrachtet, zu Lasten der Verantwortlichen (die haben sich also hier nicht rausgeredet), weil im Vorfeld mit viel zu hohen Besucherzahlen geprahlt wurde.]
* 5. Teil: Wie viele Polizisten waren in Duisburg?
* 6. Teil: Die Genehmigung - kurz und kurzfristig
* 7. Teil: Warnungen und Bedenken
* 8. Teil: Vorwürfe gegen den Bürgermeister
* 9. Teil: Welche Rolle spielte die (Landes-)Politik?
* 10. Teil: Wie finanzierte Duisburg die Love Parade?
* 11. Teil: Wie starben die Opfer?
Dafür herrscht Unverschämtheit:
"Drei Tage [!] ist es jetzt her, dass 21 Menschen in einer Massenpanik ... qualvoll gestorben sind ... Die Republik will endlich [!] wissen, wer dafür verantwortlich ist."
Auf der Folgeseite wird dagegen kommentarlos die nachvollziehbare Feststellung der Polizei zitiert:
"Wir sind zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht in der Lage zu sagen, was der Auslöser für das Ganze war."
Auf S. 6 ("Die Genehmigung - kurz und kurzfristig") wird die Richtigkeit eines Verwaltungsbescheides an seiner Textlänge gemessen: "SPIEGEL ONLINE enthüllte bereits am Sonntag die skandalös erscheinende "Genehmigung einer vorübergehenden Nutzungsänderung" für das Gelände der Love Parade. In diesem gerade einmal zwei Seiten umfassenden Schriftstück an die Berliner Lopavent GmbH befreite ein Sachbearbeiter der Unteren Bauaufsicht die Organisatoren von der Vorschrift, die vorgeschriebenen Breiten der Fluchtwege einhalten zu müssen. [Dass diese Befreiung mit der Katastrophe überhaupt nichts zu tun hat, hatte ich bereits oben erörtert.]
Erst auf S. 7 kommt, was eine - auch strafrechtlich relevante - Lüge sein könnte: "Oberbürgermeister Sauerland ... "Mir sind keine Warnungen bekannt".
Die Bildzeitung ist seriös dagegen!"
Nein, neben diesen Spiegel-Kämpfern möchte ich nicht in einer Massenpanik stecken!
Hier am Schluss des Artikels (vor den Kommentaren) eine Linksammlung einiger Augenzeugenberichte.
"Erinnerungen von Augenzeugen – zusammengefasst und verlinkt" lautet die Überschrift einer Seite in dem oben bereits erwähnten Blog "Loveparade2010Doku".
Ein weiterer Augenzeugenbericht ist der Blog von Christine Rubenbauer (auch mit einigen Videos).
Fotos, vor allem vom Weg hin zum Gelände, von "adam" bei Picasa.
Unsystematisch gesammelte weitere Links zu Pressemeldungen usw., die mir bedeutsam erscheinen:
- "21 Tote bei der Loveparade. Warum diese Polizeikette auf der Rampe?" bei RP Online (wobei freilich die mitverarbeiteten Informationen eines Polizisten aus dem Führungsstab für mich eher spärlich sind).
Unter "Love-Parade-Sicherheit. 'Ich sagte denen klipp und klar: Das geht gar nicht!' " berichtet SPON vom 29.07.10:
"Die Warnung kam von kompetenter Stelle. Der Sachverständige Klaus Schäfer hat bereits im März vor Mitarbeitern der Stadt Duisburg die Planungen für die Love Parade als zu riskant kritisiert. Doch seine Einwände wurden ignoriert. Nun gilt er als wichtiger Zeuge zu den Hintergründen der Katastrophe."
Auszüge:
"Schäfer war am 22. März von der Stadt eingeladen worden. Im Fortbildungszentrum sollte er gegen Honorar über die Planung, über Risiken und Evakuierungsszenarien bei Großveranstaltungen referieren. Die Behörden waren damals noch im Entscheidungsprozess, ob die Love Parade in Duisburg stattfinden sollte oder nicht. Rund 40 verantwortliche Mitarbeiter aus dem Bau-, Tief-, Straßenverkehrs-, Kataster- und Ordnungsamt sowie Feuerwehrmänner hätten an der eintägigen Informationsveranstaltung teilgenommen, wie Schäfer sagt. .....
Schäfer selbst schildert, wie ihm im Rahmen jenes Seminars Pläne für eine Love Parade in Duisburg vorgelegt worden seien. Sein Urteil: "Das Gelände war nicht im Ansatz für eine derartige Veranstaltung geeignet - vor allem wegen des Tunnels als einzigem Ein- und Ausgang. Ich sagte denen klipp und klar: Das geht gar nicht!", so Schäfer heute."
Im unmittelbar anschließenden Text ist allerdings von der Besucherzahl im Verhältnis zur Geländegröße die Rede, aber dann kommt doch noch einmal die Ein- und Auslasssituation zur Sprache:
"Ausdrücklich habe er betont, so sagt er heute, dass die Pläne für die Straßenabsperrungen "absoluter Irrsinn" seien. Ebenso die Idee, Menschenmassen durch einen 16 Meter breiten Tunnel zu schicken. Explizit habe er vor diesen Gefahren gewarnt."
Man vermisst einen Hinweis auf die Problematik der Rampe; entweder hat der Spiegel etwas weggelassen oder Schäfer darüber nicht berichtet - oder auf der Veranstaltung nichts dazu gesagt. Anscheinend hat Schäfer das Gelände auch nicht selbst besichtigt (nicht als Vorwurf gemeint; lediglich als potentiell wichtige Information) (meine Hervorhebung):
"Schäfer selbst schildert, wie ihm im Rahmen jenes Seminars Pläne für eine Love Parade in Duisburg vorgelegt worden seien."
Letztlich ist also der Spiegel-Bericht (oder die Informationen, die Schäfer dem Spiegel gegeben hat?) etwas zu vage, um daraus unmittelbare Schuldvorwürfe, insbesondere gegen konkrete Behördenverantwortliche, ableiten zu können. In seiner vierstündigen Vernehmung bei der Staatsanwaltschaft dürfte er allerdings eine sehr viel detailliertere Schilderung abgegeben haben, und auch der Schluss lässt vermuten, dass den Genehmigungsverantwortlichen Fahrlässigkeit anzulasten ist:
"Teilnehmer des Seminars vom 22. März hätten sein Angebot zur Zusammenarbeit mit den Feuerehren von Essen und Dortmund abgelehnt. Begründung laut Schäfer: Sie hätten sich gegen die Befürworter einer Love Parade und deren Konzept nicht durchsetzen können. Die Techno-Party wurde letztlich, so behauptet es Schäfer, nach dem Plan durchgeführt, vor dem er ausdrücklich gewarnt hatte. "Sie haben es genau so gemacht, wie ich sagte, dass sie es nicht machen sollen."
Im Vorfeld der Veranstaltung war Prof. ("Stauforscher") Michael Schreckenberg von der Universität Duisburg-Essen als Sicherheitsgutachter für die Stadt Duisburg tätig gewesen. Den Inhalt eines Interviews vom 25.07.10 mit ihm fasst die Redaktion von RP Online so zusammen:
"[S.] hatte das Sicherheitskonzept für die Loveparade vorab geprüft. Jetzt erhebt Schreckenberg Vorwürfe, das Konzept sei zwar ausreichend gewesen, sei jedoch offenbar nicht korrekt umgesetzt worden."
Lesen wir dazu mal, was Meister Schreckenberg längere Zeit vorher dem Spiegel über Massenpaniken bzw. deren Verhinderung gesagt hatte ("KATASTROPHEN. Geordnet in den Untergang" vom 06.10.08) (meine Hervorhebung):
"Vorhersagbaren Regeln folge dabei der flüchtende Mensch, und diese würden von Katastrophenschützern viel zu wenig berücksichtigt. "Niemand flieht zum Beispiel in einen dunklen Notausgang", warnt Schreckenberg. Zwei Fluchtwege seien oft nicht besser als einer: "Die Masse der Flüchtenden staut sich immer an der Tür, wo die meisten hinrennen." .....
In Jodhpur kippte eine Mauer um, die zur Kanalisierung der Massen gebaut worden war - ein "dramatischer Planungsfehler", wie Schreckenberg konstatiert.
Fluchtwege müssten so gebaut sein, dass die Menschen hindurchströmen wie ein Schwarm Heringe. Jeder Stillstand kann tödlich sein. ..... Eine Masse in ihrem kollektiven Reflex zu steuern, so etwas gelinge nur in den ersten Momenten. "Strikte Führung" über Lautsprecher sei dafür nötig, so Schreckenberg. Die Leute brauchten das Gefühl, die Organisatoren hätten die Lage im Griff."
Wenn Fluchtwege so gebaut sein müssen, dass die Massen hindurchströmen können, dann sollte das doch wohl genauso und erst Recht für die regulären Wege gelten, Herr Stau-Professor?
Und unabhängig davon, wie die Wege gebaut sind: Wenn man zwei Heringsströme gegeneinander leitet, ist die Schwärmerei sowieso vorbei!
Ein dramatischer Planungsfehler halt.
(Zur Position von Schreckenberg vgl. auch das Interview vom 27.07.10 in der Stuttgarter Zeitung.)
Auch der oben zitierte Regensburger Strafrechtsprofessor Dr. Henning Ernst Müller schätzt die Planung und Genehmigung einer solchen Massenveranstaltung mit nur einem einzigen Zu- und Abgang als fahrlässiges Handeln ein. In seinem Kommentar # 88 im Beck-Blog formuliert er ohne Umschweife:
"Ich halte im Übrigen, wie schon im Ausgangsbeitrag angedeutet, die Durchführung mit nur EINEM Ein/Ausgang bei der erwarteten Anzahl der Zuschauer, die gleichzeitig rein- und rauswollten, für fahrlässig, und hier ist auch ein Kausalzusammenhang gegeben."
Die Stadt ist sich keiner Schuld bewusst und hat von einem Anwaltsbüro ein Gutachten erstellen lassen, das sie exkulpieren soll. (Hier auf der Webseite der Stadt das Gutachten selbst.)
Dagegen ist für den Katastrophenforscher Dirk Oberhagemann glasklar (meine Hervorhebung):
"Laut eigenem Konzept ging der Veranstalter von 485 000 Zuschauern aus, hatte aber eine behördliche Genehmigung nur für 250 000 Besucher.
"Also hat man dann mit Zu- und Abstromanalyse das so ausgerechnet, dass die maximale Anzahl der Besucher auf dem Gelände nie überschritten wurde", sagt der Gutachter. Hier liege ein "eklatanter Konzeptfehler beim Veranstalter" vor, so Oberhagemann weiter. So rechnete die Lopavent GmbH laut eigenen Unterlagen zum Höhepunkt der Katastrophe gegen 17.00 Uhr mit 90 000 Besuchern pro Stunde, die durch die Tunnel auf das Gelände zugehen, und gleichzeitig mit 55 000 Personen, die den Festplatz verlassen. Die Kapazität der Tunnel lag jedoch bei maximal 30 000 Personen pro Stunde.
"All diese Ungereimtheiten hätten der Stadt Duisburg als Genehmigungsbehörde bei einer gründlichen Überprüfung des Sicherheitskonzeptes auf jeden Fall auffallen müssen", rügt der Katastrophenforscher Dirk Oberhagemann. Stattdessen hat die Stadt sowohl das mangelhafte Sicherheitskonzept als auch die Veranstaltungsbeschreibung abgestempelt und genehmigt."
Und schon früher hatte Oberhagemann gegenüber der FAZ erklärt:
"Ein Tunnel als einzigen Zugang für so einen Massenandrang sei „zweifelsohne absolut ungeeignet.“ Eine solch große Veranstaltung dürfe man nur mit einem Einbahnstraßensystem zulassen. Zu- und Abgang müssten auf jeden Fall voneinander getrennt werden. „Ein Eingang und ein separater Ausgang – so und nicht anders.“
Nachtrag 09.08.2010
Zur Gedrängelage am Rampenfuß, bedingt durch Polizeisperrung der Rampe und Öffnung der Schleusen des Westtunnels, vgl. nunmehr unbedingt auch das Spiegel Online Interview "Es war Funkstille" vom 09.08.10 mit dem vom Veranstalter als "Crowd Manager" eingesetzten Psychologen Carsten Walter. Walter saß in dem Container am Fuß der Rampe (d. h. in dem zur Rampe hin offenen Tunnelstück der Karl-Lehr-Straße), über den man auf zahlreichen Videos die Menschen hochklettern sieht.
Weitere Überlegungen zum Verschulden speziell der Stadtverwaltung Duisburg jetzt in meinem 3. Blott "Loveparade-Massenunglück: Eine Brücke zum Schuldverständnis".
Mein 2. Blott zum Thema: "Wahrheit, Lüge, Rechtsgutachten: Zwischenbericht UNTERSUCHUNG DES VERWALTUNGSHANDELNS AUF SEITEN DER STADT DUISBURG ANLÄSSLICH DER LOVEPARADE."
4. Eintrag (vom 17.08.10): "Runter von der Rampe, Adolf! oder: Schwarze Schand für unser Land: Duisburgs OB Sauerland!"
Textstand vom 28.08.2010. Auf meiner Webseite
http://www.beltwild.de/drusenreich_eins.htm
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