In einer “Diskussion” genannten, aber eher den Charakter einer Propaganda-Veranstaltung besizenden Sendung des Deutschlandfunks (MP 3) regen sich unter dem schon alles sagenden Titel “Man wird doch wohl noch sagen dürfen – Meinungsfreiheit zwischen Tabubruch und politischer Korrektheit” zwei nur zu bekannte Talkshowstammtgäste, Henryk Marvin Broder und Norbert Bolz, über angebliche Sprech- und Denkverbote in Deutschland auf. Ihre Thesen sind altbekannt, sie wiederholen sie schließlich ständig und allerorts in den deutschen Medien (was ihren Thesen natürlich schon Hohn spricht): Es gebe in Deutschland einer linke Meinungsdiktatur der 68er, die in den entscheidenden Positionen von Medien und Wissenschaft säßen. Die Medien seien fast alle links orientiert. Aufgrund der politcal correctnes könne man bestimmte Meinungen nicht öffentlich äußern. Und so weiter.
Lief im Deutschlandfunk vor der Sendung einmal ein Kommentar (MP3) in den deutschen Mainstream-Medien, der den niederländischen Rechtspopulisten und Islamhasser Geert Wilders als das charakterisiert, was er ist, wird dieser eine Kommentar von den Broder gleich als Beweis für eine linke Indoktrination der gesamten deutschen Medien genommen. An den Rassisten und Sozialdarwinisten (als den bezeichnet er ihn natürlich nicht) Sarrazin werde man sich vielleicht mal erinnern, da er die 68er-Vorherrschaft in Deutschland durchbrochen habe, so Bolz an anderer Stelle. Die “Moderatorin” tut wenig mehr, als die Thesen der beiden von der linken Meinungsführerschaft zu unterstützen und zu bekräftigen und ein paar Stichworte zu liefern. Von den beiden anderen Gästen ist auch keine Gegenmeinung zu hören: Der teilnehmende Journalist sagt zu dem Thema bewusst nichts (außer, dass die 68er ja auch nicht überall wären) und verliert sich in Nebenschauplätzen, die eingeladene ältere Autorin ist offensichtlich nicht mehr auf voller geistiger Höhe (“ich hab grad mal abgeschaltet”). Insgesamt war im öffentlich-rechtlichen Rundfunk lange keine derart einseitige Sendung zu sehen und hören – und das will was heißen.
BILD-Titel vom 4.9.2010 (1)
Was ich aber nicht verstehe: Selbst wenn ich versuche, mich in deren Lage hineinzuversetzen – über welche “Denkverbote” in Deutschland regen sich die, sagen wir eher Rechtsorientierten eigentlich auf? Wo gibt es die denn bitte? Dass die deutschen Medien in wirtschafts- und sozialpolitischer Hinsicht ganz überwiegend neoliberal eingestellt sind, werden auch sie wohl kaum bestreiten (auch wenn sie dafür vielleicht andere Bezeichnungen verwenden). Und wie sieht es in den anderen Bereichen heute in der veröffentlichten Meinung in Deutschland aus? Sind dort etwa nur Ansichten der von den rechten Bösmenschen so verhassten “Gutmenschen” zu finden? Gibt es etwas, das man “nicht sagen darf”?
(1) Quelle: Carta
Ganz und gar nicht. So gut wie alles, was “man doch wohl noch mal sagen darf”, wird in den deutschen Medien auch gesagt. Und gerade in den letzten Wochen hat sich die Lage dabei aus der Perspektive der Rechten doch sogar noch “verbessert”. “Endlich” darf man wieder drauflosdiskriminieren, Ängste schüren, endlich darf man ganze Gruppen hassen, die nicht “zu uns” gehören”. Selbst glatter Rassismus uns Sozialdarwinismus sind wieder en vogue. Behauptet man, dass bestimmte Ethnien aufgrund ihrer genetischen Merkmale dümmer sein als andere, teilt man die Menschen in nützliche und unnützliche, sagt man, dass sich die “weniger wertvollen” Bevölkerungsgruppen nicht weiter vermehren sollen, dann wird man zum Volkshelden stilisiert. Es heißt dann, Sarrazin spreche doch nur die Wahrheit aus – auch dann noch, wenn man dann darauf hinweist, dass diese sozialdarwinistischen und eugenischen Gedanken wesentlich auf Theorien beruhen, derer sich auch die Nationalsozialisten bedient haben.
Die Sozialdarwinisten Sarrazin, Heinsohn und Sloterdijk gelten heute als große Denker. In jeder Talkshow sitzen stets die Neokonservativen und Arbeitgebermietmäuler, werden als “unabhängige Experten” bezeichnet und von den Moderatoren nach allen Kräften unterstützt, ob Baring, Miegl, Sinn, Raffelhüschen, Henkel undDohnany, ob Bolz und Broder, oder sogenannte “Journalisten” wie Markwort, Hahne oder Köppel. Selbst solchen Figuren wie Ulfkotte wird in den großen Medien noch ein Forum geboten. Die geschichtrevisionistischen Ansichten des Vertriebenenverbundes werden als “konservativ” bezeichnet. Und einige der deutschen Medien können eine neue Rechtspartei gar nicht erwarten.
Aussagen wie “Multi-Kulti ist gescheitert!”, “Der Islam ist keine Religion, sondern ein Verbrechen” sind längst fast schon eher Mainstream als Randmeinungen, Begriffe wie “Sozialschmarotzer” und “Parasiten” sind nicht mehr so selten zu hören. Begriffe wie “Gutmenschen”, “politische Korrektheit” werden im Sinne des rechten Jargons abwertend für Tolerenz und Menschlichkeit benutzt, die abgrundtief verachtet werden. Für “Solidarität”, “soziale Gerechtigkeit” oder “Moral” haben viele nur zynischen Spott übrig. Natürlich ist dies alles nicht bei allen Medien der Fall – aber über eine fehlende Meinungsvielfalt können sich die Rechten wohl kaum beklagen.
Das Bundesverfassungsgericht verbietet der Bundeszentrale für politische Bildung, Geschichtsverfälschung zu kritisieren: 65 Jahre nach dem Holocaust darf in Deutschland sogar wieder suggeriert werden, dass die Juden selbst schuld sind an ihrer Verfolgung. Was, könnte man fragen, wollen die Rechten denn noch? Und die Bundesregierung ist dabei, Rechtsextremismus und Linksextremismus gleichzusetzen. Die staatlichen Stellen verharmlosen im Verband mit manchen Medien nicht selten rechte Gewalt (“bloße Hakenkreuzschmierereien”) und setzen tote Menschen und demolierte Autos gleich, sie geben sogar weitaus weniger Todesopfer durch rechte Gewalt an, als es tatsächlich gibt: Recherchen von Zeit und Tagesspiegel ergaben tatsächlich 137 statt der von der Regierung genannten 47 Tote.
Robert Misik zu “Das wird man doch wohl noch sagen dürfen!”: Thilo Sarrazin, Held der Bösmenschen und Hassposter…