Digitalisierung im Denkmal: moderne Theatertechnik in alten Mauern
Brandbomben, graue Wandfarbe und ständig neue Abrisspläne: dass das Wilhelma Theater eines der schönsten Theater in Baden-Württemberg und das älteste in Stuttgart ist, verdankt es zahlreichen „Liebhabern“, die sich über die Jahrhunderte beherzt für das heute denkmalgeschützte Gebäude eingesetzt haben. Einer von ihnen ist René Junghans: der Technische Leiter des Wilhelma Theaters ist Herr über moderne Technik in historischen Gemäuern und über beide Ohren in seinen Arbeitsplatz verliebt.
Unterstützt wird er von zwei Auszubildenden in den Gewerken Ton und Beleuchtung, die Ausbildungsstellen wurden auf seine Initiative hin eingerichtet. Valentin Kliesch absolviert derzeit seine Ausbildung als Veranstaltungstechniker mit Fachrichtung Beleuchtung und spürt, wie auch ihn langsam aber sicher der Theater-Virus packt: „Die Faszination an meinem Job ist zum einen klar die technische Seite, andererseits gefällt mir typische Theater-Atmosphäre: man kommt morgens rein und schaltet die Außenwelt ab. Dann beginnt man im Grunde, auf der Bühne eine neue Welt zu erschaffen. Jeder Kollege arbeitet in seinem Bereich an einem großen Ganzen. Wenn bei der Vorstellung dann alles zusammen läuft, macht mich das als Techniker ein bisschen stolz“, schwärmt er.
Ob Scheinwerfer, Ton oder Evakuierungs-Anlage: Der Großteil der Technik wird digital gesteuert. „Wenn wir früher Soundcheck hatten, saß oben in der Regie einer am Pult, der andere hörte unten im Saal, ob der Ton stimmt. Heute macht der Kollege das mit dem iPad im Saal alleine. Der Bildschirm funktioniert wie eine Fernbedienung, das ist eine große Arbeitserleichterung“, erklärt René Junghans.
Mehr als 170 Scheinwerfer werden vom Lichtpult über eine eigene Nummer gesteuert. Sie setzen Schauspieler ins rechte Licht, erzeugen die passende Stimmung: mal fröhlich bei einem Kinderstück, mal düster, wenns auf der Bühne dramatisch zugeht. Überblendungen und Atmosphäre werden im Vorfeld bei der Beleuchtungsprobe einprogrammiert, können aber während der Vorstellung angepasst werden. Doch Technik allein ist nicht alles: ohne künstlerisches Gespür geht es nicht. „Ich kann technisch noch so fit sein – wenn ich kein Gefühl für eine Bühnenstimmung entwickeln kann, werde ich in meinem Beruf nicht wirklich gut sein“, ist Valentin Kliesch überzeugt.
Dass sich René Junghans und seine Azubis im hier so verwirklichen können, hing nicht nur einmal am seidenen Faden: Es war einer dieser Fliegerangriffe im Zweiten Weltkrieg, die große Teile Stuttgarts – auch die Wilhelma – bis auf die Grundmauern zerstörten. Eine Bombe fiel direkt aufs Theater – erstaunlicherweise detonierte sie aber nicht. Schnell waren einige couragierte Cannstatter zur Stelle, bargen das Geschoss und retteten das Theater in dieser Nacht vermutlich vor seiner Zerstörung.
Nach dem Krieg bemalten die amerikanischen Streitmächte die Wände des Theaters mit grauer Farbe und nutzten es als Kino. Später betrieb der Cannstatter Kinobesitzer Otto Mertz 23 Jahre lang ein Lichtspielhaus. Noch heute erinnern sich Besucher, wie hier „Romeo und Julia“ oder „Ben Hur“ über die Leinwand flimmerten.
Ursprünglich wollten die Cannstatter ein Spielcasino von ihrem König, doch Wilhelm I. meinte: „Die Schurken sollen ruhig in Baden-Baden bleiben“ und ließ seinen Untertanen 1840 von Carl Ludwig von Zanth eines der ersten Bürgertheater bauen, wie Mike Mack weiß. Er stöbert gern in alten Aufzeichnungen und gibt seine Erkenntnisse rund ums Wilhelma-Theater bei Führungen zum Besten. So ist auch überliefert, dass die erste Holzbühne des Mannheimer Theatermaschinisten Josef Mühldorfer auf fünf Schiffen nach Cannstatt kam. Es gab damals ein Theatercafé und eine der ersten elektrischen Beleuchtungen. „Bis dato fielen acht von zehn Theatern verheerenden Brandschäden zum Opfer“, so Mike Mack. Mal königliches Privattheater, mal Waffenlager, mal ganz geschlossen: das Wilhelma-Theater ist ein besonderes Gebäude mit wechselhafter Geschichte. Es überlebte alle neuzeitlichen Abrisspläne, ist heute eine Liegenschaft des Landes Baden-Württemberg und wird von der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst als Lehrtheater genutzt. Zudem finden jährlich mehr als 150 Vorstellungen in den Bereichen Schauspiel, Oper, Figuren- und Musiktheater statt.
Die ursprüngliche technische Ausstattung blieb übrigens bis zur Generalsanierung im Jahr 1985 erhalten. Später kamen eine Evakuierungs-Anlage, 2013 ein neuer Theatervorhang und 2014 eine neue Klima-Anlage dazu. Diesen Sommer wird der Theaterboden erneuert. Brandschutzauflagen müssen eingehalten werden. „Um alles so originalgetreu wie möglich zu erhalten, müsste man ein Museum aus dem Theater machen. Die farbigen Wandzeichnungen konnten nach Originalzeichnungen des Architekten wieder hergestellt werden. Auch die Holzränge sind die alten und im Foyer ist eine originalgetreue Wandbemalung zu sehen“, sagt Mike Mack und René Junghans ergänzt: „Mein Ziel ist es, das Theater möglichst authentisch zu erhalten und die Ausstattung, falls nötig, behutsam zu erweitern.“
Weitere Infos und Kuriositäten zum Wilhelma-Theater erfahren Besucher bei Führungen (Anmeldung bei Mike Mack Tel. 0163/635 20 05 oder email wilhelmatheater@gmx.de) und auf www.wilhelma-theater.de