Der Aufmerksamste gewinnt. Das ist nicht nur bei den Stubenfliegen so, wo es gilt, der Bedrohung durch die Fliegenklatsche zu entkommen. Es ist genauso beim Sport, beim Wandern, beim Lesen. Der Aufmerksamste gewinnt, kommt an oder versteht.
Wir glaubten es ja damals unserer Primarlehrerin nicht. Ständig verlangte sie unser Aufmerken. Aber irgendwann ist einen selber aufgefallen, dass die Noten im Rechnen besser wurden, wenn wir den Zahlen unsere Wachheit schenkten.
Später beobachten wir auch das Umgekehrte: Wenn wir einem Menschen unsere Aufmerksamkeit schenken, dann bekommen wir dieselbe zurück. Noch mehr gilt dies für Hund und Katze – aber auch für den Philodendron in der Zimmerecke. Aufmerksamkeit in Form von Futter oder Wasser tut ihnen gut – und kommt als Zuneigung zurück.
Die Liebe ist konkret nichts anderes, als positive Aufmerksamkeit. Und auch das Leben könnte man definieren als die Fähigkeit zum Fokus, zur Achtsamkeit – ob Virus, Papagei oder Mensch.
Merkwürdigerweise funktioniert es sogar bei leblosen Dingen: die Nachrichten, denen wir Aufmerksamkeit schenken, prägen unsere Laune, die Bücher und Filme die wir sehen, erschaffen unser Denken und Verhalten. Griechen, Talmud oder Chinesen formulierten die Erkenntnis: die Gedanken, die wir pflegen, die formen unseren Charakter.
Aber es geht noch weiter: die Aufmerksamkeit verändert und beeinflusst die Dinge. Beim «Doppelspaltexperiment» haben Physiker in den Dreissigerjahren erstmals entdeckt, dass im subatomaren Bereich ein Experiment ganz anders verläuft, wenn es jemand beobachtet. Photonen oder Quarks reagieren anders, wenn ihnen jemand aufmerksam zuschaut.
Voller Ehrfurcht beobachte ich jetzt meine eigene Aufmerksamkeit. Ich lenke sie hierhin und dorthin, und lausche dabei auf das feine Echo, das sie auslöst. Was geschieht, wenn man Achtsamkeit verschenkt. Wenn man hinguckt?
Gemälde ganz oben:
Urgewalt / 66cm x 47cm / Acryl mit Spachtelmasse auf Aquarell-Papier / 2006, Nr.06-034