Das verstoßene Mädchen von Lotte Römer

Von Ute Schierwagen @Kabelljau

Verstoßen vom Leben, vom eigenen Blut, der Traum zerschellt, was einst so gut. Doch in der Kälte wächst ihr Mut – ein Herz, das selbst im Sturm noch ruht.

Cover von Das verstoßene Mädchen

Sie verlor ihr Zuhause – doch fand sich selbst. Im rauen Wind wuchs ihr eigener Held.

Wenn der Glanz der heilen Welt zerbricht und ein junges Mädchen ins Ungewisse geworfen wird, beginnt eine Geschichte, die tiefer unter die Haut geht, als man es je erwartet hätte.

Wenn eine Heldin ihren Weg erst finden muss – Manchmal ist es ein einziger Moment, der alles verändert. Ein Schicksalsschlag, der eine scheinbar gesicherte Welt erschüttert und ein junges Herz in die Fremde stößt – allein, verlassen, und dennoch voller Hoffnung. „Das verstoßene Mädchen“ – erschienen bei Tinte & Feder – ist mehr als nur ein historischer Roman – es ist ein zutiefst berührender Auftakt einer neuen Trilogie, die uns mitnimmt ins Herz der Tiroler Berge, in eine Zeit voller gesellschaftlicher Zwänge, aber auch voller Hoffnung auf ein eigenes Leben jenseits aller Konventionen. Die Bestsellerautorin Lotte Römer schafft es in diesem Buch auf eindrucksvolle Weise, eine bewegende Geschichte um Mut, Verlust, Verbannung und innere Stärke zu erzählen – aus der Perspektive einer jungen Frau, deren Welt aus den Angeln gehoben wird. Wenn du jetzt neugierig geworden bist, dann komm doch einfach mit auf eine tolle Lesereise. Auf geht’s…

Wenn das Schicksal zuschlägt – Die Geschichte beginnt im Jahr 1881 in Innsbruck, wo die junge Fannerl als Tochter eines angesehenen Kaufmanns aufwächst. Ihre Zukunft scheint geordnet: Die Liebe zu Johann, einem jungen Kaufmann, verspricht Sicherheit, Romantik und ein Leben in gutem Hause. Doch der plötzliche Tod ihres Vaters erschüttert diese Welt. Statt Trost zu finden, trifft Fannerl auf eine Mutter, die nicht nur mit dem Verlust überfordert scheint, sondern sich eilig einem neuen Mann zuwendet – einem, der Fannerl abstößt, sie mit Aberglauben belegt und letztlich aus dem Haus haben will.

Zwischen Gletscherwasser, Kälte und innerem Mut – Was folgt, ist ein ergreifender Abstieg – und zugleich der Beginn einer neuen, ganz anderen Reise. Fannerl wird ins entlegene Sellraintal geschickt, zu einer entfernten Verwandten, der Wäscherin Franza. Von nun an ist ihr Alltag von Kälte, harter Arbeit und Entbehrungen geprägt. Statt warmer Salons, gutem Essen und Klaviermusik erwartet sie gefrorenes Wasser, schmerzende Hände, schwere Wäschebündel – und eine ungewohnte Einsamkeit.

Doch Fannerl besitzt mehr als ein zartes Äußeres: einen unbeugsamen Willen, ein weiches Herz und eine innere Stärke, die sie in der harten Bergwelt langsam zu entfalten beginnt. Sie kämpft, sie lernt – und sie wächst. Gerade weil der Schmerz so groß ist, berühren uns ihre kleinen Erfolge umso mehr. Der Moment, wenn Franza sich ihr erstmals öffnet, wenn ein Lächeln zwischen harter Arbeit aufblitzt, wenn das Leben sich – ganz langsam – wieder zeigt.

Verstoßen und verbannt – so fühlt es sich an, als Fannerl ins entlegene Sellraintal geschickt wird und die Erkenntnis, dass sie sich von Grund auf neu erfinden muss. Johann, ihre große Liebe, scheint ihr dabei nicht zur Seite zu stehen. Die inneren Kämpfe, die Scham, der Stolz, aber auch das beginnende Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten – all das macht Fannerls Weg so authentisch, so schmerzhaft und doch so voller Lichtblicke.

Historisch lebendig – emotional tiefLotte Römer versteht es wunderbar, das 19. Jahrhundert mit all seinen Widersprüchen lebendig zu machen. Ihr Sprachstil ist bildhaft, klar und mit emotionaler Tiefe, sodass man beim Lesen fast meint, den Atem der Berge zu spüren und das eiskalte Wasser auf der eigenen Haut zu fühlen. Die Perspektive aus Fannerls Sicht zieht einen unmittelbar in die Geschichte hinein – man lebt mit ihr, leidet, hofft, wächst.

Die Dialoge sind fein auf das Zeitgefühl abgestimmt, wirken nie gekünstelt, sondern tragen zur Atmosphäre und zur Entwicklung der Charaktere bei. Besonders Fannerl ist als Figur wunderbar gelungen: Sie ist verletzlich, aber nicht schwach. Sie ringt mit sich selbst, hadert mit ihrem Schicksal, steht aber immer wieder auf. Durch Fannerls Augen erleben wir jede Demütigung, jedes kleine Glück, jede Enttäuschung und Hoffnung ganz unmittelbar. Ihre Gefühlswelt ist so authentisch und feinfühlig gezeichnet, dass man beim Lesen oft selbst Schlucken muss.

Die Figuren sind lebendig und glaubwürdig, die Kontraste scharf gezeichnet: die Mutter, deren Kälte fast schwerer wiegt als der Tod des Vaters; der neue Ehemann – furchteinflößend und herrisch; Johann – anfangs ein Lichtblick, später eine schmerzhafte Leerstelle. Und Franza, deren raue Schale einen kernigen, aber warmen Kern birgt, wird zu einer zweiten Mutterfigur, wie man sie sich nur wünschen kann. Diese emotionalen Grautöne machen die Geschichte umso glaubwürdiger.

Ein herzbewegendes, mutiges Frauenporträt – und der Beginn einer großen Saga – Was dieses Buch so besonders macht, ist der stille Mut, den es erzählt. Es geht nicht um große Taten oder spektakuläre Wendungen. Es geht um das stille Weitergehen – trotz allem. Um einen jungen Menschen, der aus dem Nichts wieder aufsteht. Um Würde, um Schmerz, um das zarte Hoffen auf Gerechtigkeit. Und es ist diese stille Größe, die mich zutiefst berührt hat.

Die Struktur mit 22 angenehm langen Kapiteln macht es leicht, in die Geschichte zu tauchen – und schwer, sie wieder zu verlassen. Die Dialoge sind zeitgemäß, lebendig und oft berührend schlicht. Fannerls Entwicklung ist glaubwürdig und nachvollziehbar – ein stilles Wachsen, keine schnelle Verwandlung. Gerade das macht sie so nahbar.

Aber der Roman hätte auch gut noch einige zusätzliche Seiten vertragen – um sich noch intensiver mit dem Schicksal der Figuren auseinanderzusetzen, um Emotionen länger auszukosten und um das Tempo an manchen Stellen zu entschleunigen. Umso größer ist jetzt die Freude auf den 2. Band.

FAZIT: Ein leiser, kraftvoller Roman über das Verstoßenwerden – und das Wiederfinden der eigenen Stärke – Dieser Roman bekommt von mir eine absolute Leseempfehlung. „Das verstoßene Mädchen“ ist ein bewegender Auftakt zu einer historischen Trilogie, die nicht auf große Dramen setzt, sondern auf leise, eindringliche Töne. Fannerls Geschichte steht stellvertretend für viele Frauen ihrer Zeit – und ist doch einzigartig in ihrer Intensität und Wahrhaftigkeit. Es ist eine Geschichte über den Verlust von Heimat, über Einsamkeit und Entwurzelung – aber auch über den Mut, weiterzugehen, selbst wenn der eigene Weg plötzlich steinig, dunkel und unbekannt wird. Lotte Römer erzählt mit eindringlicher Sprache und großer emotionaler Tiefe vom Erwachsenwerden unter widrigsten Umständen. Sie schenkt uns mit Fannerl eine Heldin, die leise kämpft, standhält und trotz allem nicht verbittert.

Ich habe mit ihr geweint, gehofft, gezittert. Ich habe gespürt, wie sehr sich das Leben verändern kann – durch ein einziges Ereignis, durch einen falschen Blick, durch ein kaltes Urteil. Und ich habe bewundert, wie viel Mut es braucht, sich selbst in einer fremden Welt neu zu erfinden. Fannerl ist keine Heldin, wie man sie oft in historischen Romanen findet. Sie ist echter. Sie ist greifbarer. Und genau deshalb so bewegend. Der Roman ist nicht nur ein literarischer Einstieg in das Innsbruck der 1880er-Jahre, sondern auch eine emotionale Reise in die Tiefen weiblicher Stärke, Verletzlichkeit und Selbstfindung. Wer historische Romane liebt, die berühren und gleichzeitig gesellschaftliche Themen nicht scheuen, wird dieses Buch verschlingen.

Ich freue mich nun umso mehr auf Teil 2, in dem – so viel scheint angedeutet – Elsa, Fannerls Schwester, im Mittelpunkt stehen wird. Doch Fannerls Geschichte wird in meinem Herzen bleiben – als Erinnerung an ein Mädchen, das verstoßen wurde und dennoch den Mut fand, ihren eigenen Weg zu gehen. Mir bleibt jetzt nur noch dir eine schöne Lesereise zu wünschen, denn „Das verstoßene Mädchen“ ist ein Buch, das wie ein kalter Gebirgsbach durch die Seele fließt, aufwühlt, erfrischt, und Spuren hinterlässt.

Wieder lege ich ein sehr sehr tolles Buch beiseite. Es hat mich sehr berührt und zum Nachdenken gebracht. Ich bin jetzt schon gespannt, wenn ich wieder ins Jahr 1881 nach Innsbruck reisen darf. Bis es soweit ist, warten noch viele weitere Bücher auf meinem Reader. Bleibt also neugierig und bis bald.