Das Verhältnis zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern: Vertrag ist Vertrag

Das Verhältnis zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern: Vertrag ist Vertrag

© matthias guenter / pixelio.de

Pacta sunt servanda – Verträge sind einzuhalten, dies ist ein Prinzip des Zivilrechts, aber auch des öffentlichen Rechts. Doch manchmal scheinen Krankenkassen der Meinung zu sein, sie seien inzwischen nicht mehr an das Recht gebunden, jedenfalls drängt sich bei dem einen oder anderen Leistungserbringer dieser Verdacht auf, wenn er so erlebt, wie Krankenkassen sich über bestehende Verträge hinweg setzen.

In meinem letzten Fall war es die DRV Knappschaft-Bahn-See, und zwar deren Verwaltungsstelle Cottbus. Dieser gegenüber machte mein Mandant im Zeitraum März 2009 bis Juli 2009 Forderungen in einem Gesamtumfang von immerhin knapp 4.700,00 EUR geltend. Hintergrund waren Leistungen, die er aufgrund eines unstreitig bestehenden und wirksamen Vertrag unter Anwendung des gültigen Hilfsmittelverzeichnisses und aufgrund einer ärztlichen Verordnung sach- und fachgerecht gegenüber bei der DRV Versicherten erbracht hatte. Doch die Knappschaft dachte gar nicht daran, zu zahlen, obwohl es zwischen den Parteien des nun vor dem Sozialgericht Cottbus geführten Rechtsstreit (Az. S 12 KR 13/10), der durch noch nicht rechtskräftig entschiedenes Urteil zu Gunsten des Leistungserbringer am 30.07.2012 endete, völlig unstreitig, dass der beide Parteien eigentlich bindende Vertrag am 31.03.2007 in Kraft getreten war und Geltung hatte bis 01.11.2010 – also auch für den hier in Rede stehenden Zeitraum. Trotzdem zahlte die Kasse nicht, weil sie der Meinung war, sie müsse diese Leistungen nicht (mehr) erbringen, gäbe es doch inzwischen das Urteil eines Landessozialgerichts, nach welchem die vom Leistungserbringer dem Versicherten zur angemessenen Versorgung zur Verfügung gestellten Leistungen dem Eigenverantwortungsbereich zuzurechnen und deswegen auch von diesem zu bezahlen seien. Dies ergäbe sich letztendlich aus de Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V, der inzwischen allgegenwärtigen Allzweckwaffe der Krankenkassen zur Kostenminimierung einseitig zu Lasten der Leistungserbringer.

Das Sozialgericht Cottbus sah das allerdings völlig anders als die DRV: der Leistungserbringer habe nämlich einen Zahlungsanspruch aus § 69 SGB V iVm. §§631 ff. BGB iVm. dem zu damaligen Zeitpunkt unstreitig geltenden Vertrag. Über § 69 Abs.1 S.3 SGB V seien die zivilrechtlichen Regelungen des Werkvertrages anwendbar,  Leistungsumfang, Vergütung und Abrechnung regele der Vertrag zwischen den Parteien.

Dieser Vertrag sei auch für den massgeblichen Zeitraum voll umfänglich gültig. Es gelte insoweit zunächst der Grundsatz des § 311 Abs.1 BGB, nach dem ein Vertrag eben nur durch einen Änderungsvertrag geändert werden könne und nicht durch einseitige Erklärungen einer Seite, wenn nicht ein Gesetz Anderes vorschreibe. Diese Einschränkung des § 311 BGB werde nicht ausgelöst durch die §§ 69, 70, 127 und 139 SGB V. Auch sei das Hilfsmittelverzeichnis lediglich nachgeordnetes Recht auf der Grundlage der § 92 und 139 SGB V, und dort habe es keine Änderungen gegeben, die es der Knappschaft erlauben würden, einseitig den Vertrag zu Lasten des Leistungserbringers abzuändern und ihm dadurch die Forderungen für tatsächlich erbrachte Leistungen zu kürzen.

Den Versuchen der DRV, durch einseitige Schreiben im Februar und September 2009 eine Vertragsänderung herbeizuführen, erteilte das Sozialgericht Cottbus eine klare Absage: selbst wenn man den reichlich undeutlich formulierten und wohl eher als verwaltungsinterne Anweisungen anzusehenden Papieren Aussenwirkung zuerkennen wolle, so handele es sich dabei um einseitige Festlegungen, die jedenfalls für den hier angesprochenen Zeitraum weder den Rahmenvertrag, noch das Hilfsmittelverzeichnis, noch die Hilfsmittelrichtlinien in irgendeiner Form abändern könnten, denn das Merkmal “soweit nicht das Gesetz ein Anderes vorschreibt” im Sinne des § 311 BGB sei nicht erfüllt.

Auch die Fortschreibung der betroffenen Produktgruppe sei keine Fortschreibung des Gesetzes – wenn es eine solche Fortschreibung überhaupt gegeben habe. Die Änderung sei nämlich weiterhin nicht durch Gesetz erfolgt, und in § 311 BGB stehe nichts von einer Änderung “aufgrund” eines Gesetzes.

Auch mit der kassenseitigen natürlich ins Feld geführten Allzweckwaffe “Wirtschaftlichkeitsgebot” nach §12 SGB V beschäftigte sich das Sozialgericht Cottbus – und schmetterte die Argumentation der Knappschaft hierzu ab: nach § 12 Abs.1 SGB V müssen Leistungen ausreichend, zweckmässig und wirtschaftlich sein und dürfen das Mass des Notwendigen nicht überschreiten. Allerdings sei nicht immer die billigste zweier Leistungen die einzig denkbare, denn der Versicherte habe unter den wirksamen Leistungen Anspruch auf die unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls wirtschaftlich sinnvollste Leistung zur Erreichung des Behandlungsziels, und dies könne unter anderem auch diejenige sein, die die beste Kosten-Nutzen-Relation habe, jedenfalls dann, wenn die Mehrkosten im Verhältnis zum medizinischen Vorteil nicht unangemessen hoch seien. Schliesslich bestimme sich der Nutzen nach dem Behandlungsziel unter Einbeziehung der Nachhaltigkeit des Heilerfolgs und der Lebensqualität des Versicherten. Sämtliche seitens des Leistungserbringers erbrachten Leistungen aufgrund Verordnung des Vertragsarztes erfüllten diese Kriterien und stellten deswegen keinen Verstoss gegen § 12 SGB V dar.

Höchst interessant waren die weitergehenden Ausführungen des Sozialgerichts Cottbus zur Frage, welche Prüfungspflichten den Leistungserbringer hinsichtlich der ärztlichen Verordnung trifft – ebenfalls ein Klassiker aus dem Keulenarsenal der Krankenkassen, die sich anscheinend nicht an die Ärzte und deren Standesorganisationen herantrauen und deswegen lieber die Leistungserbringer mit Kürzungen überziehen, weil diese angeblich eine Prüfpflicht gegenüber den Ärzten hätten, was Wirtschaftlichkeit und Zweckmässigkeit der Versorgung betrifft.

Mitnichten, so auch das hier urteilende Gericht – und dies in Reihe mit diversen Sozialgerichten: zwar habe der Leistungserbringer aus seiner professionellen Sicht die Versorgung des Versicherten zu prüfen, allerdings habe er dabei die Vollständigkeit und Plausibilität der ärztlichen Versorgung im Auge zu behalten. Die eigentliche Prüfungspflicht jedoch – und zwar insbesondere bzgl. der Wirtschaftlichkeit der Versorgung – liege nun einmal bei den Vertragsärzten, §92 Abs.1 S.2 Nr.6 SGB V iVm. § 6 Abs.4 und Abs.5  Hilfsmittelrichtlinie.

Auf die Einhaltung dieser Hilfsmittelrichtlinie müssen und dürfen die Leistungserbringer vertrauen, da ansonsten die kassenärztlichen Versorgungen ihren Sinn verlieren würden. Genau darauf habe der hier gültige Rahmenvertrag hingewiesen, so das Sozialgericht Cottbus weiter: schliesslich werde dort explizit angeordnet, dass die Versorgungen der Leistungserbringer den vertragsärztlichen Verordnungen zu entsprechen hätten, Änderungen seien nur nach Rücksprache mit dem Arzt oder der Krankenkasse und mit schriftlicher Dokumentation auf der Verordnung zulässig. Zwingend ergebe sich daraus, dass der Leistungerbringer sich an die vertragsärztliche Verordnung zu halten habe und nur bei Unvollständigkeit oder fehlender Plausibilität von sich aus zu reagieren habe.

Nach alledem gab das Sozialgericht der Klage in vollem Umfang statt und stärkte – wie viele Gerichte zuvor – die Position der Leistungserbringer gegenüber den Krankenkassen.

Photo: www.pixelio.de


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