Das Figurentheater Lilarum arbeitet mit vier Figurenspielerinnen und einem Figurenspieler. Unsichtbar für die Kinder, aber unverzichtbar für jedes Stück.
„Silke und Joanna kommen später! Sie haben sich aus der U4 gemeldet, die gerade nicht weiterfahren kann." Es ist mittwochmorgens kurz vor 9 Uhr und es regnet in Strömen. „Immer dasselbe, kaum regnet es, steht die Stadt." Werner Malli vom Ensemble des Figurentheater Lilarum schaut auf die Uhr. Um 9 sollte eigentlich die erste Vorstellung beginnen, da kommt Entwarnung von einer Stimme aus dem Nebenraum: „Es fehlen auch noch drei Gruppen!" Die stecken also auch irgendwo fest. Und so kehrt leichte Beruhigung in den Aufenthaltsraum mit angeschlossener Teeküche ein. Zwei der vier Puppenspielerinnen, Evgenia Stavroupulou-Traska und Silvia Lenz, sowie der einzige Mann des Ensembles, sind schon da. Ihr Outfit: Schwarze Hose, schwarzes T-Shirt mit weißer Lilarum-Aufschrift. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen Joanna Proksch und Silke Graf, die noch in der U-Bahn festsitzen, sind sie die Truppe, die im Kindertheater im 3. Bezirk die Puppen und das Bühnenbild bewegen. Ihre Stimmen sind dabei nicht gefragt, denn die kommen samt Musik vom Band.
Für jede neue Produktion werden Schauspielerinnen und Schauspieler verpflichtet, die den Text im Studio auf Band sprechen. Die Truppe hinter und auch unter der Bühne, denn diese befindet sich eigentlich über den Köpfen der Spielenden, braucht also nicht textsicher zu sein. Und dennoch ist sie es. Denn was sie dort leistet, funktioniert nur, wenn jeder Griff und auch jeder Satz, ja jedes Wort zumindest im Geist sitzt. Eine falsche Bewegung, und der Zauber der Geschichte ist verloren.
Der Raum hinter der Bühne besteht aus einem Tisch mit darunter angebrachten Regalen. Auf ihm liegen die verschiedenen Puppen und kleine Requisiten, die für die jeweilige Inszenierung zum Einsatz kommen. Davor, bis hin zur Bühnenwand, ist das Bühnenbild auf metallenen Gestellen montiert, die mit Rollen ausgestattet sind. So können sie leicht hin- und hergeschoben werden. Alles muss wie in einem Uhrwerk geregelt ablaufen. Jeder einzelne Handgriff verzahnt sich mit dem der anderen. Was man denn für Eigenschaften haben muss, um hier zu arbeiten, frage ich. „Man muss sich gut konzentrieren können, reaktionsschnell und teamfähig sein und ein Gespür für Bewegungen mitbringen." Werner Malli weiß, wovon er spricht, er ist schon über 10 Jahre im Lilarum tätig.
Die Spielerin, die zuletzt zur Gruppe kam, ist auch schon vier Jahre dabei. Das bedeutet, dass alle die Stücke, die im Repertoire sind, gut kennen. Und doch braucht es eine Vorlaufzeit, wenn sie nach mehreren Monaten oder auch Jahren wieder ins Programm aufgenommen werden. Ein paar Probentage sind dann angesagt, mindestens drei Wochen sind es, wenn ein neues Stück einstudiert wird.
„Wir haben schon Präferenzen was die Stücke betrifft", antwortet Silvia auf meine Frage nach Lieblingsinszenierungen, „aber ich glaube, das ist individuell." „Ich mag am liebsten Stücke, bei denen ich viel zu tun habe und solche, die Puppen haben, die kompliziert zu bedienen sind", erklärt Evgenia. Mittlerweile sind auch Joanna und Silke eingetroffen und auch für sie geht sich noch ein schneller Kaffee aus, denn das Publikum ist noch immer nicht vollzählig. Als die Glocke dann doch rascher ertönt als erwartet, wird es plötzlich hektisch im bis dahin gemütlichen Aufenthaltsraum. Ich kann gar nicht so schnell schauen, haben sich alle durch die Bühnentür zu ihrem Arbeitsplatz beeilt und stellen sich in Position.
„Sie bleiben am besten hier stehen, wo Sie jetzt sind, da kann nichts passieren!", werde ich noch leise zischelnd angewiesen und schon nach wenigen Augenblicken weiß ich, was mit „passieren" gemeint ist. Denn schon kurz nachdem sich der Vorhang geöffnet hat, werden die ersten Kulissen verschoben. Wehe, wer hier im Weg steht. Erzählt wird an diesem Tag die Geschichte vom Bären Brumm und seinem kleinen Freund, dem Vögelchen Ostertier. Ich hatte mich zuvor noch erkundigt, ob diese Arbeit denn körperlich anstrengend sei, jetzt kann ich selbst sehen, wie sehr die Agierenden im Einsatz sind. Das Kulissenschieben ist da noch die geringste Anstrengung. Aber ich mag mir gar nicht ausmalen, wie lange ich denn eine der Stabpuppen überhaupt halten könnte, den Blick ständig nach oben auf sie gerichtet.
Wenn man sich das Geschehen hinter der Bühne in Ruhe ansieht, sofern man von Ruhe im hektischen Getriebe sprechen kann, dann zieht man automatisch Vergleiche mit einem Bienenschwarm. Ich nehme bestimmte Bewegungsmuster wahr, plötzlich ballen sich als Gruppe zusammen, laufen rasch wieder auseinander, gehen abwechselnd nach hinten zum Tisch, um Puppen abzulegen und neue aufzunehmen. Die Blicke verändern sich je nach Text und viele bewegen ihre Lippen synchron, wenn ihre Schützlinge etwas zu sagen haben. Anders als im Sprechtheater mit Schauspielerinnen und Schauspielern hat ein Fehler hier ungeahnte Konsequenzen, denn das Band mit der Sprachaufzeichnung und der Musik läuft beständig weiter, kann nicht auf kleine Unachtsamkeiten reagieren.
„Uns selbst ist noch nichts passiert, außer dass einmal ein Bühnenbild umgefallen ist, aber es kommt vor, selten, aber doch, dass einmal die Technik nicht funktioniert und das Band stecken bleibt. Das ist dann für alle lustig, auch für die Kinder. Die bekommen das dann ja auch mit, aber die lachen darüber immer!", Joanna plaudert ein wenig aus dem Nähkästchen. So einen Vorfall könnte man als Entzauberung ansehen, aber er entpuppte sich einfach als Live-Hoppala, welches das Erlebnis des Theaters eigentlich noch verstärkt.
An die rechte Bühnenwand gedrückt, verharre ich fast regungslos, denn jeder Zentimeter hinter der Bühne wird irgendwann auch einmal für das Abstellen von schon gebrauchten Prospekten benötigt. Aber da ich gerne sehen möchte, wie denn Brumm der Bär vom Zuschauerraum aus wirkt, mache ich mich nach 20 Minuten leise durch die Hintertüre davon. Am Ende des Stückes kommen alle zu einer kurzen Verbeugung vor die Bühne, die Kinder klatschen, aber nur wenige von ihnen wissen, warum sich diese Menschen jetzt eigentlich verbeugen. Denn Brumm der Bär ist Brumm der Bär und das Ostertier lebt jetzt wieder auf der Osterinsel. Komisch, oder? Na, man muss ja im Theater nicht alles verstehen!
Während die Kinder den Saal verlassen, wird es hinter der Bühne noch einmal betriebsam. Alles zurück auf Anfang heißt es da, denn in einer halben Stunde beginnt schon die nächste Vorstellung und dafür müssen die Puppen an ihrem Platz sein und die Schiebekulissen an ihrer richtigen Position. Dazwischen geht sich noch ein schneller Kaffee aus, wunderbar!
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