Das Töten eines Feindes – Welches Gesetz deckte die Erschießung Bin Ladens?

Von Hartstein

Liebe Leser,

gestern hatte ich über diese Frage nachgedacht. Denn Liquidation ist kein rechtsstaatliches Mittel und ich wundere mich schon, wie erleichert die westliche Welt ist, dass der Terrorpate Nummer eins getötet wurde. Sicherlich, er ist für den Tod von tausenden Menschen verantwortlich und hat schlimme Sachen gemacht. Ich rege auch keine Sympathien für diesen Mann.

Aber in einer Demokratie darf es solche Hinrichtungen nicht geben. Auch er hat Anspruch auf einen fairen Prozess und es gilt die Unschuldsvermutung, denn die Schuld wird erst im Prozess ermittelt, auch wenn es in diesem Fall schwer fallen würde. Schließlich wurde er mit internationalen Haftbefehl gesucht.

Aber es scheint kein Problem zu sein. Die USA definieren sich als Weltpolizei und keiner hat was gegen diese Hinrichtung. Auch wenn die USA die Todesstrafe haben, so muss ein Prozess vor einem Gericht die Schuld und das Strafmaß festellen.

Lediglich die Grünen mit Cem Özdemir hätten sich einen Prozess gewünscht.

Ich kann es nicht verstehen, dass die UNO, EU und sogar Deutschland die Tötung begrüßen und jetzt erleichert sind. In Den Haag gibt es für solche Fälle den internationalen Gerichtshof.

Dort sind auch bereits einige Verbrecher verurteilt, aber auch freigesprochen worden. Andere wie Slobodan Milošević sind während der Haft verstorben. Er war der erste Präsident eines Staates, der noch während seiner Amtsausübung von einem Kriegsverbrechertribunal wegen Völkermordes angeklagt wurde.

Die SZ beschäftigt sich heute ebenfalls mit diesen Fragen:

Welches Gesetz deckte die Erschießung Bin Ladens? Die Rechtsprechung der USA verlangt vor der Todesstrafe einen Prozess, weder das Völker- noch das Kriegsrecht kennen Liquidationen. Die Entscheidung, den Terrorpaten zu töten, war eine politische: Washington hatte beschlossen, dass für Bin Laden ein Ausschluss aus dem Recht gelten soll – weil er sich von jeglichem Recht entfernt hatte.

In den USA gibt es die Todesstrafe. Gleichwohl: Durften die US-Soldaten Osama bin Laden töten, einfach so, ohne Urteil? „Der Gerechtigkeit ist Genüge getan worden“, versicherte der amerikanische Präsident Barack Obama. Aber woran misst sich diese Gerechtigkeit: am einhelligen Unwerturteil der westlichen Welt gegen Bin Laden? An der tiefen Befriedigung, welche die amerikanische Bevölkerung verspürt? Sicherlich: Bin Laden hat den Tod von Tausenden Menschen zu verantworten und er hat sich dessen gerühmt. Er ist, er war ein Erzverbrecher. Ist eine Exekution durch ein amerikanisches Militärkommando – so es eine solche war – deshalb eine gerechte Strafe?

Strafen sind nach rechtsstaatlichem Verständnis Sanktionen, die ein unabhängiges Gericht verhängt. Gilt das nicht mehr, wenn es darum geht, einen Top-Terroristen auszuschalten? Bin Laden wurde mit internationalem Haftbefehl gesucht. Ein solcher Haftbefehl ist ein Instrument des Rechtsstaats. Handelte es sich bei dem US-Einsatz gegen Bin Laden um eine Art Polizeieinsatz, bei dem dieser Haftbefehl vollstreckt und Bin Laden festgenommen werden sollte? Wurde er also erschossen, weil er sich gegen die Festnahme gewehrt hat?

Sie SZ schreibt weiter, die Exekution nur rechtlich zu fassen ist, wenn das Feindstrafrecht angewendet wird. Das Feindstrafrecht, dass es offiziell nicht gibt, auch nicht geben darf, setzt für Feinde die Strafgesetze außer Kraft.

Wikipedia schreibt dazu:

Der Begriff Feindstrafrecht ist eine 1985 vom deutschen Strafrechtler und Rechtsphilosophen Günther Jakobs vorgeschlagene Bezeichnung für ein Strafrecht, das bestimmten Gruppen von Menschen (sog. Staatsfeinden) die Bürgerrechte versagt und sie als Feinde der Gesellschaft oder des Staates außerhalb des für die Gesellschaft geltenden Rechts stellt. Im Feindstrafrecht sind alle zur Verfügung stehenden Mittel erlaubt. Es ist deshalb kein Strafrecht im herkömmlichen Sinne, sondern ein von rechtsstaatlichen Bindungen befreites Instrument zur Gefahrenabwehr. Als Gegenbegriff prägte Jacobs den Ausdruck „Bürgerstrafrecht“. Das Konzept wird von den meisten Strafrechtlern und Rechtsphilosophen demokratisch verfasster Staaten abgelehnt. Jacobs selbst beansprucht, das Feindstrafrecht lediglich zu beschreiben, nicht aber zu propagieren, während Kritiker ihm vorwerfen, spätestens seit 2004 eine teilweise affirmative Haltung dazu einzunehmen.

Da fragt man sich, wann wurde das Feindstrafrecht denn angewendet?

Im Mittelalter galten Verbrecher als vogelfrei, d. h. die Tötung eines Geächteten blieb straffrei. In der jüngsten Vergangenheit wurde dieses Recht durch die Nationalsozialisten massiv augeübt.

Ein klassisches Feindstrafrecht wurde in der Zeit des Nationalsozialismus im Deutschen Reich 1933 bis 1945 ausgeübt: Juden, „Asoziale“ und Gegner der nationalsozialistischen Idee wurden zu „Volksschädlingen“ erklärt, für die die Gesetze der deutschen Volksgemeinschaft keine Anwendung fanden. Sie konnten jederzeit von der Gestapo in „Schutzhaft“ genommen werden. Für ihre – schnelle – Aburteilung waren der Volksgerichtshof und andere Sondergerichte zuständig. (Siehe auch: Verordnung gegen Volksschädlinge). Ohne Gerichtsverfahren wurden sie in den Konzentrationslagern gesperrt und ab 1942 millionenfach „vernichtet“.

Ein vergleichbares Sonderstrafrecht galt während des Zweiten Weltkriegs für die so genannten Fremdvölkischen. Beispielsweise unterlagen polnische Staatsbürger der 1941 in Kraft getretenen Polenstrafrechtsverordnung.

Und wie sieht es heute aus?

In Kolumbien wird seit 1990 ein Feindstrafrecht gegen „Drogenterroristen“ angewandt. Die Betroffenen werden oft jahrelang ohne Anklage und ohne Rechtsbeistand in Untersuchungshaft festgehalten, um dann anschließend in Geheimprozessen aufgrund der Aussagen anonymer Zeugen abgeurteilt zu werden. Die Strafverfolgung selbst obliegt vorrangig einer militärischen Spezialeinheit, die nur formal der Staatsanwaltschaft unterstellt ist. Etwa sieben Prozent der verfolgten Straftaten werden mit den Mitteln dieses Feindstrafrechts verfolgt.

Die Klassifizierung von Al-Qaida- und Taliban-Kämpfern als „ungesetzliche Kombattanten“ und ihre Inhaftierung im Lager Guantanamo durch das US-Militär können ebenfalls als Erscheinungsformen eines Feindstrafrechts angesehen werden.

Elementare Gründe gegen das Feindstrafrecht:

Kritik am Feindstrafrecht und seinen Konzeptionen richtet sich gegen die Außerkraftsetzung grundlegender rechtlicher Standards.[7] Die Diskussion um Feindstrafrecht in Deutschland stehe im „Widerspruch zu elementaren Verfassungsgrundsätzen durch die Forderung einer partiellen, aber permanenten Aufhebung von Rechtssätzen für die ‚Feinde des Systems‘“.[8]

Oskar Negt hebt in Anlehnung an Walter Jellinek hervor, „das Gesetz schütze nicht nur Gesellschaft und Staat vor dem Verbrecher, sondern auch umgekehrt: das Gesetz schütze auch den Verbrecher vor den willkürlichen Zugriffen des Staates und den Racheakten der Bürger. Mit Bedacht haben die Verfasser des Grundgesetzes den Schutz der Menschenwürde nicht auf den rechtsbewussten Bürger beschränkt; sie sprechen vielmehr von der Unantastbarkeit der Würde des Menschen, aller Menschen …“[9] Weiter führt Negt Heribert Prantl an, der sagt: „Unpersonen kaltstellen, ausgrenzen, ihnen den Anspruch verweigern, als Person behandelt zu werden – das ist ein Wortschatz, den wir seit dem Ende des Nationalsozialismus nicht mehr gehört haben.“[10]

Liebe Grüße,

Dirk