Heute mal kein blutiger Thriller, sondern der Roman “Das Testament der Jessie Lamb” vom Heyne Verlag. Auch diesen durfte ich über Blogg dein Buch rezensieren.
Das Testament der Jessie Lamb
Jane Rogers
Paperback, Broschur, 384 Seiten, 13,5 x 20,6 cm
ISBN: 978-3-453-31485-6
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Klappentext:
Die junge Jessie Lamb lebt in einer Welt, in der keine Kinder mehr geboren werden – jede Frau, die schwanger wird, stirbt an einem Virus. Und während die Wissenschaftler verzweifelt versuchen, ein Gegenmittel zu finden, steht Jessie vor einer furchtbaren Entscheidung. Denn sie scheint die Einzige zu sein, die die Menschheit vor dem Aussterben bewahren kann.
Die Autorin:
Jane Rogers, mehrfach ausgezeichnete britische Literatin, hat in England bereits sechs Romane veröffentlicht. Sie arbeitet für Radio und Fernsehen und lehrt an der Universität Sheffield. Mit ihren beiden Kindern lebt sie in Lancashire.
Rezension:
Die 16jährige Jessie wird von ihrem eigenen Vater gefangen gehalten. Aus Liebe. Denn Jessie hat einen Entschluß gefasst, mit dem sich ihr Vater nicht abgeben will. Durch die Gefangenschaft versucht er sie dazu zu bewegen, über ihr Vorhaben nachzudenken.
Jessie beginnt, ein Tagebuch zu schreiben…
Bis vor einiger Zeit, war die Welt noch in Ordnung. Bis ein Virus die Menschheit bedroht. Niemand weiß, woher er kommt, ob er einen natürlichen Ursprung hat, oder vielleicht ein verrückter Wissenschaftler ihn in einem Labor extra gezüchtet hat. Fakt ist: bei allen Frauen, die schwanger werden, bricht der Virus aus, die Frau erkrankt an MTS und Frau und Kind sterben.
Dies hat zur Folge, dass keine Kinder mehr geboren werden und die Menschheit – theoretisch – aussterben wird.
Die Wissenschaft arbeitet fieberhaft an einer Lösung: da werden Embryos in Tiere verpflanzt oder eine künstliche Gebärmutter ausprobiert.
Die vielversprechendste Lösung scheint jedoch, junge, freiwillige Mädchen künstlich zu befruchten und anschließend in ein Koma zu versetzen. Die so erzeugten Kinder sind virusfrei. Allerdings sterben die Mütter…
“Also, es handelt sich um ein künstliches Koma. Mann nennt sie Schlafende Schöne.” “Können sie wieder aufwachen?” “Nein, Das Muttertod-Syndrom zerstört im Verlauf der Schwangerschaft das Gehirn. Aber möglicherweise überlebt das Kind.” “Eine tote Mutter kann ein lebendes Kind zur Welt bringen?” “Wenn die Schwangerschaft sich dem Ende nähert, holen die Ärzte das Kind mittels Kaiserschnitt heraus.” “Und das Baby steckt sich nicht an?” “Die Krankheit befällt die Mutter, nicht das Kind. Das Kind kann sich trotzdem vom Körper der Mutter ernähren.” “Das klingt gruselig. Die Mütter dieser Kinder wären alle tot.” Er lächelte. “Das ist keine endgültige Lösung, Jessielein. Aber immerhin ein Anfang.”
Jessie ist zu Anfang der Geschichte noch ein ganz normales Mädchen: sie geht zur Schule, hat die ersten Liebeserfahrungen und denkt wenig über ihre Zukunft nach. Doch nach und nach verändert sich ihr Bild: der Virus läßt die verschiedensten Gruppierungen entstehen und Jessie lernt die unterschiedlichsten Gesichtspunkte kennen. Da gibt es plötzlich Organisationen, die für das Projekt der “Schlafenden Schönen” sind und natürlich auch die Gegenstimmen. Tierschutzprogramme rebellieren gegen andere Versuche. Schlußendlich haben die Männer kein Interesse mehr an den Frauen (da diese ja nun unnütz geworden sind). Dies überträgt sich natürlich auch auf die Jugend: Randale, Aggressionen gegenüber Frauen und Mädchen sind an der Tagesordnung. Die Menschen ziehen aufs Land in der Hoffnung, dort von dem Virus verschont zu bleiben. Städte verwahrlosen. Brandschatzungen und Plünderungen stehen auf der Tagesordnung.
In dieser Zeit durchlebt Jessie verschiedene Phasen und Gedankensprünge. Bis sie den für sich einzig wahren Weg entdeckt: sie will der Menschheit helfen und ein Kind zur Welt bringen. Auch, wenn das ihren Tod bedeutet.
“Ich wußte, mein Dad hatte recht. Es wäre eine wundervolle Tat, sein Leben für ein MTS-freies Kind zu opfern. Und damit einen Weg in die Zukunft zu ebenen. Er hatte es selber gesagt, und er hatte recht. Da war nicht dran zu rütteln.”
Als ihre Eltern davon erfahren, sind sie geschockt und versuchen alles, Jessie von diesem Weg abzubringen.
“Das Testament der Jessie Lamb” behandelt ein, in meinen Augen, sehr schweres Thema und ich habe dieses Buch durchaus aus verschiedenen Blickwinkeln gelesen.
Auf einer Seite kann ich Jessie, ihre Empfindungen und Gedanken sehr gut nachvollziehen. Auf der anderen Seite bin ich Mutter einer 14jährigen Tochter. Was, wenn sie mit dem Wunsch kommen würde, lieber zu sterben, als dem Untergang der Welt zuzusehen?
Beim Lesen war ich immer wieder hin und hergerissen zwischen Verständnis und Auflehnung.
Der Roman ist sehr trocken geschrieben. Jessies Erzählweise halt. Doch gerade das hat mich beeindruckt und mich glauben lassen, dass sie durchaus ernsthaft über die Hintergründe genau nachgedacht hat.
Zum Ende des Buches habe ich einige Zeit gebraucht, bevor ich mich dem Schluß gewidmet habe und somit die Frage klärte: Wird Jessie eine “Schlafende Schöne” und stirbt oder findet sich doch noch ein anderer Weg.
Wie bereits gesagt: ein sehr nachdenklicher Roman, der eine mögliche Zukunft aufzeigt, die gar nicht so weit hergeholt und, leider, durchaus realistisch erscheint.