US-Heuchelei um Kriegseskalation
Der Konflikt in Syrien könnte auf Nachbarländer wie die Türkei übergreifen, zeigt man sich in Washington besorgt. Man bemühe sich deshalb über diplomatische Kanäle darum, das Übergreifen des syrischen Bürgerkrieges auf andere Länder zu verhindern. Der von außen stimulierte und gesteuerte Bürgerkrieg in Syrien hat längst auf die Türkei übergegriffen. Das heißt: Die Türkei hat in den syrischen Bürgerkrieg eingegriffen. Und das erfolgte ganz gewiß nicht gegen den Willen der USA.
An Syrien grenzendes türkisches Territorium dient den Paramilitärs der sogenannten »Freien Syrischen Armee« als Rückzugsgebiet, von wo aus sie immer wieder zu ihren terroristischen Überfällen aufbrechen. In der Türkei werden sie ausgerüstet und ausgebildet, was allein schon einen schweren Verstoß gegen das Völkerrecht darstellt, das die von außen erfolgte Bewaffnung einer Bürgerkriegspartei verbietet. Selbst wenn der Beschuß türkischen Territoriums von Stellungen der syrischen Regierungsarmee aus erfolgt sein sollte, handelte es sich somit um einen Akt der Notwehr.
Es spricht indes alles gegen die Annahme, Assads Armee hätte die »Reaktionsfähigkeit und Entschlossenheit unseres Landes« testen wollen, wie das der türkische Premier Erdogan suggerierte. Denn daß die Regierung in Damaskus angesichts des bewaffneten Aufruhrs im Inneren und des auf sie von außen ausgeübten Drucks auch nur auf die Idee kommen könnte, einen Krieg gegen eine der stärksten Armeen der Welt anzuzetteln, kann so gut wie ausgeschlossen werden. Hingegen spricht alles für die Annahme, daß die eher glücklos agierenden Rebellentruppen türkisches Gebiet beschossen haben, um das NATO-Land Türkei und mit ihm das ganze Kriegsbündnis nach Syrien einzuladen.
Weil das die einzig logische Erklärung für den Granatenbeschuß ist, wird sie sogar von einigen westlichen Kommentatoren zaghaft angedeutet. Umso erstaunlicher ist die auch mit den Stimmen Rußlands und Chinas verabschiedete Resolution des UN-Sicherheitsrates, in der Syrien – ohne daß der Vorfall einer Untersuchung unterzogen worden wäre – für den Angriff auf das Grenzdorf Akcakale auf das Schärfste verurteilt wurde. Über die Motive, welche die beiden Vetomächte bewegt haben, erstmals eine gegen Syrien gerichtete Resolution nicht zu blockieren, kann nur gerätselt werden. Immerhin enthielt der Text auch eine Verurteilung der Terrorakte der Freischärler, was im allgemeinen Medienjubel freilich völlig unterschlagen wurde.
Vom Beschluß des UN-Sicherheitsrates offenbar ermutigt, wollen die Paten des wahhabitischen Terrors, Saudi-Arabien und Katar, schwere Waffen an die syrischen Todesschwadronen liefern. Sie erwarten dafür die »Rückendeckung der USA und am besten auch der UNO«. Washington zögert noch, weil die Waffen in die Hände von Terroristen gelangen könnten. Doch die sind längst zu unverzichtbaren Verbündeten geworden.
Werner Pirker (jW)