Es gibt ebenso kein Tabu, Israel zu kritisieren. Politiker von links und rechts tun das ebenso wie es führende Liberale taten. Niemand kann das verbieten, niemand hat es je verboten. „Trotz fast schon ritualisierter Behauptungen, eine Kritik an Israel, der israelischen Regierung oder dem israelischen Militär sei in Deutschland ein Tabu, wird diese für legitim gehalten", formuliert der Antisemitismus-Bericht der Bundesregierung, der in der weiteren Untersuchung der Sachlage zum Urteil kommt, dass „das Klischee eines angeblichen Tabus, Israel zu kritisieren, selbst Beispiel eines sekundären Antisemitismus" ist.
"The secrets that we shared“, singt Bob Seeger und "there was nothing left to burn and nothing left to prove” singt er auch. Die Süddeutsche Zeitung stellt noch einmal klar, dass "sachliche Kritik an israelischer Politik doch aber kein Tabu ist, auch nicht in Deutschland". Alfred Grosser sagt: "Es heißt aber immer sofort, das sei Antisemitismus."
Grass konnte kein Tabu brechen, schreibt n-tv, weil es kein Tabu gibt. Es gebe in Deutschland kein Tabu, Israel zu kritisieren, bestätigt auch Guido Westerwelle (FDP), der selbst schon mal Kritik an Israel geäußert hatte und mit einer bloßen Ermahnung durch den Zentralrat der Juden in Deutschland davongekommen war.
Ein bisschen Pipi im Gesicht, mehr nicht. Die Aufregung, die Grass „Gedicht“ auslöste, rührt somit augenscheinlich einzig aus dem Umstand, dass der feinfühlige Dichterfürst behauptet hat, ein Tabu zu brechen, dass nicht existiert. Und während ein Tabu, das nur einfach nicht ist, nicht der Rede wert wäre, ist ein Tabu, dessen Nichtexistenz selbst zum Gegenstand der Diskussion wird, ein riesiger Aufreger. Wieder was gelernt: Weil es das Tabu nicht gibt, ist jede Erwähnung des Tabus tabu.