Das Subjekt denken im Zeitalter seines Sturzes // David Sherman: „Sartre and Adorno. The Dialectics of Subjectivity“

Das Subjekt denken im Zeitalter seines Sturzes // David Sherman: „Sartre and Adorno. The Dialectics of Subjectivity“

Selten, dass ich im Vorfeld einem Buch mit so hohen Erwartungen begegne – und dass diese auch noch erfüllt werden. Vielleicht lag es auch daran, dass ich fast einen Monat lang sehnsüchtig auf den Original US-Import warten musste – jedenfalls kann ich David Shermans Studie Sarte and Adorno. The Dialectics of Subjectivity all jenen, die sich für das bereits im Titel angesprochene Thema interessieren, wärmstens empfehlen. Das Warten und der nicht allzu geringe Preis haben sich vollauf gelohnt.

Wer sich ein bisschen mit Sartre und Adorno auskennt, merkt sofort, wie paradox der Versuch wirken muss, beide Philosophien irgendwie aneinander annähern zu wollen. Während Sartre sich nie zu Adorno geäußert hat, hatte Adorno für Sartre und den Existenzialismus im Allgemeinen nur schärfste Polemik übrig. Demgegenüber versucht Sherman zu zeigen, dass Sartre und Adorno im Grunde ein ganz ähnliches philosophisches Programm verfolgen: einen Begriff des Subjekts zu entwickeln, der dieses nicht einfach als soziohistorisches „Konstrukt“ preisgibt ohne es idealistisch zu überhöhen. Beide gehen vom „identischen Subjekt-Objekt“ des deutschen Idealismus aus, um es von innen heraus aufzusprengen – Sarte vom Standpunkt des Subjekts, der 1. Person, Adorno von dem des Objekts, der 3. Person. Es ist leicht zu ersehen, dass die Wahrheit in der Vermittlung der beiden kontroversen Standpunkte liegen würde. Während Sartre mit seiner phänomenologischen Methode in Gefahr läuft, die Geschichte auszuklammern und den gegenwärtigen Gesellschaftszustand zu ontologisieren, setzt Adornos Versuch, das Subjekt radikal historisch zu denken ohne es preiszugeben genau ein nicht-metaphysisches Subjekt voraus, wie es Sartre in Das Sein und das Nichts konzipiert. Ein Subjekt, das nicht – wie klassischerweise bei Descartes, Kant und auch noch Kierkegaard – als weltjenseitiges, innerliches gedacht wird, sondern immer schon auf die Welt – Dinge und andere Subjekte, den Körper, die gesellschaftliche Situation etc. – bezogen ist – in diesem Bezug jedoch zugleich absolut frei ist. Als normatives Ziel sowohl der „negativen Dialektik“ Sartres als auch der Adornos sieht Sherman dann eine „vermittelnde Subjektivität“ („mediating subjectivity“), die ihrer Vermitteltheit eingedenk zugleich gerade durch diese Reflexion die gesetzten Bedingungen ihrer Existenz zu überschreiten vermag – als Keimzelle radikalen sozialen Widerstands, der ohne als frei gedachte Subjekte nicht zu haben ist.

Wie man als in der gegenwärtigen Theorielandschaft beheimateter Mensch sofort merkt, sind diese Thesen keinesfalls unumstritten, sondern der hegemonialen ideologischen Tendenz sogar strikt entgegengesetzt. Sherman hat sich in seinem Bemühen, Sartre und Adorno zu vermitteln und zugleich zu retten, mit zahlreichen Gegnern und falschen Freunden aus verschiedensten theoretischen Lagern auseinanderzusetzen, die alle eint der Punkt eint, dass das Subjekt und seine Freiheit eine bloße Illusion seien, von der man sich nicht nur in Philosophie und Wissenschaft, sondern (zumindest in manchen Ausprägungen) auch in der Praxis frei zu machen habe. Im Grunde hat Sherman also geschätzte 3/4 der akademischen Welt gegen sich – ob Biologisten, Positivisten, analytische Philosophen, Poststrukturalisten, Dekonstruktivisten oder Habermasianer. Insbesondere mit den drei letzt genannten beschäftigt sich Sherman ausführlich. Er versucht, im Anschluss vorallem an Adornos Heidegger-Kritik, zu zeigen, dass der „linguistic turn“, der „Tod des Subjekts“ oder gar „des Menschen“ keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse in dem Sinne zum Ausdruck bringen, dass es sich um ahistorische Wahrheiten handeln würde, die man erst jetzt plötzlich entdeckt hätte, sondern dass dieses schulübergreifend geteilte Paradigma vielmehr die bereits von Adorno reflektierte Tendenz zur ganz realen Auflösung des Subjekts in der „total verwalteten Welt“ ideologisch artikuliert – und dabei zugleich ontologisiert und affirmiert. Solange freilich – so Sherman – das freie Subjekt überhaupt noch gedacht werden kann, ist die gesellschaftliche Tendenz zu seiner völligen Auflösung in den gesellschaftlichen Strukturen noch nicht gänzlich vollzogen – und gibt es zugleich noch die Hoffnung auf Widerstand, der eine Umkehr bewirken könnte. Genau dies können die antisubjektivistischen Theoretiker kaum mehr denken – bzw. müssen dann doch wieder so etwas wie ein freies Subjekt annehmen (der späte Foucault), auf selbst metaphysische Konzepte zurückgreifen (Derridas „differánce“) oder auf die Wunderwirkungen kantianischer Ethik hoffen (Habermas & Co.).

Shermans Forschungsinteresse ist also keineswegs rein theoretisch, sondern er wird nicht müde zu betonen, dass es ihm darum geht, die theoretische Bedingung des Möglichkeit radikalen Widerstands zu sichern. Dieser Anspruch wirkt freilich etwas seltsam – so, als könnte man den Lauf der verwalteten Welt entschleunigen, bremsen oder gar umkehren, nur, indem man Subjektphilosophie betreibt – als wäre das Subjekt schon dadurch gerettet, dass man es denkt. So heißt es etwa in der Einleitung in einer Kritik an Slavoj Zizek:

Without a commitment to efficacious subjects – a commitment whose very possibility is being progressively undermined by a polity that is ever more constructed in the circuits of contemporary „postmodern“ capitalist globalization processes – there can be no basis for change, and this only plays into the hand of those groups that most profit from the prevailing order if things. (p. 2)

Hier wird ein Theorie-Praxis-Verhältnis impliziert, dass den postmodernen Vorstellungen von Diskursmachtpolitik wiederum auffallend nahe steht. Doch es wäre wohl wiederum zu einseitig, diesen Punkt von Shermans Kritik vollständig von der Hand zu weisen: natürlich macht es für das Selbstverhältnis und damit die Praxis des Einzelnen einen enormen Unterschied, ob er oder sie sich als Kreuzungspunkt von Diskursen, Heideggersches „Da-Sein“, kantianisches Moralsubjekt oder Sartresches „In-der-Welt-Sein“ begreift. Deterministische Theorien lassen sich immer als Entschuldingsideologien für den herrschenden Umständen adäquates Verhalten verwenden – worauf nicht zuletzt Sartre ja nicht müde wird hinzuweisen. Selbst wenn Bücher wie das vorliegende von Sherman oder die Zizeks nur eine relativ kleine unmittelbare Wirkung entfalten dürften, werden in ihnen doch ideologische Kämpfe ausgetragen, die letztendlich doch politisch-praktisch relevant sind. Unter dem Vorbehalt, dass hier die Gefahr eines ziemlich akademistischem Idealismus zu liegen scheint, würde ich also Shermans Kritik an den affirmativen Auswirkungen des „linguistic turn“ durchaus zustimmen, zumal Sherman an Adorno gerade kritisiert, dass dieser als einzigen Ort des realen Widerstands höchst undialektisch die Theorie ausmache:

When Adorno speaks to „resistance“, he is usually speaking only to theoretical resistance, which – even when self-reflectively aware of its own inherent limitations – tends to approach the sort of Kierkegaardian inwardness that he otherwise rejects. And, indeed, as with Kierkegaard, this has serious implications for subjectivity: consciousness tends to draw into itself the mean reality from which it tries to withdraw. Although we can wholeheartedly agree with Adorno when he asserts that „theory and practice … cannot be glued together in a synthesis ([Negative Dialectics], p. 286), then, it is no more the case that theory and practice can be split off from one another, for this presupposes the very separation that he is properly rejecting in Kant’s dualistic subject, and it collapses into an identity theory that is no less virulent. Indeed, in terms of practice, it might well put Adorno only one step behind Kant, who says in „What is Enlightenment?“ that the need for the absolute freedom of critique must be offset by practical obedience. Ultimately, then, just as practically committed resistance must preserve its theoretical wits, lest it falls into apologetics, theory must engage with the most emancipatory form of practice that is available in a coercive world, lest the world move beyond not only the possibility of any emancapatory theory. Practice is required to keep critical theory alive, for in the absence of oppositional practices that might staunch the movement toward the „totally administered society,“ there will no longer be any space for oppositional theories. (p. 259)

Was genau „the most emancipatory form of practice“ in der heutigen Welt sein soll, benennt Sherman freilich nicht. Es wirkt auch etwas seltsam, hier nur von einer „form“ zu sprechen.

Jedenfalls liefert Sherman eine klare Darlegung subjektivitätstheoretischer Fragestellungen „auf der Höhe der Zeit“, wie es so schön heißt, die relativ plausibel macht, dass es sich dabei nicht um rein akademische Fragestellungen, sondern die konkreten Fragestellungen unserer Epoche handelt – wie können wir uns in der heutigen Zeit einen Rest an Autonomie bewahren, ohne in die Innerlichkeit der „schönen Seele“ zu verfallen? Sherman liefert dafür – wie auch? – zwar keine konkreten Handlungsanweisungen, aber einen begrifflichen Rahmen, in dem man darüber überhaupt erst nachdenken kann.

Auszüge des Buches auf google books


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