Das Silohaus als Tiny House – Architekt Jan Körbes im Interview

Von Lilligreen @lilligreen

Aus Dingen und Materialien, die wir nicht mehr brauchen, etwas Neues machen: Das ist das Motto des Berliner Architekten Jan Körbes. Mit einem alten Getreidesilo, das er zu einem ausgeklügelten dreistöckigen Minihaus umgebaut hat, hebt er das Konzept des Upcyling auf eine ganz neue Stufe.

Jan Körbes ist Mitglied des niederländischen Architektenkollektivs ReFunc, das die Grenzen zwischen nachhaltigem Design, Architektur und Kunst verschwimmen lässt. Er will die Grenzen von Leben und Wohnen ausloten. Das sechs Meter hohe Silo, in dem er mit seiner Tochter mehrere Jahre lang gelebt hat, hat auf drei Etagen eine Grundfläche von insgesamt 13 Quadratmetern. Er isolierte es mit Sandwichplatten, Papierfasern und Zellulose aus zweiter Hand, baute Möbel aus Sperrholz und nutzt jeden Millimeter. Zum Beispiel gibt es unter dem ausfahrbaren Esstisch eine Badewanne für Beinfreiheit nach unten. Zwischen der Wohn-, Koch- und Schlafetage bewegt man sich über Leitern oder Klettergriffe, und bei Bedarf konnte Körbes dank Regenwassertank, Dusche, Trockenklo und vier Solarpaneelen sogar autark leben. Inzwischen wohnt Körbes in einer Altbauwohnung in Pankow. Wir haben uns mit dem Architekten über seine Zeit im Wohnsilo, das Potential von Tiny Houses und die Frage unterhalten, ob diese minimalistische Wohnform eine Alternative zum Wohnungsbau ist.

VISION – Was ist das Besondere an deinem Tiny House und welche Vision steckt für dich dahinter?

Unser Silohaus ist eine recht abenteuerliche und sehr experimentelle Form von einem Tiny Haus. Dabei geht es vor allem um vertikales Leben auf minimalem Raum, Mobilität und Dynamik, Wiederverwendung von Restmaterial, Aktivierung öffentlichen Raumes und den Beweis, dass man auf 13 Quadratmetern mit Kind sehr glücklich sein kann. Wichtig ist es, viele Menschen zu erreichen, die uns besuchen, den Raum erfahren und inspiriert wieder nach Hause gehen. Alles, was wir nicht mehr benötigen oder gar wegschmeißen, kann wieder etwas anderes werden. Und genau das kann man in unserem Haus sehen und fühlen. Abfall ist nichts anderes als ein Wertstoff, der auf seiner Reise die Orientierung verloren hat.

NACHHALTIGKEIT – Wie können Tiny Houses einem Beitrag dazu leisten, Wohnraum nachhaltiger zu gestalten?

Tiny Houses sind ein wundervoller Weg für jeden deutlich zu machen, was man wirklich zum Leben braucht und was nur Konsequenz der momentanen Wohnform ist. Hat man weniger Platz, lebt man näher an Elementen und Jahreszeiten. Hat man weniger Pufferzonen in allen Bereichen, bereichert dies das Bewusstsein und auch die Wertschätzung des eigenen Wohnraums.

Jeder kann mit Kindern, Hund und Papagei eine Zeit in einem Tiny House verbringen und seinen normalen Wohnraum danach vollkommen anders erfahren, schätzen, umstrukturieren, minimieren und umdenken. Es kann ein Anfang sein, anders zu leben und achtsamer mit vielen Standard gewordenen Wundern des modernen Wohnens umzugehen.

TREND – Inwieweit wird sich der Tiny House Trend im Wohnbereich etablieren?

Als völlig neue Art zu denken und Raum zu gestalten, sicherlich. Wir befinden uns in einer Zeit, in der viele Menschen gerne lokal und zugleich global leben möchten.

Wo immer man gerade landet und ein paar Tage verbringt, benötigt man einen kleinen persönlichen Raum zum Schlafen, Kochen und Arbeiten, am liebsten mit Anbindung an lokale Menschen und Netzwerke. Zeitgleich ist man global vernetzt und überall unterwegs. Qualitativ hochwertige Aufenthaltsräume für kurze bis mittlere Perioden werden immer wichtiger für viele. Tiny House Camps können hier eine gute Antwort sein.

LEARNING – Was hast du aus diesem Projekt mitgenommen beziehungsweise gelernt?

Tiny Houses sind weder Konkurrenz noch Alternative zum Wohnungsbau. Es geht um das Umdenken, anders denken und leben mit wirklich nur dem, was man braucht und was einem wichtig ist. Meine Tochter ist jetzt 10 und hat drei Jahre mit mir in unserem Silohaus gewohnt. Ihr Bewusstsein zu Zeit und Raum hat sich deutlich verändert, es geht mehr darum, Zeit miteinander zu verbringen als Dinge zu besitzen.

Das Leben in einem seltsamen Haus zieht viel Aufmerksamkeit und Neugier an, was eine garantiert selten langweilige Zeit mit sich bringt. Natürlich gibt es auch Momente, in denen man gerne mal keinen Besuch hat. Entscheidend sind bei Tiny House Situationen die städtebauliche Gliederung, die Übergänge zwischen öffentlichen, halböffentlichen und privaten Bereichen. Und natürlich die kleinen Ausprobierecken und Nischen mit Platz für Humor und Ironie – man kann bei Tiny Houses alles ausprobieren, was man will, es kann nie experimentell genug sein. So haben wir einen Balkon von 0,25 Quadratmetern gebaut und ein Schlafzimmerfenster, das so aufgeht, dass man vom Bett aus im offenen Fenster liegen und das Leben draußen erleben kann. Eine Badewanne unterm Tisch als Fußraum und Gartenharken als Garderobe.

Jan Körbes‘ Silohaus ist ein schönes Beispiel für kostengünstige, energiesparende und nachhaltige Architektur aus ungenutzten Materialien. Sein Silo steht inzwischen auf dem Gelände des Zentrums für Kunst und Urbanistik (ZKU) in Berlin-Moabit und beherbergt ab und an Künstler oder Stipendiaten. Und das Thema Minihäuser beschäftigt ihn weiter: Gerade war er mit ReFunc mit einem Tiny Tea House für 10 Besucher auf drei Quadratmetern auf dem Bauhaus Campus Berlin zu sehen.

Architektur: ReFunc

Fotos: Ishka Michocka