Quelle: www.augustusburg.de
Ihr Lieben,heute möchte ich Euch eine Geschichte von Peter van Briel erzählen.
Ich bin davon überzeugt, dass Ihr alle diese Geschichte bereits kennt.
Aber ich habe 2 Gründe, warum ich sie heute noch einmal erzählen möchte:
Zum einen wurde ich aus dem Kreis der Leserinnen und Leser herzlich darum gebeten.
Zum anderen gibt es Geschichten wie diese, die in einer oder mehreren Kurzformen ohne Autorenangabe durch das Internet geistern. Wenn es mir dann gelingt, die Originalform und den dazugehörigen Autor zu finden, dann finde ich das wichtig, Euch diese Geschichte zu lesen zu geben.
„Bänder im Baum“„Der Mann saß im Zugabteil am Fenster und wagte es nicht, seinen Blick auf die vorbeiziehende Landschaft zu richten. Er war ganz allein im Abteil.
Vor Jahren hatte er sich von seiner Familie trennen müssen - denn er war mit dem Gesetz in Konflikt geraten, wie es so schön hieß. Seine Eltern und Geschwister musste er schonen. Noch bevor alles bekannt wurde, hatte er sie verlassen. Seitdem weigerte er sich beharrlich, Kontakt mit ihnen aufzunehmen.
Die Schuld nagte an ihm, man sah es ihm an: Er konnte sie nicht einfach loswerden.
Nun, er hatte seine Strafe zwar abgebüßt.
Aber, wenn er einmal versagte hatte:
Wer konnte ihm garantieren, dass er nicht ein zweites Mal schwach werden würde?
Konnte er von sich behaupten, dass er jetzt ein anderer Mensch sei?
Hatte er wirklich einen guten Kern?
War er ein guter Mensch?
Oder hatte die nagende Stimme in ihm recht:
"Du bist und bleibst ein Versager, eine Last und Schmach für Deine Familie und die Gesellschaft?"
Der Mann, der in dem Zug der Entscheidung entgegenfuhr, seufzte laut. Er dachte an seine Familie, die jetzt wohl zu Hause seinen Brief bekommen hatte. Er stellte sich die Gesichter einzeln vor, jedes für sich. Seinen Vater. Seine Mutter. Seinen kleinen Bruder (Wie groß mochte er jetzt sein?). Seine Schwester (Ist sie wohl inzwischen verheiratet?). Seinen Onkel, der mit zur Familie gehörte, genauso wie sein Vetter.Er sehnte sich nach seiner Familie.
Die Jahre, in denen er jeden Kontakt zu ihnen vermieden hatte, waren schmerzhafte Jahre gewesen. Er wollte ihnen jede Peinlichkeit ersparen, aber es war ihm nicht leichtgefallen. ‚
Jetzt, wo er auf den Weg zu ihnen war, wusste er, wie sehr er sie die ganze Zeit geliebt hatte.Zum ersten Mal kamen Worte über seine Lippen: "Bei Gott, ich hoffe, sie weisen mich nicht ab."
Da saßen sie nun alle beisammen und schwiegen sich an.
Gefühle huschten über ihre Gesichter, keiner sprach sie aus, und doch dachten alle die gleichen Gedanken: Warum hat er uns das damals angetan? Das mit dem Verbrechen - und dann das jahrelange Schweigen?
Warum wollte er nichts von uns wissen? Und jetzt, wo er zurückkommen will - hat er sich geändert? Was ist wohl aus ihm geworden?
Liebt er uns noch, so wie früher?
Oder möchte er nur Geld von uns?
Kann sich ein Mensch wirklich ändern?
Das Schweigen lag über dieser Familie wie ein schweres, nasses Tuch:
Der verlorene Sohn will zurückkehren - und sie sollen darüber entscheiden, ob sie ihm eine neue Chance geben werden.
Endlich ergriff der Vater das Wort und durchbrach die Stille.Der Zug näherte sich der Stelle, an der sich alles entscheiden würde. Der Mann wurde immer unruhiger, jetzt blickte er zum Fenster hinaus, wie gebannt. Er wartete darauf, dass das Unvermeidliche geschehen würde: Die Ablehnung.
Er hatte seiner Familie geschrieben, dass er sie nicht belästigen wolle, wenn sie nichts mehr mit ihm zu tun haben wollten. Er würde mit dem Zug an ihrem Hof vorbeifahren und auch an dem Baum, in dem er schon als Kind seinen Namen geschnitzt hatte.Wenn sie wirklich nichts mehr von ihm wissen wollten, dann bräuchten sie nichts zu unternehmen.
Er würde an diesem Baum vorbeifahren, nur einen Blick darauf werfen und weiterfahren, immer weiter. Er würde nicht mehr zurückkehren.
Wenn sie aber nur eine kleine Chance sehen würden, dass er sich bei ihnen einfinden könne - und sei es nur für ein paar Tage - dann sollten sie ein buntes Band in den Baum hängen. Er würde es sehen, der Zug fuhr ja geradewegs an diesem Baum vorbei. Und wenn dort wirklich ein Band im Baum hängen würde, dann würde er am nächsten Bahnhof aussteigen. Dann würde er zu ihnen zurückkehren.
Wenn dort ein Band im Baum hängt, nur dann.Noch konnte er den Baum nicht sehen. Wenige Sekunden noch. Seine Hände verkrampften sich.Der Zug hatte sich ein wenig in die Kurve gelegt und sein Tempo verringert. Der alte Eichenbaum kam in das Blickfeld des Mannes, der sich vor diesem Augenblick so gefürchtet hatte.Seine Hände verkrampften sich noch mehr, als er den Baum sah.
Tränen standen in seinen Augen.
Er senkte den Blick, weil er nicht glauben konnte, was er sah.
Die Botschaft war eindeutig: Nicht nur eine Chance sollst Du haben. Nein, hundert Chancen: Weil wir an das Gute in Dir glauben. Weil wir an Dich glauben.“
Ihr Lieben,
Ihr wisst, wie wichtig mir Versöhnung ist.
Die Familie aus unserer Geschichte hätte allen Grund gehabt, auf den Mann in unserer Geschichte sauer zu sein. Er war zum Verbrecher geworden, er hatte sie enttäuscht und sich dann viele Jahre nicht bei ihnen gemeldet.
Aber diese Familie hat anders gehandelt:Sie hat deutlich gemacht:Von der Liebe reden, das ist einfach.
Was Liebe aber wirklich wert ist, das zeigt sich in der Tat.Jemanden zu verurteilen und jetzt und in der Zukunft jeden Kontakt zu ihm zu verweigern, das kann jeder Mensch, dazu muss man nur eines machen:
Man muss gar nichts tun!!!
Hätte die Familie nichts getan, keine Bänder in den Baum gehängt, so wäre der Mann nicht nach Hause zurückgekehrt und wäre weitergefahren.
Manchmal macht es mich sehr traurig , ja fast ein wenig wütend, dass viele Menschen immer nur reagieren, sich immer von anderen Menschen abhängig machen:
„Weil mir dieser oder jenes etwas Böses getan hat, deshalb behandele ich ihn jetzt auch schlecht!“
Wir sollten uns nicht abhängig davon machen, was ein anderer getan hat, sondern wir sollten selber so handeln, wie wir es für richtig halten.
Liebe ist überschäumend wie bei dieser Familie. Sie hängten nicht ein Band, sondern Hunderte von Bändern auf.
Liebe ist Versöhnung: Der andere Mensch wird in die Arme geschlossen, weil wir in ihm den guten Kern erkennen und erkennen, dass er liebens-wert ist.
Liebe ist geduldig, weil sie dem anderen Menschen Zeit schenkt, neues Vertrauen aufzubauen.
Liebe ist nicht nachtragend, sie lässt die Vergangenheit hinter sich und ist fröhlich in der Gegenwart.
Versöhnung und Liebe, das sind die Brückenpfeiler der Brücken, die wir zwischen Menschen bauen.
Ihr Lieben,
ich wünsche Euch nun einen fröhlichen Abend und morgen einen geruhsamen und gesegneten 4.Advent.
Seid ganz lieb gegrüßt aus Bremen
Euer fröhlicher Brückenbauer Werner
Quelle: Karin Heringshausen