Es gab nichts zu sagen.
Autodesign hat mit einer immer weiteren Professionalisierung, aber auch durch eine inzestuöse Abgeschlossenheit in der Ausbildung und Berufsausübung in den letzen fünf bis zehn Jahren seinen besonderen Nimbus verloren. Nichts wirklich Spannendes kann mehr passieren, alles ist abgesichert, limitiert und langweilig.
Aber das ist nicht alles. Es gab auch deswegen nichts mehr zu sagen, weil die Autos, die in den letzen 10 Jahren präsentiert wurden, schlicht die falschen Autos waren. In einer unangenehmen Mischung aus Arroganz und Ignoranz hat sich die gesamte Autoindustrie in ein Rennen um die eierlegende Hochleistungs-Wollmilchsau gestürzt, die zwar jeden Test gewinnen kann, aber niemandem mehr richtig Spaß macht. Ausstrahlung, Faszination wurde nur noch behauptet, nicht mehr erarbeitet. Technische Grenzen wurden nur noch verschoben, nicht mehr überwunden.
Der aktuelle Passat ist der Durchschnitt des Durchschnitts, eine gefallsüchtige und zugleich feige Kiste. Noch nie war soviel Chrom an der Front eines VW, aber es hilft nichts: Durch eine zur Schau getragene protestantische Anständigkeit, die in einem widerlichen Widerspruch zu den protzigen Details steht (und nicht nur zu denen), hindern sich die VW-Entscheider daran, etwas wirklich Schönes, Interessantes oder Aufregendes zu machen. Es ist die Konsequenz der Inkonsequenz, die hier regiert. Über dieses Design kann man nicht mehr gut philosophieren. Man konsumiert es, wie einen dieser immer aufwändiger produzierten amerikanischen Actionfilme, die alle gleich sind – aber man analysiert es nicht, weil es keinen Anlass für Analyse gibt. Die Absicht ist so offensichtlich, der Anspruch so gering, dass es kaum lohnt, darüber nachzudenken.
Was soll jetzt geschehen? Alles wurde schon mal gemacht, gezeigt, beschrieben und gedacht. Das Auto als Produkt ist so reif, dass es schon ein wenig ranzig riecht, und bald wird es ungenießbar sein, jedenfalls in der Form, die wir kennen. Abgasskandale sind da keine Überraschung, sie verstärken nur den Überdruss gegenüber dem, was mal, so wird gesagt, »der Deutschen liebstes Kind« war.
»Meine« Schlange in Nürnberg
In dieser Atmosphäre fand ich mich am 31. März am frühen Morgen in einer Warteschlange wieder. Wir standen wegen eines Autos an, nicht wegen eines Smartphones.IT-Fachleute, Gartenbauer, Unternehmer, Hausleute, sogar zwei Schüler warteten darauf, Geld für ein Produkt zu hinterlegen, das sie noch nicht kannten. Es war eine still-fröhliche Atmosphäre, wohlüberlegte Gedanken wurden ausgetauscht, ein wenig Selbstironie war im Spiel – es war ja doch eine irre Geschichte bei der man hier mitmachte. Im Laufe des Tages wuchs dann langsam aber gewaltig das Gefühl, bei einer großes Sache dabei zu sein: Überall auf der Welt hatten sich Menschen angestellt, um auf die Warteliste zu kommen und dafür ihre 1000 $ abzuliefern. Und in Australien und USA waren die Schlangen vor den Stores viel länger gewesen als hier. Hunderte hatten sich dort eingereiht, und so waren es am Abend schon 115.000 Menschen, die eine Vorbestellung für das künftige Model 3 von Tesla getätigt hatten. Ohne zu wissen, wie das Auto aussehen würde und was es können würde, konnte man sie auf einmal wieder empfinden, diese Begeisterung! Es war genau das Gefühl, mit dem ich als Kind jeden Herbst die Autozeitungen mit den Neuerscheinungen durchgeblättert hatte: Aufregung, Spannung, Staunen und Bewunderung für die Leistungen der Designer und Ingenieure. Ja, es gab noch etwas zu verlieren, und das machte es so spannend. Am frühen Morgen des 1. April wurde das Model 3 dann präsentiert. Es erfüllte die schönsten Erwartungen, die man haben konnte. Das Vertrauen, dass man in Elon Musk und seine Mannschaft gesetzt hatte, weil sie bisher zwar immer zu spät, aber eben auch immer Begeisterndes geliefert hatten, dieses Vertrauen schien berechtigt. Was für ein elegantes, dabei bescheidenes und zugleich leistungsfähiges Auto hatten die Tesla-Leute da auf die Räder gestellt! Und es würde erschwinglich sein!
Dass Tesla tolle Autos macht ist Konsens, jedenfalls bei denen, die sie kennen. Ein Tesla zum Preis einer Mittelklasselimousine ist deswegen etwas, das sich nicht schwer verkaufen lassen wird. Trotzdem ist das, was da geschehen ist, mehr als man erwartet hatte. Der Grund liegt, zunächst, in der Kombination von Eigenschaften, die als Paket attraktiver sind als alles andere, was derzeit angeboten wird. Dass das Model 3, wie alle Teslas, rein elektrisch angetrieben ist, das ist natürlich kein unwichtiges Detail sondern die Basis für den ganzen Hype. Aber was Tesla aus dem Konzept „Elektroauto“ macht widerspricht auf’s Schönste allen Vorurteilen, entkräftet die ganze Skepsis und straft die Ausflüchte und Schutzbehauptungen der Autoindustrie Lügen. Denn ein Tesla ist nicht zuallererst ein Elektroauto. Ein Tesla ist in erster Linie ein sexy Fahrzeug. Und weil es nicht sexy ist, mit niedrigen Geschwindigkeiten zu fahren, stundenlang zu laden oder mit provisorisch gebastelten Adapterkabeln von Haus zu Haus zu ziehen und um Strom zu betteln, muss sich der Tesla-Fahrer nichts von alledem antun. Tesla ist ein Konzept, kein Auto. Man kann damit, nach geringen Umstellungen im Mobilitätsverhalten, ein sehr elegantes, praktisches und flexibles mobiles Leben führen. Am Supercharger trifft man andere, »die es auch schon verstanden haben« – so zumindest die Empfindung – trinkt einen Kaffee oder isst eine Kleinigkeit, und fährt dann gelassen weiter, geräuschlos, vom Autopilot beschützt und vor allem: ohne Emissionen! Das Empfinden, in einer schöneren Zukunft zu leben, stellt sich nach kurzer Nutzung des Tesla ein und schafft genau dieses Gefühl von Distinktion, das gerade die »Premium«-Hersteller so gern in ihre Produkte hinein-designen würden.
Mit dem Model 3 wird die Exklusivität geringer werden, die Gemeinde größer. Aber das Gefühl, zu einer Elite zu gehören, die an der Linderung eines der größten Probleme unserer Zivilisation mitwirkt, das wird noch viele Jahre anhalten. Die Tatsache, dass Tesla eben kein Autohersteller ist, nicht an der Entstehung der CO2 Problematik mitgewirkt hat und nicht unter der Knute einer bornierten und unbeweglichen Führungsclique steht trägt natürlich dazu bei. Aber genug von Tesla. Und kein Wort über Elon Musk, obwohl mir da viele schöne einfallen würden. Damit ist der zweite Grund für den überragenden, überraschenden Erfolg der Präsentation des Model 3 schon angedeutet: Die Menschen haben eine sehr große Sehnsucht nach etwas wirklich Neuem. Nicht, weil sie neue Dinge so toll finden, wie das in den 60ern der Fall war. Sondern weil sie des Alten überdrüssig sind. Sie haben keine Lust mehr auf immer neue Gimmicks und Extras, das nächste Zehntel weniger Verbrauch (nach einer inzwischen als völlig praxisfremd durchschauten Norm) interessiert sie nicht mehr, und sie verstehen nicht, warum immer mehr neue Modelle älter aussehen als ihre jeweiligen Vorgänger. Sie fühlen sich, spätestens seit dem Auffliegen der Manipulationen bei Abgasmessungen, nicht mehr als Kunden, Fahrer und Besitzer ernst genommen, sondern als Konsument ausgenutzt. Es gab in den letzen Jahren zu viel Marketing und zu wenig echte, mutige, avantgardistische Neuerungen. Der Wisch-Blinker hat quattro ersetzt, und das Wort »Innovation« fühlt sich so inhaltsleer und substanzlos an wie noch nie. Dabei leben wir in einer Situation, in der immer mehr Menschen das Gefühl haben, es könne nicht so weiter gehen wie bisher. Sie wollen eine klare, substanzielle, und wenn möglich begeisternde Antwort auf die Frage, wie es mit dem Individualverkehr weiter gehen soll, wenn die Ressourcen knapper werden, der CO2-Gehalt der Atmosphäre auf Rekordwerte steigt und die Gewinnung von Kraftstoffen immer teurer und gefährlicher wird. Natürlich wollen sie trotz Allem in erster Linie so weiter machen wie bisher, weil das am bequemsten ist. Aber eine Lösung der quälenden Probleme im Hintergrund wird dennoch von vielen gern erwartet. Deswegen hat Teslas Ankündigung eines bezahlbaren, leistungsfähigen, alltagstauglichen und höchst attraktiven Elektrofahrzeugs (inklusive der dazu nötigen Infrastruktur) so viele in Bewegung gebracht. Es ist nicht das trickreiche Marketing, wie Vertreter der klassischen Autoindustrie behaupten, es ist das Produkt, das die Menschen begeistert. Wirklich.
Die nächste Frage wird sein: Was ist das eigentlich für ein Auto?
Warum ist das Model 3 so, wie es ist? Und warum ist es richtig so?Sie alle standen an, um ein Model 3 zu reservieren.