Das schröderianische Menschenbild

Die Sozialdemokraten haben sich in den letzten Jahren rhetorisch stark darum bemüht, ihren Schröder-Geruch loszuwerden. Man sei vom strikten Agendakurs abgekommen, habe eingesehen, dass vieles was damals reformiert wurde, nicht richtig klappt oder aber grundsätzlich Verschlechterungen mit sich gebracht habe und möchte sich daher heute wieder als eine progressive Kraft verstehen. So in etwa gab sich die alte Dame jedenfalls häufig.
Das schröderianische MenschenbildIn jenem Diskurs, der als eine Art von Emanzipation vom schröderianischen Erbe angesehen wurde, ging es vor allem um das Menschenbild, das diese Partei vertritt oder doch vertreten sollte. Muss man den Menschen durch Anreize ansticheln? Ist er ein infantiles Wesen, das ständig verfolgungsbetreut gehört? Wieviel Mündigkeit kann man ihm erlauben? In Hartz IV kulminierte letztlich auch diese Frage nach dem Menschenbild. Man definierte es in etwa so: Der Mensch ist faul, wenn man ihm keine Hürden in den Weg legt. Er muss angetrieben und drangsaliert, muss zu einem »anständigen Leben« gedrängt werden. Die Sozialdemokratie nach Schröder wollte eine politische Ausrichtung sein, die Hartz IV mit einem menschlicheren Antlitz ermöglichen sollte. Das heißt, sie gab vor, das im Sozialgesetzbuch II manifestierte Menschenbild, ansatzweise abwandeln zu wollen. Der arbeitslose Mensch sei ja keine rechtlose Verfügungsmasse des Verwaltungsapparates, sondern auch ein Bürger.

Theoretisch jedenfalls. Im Wahlkampf jedenfalls. Praktisch sieht es anders aus. Gabriel hat neulich etwas bei einem Kongress der Energiebranche konventionelle Kraftwerke gesagt: »Was der Kapazitätsmarkt nicht werden kann, ist so was wie Hartz-IV für Kraftwerke: Nicht arbeiten, aber Geld verdienen.«
Es kann ja sein, dass die heutige SPD alle Auswüchse der Agenda 2010-Zeit nicht mehr teilt. Sie hat vielleicht eingesehen, dass die Aufbruchstimmung bei Anbeginn von Hartz IV unberechtigt war, dass dieses Verwaltungsprogramm von Erwerbslosen einen Niedriglohnsektor stützt, den man rückblickend als eigentlich gar nicht (mehr) gewünscht ansieht. Viele Einzelschicksale, die durch die Medien gingen, haben den wiehernden Amtsschimmel auf Basis von Hartz IV verdeutlicht und auch der SPD nahegelegt, dass da vieles völlig falsch lief und auf reinem Arbeitgeberinteresse basierte. Aber das Menschenbild, das hat sich offenbar nicht verändert. Für den Vorsitzenden der Partei sind Arbeitslose immer noch Leute, die für ihren Müßiggang entlohnt werden.
Das ist nicht nur ein rhetorischer Lapsus, eine coole Floskel vor Unternehmern. Da schwingt ein verankertes Gesellschaftsbild mit. Der Arbeitslose ist jemand, der Geld ohne Leistungserbringung bekommt. Dass er Opfer ökonomischer Entwicklungen und politischer Entscheidungen ist, hört man aus solchen Vergleichen eher nicht heraus. Aber man hört auch heraus, dass es den Arbeitslosen ja an sich nicht übel geht. Die müssen nicht früh aufstehen, verdienen aber trotzdem Geld. Nein, liebe Kraftwerke, so ein paradiesisches Dasein ist für euch nicht drin!
Dass beim Mindestlohn Hartz-IV-Empfänger temporärer ausgeschlossen bleiben, haben die Sozialdemokraten mit politischen Zwängen erklärt. Mehr sei mit der Union nicht möglich gewesen. Gabriel legte nun nach und macht deutlich, dass die gesellschaftliche Gruppe der Langzeitarbeitslosen auch keine moralische Lobby oder gar Sympathie in der Parteispitze zu genießen scheint. Das schröderianische Menschenbild ist noch aktiv, wirkt noch nach. Hartz IV ist zwar in der Form schiefgelaufen und brauche neue Ansätze, aber dass die Menschen, die in diesem System feststecken, ganz sicher »schwierige Personen« sind, um es mal vorsichtig zu formulieren, das scheint als »Wahrheit« weiterhin das Menschenbild zu bestimmen.
Es ist dasselbe Menschenbild, dass unlängst mal wieder einen FDP-Simpel auf den Plan rief, Hartz-IV-Empfänger in Gebiete am Stadtrand auszuweisen. Banlieus seien keine Zumutung, um Sozialhilfeempfänger von denen zu trennen, die ihr Geld selbst verdienen, meinte Lindemann sinngemäß. Von Gabriel zu Lindemann ist es von der Geisteshaltung in dieser Frage gar nicht mehr so weit..
Das Menschenbild der schröderianischen Reformjahre tickt immer noch. Es scheint das einzige, was aus jenen Jahren geblieben ist. Schröders Erbe ist das »Gerücht über die Arbeitslosen«. Seine politischen Nachkommen, die sich von ihm distanzieren, sind mit dieser Agenda herangewachsen. Sie haben Schröders Satz, wonach es »ein Recht auf Faulheit« nicht gibt, noch immer im Kopf und verbinden dies mit Arbeitslosen. Früher hat man Faulheit in dieser Partei mit den Rentiers, den Abstaubern, Kapitalisten, reichen Erben und Adligen verbunden. Damals hätte Gabriel auf die zurückgegriffen, um »das süße Nichtstun« bildlicher zu machen. Heute holt man bei den Sozis die Leute heran, die Hartz IV beziehen. Einen etwaigen Vergleich mit Obermann kann man sich auch unter Sozis nicht mehr vorstellen. Denn solche Leute sind ihnen näher als die, die sie in die Lebenskrise gestürzt haben.
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