Das Schlitzohr aus dem Montagsfilm

Erstellt am 27. November 2012 von Andramas

Im 1. Programm des DDR-Fernsehens liefen ab den 1960er Jahren bis zu dessen Abwicklung montags ab 20.00 Uhr alte deutsche Filme. Insbesondere solche, die bis 1945 entstanden waren. Aus der schönen-alten Nazi-Zeit.

Diese Sendung, immer zur gleichen Zeit, im selben Kanal, geriet schließlich zu einer kulturellen Institution. Der “Montagsfilm” damals, ist wohl quotentechnisch vergleichbar mit “Wetten dass …” heute.

Montags war Ruhe in der Stube, montags kam DER FILM. Ein Film, für den man im Osten sogar aufs Westfernsehen zu verzichten bereit war.

“Pscht! – Heinz Rühmann spielt.”

Oft gab es in den Familien nur ein TV-Gerät. Daher gruppierte sich die Mischpoke gemeinsam vor dem Kasten. Und Kinder hatten davor leise zu sein.

“Pscht! – Heinz Rühmann spielt.”

Am meisten mochte man es, wenn besagter Heinz Rühmann mit Theo Lingen und Hans Moser in einem Film gemeinsam auftrat.

An einem der Montage saß ich dabei, als in einer der vielen Schmonzetten jene drei beliebten Komiker gemeinsam spielten. In einem Film, dessen Haupthandlung für mich so belanglos war, dass ich sie mir nicht merken konnte.

Nur: Was nebenher lief, neben dem Handlungsstrang, blieb haften. Doch ob es nun – nach nahezu 40 Jahren – im Folgenden richtig erzählt wird, sei einmal dahin gestellt.

So habe ich mir eine Sequenz gemerkt:

Theo Lingen geht in ein Restaurant, um ein Problem zu lösen. Trifft hier auf den Protagonisten der Handlung, mit dem er diskutiert und sich dabei zum Trinken genötigt sieht. Nach einigen Schnäpsen ist er plötzlich allein am Tisch, soll die Rechnung bezahlen, hat kein Geld und wird vom Personal genötigt, seinen Mantel als Pfand zu hinterlassen.

Lingen will nun das Lokal beschwipst und ohne Mantel verlassen, trifft an der Tür den Protagonisten wieder (oder eine weitere Person) und beide betreten das Restaurant, um erneut zu trinken.

Diese Nebenhandlung endet damit, dass Theo Lingen total betrunken noch einmal abschließend eine Runde Schnäpse bestellt, sich dabei sein Jackett auszieht, es dem Ober in die Hand drückt und “stimmt so!” sagt.

Irre komisch – leider gelingt es mir nicht, es so humorig zu schreiben wie gesehen, wie in Erinnerung, wie im Großhirn abgelegt. Aber ich nähere mich freudig der Stelle des Postings, an die ich endlich eines meiner Lieblingszitate anbringen kann.

Das Kommende ist von Georg Friedrich Hegel, zitiert von Karl Marx, ergänzt von Theo Retisch:

„Hegel bemerkt irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Thatsachen und Personen sich so zu sagen zweimal ereignen. Er hat vergessen hinzuzufügen: das eine Mal als große Tragödie, das andre Mal als lumpige Farce.
(Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, 1. Kapitel)
Was im Übrigen nicht nur für das Große, sondern auch für das Kleinen gilt.
(Theo Retisch)

Recht hamm-se jehabt! Und hier ist der Beweis:

Ein bedauernswerter Kerl, mit dem ich eines Tages ins Gespräch kam, ist ständig in Nöten. So dass ihm regelmässig nicht viel mehr zum Leben bleibt, als das, was er sich von Gutgläubigen “geborgt” hat. Da ich selbst einmal Armut kennengelernt habe und darüber hinaus mildtätig bin, “verborge” ich hin und wieder. Nicht dummgläubig, denn ich schreibe es oft sofort ab, aber … – der Schein sollte doch gewahrt bleiben.

Jedenfalls borgte ich diesem armen Kerl erst 20, dann 30 Euro. Die er – wie ich erkenne – nicht zurückzugeben gedenkt. Wohl weil er so zu leben gewohnt ist. Er könnte natürlich sagen “ich habe kein Geld”, “ich kann es dir im Augenblick nicht zurück geben”, “später vielleicht”, “nächstes Jahr” oder “irgendwann eventuell”. Anderenfalls kann man natürlich auch schweigen, in der Hoffnung, nicht erinnert zu werden.

Was alles anständige Optionen wären, aber anständige Optionen zieht man nicht, wenn man sich für pfiffig hält. Eines Tages tritt besagtes Schlitzohr an mich heran, drückt mir ein nutzloses Buch in die Hand, macht das Zalando-Mann-Gesicht und sagt:

“Hier, bitte schön – Mein Geschenk für dich!”

Aha, eine hübsche Geste, vermutete ich erst, es ist ihm also peinlich.

Aber nee: Vor meinen inneren Augen verwandelt sich der arme Mensch übergangslos in den trunkenen Lingen aus dem deutschen Montagsfilm.

“Damit sind wir quitt!”

Mir bleibt der verdutzte Blick des Kellners.

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Wahrscheinlich wird es hierzu noch einige Fortsetzungen geben. Gegenwärtig werde ich stets aufs Neue überrascht. Und vieles von dem, was ich erlebe, ist echt skurril.