Revival
Stephen King
Heyne, 2015
978-3453269637
22,99€
Der kleine Jamie spielt vor dem Haus mit seinen Plastiksoldaten, da schiebt sich ein dunkler Schatten über ihn, ein Schatten, den er sein Leben lang nicht loswerden wird. Er blickt auf und sieht Charles Jacobs über sich, den jungen Methodistenprediger, der in der neuenglischen Gemeinde gerade sein Amt antritt. Später wird alles böse enden, aber das ahnt Jamie noch nicht…
Jamie wird dieses Jahr mein Lieblingsprotagonist. Kein anderer hat es bis jetzt geschafft, mich vorbehaltlos an sich zu ketten. Jeden Schritt, jeder Gedanken, jede Veränderung war für mich ein Aha-Effekt, ich ging blind mit Jamie überall hin. Keine Fragen, keine Probleme – einfach nur eins sein mit dem Protagonisten, das hat mir so sehr gefehlt. Dabei ist Jamie nicht der hellste Typ, gerät in recht große Probleme und finden sein Leben selbst nicht gut.
Charles Jacob ist das, was ich tatsächlich Schicksal, Vorsehung und mieses Karma nennen würde. Dabei weiß der Leser lange Zeit nicht, ob da etwas Gutes oder etwas Schlechtes entsteht. Bis kurz vor Schluss finde ich ihn zwar eigenartig, aber nicht wirklich fies und bin mir nicht sicher, ob ich ihn nicht leiden kann.
Es gibt viele Familienmitglieder von Jamie, die eine mehr oder weniger große Rolle spielen. Ich mochte seine Schwester sehr gern, die nur am Rande verbleibt, aber mit einem großen Knall abtritt. Auch seine Brüder sind eine Bereicherung für Jamie selbst, da Familienangehörige sich gegenseitig beeinflussen.
Wir befinden uns in einer verschlafenen Stadt, in der viel passieren kann. Die Stadt hat gerade keinen Priester und so nimmt alles ihren Lauf. Von der Umwelt bemerken wir hier eigentlich nicht viel, aber die Beschreibungen werden auch im gesamten Buch nicht sehr ausschweifend. Jamie kommt viel herum in seinem Job.
Am liebsten war ich auf dem Jahrmarkt als Jamie und Charles sich das erste Mal wiedersehen. Jahrmärkte sind für mich wie geschaffen für Grusel.
“Revival” erzählt einfach nur das Leben von Jamie. So einfach könnte eine Beschreibung lauten, aber dann würde jeder Fragen: Warum schreibt Stephen King so etwas?”
Seit einigen Jahren hat der Autor einen Faible dafür, manche Dinge sehr ausführlich zu beschreiben. Es gibt oftmals lange Passagen über Kleinigkeiten, wie zum Beispiel Autos, Räume oder Revolver. In manchen Büchern stört es, denn der eingeschworene Leser wartet auf den Horror.
Hier ist es ähnlich. Jamie ist ein kleiner Junge und auf der letzten Seite ein älterer Herr. Im Zeitraffer erzählt Stephen King ein ganzes Leben, das fast normal verläuft. Es gibt bestimmt schicksalhafte Begegnungen, die der Mensch zuerst abtut, aber später erlangen sie vielleicht mehr Aufmerksamkeit.
Mit so einer Begegnung beginnt alles. Ein Priester und ein kleiner Junge, der alles mit wachen Augen beobachtet. Der Priester möchte etwas verändern und hat eine ganz andere wahre Berufung: die Elektrizität. Mit einer Mischung aus Fatalismus, Faszination und Gottesfürchtigkeit bestimmt Charles immer wieder Jamies Leben.
Jamie gerät vom rechten Weg ab, sein Bruder bleibt der Kirche treu. Nur ein Wunder könnte Jamie noch retten und dann greift wieder das Schicksal ein. Immer wieder bin ich fasziniert an welchen Stellen im Leben, Jamie völlig unverhofft Hilfe und Hoffnung geschenkt bekommt. Dies liest sich alles sehr religiös, aber so soll es auch im Roman verstanden werden.
King schreibt über eine unglückliche Verwicklung, in einem Zeitalter, dass sich schnell weiter entwickelt und doch im festen Gottesglauben feststeckt. Über allem steht Jamie, der mich treibt, leiden lässt und mir leid tut. Lange Zeit warte ich gar nicht auf den Horror, den King-Fans immer erwarten. Lange Zeit mache ich mir Gedanken, wie Jamie wohl von dieser Welt abtreten wird.
Am Ende dann: der große Knall. Stephen King packt in knapp 50 Seiten alles aus. Die Urängste der Menschen, die Macht der Elektrizität und die Ungläubigkeit von Jamie sorgen für einen großen Knall.
Abends im Bett hatte ich diese Szene noch vor Augen und dachte nicht daran zu schlafen. Geschafft hat King dies zuletzt mit “Es”.
Dick wie eh und je – wie macht dieser Mann das nur? Gelistet ist schon das neue Buch “Finderlohn”. Gut, dass ich diesmal rechtzeitig fertig bin ;)
Das Kreuz mit den Blitzen verkörpert so ziemlich die dunkle Seite des Buches, obwohl “dunkel” übertrieben ist. Blitze finde ich selbst interessant, aber ich gebe auch gerne zu, dass ich Angst vor dieser Naturgewalt habe.
“Flash mich nochmal, als wär`s das erste mal…” – so könnte ich zitieren. Ich begann zu lesen und wusste nicht mehr, wann Stephen King mich mit einer (fast) normalen Lebensgeschichte so mitgerissen hat. Zwischen Jamie und mir passte alles, ich liebte ihn, sein Leben und den Kingschen Grusel am Ende. King liefert hier eine seiner besten Leistungen seit Jahren!