Ganz und gar nicht oje, sondern ok!
Sich Verlieben in einen Text, von dem man schon im Vorhinein weiß, dass man sich verlieben wird müssen. Sprachlich tief eintauchen in unsere Lebensabsurdität die uns tag- täglich umspült, die wir aber mit allergrößtem Kraftaufwand versuchen beständig von uns fernzuhalten und, wenn es schon gar nicht anders geht, ihre Versatzstücke aufeinander schlichten wie bunte Bausteine, einen auf den anderen, damit alles doch noch seine Ordnung hat. Metaphern hören, die uns die Finanzkrise als böse Geister, noch gebannt in schwarze Kisten, vor unser inneres Auge zaubern. Über das ungelenke Technikmonster lachen, das von seinen zwei Betreibern die Wahrnehmung der Schönheit der Welt permanent verhindert, die Schönheit, die sich in einem zarten Vogelgesang versteckt, von einem Vögelchen, das sich partout nicht zeigen will oder vielleicht auch schon längst nicht mehr zeigen kann. Lachen über die linkischen und hilflosen Konversationsanbahnungen, die über das Anbieten eines Espressos kaum hinauskommen, nicht hinauskommen wollen, ja können. Jeder Satz, der etwas von einem selbst preisgibt, scheint zu viel zu sein.
Die Frage, die keine Antwort findet
Eine einfache Frage, wie jene die erkunden will, wie es war, in der fremden Stadt, kann nicht beantwortet werden, weil ihre Beantwortung eine Krise auslöst, weil ihre Beantwortung Dinge festmachen könnte, die aufgrund des Wirklichkeitsproblems ja gar nicht festzumachen sind und deswegen nicht erzählbar erscheinen. So bleibt die einfache Frage unbeantwortet durch viele Worte, aber dennoch gänzlich Unbe-SATZt, weil zu einer vollkommenen Be-SATZung so manches fehlt, was sich Subjekt oder Prädikat nennen dürfte. Jene Sätze aber, die vom Sausen der Welt erzählen, vom Krach, vom Brummen, vom Tinnitus der Produktivität, vom Klang der Krise – jene Sätze, die sich eingangs wie ein vielstimmiger Bach´scher Choral zueinander fügen, sind von anderem Kaliber und sollten deshalb niemals enden. Dieses Krisengebet, das scheinbar alles und alle miteinander verwebt, das Kleinste und das Größte auf dieser Welt sausen und brausen lässt – in und durch unsere Ohren, dass einem ganz schwindlig werden kann, dieses Wortesausen und Gedankenbrausen raubt einem schier den Atem. Es steht am Anfang und es klingt nach, bis zum Schluss und endet deshalb tatsächlich nicht.
Kein Gag, kein noch so tiefsinniger Gedankenfluss kann es wieder wegwischen. Es bleibt, weil es reiner Rhythmus ist, Sprachmusik, die so schön und so schön unbarmherzig zugleich auftritt. Es bleibt und es klingt nach. Das Schwarzkistengeistlamento, das krisenschwanger ein wenig später langsam über die Zehen aufwärts kriecht, schneller wird, den Bauch erreicht und in Rasanz über den Scheitel nach oben wegfliegt, umhüllt von seiner Oje-Beschwörungsformel, stemmt sich heftig aber dennoch vergebens gegen den postmarianischen Wirtschaftsgruß der eigentlich niemals enden sollte; aber schön bleibt schön und oje eben nur oje.
Vom gefügigen Nachhausetaumeln
Das Mikrofon, das zu Beginn und am Schluss die Worte beräuchert, erinnert mit seinem leisen Baumeln an Weihrauchkessel, die sonntags die Wandlung am Altar begleiten und jenes Kirchenvolk einnebeln das laut gegen Gras schreit, aber selbst sich tiefe Atemzüge voll des geweihten Rauches einzieht, gratis, versteht sich, ungedealt, dieses Mikrofon ist dasselbe, durch das der Popsong der unerwünschten Kritik erschallt. Ihm ist es egal, wofür es gebraucht wird, auch wenn es nicht gebraucht würde, wäre es ihm egal. Aber es ist da, genauso wie die vielen Kabel, die bunten Stecker und Ein- und Ausschalter auf dem räderbestückten Unsinnswagen mit zwei ungepolsterten Bedarfssitzen, der in einem publikumsverachtenden Rangiermanöver Leben ins Publikumssitzen bringt. Durcheinanderwirbelt, was eingangs mühsam an seinen Platz gebracht worden war. Maoz und Vischer sehen. Als Pas de deux das komplizierteste Texte und einfachste Slapstickkomik wie selbstverständlich stakkatesk wechselt, und im abschließenden Applausbad ganz oben auf den hörbaren Schaumwellen der Begeisterung schwimmt. Zu verdanken ihrer Schauspielkunst und Licht und Schwarz. Voll von Ideen der eine und die andere und furchtlos in ihrer Umsetzung, der Sprachlichen und der Darstellenden. Sie schaffen im kleinen, dunklen, nebelgeschwängerten Raum, der immer daneben ist, ohne Abrakadabra aber mit viel Simsalabim, oje und ok. und einem Rattenkönig, der über das verknäuelte Rattenknäuel mit verknüpften Schwänzen die Herrschaft behalten hat, einen sprachwitzgesellschaftskritischen Drogenrausch, der Kritik verbietet, diese sogar ins Lächerliche verbannt, bevor sie noch geschrieben ist. So bleibt nur gefügiges Nach-Hause-Taumeln mit dem einzigen Ziel Licht´sche Musik zu hören, bis es rundherum ganz ruhig geworden ist und kein Autoschweinwerfer und keine Straßenbahnbeleuchtung mehr ins Zimmer winken. Bis das Ampelgrün nur mehr ins Nachtschwarz blinkt, endlich funktionsfrei schön, bewacht nur vom konstanten Baustellenkranrot das von mehreren Seiten gleichzeitig gnädig herableuchtet. Bis das „Gegrüßet seist du Klang der Krise“ und das „Unter-Gegrüßet du Klang der Teilkrise“ nur mehr leise nachzirpt, um Zeiten später, irgendwann, hoffentlich wieder aufzubrausen, wenn die Erinnerung den Abend voller Licht hervorzaubern möchte.
Das Sausen der Welt
Schauspieler: Gideon Maoz, Martin Vischer
Autor: Peter Licht
Regie: Katharina Schwarz
Ort. Nebenhaus, Schauspielhaus Wien