Das Regime im Iran erlässt ein Gesetz gegen mystische Gruppierungen

Von Mehriran

01.11.2014Hintergrund 

Mehriran.de - Iran schafft neue Möglichkeiten Gruppierungen, die sich außerhalb der Staatsideologie bewegen zu diskriminieren.

Das Parlament in Tehran hat ein neues Gesetz verabschiedet, welches hinsichtlich seines noch nicht festgelegten Strafmaßes betrachtet werden muss.

Diskutiert wurde über die allgemeine Vorgehensweise gegen Gruppierungen, die sich außerhalb der Staatsideologie bewegen. Die Kulturkommission, welche zu dem Majilis gehört, bestätigte die besprochenen Anhaltspunkte im Mai diesen Jahres, 2014. Khabaronline berichtet nach einer Meldung der Presseagentur der ISNA (Iranian Student’s News Agency)folgende Stellungnahme von Seyed Ali Taheri, Sprecher der Kommission für Kulturangelegenheiten des Parlamentes:

„Das Vorhaben die ‚andersdenkenden’ Gruppen (gorouhak enherafi), was sich auf Gruppen wie die abweichlerischen Sekten (Fergeh Enherafi), die kürzlich formierten mystischen Sekten[1] (Erfan no Zohour), Satanism (Shaytan Parasti), und ... bezieht, wurde am 5. Mai 2014 befürwortet und verabschiedet. Die juristische und kulturelle Kommission des Parlaments wird die notwendigen Entscheidungen bezüglich der Details diesen Gesetztes treffen."

Das Gesetz wurde jetzt vor zwei Wochen verabschiedet, ohne das Strafmaß festzulegen.

Das neue Gesetz zählt lediglich die Namen einiger „mystischer Gruppen“ auf, wie zum Beispiel die kürzlich formierte Erfan-Gruppe und Satanisten“ (erfan hâyé Now Zohour, Shaytan pàràsti, va ...) und schließt mit dem Wort „und....“ ab. Diese ungenaue Beschreibung ist sehr besorgniserregend, da dadurch der Nematollah-Gonabadi Derwisch Orden gemeint ist, worüber die Verantwortlichen aber einen Deckmatel des Schweigens legen möchten. Die Behörden ziehen es vor, den Namen des Ordens nicht zu erwähnen.

Das neue in Kraft tretenden Gesetz befugt die Justiz, die Polizei und den Klerus, jedes Mitglied des Nematollah-Gonbandi Ordens aufgrund seiner Zugehörigkeit zu dem Derwisch Orden als einen Kriminellen zu betrachten. Hierbei ist hervorzuheben, das diese Befugnis sich lediglich auf die Zugehörigkeit zu einem Sufi Derwisch Orden bezieht und nicht auf eine ausgeführte Straftat.

Ein weiteres neues Gesetz, welches durch das rechtlich befugte Einschreiten der sogenannten Bassidschi Agenten, die das Prinzip ‚Amr é béh Mà'rouf Và Nàhi é àz Monkar’[2] ausführen,  wird das Leben der in Iran lebenden Derwische erheblich erschweren.   

Ein Sprecher der Internationalen Organisation zum Schutz der Menschenrechte im Iran betont: „Sollten weltweit Menschenrechtler zu diesen diktatorischen, so genannten Gesetzen, die erst kürzlich von den Mullahs des iranischen Parlamentes in Kraft gesetzt wurden, keinen Bezug nehmen, werden in den kommenden Wochen, Monate und Jahren unter dem Vorwand und Schutz dieser zwei neuen Gesetze, Maßnahmen und Kampagnen gegen die Derwische sichtbar werden“.

Das „Killer-Regime“ in Iran fürchtet Kritik und Proteste

Auch wenn das Regime sich vor internationaler Kritik und Protesten fürchtet, hält es immer wieder an seinen strickten Strafmaßnahmen und unfairen Gerichtsverfahren fest. Von massiven Protesten unter Druck gesetzt, lässt die Behörde jedoch von Zeit zu Zeit von seinen strickten Maßnahmen ab. So wurde zum Beispiel Nasrin Sotoudeh aufgrund von mehreren langen internationalen Protesten freigelassen. Wahrscheinlich auch, um „dem Westen“ guten Willen zu zeigen und die Ergebnisse in den Nuklearverhandlungen positiv zu beeinflussen. Das Selbe ereignete sich nach einem eindringlichen Appell an die iranischen Behörden seitens Amnesty International sowie einer Pressemitteilung aus dem deutschen Auswärtigen Amt zur Freilassung von neun Derwische, die sich in einem Hungerstreik befanden. Die Pressemitteilung des Auswärtigen Amtes ging konkret auf die schwierige Situation der Derwische ein und kritisierte das Regime im Iran. Keiner dieser internationalen Proteste[3] halfen jedoch Reyhane Jabberi, die in einem unfairen Gerichtsverfahren zum Tode verurteilt und brutal hingerichtet wurde. Eines von vielen Opfern eines Regimes, das manche für ein Killerregime halten.

Nach der Veröffentlichung einer Bücherserie in 2005, die zur Hetze gegen die Sufi Derwische diente, folgten weitere Diffamierungsaktionen der Kleriker, um den Haß der Bassidschi Gruppen gegen die Sufi-Mystiker zu schüren. Es folgten gewalttätige Attacken gegen Anhänger des Nematollah Ordens in den Regionen Qom, Isfahan, Bouroujerd, Kavar sowie in anderen Regionen Irans. Hunderte von Derwisch Frauen und Männer wurden in Folge der Attacken ernsthaft verletzt. Ein Derwisch wurde in einer Attacke in 2011 erschossen. Durch Berichterstattung der Ereignisse zogen die Derwische internationale Aufmerksamkeit auf sich und damit auch den Zorn des Regimes. Die iranische Regierung fürchtet jegliche Art von negativer Publizität. Die Berichterstatter wurden sofort verhaftet und wegen Verletzung der Nationalen Sicherheit sowie wegen Propaganda gegen das Regime angeklagt.

Die Flamme des Widerstands gegen die Diskriminierung der Sufi Derwische wurde jedoch durch Hungerstreiks, Proteste von Verwandten und Freunden der Angeklagten, sowie Solidaritätsaktionen von Mitgliedern des Nematollah Ordens und der Internationalen Organisationen zum Schutz der Menschenrechte in Iran, in den Straßen europäischer Hauptstädte aufrechterhalten.

Markus Löning [4], Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe und sein Nachfolger Christoph Strässer[5] sprachen sich gegen das inhumane Vorgehen gegen die inhaftierten Derwische aus und appellierten an das Regime, sich an das Internationale Übereinkommen über die Menschenrechte zu halten.

Neues Gesetz setzt internationale Proteste in Bewegung

Ein bedeutender Akteur des Europäischen Parlaments ist Tunne Kelam, ein Mitglied des estnischen Parlaments und Mitglied der EPP[6]. Nachdem die Majles das neue Gesetz verabschiedet hatte, veröffentliche MEP Kelam folgende Stellungnahme:

"Mit größter Besorgnis erfüllen mich Berichte über den kritischen Gesundheitszustand der neun inhaftierten Anhänger des Nematollahi-Gonabadi-Ordens. Diese waren aus Protest gegen anhaltende Repressionen gegenüber Angehörigen der religiösen Sufi-Minderheit in Iran vor einem Monat in Hungerstreik getreten.
Iran hat sich mit der Ratifizierung des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte verpflichtet, auch das Menschenrecht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit zu achten und zu schützen. Die Unterdrückung religiöser Minderheiten steht dazu in eklatantem Widerspruch.
Ich fordere Iran auf, seiner Verpflichtung nachzukommen, die Menschenrechte Aller unabhängig von religiöser oder ethnischer Zugehörigkeit zu achten und alle Personen, die aufgrund ihrer religiösen oder politischen Weltanschauung inhaftiert sind, unverzüglich frei zu lassen.


Iran weist fortwährend jegliche Verantwortung für die Unterdrückung der Derwische von sich. Warum beschuldigt ein Minister für Information die Derwische öffentlich, Anhänger Satans zu sein und warum wurde eine Ausstellung in Khorramabad eröffnet, in der die Derwische als Anhänger Satans dargestellt werden? Warum hat die iranische Regierung ein neues Gesetz erlassen, welches „Anhänger von mystischen Gruppen“ und sogenannten  „Satanisten“ unter Beschuss nimmt.

Wir protestieren gegen diese eklatante Diskriminierung und den gesetzten Rahmen für zukünftige Verfolgungen gegen Gruppierung die, laut Iran, sich außerhalb der Staatsideologie bewegen.

Darüberhinaus appellieren wir an die iranische Behörde die neun Gonabadi Derwische unverzüglich freizulassen und allen Gonabadi Derwischen das Recht, ihre Religion und Glaubensrichtung frei ausüben zu können, zu gewähren.

Hintergrund:

Die Situation der ethnischen und religiösen Minderheiten in Iran ist besorgniserregend. Obwohl Juden, Christen und Zoroastrier laut der iranischen Verfassung als Minderheiten anerkannt sind und ihnen, wenn auch nur auf dem Papier, religiöse Rechte und Freiheiten zugesprochen werden, geht die Regierung gegen Mitglieder mystischer Sufi Gruppen, wie zum Beispiel dem Schah Nematolah Gonabadi Orden, auch Sufi Derwische genannt, harsch vor. Mitglieder von Sufi Derwisch Orden werden sehr oft diskriminiert und durch gewalttätige Aktionen davon abgehalten, ihre religiösen Praktiken auszuführen.

Im September 2011 hatten iranische Streit- und Sicherheitskräfte landesweite Maßnahmen, insbesondere in Kavar, gegen die Sufi Derwische ausgeführt, welche unter anderem auch zu einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung der Sufi Derwische führte. Im Rahmen dieser Attacken wurden Mitglieder des Nematollah Gonabadi Ordens sowie einige ihrer Redakteure, Journalisten und Anwälte festgenommen. 

Erst kürzlich traten neun Derwische in einen Hungerstreik, der über vier Wochen lang anhielt (31.08. – 04.10.2014). Durch den Hungerstreik protestierten die Sufi Derwische gegen die weit verbreitete Verfolgung von Mitgliedern des Nematollah Gonabadi Ordens und die anhaltenden schlechten Zustände in iranischen Gefängnissen.

Im Folgende sind die Namen der neun Sufi Derwische, die in den Hungerstreik getreten waren, aufgeführt: Omid Behrouzi, Mostafa Daneshjou, Afshin Karampour, Farshid Yadollahi, Mostafa Abdi, Reza Entesari, Amir Eslami, Hamidreza Moradi Sarvestani und Kasra Nouri.

Einer der ausschlaggebenden Gründe für den Hungerstreik waren die diskriminierenden Kommentare gegen die Sufi Derwische, die von Herrn Alawi, Sicherheits- und Informationsminister, bei einem öffentlichen Treffen mit Lehrern ausgingen.

Nachdem die Derwische über die schweren Attacken der Sicherheitskräfte in Kavar sowie den Tod eines Mitglieds des lokalen Sufi Ordens in den Nachrichten berichteten, wurden alle neun Derwische wegen Propaganda gegen das Regime und wegen Verletzung der Nationalen Staatssicherheit angeklagt.

Derartige Anklagen gegen Gefangene aus Gewissengründen, die sich nicht der iranischen Staatsideologie fügen, sind im Iran keine Seltenheit.

Noch vor ein paar Tagen verabschiedete das iranische Parlament ein Gesetz zur Konfrontierung von „deviant sects and groups, mystical sects and satanists“. Über das Strafmaß wird immer noch verhandelt."[7]


[1] Erfan kann mit Mystik (unmittelbare Anschauung oder Wissen) übersetzt werden und umfasst Sufitum, Derwischtum und eben auch den Nematollah Gonabadi Orden

[2] Menschen etwas verbieten und sie zu anderem zu ermutigen

[3] www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Meldungen/2014/141025_MRHHB_Hinrichtung_Iran.html

[4] www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Meldungen/2013/130328-MRHH_Sufi_Iran.html

[5] www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Meldungen/2014/141002-MRHH_Iran.html

[6] www.eppgroup.eu/mep/Tunne-KELAM

[7] www.eppgroup.eu/news/-Call-to-the-release-of-nine-Gonabadi-Dervishes-in-Iran

Helmut N. Gabel für mehriran.de

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